Waschbär
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Waschbär | ||||||||||||
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Systematik | ||||||||||||
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Wissenschaftlicher Name | ||||||||||||
Procyon lotor | ||||||||||||
(Linnaeus, 1758) |
Der Waschbär (Procyon lotor), auch explizit als Nordamerikanischer Waschbär oder altertümlich als Schupp bezeichnet, ist der am weitesten verbreitete Vertreter der Familie der Kleinbären und war ursprünglich nur in Mittel- und Nordamerika beheimatet. Seit Mitte des 20. Jahrhunderts ist er auch auf dem europäischen Festland und dem Kaukasus heimisch, nachdem er dort aus Pelztierfarmen und Gehegen entkommen ist oder ausgesetzt wurde.
Typisch für den Waschbären ist seine maskenartige Gesichtszeichnung und sein ausgeprägtes haptisches Wahrnehmungsvermögen. Waschbären, die mit anderen Artgenossen oft in lockeren Kleingruppen zusammenleben, zeichnen sich außerdem durch ihr gutes Gedächtnis aus. Gewässerreiche Misch- und Laubwälder stellen den bevorzugten Lebensraum der anpassungsfähigen Säugetierart dar, die zunehmend auch in urbanen Gebieten anzutreffen ist.
Inhaltsverzeichnis |
[Bearbeiten] Merkmale
[Bearbeiten] Körperbau
Der Waschbär ist bei einer Schulterhöhe von etwas mehr als 25 Zentimetern zwischen 45 und 65 Zentimetern lang, wozu noch der buschige, schwarz-braun geringelte Schwanz mit einer Länge von ca. 25 Zentimetern kommt. Das Körpergewicht erwachsener Tiere liegt zwischen vier und acht Kilogramm. Männliche Exemplare sind in der Regel 15 bis 20 Prozent schwerer als Weibchen. Wegen des Winterspecks können Waschbären zu Winteranfang bis zu 50 Prozent mehr wiegen als im Frühling. Extremwerte über 20 Kilogramm sind bekannt, bei in freier Natur lebenden Tieren aber äußerst selten.
Charakteristisch für die Tierart ist die im höheren Alter ausbleichende schwarze Gesichtsmaske, die sich deutlich von der umgebenden weißen Gesichtsfärbung abhebt. Die leicht abgerundeten Ohren werden ebenfalls von weißem Fell umrandet. Die markante Gesichtszeichnung, die der des Marderhundes ähnelt, dient vornehmlich dem Erkennen von Körperhaltung und Mimik des jeweils gegenüberstehenden Artgenossen. Am restlichen Körper hat das Fell eine braune bis graue Färbung. Waschbären mit fast schwarzem Fell sind vor allem im europäischen Raum anzutreffen, was auf die frühere Beliebtheit derartig gezeichneter Tiere als Pelzlieferanten zurückzuführen ist.
Waschbären gehen im normalen Passgang nur auf den Sohlen ihrer Pfoten und werden daher als Sohlengänger bezeichnet. Ihre Beine sind im Verhältnis zum gedrungenen Rumpf zierlich, weswegen ihr Körperbau schnelle Sprints oder weite Sprünge nicht zulässt. Waschbären können sich auf ihre Hinterläufe setzen und ihre Vorderpfoten, die wie die Hände von Primaten über fünf gegliederte Finger verfügen und nur von einer dünnen Hornhaut umgeben sind, als geschickte Greifwerkzeuge einsetzen. Über den scharfen, nicht einziehbaren Krallen befinden sich zusätzliche Sinneshaare, die genauso wie ihre Schnurrhaare dazu dienen, Gegenstände schon vor dem Anfassen zu erkennen.
Ihr Gebiss mit der Zahnformel 3142/3142 setzt sich aus 40 Zähnen zusammen, welche an ihre Lebensweise als Allesfresser angepasst sind. Weder ist deren Kaufläche so breit wie die pflanzenfressender Tiere, noch sind sie so spitz und scharf wie die fleischfressender Tiere. Wie alle Raubtiere, mit Ausnahme der Hyänen, besitzen auch die Waschbärmännchen einen Penisknochen, der etwa zehn Zentimeter lang und am vorderen Ende stark gebogen ist.
