Volkslied
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Ein Volkslied ist ein Lied, das im Volksmund entstanden oder in ihn übergegangen ist. Nach Hugo Riemann heißt ein Volkslied „… entweder ein Lied, das im Volke entstanden ist (d. h. dessen Dichter und Komponist nicht mehr bekannt sind), oder eins, das in den Volksmund übergegangen ist, oder endlich eins, das ‚volksmäßig‘, d. h. schlicht und leicht fasslich in Melodie und Harmonie komponiert ist.“ [1] Nach Alfred Götze ist ein Volkslied ein Lied, das „… im Gesang der Unterschicht eines Kulturvolks in längerer gedächtnismäßiger Überlieferung und in ihrem Stil derart eingebürgert ist oder war, dass, wer es singt, vom individuellen Anrecht eines Urhebers an Wort und Weise nichts empfindet.“ [2]
Inhaltsverzeichnis |
[Bearbeiten] Merkmale
Im Laufe der Sammlung und der Erforschung von Volksliedern wurden folgende Merkmale von Volksliedern (engl. traditional) herausgestellt:
- Sie unterliegen oft einem langen Prozess mündlicher Tradierung.
- Sie unterliegen starken Änderungen hinsichtlich Form und Gestalt und erfahren kulturell oder regional typische Ausprägungen. So existieren Varianten der Texte wie auch der Melodie.
- Weiterhin kennzeichnet Volkslieder, dass sie eine Verbreitung im Volk erfahren.
- Früher wurde hinter den Volksliedern ein „schöpferisches Kollektiv“ vermutet, allerdings deuten neuere Forschungen darauf hin, dass auch Volkslieder eher einen Urheber haben. Trotzdem sind Volkslieder eine Sache der Gemeinschaft; das Umsingen, unvermeidliche Folge der mündlichen Tradierung, macht das Lied jeweils zu einer individuellen Angelegenheit des Singenden. Die Schöpferfrage ist also sekundär; es existiert kein emphatischer Werkbegriff wie in der Kunstmusik.
[Bearbeiten] Bedeutung
Volkslieder deuten überwiegend auf konkrete, sich wiederholende oder alltägliche Situationen bzw. Zustände des Lebens. Dabei kann sich der Ausdruck auch von der „gewöhnlichen und rauen Wirklichkeit“ entfernen und sich in einer idealisierten oder realitätsfernen Art und Form zeigen (z.B. in dem Idyll nahen Naturbildern oder in Liebestragiken zwischen Prinz und Prinzessin). Volkslieder können somit verschiedenste Funktionen erfüllen – etwa in Form des Arbeitsliedes (die Arbeit begleitend) oder Ständeliedes (Arbeitsbereiche oder Berufe charakterisierend) oder Hochzeitsliedes (etwa Braut und Bräutigam beglückwünschend oder auf den ‚heiligen Bund‘ moralisch hinweisend).
Die zahlreichen ‚Gattungen‘ spiegeln in etwa das inhaltliche und thematische Spektrum: Liebes-, Hochzeits-, Trink-, Kinder-, Wiegen-, Arbeits-, Tanz-, Arbeiter-, Soldaten-, Studenten-, Seemanns-, (berufs)ständische, an religiösen Festen orientierte, Heimat-, Wander-, Morgen-, Abend-, Jahreszeiten-, Abschiedslieder, Spaß- und Scherzlieder.
[Bearbeiten] Begriffliche Schwierigkeit – Volksmusik als historischer Begriff
Eine eindeutige, klar abzugrenzende Fassung des Begriffes „Volksmusik/Volkslied“ ist schwierig; gerade in der jüngeren Geschichte wird das im Grunde unmöglich. Heutzutage ist Volksmusik wohl gänzlich als ein historischer Begriff anzusehen und kann kaum noch als gegenwärtige Musikpraxis gelten.
Der gegenwärtige Begriff von „Volksmusik“ gilt im Grunde nur noch als Sparte der Musikindustrie und Medienwelt und zeigt irreale häusliche und ländliche Idyllen auf Ton- und Bildträgern sowie im Fernsehen. Die so medial vermittelten, choreographierten und überstilisierten Darbietungen lassen sich nur schwer von anderen medial vermittelten Musiksparten stichhaltig unterscheiden. Ansatzpunkte für Unterscheidungen wären wohl höchstens, dass verschiedene Zielgruppen (potentielle Konsumenten) anvisiert werden und sich verschiedene optische und „soundmäßige“ Merkmale zeigen. Gerade im letzteren Fall verwischen aber die Grenzen zwischen dem, was gemeinhin als „Volksmusik“, „Schlager“, „Pop“ und „Rock“ gilt, schon gewaltig. Das gilt dann freilich genauso für die via AV-Medien vermittelte „Volksmusik“ anderer Länder, wofür die noch jüngere markttechnische Bezeichnung „Weltmusik“ gefunden wurde – hier wohnt die Indifferenz schon im Begriff selbst.