[Bearbeiten] Sinneswahrnehmung
Waschbären sind farbenblind. Obwohl sie aufgrund des als Restlichtverstärker wirkenden Tapetum lucidum hinter ihrer Netzhaut auch im Dämmerlicht gut sehen können und ihr Sehschärfenbereich von elf Dioptrien fast genau dem des Menschen entspricht, ist die visuelle Wahrnehmung für sie nur von untergeordneter Bedeutung. Außer der Orientierung im Dunkeln dient ihr Geruchssinn vor allem der Kommunikation mit anderen Waschbären. Neben Urin und Kot kommen als Duftmarken auch spezielle Drüsensekrete zum Einsatz, die sie meistens mit Hilfe ihrer Analdrüse verteilen. Mit ihrem Gehör sind sie in der Lage, sehr leise Geräusche wahrzunehmen, wie sie zum Beispiel im Boden eingegrabene Regenwürmer verursachen. Was hohe Töne angeht, liegt ihre Hörgrenze bei 50 bis 85 Kilohertz.
[Bearbeiten] Tastsinn und „Waschen“ der Nahrung
Trotz der gut entwickelten Gesichtssinne ist zweifellos der Tastsinn als der für Waschbären zentrale Sinn anzusehen. Nahezu zwei Drittel des für die Sinneswahrnehmung zuständigen Areals ihrer Großhirnrinde ist auf die Interpretation taktiler Reize spezialisiert. Waschbären tasten die Nahrung oder andere Gegenstände mit ihren Vorderpfoten sorgfältig von allen Seiten ab, um sich ein genaues Bild von dem gefundenen Gegenstand zu machen. Da dies häufig im seichten Gewässer geschieht, wo sie im Uferbereich nach Kleinlebewesen suchen, wurde früher irrtümlich vermutet, dass der Waschbär seine Nahrung „wäscht“. Ganz ähnliches Verhalten zeigen Waschbären jedoch auch an Land. In Gefangenschaft tendieren Waschbären dazu, das ihnen gegebene Futter zu einer Wasserstelle zu tragen und es dort auf gleiche Weise zu „waschen“, um damit die Nahrungssuche in freier Natur zu imitieren.
[Bearbeiten] Lebenserwartung
Während in Gefangenschaft gehaltene Waschbären bis zu 20 Jahre alt werden können, werden sie in freier Natur lebend nur selten älter als zwölf Jahre. Es ist nicht ungewöhnlich, dass nur etwa die Hälfte der in einem Jahr geborenen Jungen das erste Lebensjahr überlebt, so dass ihre durchschnittliche Lebenserwartung nur bei 1,3 bis 3,1 Jahren liegt. Neben Krankheiten zählen Unfälle und der Tod ihrer Mutter zu den häufigsten Todesursachen junger Waschbären. Demgegenüber lassen sich in Gegenden mit starkem Verkehr oder starker Bejagung manchmal mehr als 75 Prozent aller Todesfälle erwachsener Waschbären auf diese beiden Todesursachen zurückführen. So wurden beispielsweise in den USA in den 1980er Jahren fast fünf Millionen Waschbären pro Jahr erlegt.
[Bearbeiten] Lebensweise
[Bearbeiten] Ernährung
Waschbären sind Allesfresser, deren Speiseplan sich je nach Nahrungsangebot zu ungefähr gleichen Teilen aus pflanzlicher Nahrung (Obst, Getreide, Nüsse und Beeren), Wirbellosen (Insekten und Würmer) und kleinen Wirbeltieren (Fische, Kleinsäuger, Amphibien sowie Vogeleier) zusammensetzt. Während sie im Frühjahr überwiegend tierische Nahrung zu sich nehmen, bevorzugen sie im Herbst kalorienhaltige pflanzliche Kost wie Fallobst. Für verstädterte Waschbären stellen Küchenabfälle eine weitere wichtige Nahrungsquelle dar. Waschbären entwickeln bei großer Nahrungsauswahl starke individuelle Vorlieben für bestimmte Nahrungsmittel. Im Winter finden sie demgegenüber nur noch vereinzelt Nahrung und müssen bei anhaltendem Frost sogar fasten.