Ferner ist ‚das Volk’ nicht mehr Trägerschaft dieser Musik sondern Konsument. Die klingende Musik selbst ist fixiert auf Ton- und Bildträgern und fordert keine unmittelbare Interaktion, hebt also nicht auf eine bewusste Musizier- und Zuhörsituation ab. Sie ist im Studio zusammenmontiert und darauf jederzeit und jederorts verfügbar (spätestens seit dem „Walkman“). Auch stellen spätestens mit der Verfügbarkeit aller möglichen ‚Musiken’ auf AV-Medien innerkulturelle Codes, Herkunft einer Musik, verschiedene Stilistiken, verwendete Tonsysteme, Klänge, Texte, die wir selbstverständlich so oft nicht verstehen, längst keine Hindernisse mehr für die – passive – Rezeption dar.
Wichtig ist auch vorwegzunehmen, dass Volksmusik ein Sammelbegriff ist, der nicht auf eine konkrete Musikform, sondern auf eine Musikpraxis innerhalb bestimmter gesellschaftlicher Kontexte weist. Auch kann man kaum von abgrenzbaren Stilistiken innerhalb der Volksmusik reden, sondern eher von Typiken, da Volksmusik keinen diskurshaften Normierungen und eigentlich auch keiner schriftlichen Fixierung unterliegt.
[Bearbeiten] Historisch-Soziologische Typologie
Unter Volksmusik, historisch betrachtet also „des Volkes Musik“, subsumiert man Musikpraxen, welche sich als dem Volk – der Majorität der Bevölkerung – zugehörig ausweisen. Tatsächlich bietet sich zur weiteren Fassung von Volksmusik, und damit auch zur Differenzierung von anderen Musiksphären, ein Herangehen unter soziologischen Gesichtspunkten an. Denn: Präzise musikalische Merkmale oder gar Gattungen von Volksmusik, die übergreifend gültig wären, lassen sich kaum festschreiben. Wollte man dies tun, müsste man sich auf eine bestimmte Region sowie einen bestimmten Zeitraum beschränken. Grob lässt sich jedoch festhalten, dass, wie auch in der Kunstmusik, Vokal- und Instrumentalmusik als auch instrumental begleitete Vokalmusik zu finden ist bzw. war. Dasselbe gilt für Einstimmigkeit und Mehrstimmigkeit, Homophonie und Polyphonie.
‚Des Volkes Musik’ besagt weiterhin, dass es sich um eine ‚Musiksphäre’ handeln muss, die aus dem Volk heraus entsteht und damit ohne tiefere musikalische Bildung auskommt. Ferner ist von ihr kaum künstlerischer Fortschritt zu erwarten, da sie für die Gemeinschaft verständlich bleiben muss. Das heißt jedoch nicht, dass es sich nicht um Kunst handelt.
Daher, dass Volksmusik von den Ausübenden aber nicht als alleinige Profession betrieben wird und werden kann, ist eine Ausweitung der musikalischen Sprache – etwa im Sinne eines individualisierten Kunstausdrucks – kaum möglich und rückt wohl auch gar nicht ins Bewusstsein der Ausübenden. Volksmusik ist eine Sache mündlich überlieferter Tradition, die selbstverständlich innerkulturellen Codes folgt dabei aber keinen ästhetischen Diskurs über ihre jeweiligen Zustände führt. Die Kunstmusik sowie auch die kirchlich gebundene Musik standen und stehen dagegen stets in einer Diskussion ihrer selbst und haben sich eine ästhetische und musiktheoretische Wissenschaft vorangestellt; sich also fortwährenden Reflexionen ausgesetzt. Wie auch Handarbeiten mit den verschiedensten Materialien, ist Volksmusik Volkskunst (Folklore) und den betreffenden Menschen ein Bedürfnis, das über einen rein praktischen Zweck hinausreicht.