[Bearbeiten] Habitat
Von verstädterten Tieren abgesehen sind gewässerreiche Misch- und Laubwälder mit einem hohen Eichenanteil der bevorzugte Lebensraum von Waschbären. Hier finden sie genügend Nahrung und Unterschlupfmöglichkeiten. Sie meiden offenes Gelände, weil sie bei Gefahr auf den nächsten Baum klettern, um so der Bedrohung zu entgehen. Waschbären sind außerdem gute Schwimmer und leben bevorzugt in der Nähe von Flüssen oder anderen Gewässern, weil sie dort einen Großteil ihrer tierischen Nahrung finden. In Amerika ist jedoch zu beobachten, dass es dem Waschbären aufgrund seiner Anpassungsfähigkeit zunehmend gelingt, für ihn als ungeeignet eingeschätzte Lebensräume wie Steppen oder kalte, weiter nördlich gelegene Gebiete zu besiedeln.
[Bearbeiten] Schlafplätze
Waschbären sind dämmerungs- und nachtaktive Tiere, was der Hauptgrund dafür ist, dass man sie nur selten zu Gesicht bekommt. Sie sind geschickte Kletterer und schlafen tagsüber mit Vorliebe in den Baumhöhlen alter Eichen. Wenn sich ein Waschbär außerhalb der Reichweite einer seiner bevorzugten Hauptschlafstätten befindet, bezieht er sein Taglager alternativ auch in alten Steinbrüchen, im dichten Gestrüpp oder in Dachsbauten. In den nördlichen Bereichen seines Verbreitungsgebiets hält der Waschbär eine Winterruhe, während der er seine Aktivitäten stark reduziert.
[Bearbeiten] Geistige Fähigkeiten
Experimente von Verhaltensforschern haben gezeigt, dass die Lerngeschwindigkeit von Waschbären mit der von Rhesusaffen vergleichbar ist. Hervorzuheben ist ferner ihr ausgezeichnetes Gedächtnis, vor allem im Hinblick auf ihre haptische Wahrnehmung. So kann sich ein Waschbär noch Jahre später an die Kombination eines Schlosses erinnern, mit der ein Futterbehälter geöffnet werden konnte.
[Bearbeiten] Sozialverhalten
Untersuchungen aus Deutschland und den USA, die in den 1990er Jahren angestellt wurden, haben gezeigt, dass Waschbären normalerweise keine Einzelgänger sind, wie früher häufig behauptet wurde.[1][2] Stattdessen zeigt die Tierart ein variables geschlechtsspezifisches Sozialverhalten.[2] Miteinander verwandte Weibchen formen häufig eine sogenannte „fusion-fission-society“, das heißt sie teilen sich ein Streifgebiet und treffen sich dabei gelegentlich an ergiebigen Futterstellen oder Hauptschlafstätten.[2] Nicht miteinander verwandte männliche Waschbären leben oft in Rüdenkoalitionen zusammen, um sich so besser gegenüber Angreifern und speziell während der Paarungszeit gegenüber fremden Artgenossen behaupten zu können.[2] Eine derartige Gruppe besteht in der Regel aus nicht mehr als vier Individuen.
Bei ausreichendem Nahrungsangebot können sich die Aktionsräume von Waschbären stark überschneiden, ohne dass es zu Auseinandersetzungen kommt. Ernsthafte durch Kämpfe mit anderen Waschbären hervorgerufene Verletzungen sind sehr selten. Männliche Exemplare zeigen jedoch gelegentlich aggressives Verhalten gegenüber nicht mit ihnen verwandten Jungtieren. Zum Informationsaustausch, zum Beispiel über ergiebige Futterquellen, treffen sich Waschbären mit anderen Artgenossen an Schlaf- und Sammelplätzen oder hinterlassen dort Nachrichten in Form entsprechender Duftmarken. Waschbären treffen sich aber nicht nur zum Informationsaustausch sondern auch zum gemeinsamen Fressen, Schlafen und Spielen.
[Bearbeiten] Fortpflanzung
Damit die Aufzucht der Welpen nicht mit dem Beginn des nächsten Winters zusammenfällt, paaren sich Waschbären zumeist im Februar. Wenn ein Weibchen nicht trächtig wird oder seine Jungen frühzeitig verliert, wird es im Mai oder Juni manchmal erneut empfängnisbereit. Zur Paarungszeit ziehen die Männchen in ihren Streifgebieten rastlos umher und umwerben die an einigen Sammelplätzen zusammenkommenden Weibchen, deren drei- bis viertägige Empfängnisperioden zeitlich zusammenfallen. Die anschließende Paarung erstreckt sich über mehrere Nächte hinweg, während denen sich intensives Vorspiel, der eigentliche Akt und eine anschließende Ruhepause abwechseln. Die meisten Weibchen lassen sich dabei nur von einem Männchen begatten.
Um eine hohe, zum Beispiel durch Bejagung ausgelöste, Sterblichkeitsrate auszugleichen, steigt der Anteil der trächtig werdenden Weibchen stark an. Während die Gesamtpopulation dadurch annähernd stabil bleibt, sinkt der Altersdurchschnitt rapide. Insofern erweist es sich fast immer als wirkungslos, Waschbären durch vermehrte Jagd aus einem Gebiet, das für sie einen günstigen Lebensraum darstellt, dauerhaft vertreiben zu wollen. Selbst wenn dies ausnahmsweise gelingen sollte, würden aber schon bald darauf andere Waschbären in die derart frei werdenden Territorien nachfolgen.
[Bearbeiten] Entwicklung der Jungen
Nach etwa 65 Tagen Tragzeit bringt das nach der Paarung wieder allein lebende Weibchen im Frühling im Schnitt 2,5 bis 3,5 Junge zur Welt. Die Welpen sind bei der Geburt blind und mit einem gelblichem Flaum bedeckt. Das Geburtsgewicht der zehn Zentimeter großen Welpen beträgt 65 bis 75 Gramm. Während des ersten Lebensmonats nehmen die Welpen keine feste Nahrung zu sich, sondern werden ausschließlich von ihrer Mutter gesäugt. Nach zwei bis drei Wochen öffnen sie erstmals die Augen. Im Alter von sechs bis neun Wochen verlassen die zu diesem Zeitpunkt ungefähr ein Kilogramm wiegenden Jungen erstmals die Wurfhöhle, werden jedoch auch danach noch ein bis zwei Monate lang mit nachlassender Intensität gesäugt. Im Herbst erfolgt die allmähliche Trennung von der Mutter. Während die Weibchen schon vor dem Beginn der nächsten Hauptpaarungszeit die Geschlechtsreife erreichen, ist dies nur bei einem Teil der Männchen der Fall. Während viele weibliche Nachkommen zeitlebens in der Nähe ihrer Mutter bleiben, suchen sich die jungen Männchen ein weiter entferntes Territorium, was als instinktives Verhalten zur Vermeidung von Inzucht zu verstehen ist.
[Bearbeiten] Lebensweise im menschlichen Siedlungsraum
Der Waschbär ist ein Kulturfolger, dem es gelungen ist, in städtische Gebiete vorzudringen und diese als Lebensraum zu nutzen. Er bevorzugt dabei waldnahe Stadtrandgebiete mit einem hohen Grünflächenanteil. Im menschlichen Siedlungsraum weist der Waschbär bemerkenswerte Verhaltensanpassungen auf. Während die Streifgebiete in amerikanischen Waldgebieten etwa 50 bis 600 Hektar groß sind, umfassen sie in Städten oft nur ein bis zehn Hektar. Weiterhin ist die Populationsdichte in der Stadt deutlich höher. Kommen etwa in Kassel auf 100 Hektar je nach Jahreszeit ungefähr 100 Waschbären, leben in Waldgebieten auf der gleichen Fläche selten mehr als 20 Tiere.