Eine Autonomisierung der Kunst findet jedoch nicht statt. Der ausschließlich der Musikschöpfung sich zuwendende und fundiert ausgebildete Künstler spricht die gebildete – auch musikalisch gebildete – Bevölkerungsminorität des Adels, des Hofes und des Bürgertums an und ist auch erst ab der Frühen Neuzeit auszumachen. (vgl. Blaukopf, Einführung in die Musiksoziologie). Hier ist auch ein wesentlicher Unterschied zwischen den ‚Sphären’ der Kunstmusik mit ihren professionellen Komponisten und ausführenden Ensembles und der dagegen eher laienhaften Volksmusik festzustellen: Erstere ist fast ausschließlich Aufführungssituationen verpflichtet – d.h. einer strikten Trennung in Publikum und Ausführende. Die Volksmusik lebt (!) dagegen viel mehr von gegenseitiger Interaktion.
[Bearbeiten] Schöpferfrage
Auf die Frage, wer „die“ Volksmusik schöpft, ist keine endgültige Antwort möglich. Dadurch, dass Volksmusik durch fortwährende mündliche und über das Gehör bewerkstelligte Nachahmung lebt, befindet sie sich wohl in einem steten Schöpfungszustand. Die tatsächliche Ursprungsfrage ist wohl hier auch gar nicht wichtig. Wesentlich ist die Aufnahme, Weiterverbreitung und damit die Enkulturierung, die Einbettung in den, eine jeweilige Gemeinschaft betreffenden, kulturellen Code. (Braun, Volksmusik). Dabei kann eine Ursprungsmelodie durchaus eine aus der Musik des Bürgertums sein, sagen wir eine einprägsame Operettenmelodie. Béla Bartók hat so etwas bei seinen äußerst ausgedehnten Forschungen über das ungarische Volkslied festgestellt (Bartók, Das Ungarische Volkslied, 1926). Er spricht hier von Nachahmungstrieben, die einem sehnsüchtigen Aufschauen zur Kultur gesellschaftlich höher stehender Klassen zuzuschreiben sei.
[Bearbeiten] Innermusikalische Merkmale und Musikpraxis
In ihren innermusikalischen Merkmalen lässt sich das Volkslied als Substrat oder bewahrte Urform des Kunstliedes betrachten. Für die Bezeichnung Substrat spricht der o.g. Anstoß durch die Kunstmusik. Für die Bezeichnung Urform spricht, dass das Volkslied zumeist in seiner tonalen Sprache und Formgebung ein Stadium zeigt, dass die Kunstmusik zu einem jeweiligen Zeitpunkt bereits überdauert hat. Dies zeigt sich etwa in Skalen geringen Tonvorrates (Pentatonik oder geringer); v.a. in Liedern ein geringer Ambitus; simple Melodiezeilenform oder gar eine, in metrisch/ rhythmischer Hinsicht, freie Gestaltung. Bei alledem bleibt sie aber ihrer eigenen Art und Weise – wiederum regional und zeitlich verschieden –, d.h. kennzeichnenden Spiel- und Singweise, verbunden.
Das Volkslied lässt sich dahingehend zum Kunstlied abgrenzen, dass eine unikate Text-Musik-Bindung nicht zwingend ist. Feldforschungen von Musikethnologen wie auch Aufzeichnungen von Komponisten haben erwiesen, dass bereits gehörte Melodien mit verschiedenen Texten auftauchen, die auch thematisch grundverschieden sein können. Ebenso sind die Singgewohnheiten situationsabhängig, abhängig vom jeweiligen Vermögen des Sängers/-in. Auch das Formempfinden weicht von dem ab, was wir als durchkomponierten Kunstliedvortrag kennen. Der Vortrag eines Liedes kann bereits beim unmittelbar wiederholten Singen stark von der „ersten Version“ abweichen, bleibt im Sinne des Vortragenden aber das selbe Lied.[3] Andererseits werden auch bloße Perspektivenwechsel in der Erzählstruktur eines Liedes (-textes), bei nahezu gleichbleibendem musikalischen Material und musikalischer Formung vom Vortragenden mitunter als verschiedene Lieder angesehen (vgl. Christian Kaden, Musiksoziologie). Auch ein ‚Umsingen’, den stimmlichen Möglichkeiten eines Sängers/-in entsprechend, ist vielfach beobachtet worden (Oktavversetzung, wenn ein Ton in Höhe oder Tiefe nicht erreicht wird).
Auch gegenseitige Beeinflussungen durch benachbarte Volksgemeinschaften, Emigration etc. sind auszumachen. Innerhalb Europas lassen sich Parallelen in der Musik geographisch entfernt liegender Völker feststellen. Das betrifft vor allem tonräumliche und formale Gestaltungsweisen.[4] [5]
Nationale und staatengebundene Besitzansprüche an Volksmusik, gar mit qualitativen Hervorhebungen oder Reinheitsansprüchen sind somit absurd. Die unten erwähnte Wanderung einer Melodie durch verschiedene Regionen und ihre Wandelungen vom Volkslied zum Thema eines Streichquartettsatzes von Haydn und weiter zur deutschen Nationalhymne ist beredtes Beispiel dafür.