Im Stadtgebiet stellen Gärten und der Hausmüll für den Waschbären ein reichhaltiges Nahrungsreservoir dar. Hinzu kommt das große zusätzliche Angebot an Schlaf- und Wurfplätzen. An erster Stelle sind hier Gartenhäuschen, Garagen und verlassene Gebäude zu nennen, aber auch Dachböden und Kaminschächte werden gerne als Schlaf- oder Wurfplatz genutzt. Erklettert werden die Gebäude dabei über das Fallrohr der Regenrinne oder angrenzende Bäume.
[Bearbeiten] Zusammenfassung
Zusammenfassend kann gesagt werden, dass Waschbären Generalisten sind, die nur geringe Ansprüche an die Art ihrer Nahrung stellen und sich schnell an geänderte Umstände anpassen können. Dies erklärt ihren nachhaltigen Erfolg bei der Besiedlung neuer Lebensräume.
[Bearbeiten] Verbreitungsgebiet
[Bearbeiten] Verbreitung in Amerika
Das ursprüngliche Verbreitungsgebiet des Waschbären erstreckt sich von Panama über Mexiko und fast die gesamte USA bis zum Süden Kanadas. Hiervon ausgenommen sind nur Wüstengebiete und das Hochgebirge der Rocky Mountains.
[Bearbeiten] Verbreitung in Europa
Alle in Europa vorkommenden Waschbären gehen auf Tiere zurück, die im 20. Jahrhundert aus Pelztierfarmen und Gehegen entkommen sind oder ausgesetzt wurden. Als derartiger Gefangenschaftsflüchtling sind sie der Gruppe der Neozoen zuzurechnen, wobei sie in Deutschland inzwischen zu den einheimischen Tierarten gezählt werden. Heute gibt es in weiten Teilen Deutschlands sowie Gebieten der angrenzenden Länder stabile Waschbärpopulationen. Weitere Vorkommen existieren im Süden Weißrusslands, dem Kaukasus und im Norden Frankreichs, wo im Jahr 1966 bei Laon einige Exemplare von amerikanischen Soldaten ausgesetzt wurden.
Das für die Verbreitung des Waschbären in Europa wichtigste Ereignis war das Aussetzen von zwei Waschbärpaaren am 12. April 1934 am hessischen Edersee. Die vier Waschbären wurden vom Forstmeister Wilhelm Freiherr Sittich von Berlepsch auf Wunsch des Besitzers, dem Geflügelzüchter Rolf Haag, ausgesetzt, noch bevor er dazu zwei Wochen später die Genehmigung des Preußischen Landesjagdamts erhielt um dadurch „die heimische Fauna zu bereichern“. Obwohl es schon vorher ein paar Ansiedlungsversuche gegeben hatte, war nur dieser erfolgreich. Das Gebiet um den Edersee stellte einen für die ausgesetzten Waschbären fast optimalen Lebensraum dar, so dass die von diesem Zentrum ausgehende weitere Verbreitung schnell und dauerhaft erfolgen konnte. 1956 wurde der Bestand in Deutschland auf 285 Tiere geschätzt, 1970 auf etwa 20.000 Tiere und im Jahr 2005 auf eine niedrige bis mittlere sechsstellige Zahl. Obwohl durch diesen Gründereffekt ein genetischer Flaschenhals entstanden ist, scheint dies keine negativen Auswirkungen auf die Gesundheit der Waschbärpopulation gehabt zu haben.
Der Ausbruch von etwa zwei Dutzend Waschbären nach einem Bombentreffer auf ein Waschbärgehege in Wolfshagen bei Strausberg in Brandenburg im Jahre 1945 führte zu einem weiteren Verbreitungsgebiet. Die daraus entstandene Population lässt sich bis heute genetisch und parasitologisch von der mitteldeutschen unterscheiden. Während über 70 Prozent der Waschbären der mitteldeutschen Population mit dem Waschbärspulwurm infiziert sind, wurde bislang bei keinem Waschbär aus dem brandenburgischen Verbreitungsgebiet eine Spulwurminfektion diagnostiziert. In Sachsen-Anhalt wurde eine Infektionsrate von 39 Prozent gemessen, weswegen dieses Gebiet eine wichtige Rolle als Verschmelzungsgebiet der beiden großen Populationen zu spielen scheint.
[Bearbeiten] Der Waschbär als Neozoon
Da es dem Waschbär gelungen ist, innerhalb weniger Jahrzehnte weite Teile Deutschlands zu besiedeln, ist er als einer der erfolgreichsten Neozoen des europäischen Kontinents anzusehen. Wie sich schon in anderen Fällen gezeigt hat, dass die mitteleuropäische Flora und Fauna in der Regel robust auf eingewanderte Tier- und Pflanzenarten reagiert, so hat auch die Ausbreitung des Waschbären bislang keine ökologischen Schäden von nennenswertem Ausmaß verursacht.
Zwar hat der Waschbär in Europa außer dem Uhu, der gelegentlich Jungtiere fängt, praktisch keine natürlichen Feinde, was aber auch auf dem amerikanischen Kontinent nicht grundsätzlich anders ist. Dort fallen Waschbären zwar vereinzelt großen Raubtieren wie dem Wolf, dem Luchs oder dem Puma zum Opfer, aber gemessen an der Anzahl an Waschbären, die an Krankheiten sterben, der Jagd zum Opfer fallen oder im Straßenverkehr verunglücken, ist dies eine vernachlässigbare Größe. Auch hinsichtlich des zur Verfügung stehenden Nahrungsangebots unterscheiden sich europäische und amerikanische Waldgebiete der gemäßigten Zone nur unwesentlich voneinander.
Obwohl der Waschbär keine gezielte Jagd auf bestimmte Beutetiere macht ist umstritten, inwieweit eine weitere Ausbreitung des Waschbären dem Ökosystem Deutschlands schaden könnte. Argumentiert wird dabei zumeist damit, dass er durch das Fressen der Eier bzw. Küken eine lokale Bedrohung für geschützte Vogelarten darstellen kann.
[Bearbeiten] Verbreitung in Städten
Die ersten Berichte über Waschbären, die dauerhaft im städtischen Raum leben, stammen aus den 1920er Jahren aus einer Vorstadtsiedlung von Cincinnati (Ohio, USA). Ein verstärktes Auftreten in nordamerikanischen Metropolen wie Washington (D.C.), Chicago und Toronto wird seit den 1950er Jahren beobachtet.
In Europa stammen die ersten Beobachtungen verstädterter Waschbären aus den 1960er Jahren aus Kassel in Nordhessen, das bis heute als Stadt mit der höchsten Waschbärdichte Europas gilt. Hohe Populationsdichten werden auch aus anderen Ortschaften in Nordhessen und Südniedersachsen gemeldet, in vielen anderen Städten wie Berlin gibt es vereinzelte Sichtungen.[3]
[Bearbeiten] Waschbär und Mensch
[Bearbeiten] Konflikte im Siedlungsraum
Im Hinblick auf die Ausbreitung des Waschbären im menschlichen Siedlungsraum fallen die Meinungen sehr unterschiedlich aus. Die Positionen reichen von einer totalen Ablehnung bis zu überschwänglicher Zuneigung gegenüber den Tieren, häufig verbunden mit intensivem Füttern. Durch Füttern steigt aber die Gefahr, dass die verstädterten Tiere, die ohnehin kaum noch Scheu vor dem Menschen aufweisen, immer aufdringlicher werden. Während Schäden an Nutzpflanzen und Stöbern im Hausmüll als „Bagatelldelikte" angesehen werden können, stellt das Eindringen in Gebäude, um Dachböden als Schlaf- und Wurfplätze zu nutzen, ein großes Problem dar. Hierbei können schnell signifikante materielle Schäden entstehen, zum Beispiel durch einsickerndes Regenwasser.
Um derartige Schäden zu vermeiden, ist es meist nicht sinnvoll, einzelne Tiere zu fangen oder zu töten, da derartige Schlafplätze in der Regel mehreren Waschbären bekannt sind. Stattdessen müssen vorbeugende Maßnahmen ergriffen werden, die verhindern, dass sie überhaupt in das Gebäude gelangen können. Hinsichtlich der günstigen Lebensbedingungen, wie sie städtische Lebensräume Waschbären bieten, ist es so gut wie unmöglich, Waschbären durch starke Bejagung dauerhaft aus einem größeren Gebiet zu vertreiben.
[Bearbeiten] Waschbären als Krankheitsüberträger
Aus dem verstärkten Kontakt zwischen Waschbär und Mensch ergeben sich Probleme bezüglich der Übertragung von Krankheiten. Im Gegensatz zu seiner amerikanischen Heimat weist der Waschbär in Europa ein stark eingeschränktes Parasitenspektrum auf. Während die Waschbärtollwut in Amerika eine ernstzunehmende Gefahr darstellt, ist diese in Europa erst vereinzelt nachgewiesen worden. Hier gilt zur Zeit nur ein einziger Parasit des Waschbären als ein für den Menschen potentiell gefährlicher Erreger, nämlich der Waschbärspulwurm, der im Dünndarm der Tiere lebt. Die Infektion erfolgt dabei durch die orale Aufnahme von Spulwurmeiern im Waschbärkot, zum Beispiel bei der Säuberung von Waschbärlatrinen. Weil der Mensch für den Spulwurm ein Fehlwirt ist, sind Erkrankungen aber sehr selten.
[Bearbeiten] Haltung von Waschbären
Waschbären, vor allem die Welpen, wirken auf den Menschen possierlich. Als Haustiere sind sie jedoch wenig bis gar nicht geeignet. Der Waschbär ist keine domestizierte Tierart. Geschlechtsreife Tiere können insbesondere in der Fortpflanzungsperiode unvermittelt zubeißen, wenn sie sich bedrängt fühlen. Eine Kastration im fünften oder sechsten Lebensmonat ist in der Regel die wichtigste Voraussetzung dafür, einen erwachsenen Waschbären halten zu können. Waschbären sollten auch nicht alleine gehalten werden, da sie ohne Umgang mit Artgenossen schnell vereinsamen. [4] Wenn keine geeigneten Schutzvorkehrungen getroffen werden, ist zudem die Wahrscheinlichkeit groß, dass ein Waschbär aufgrund der ihm angeborenen Neugier massive Verwüstungen im Haushalt anrichtet. Über die zeitaufwendige Aufzucht verwaister Welpen zur späteren Auswilderung hinaus ist daher nur eine Gehegehaltung möglich.
[Bearbeiten] Der Waschbär in Mythologie und Kultur
Der Waschbär ist ein wichtiger Bestandteil der indianischen Mythologie. In Sagen und Erzählungen wird dabei unter anderem auf sein außergewöhnliches Geschick beim Fangen von Krebsen eingegangen. Der englische Name des Waschbären, Raccoon, leitet sich vom Wort Aroughcun oder Ahrah-koon-em ab, den die Algonkin-Indianer dem Tier gaben, was soviel wie der mit den Händen kratzt bedeutet. In der westlichen Kultur spielt der Waschbär nur in der Kinder- und Jugendliteratur eine Rolle. So schildert Sterling North in seinem autobiografischen Roman Rascal der Waschbär, wie er als Kind zur Zeit des Ersten Weltkrieges einen Waschbären aufzog.
[Bearbeiten] Pelzverarbeitung
Der Waschbär ist eine wichtige Pelztierart. Zu Beginn des 20. Jahrhunderts wurden in Nordamerika so viele Waschbären für die Pelzherstellung erlegt, dass ihre Anzahl gebietsweise deutlich zurückging. In der zweiten Hälfte der 1920er Jahre wurde er daher erstmals in größerem Umfang gezüchtet, was aber sowohl in Nordamerika als auch in Europa bald wieder aufgegeben wurde. Immerhin gab es 1934 in Deutschland 228 Betriebe die Waschbären züchteten mit insgesamt allerdings nur 1583 Tieren.[5] Nachdem zu Beginn der 1940er Jahre Langhaarpelze aus der Mode kamen und somit die Preise fielen, kommen bis heute praktisch ausschließlich Felle von Wildtieren in den Handel. [6] Im Pelzhandel wird auf den Rauchwarenauktionen das Marderhundfell, wohl wegen seines in Teilen waschbärähnlichen Aussehens, mit dem irreführenden Namen Finnraccoon oder Chinesisch Raccoon (raccoon = engl. Waschbär) angeboten; hier kommt es gelegentlich zu Verwechslungen. Waschbärfelle werden zu Mänteln, Jacken oder Mützen, beispielsweise auch zu den typischen Trappermützen, verarbeitet.[7][8]
[Bearbeiten] Einzelnachweise
- ↑ Stanley D. Gehrt: Raccoon social organization in South Texas. University of Missouri 1994 (Dissertation).
- ↑ a b c d Ulf Hohmann: Der Waschbär. Oertel+Spörer, Reutlingen 2001, ISBN 978-3886273010.
- ↑ Berliner Morgenpost: Waschbären: Kleine Räuber auf Beutezug durch Berlin. (Stand: 13. Juni 2008).
- ↑ Kathrin Grüning: Grundsätzliches zur Haltung
- ↑ Die Kürschnerfibel, Nr. 1, 7. Jahrgang, Verlag Alexander Duncker, Leipzig, 21. Januar 1939, S. 22 (ohne Angabe des Autors)
- ↑ Dr. Fritz Schmidt: Das Buch von den Pelztieren und Pelzen, 1970, F. C. Mayer Verlag, München. S. 311-315
- ↑ Christian Franke/Johanna Kroll: Jury Fränkel’s Rauchwaren-Handbuch 1988/89, 10. überarbeitete und ergänzte Neuauflage, Rifra-Verlag Murrhardt. S. 81
- ↑ Winckelmann Pelz & Markt, Frankfurt/Main, 29. Juni 2007
[Bearbeiten] Literatur
- Ulf Hohmann, Ingo Bartussek: Der Waschbär. Oertel+Spörer, Reutlingen 2001, ISBN 978-3886273010
- Ingo Bartussek: Die Waschbären kommen. Cognitio, Niedenstein 2004, ISBN 978-3932583100
- Anke Lagoni-Hansen: Der Waschbär. Verlag Dieter Hoffmann, Mainz 1981, ISBN 3-87341-037-0
- Frank-Uwe Michler: Waschbären im Stadtgebiet. In: Wildbiologie. Unterreihe 5, Wildbiologie international. Infodienst Wildbiologie & Oekologie, Zürich 2004, 2. (WB-Artikel 5/12)
- Samuel I. Zeveloff: Raccoons: A Natural History. Smithsonian Books, Washington, D. C. 2002, ISBN 978-1588340337
- Dorcas MacClintock: A Natural History of Raccoons. The Blackburn Press, Caldwell (New Jersey) 2002, ISBN 978-1930665675
- Virginia C. Holmgren: Raccoons in Folklore, History and Today's Backyards. Capra Press, Santa Barbara (Kalifornien) 1990, ISBN 978-0884963127
[Bearbeiten] Weblinks
- Die Waschbären kommen: Website mit umfangreichen Informationen über verstädterte Waschbären
- Lotor.de: Website mit allgemeinen Informationen zum Waschbären
- Projekt Waschbär im Müritz-Nationalpark: aktuelles Forschungsprojekt über die Situation im ostdeutschen Verbreitungsgebiet
- Gesellschaft für Wildökologie und Naturschutz e.V.: Website mit Informationen zur Biologie und Verbreitung des Waschbären sowie zu Forschungsprojekten in Deutschland
- Raccoon Tracks: englische Website mit allgemeinen Informationen zum Waschbären
- Procyon lotor in der Roten Liste gefährdeter Arten der IUCN 2007. Eingestellt von: Mustelid Specialist Group, 1996. Version vom 12. Mai 2006
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