[Bearbeiten] Die Forschung: Kurzer geschichtlicher Blick
Dass uns historische Volksmusik überhaupt zugänglich ist, also dass überhaupt darüber geredet werden kann, ist vor allem der Musikethnologie zu verdanken. Dieser Strang der Musikwissenschaft ist noch relativ jung und fand seine erste Blütezeit um die Wende vom 19. zum 20. Jh.. Forscher wie Béla Vikar, Zoltan Kodály, Béla Bartók, Erich von Hornbostel, Constantin Brailoiu, um nur einige zu nennen, waren die ersten, welche mit wissenschaftlichem Anspruch bemüht waren, Musik dem Volk direkt ‚abzulauschen’. Dafür standen ihnen bereits auch technische Möglichkeiten, wie etwa der Edison-Phonograph (nach Thomas Alva Edison), zur Verfügung. Aber auch viele Komponisten fertigten Aufzeichnungen direkt im Volke an. Man weiß das z.B. von Modest Mussorgsky, Ralph Vaughan Williams, Nikolai Rimski-Korsakow. Was uns dann vorliegt ist freilich ein Notentext, der eine zugehörige Musikpraxis nur noch erahnen lässt; bestenfalls können ethnologische Erläuterungen das ganze anreichern.
Aus der früheren Geschichte lässt sich nur sehr bruchstückhaft auf die jeweilige Volksmusik schließen. Aus nachvollziehbaren Gründen sind Aufzeichnungen rar: im Volk hat es keiner gemacht und unter Gelehrten bestand wohl kaum ein Interesse. Man kann aber annehmen, dass v.a. im Mittelalter die Grenzen zwischen Volksmusik und „Hochkultur“, was im wesentlichen die kirchliche Musik war, auch noch recht fließend waren. So wurde z.B. wohl immer auch ein Teil der im kirchlichen Rahmen gehörten Musik sozusagen ‚mit nach draussen’ genommen und dann frei – und vor allem volkssprachlich – umtextiert, umgesungen. Und das auch in frecher und verhöhnender Weise. So ist uns sogar auch einiges, wenn zumeist auch „nur“ Texte, in Quellen wie dem Lochamer-Liederbuch, der Jenaer Liederhandschrift oder den Carmina Burana erhalten geblieben. Was die Musikpraxis angeht, kann man jedoch nur aus bildlichen Darstellungen Schlüsse ziehen, vor allem auf die Verwendung von Instrumenten, die aus der liturgischen Musikpraxis weitgehend ausgeschlossen waren (insbesondere Blasinstrumente). Recht berühmt ist auch der Reisebericht des Giraldus Cambrensis (1147–1223), der von volksläufigen Musizierpraxen in Irland und Wales erzählt.
[Bearbeiten] Das deutsche Volkslied und die Romantik
Mit dem, was uns heute überwiegend als deutsches Volkslied bekannt ist, gibt es einige Schwierigkeiten, ob die so lautende Bezeichnung richtig ist. Im Zuge der auf geistigem Gebiet aufkommenden Sinneswandlungen des Sturm und Drangs und der folgenden Romantik, welche gegen die Rationalität der Aufklärung opponierten, gab es unter den Dichtern, Musikern etc. eine sehnsüchtige Suche nach dem „Einfachen, Naturnahen, Ursprünglichen und Unverfälschten“. Johann Gottfried Herder, selbst in Ostpreußen und Lettland angeregt, begann in der zweiten Hälfte des 18. Jh. sich auf die Suche nach dem deutschen Volkslied (das Wort ‚Volkslied’ geht auf ihn zurück) zu machen, das offenbar kaum wahrnehmbar oder im Verschwinden begriffen war: „Die Reste aller lebendigen Volksdenkart rollen mit beschleunigtem Sturze in den Abgrund hinab.“ Dieser Ausspruch kann jedoch auch bedeuten, dass mit den sich wandelnden Lebensbedingungen des beginnenden Kapitalismus und der Industrialisierung, sich eben auch das Volkslied wandelte, was aber einen originären Prozess für dasselbe darstellt. In den gelehrten und sozial höher stehenden Kreisen wurde aber gerade mit dem 18. Jh. das vermeintliche ländliche Idyll des Bauern entdeckt und damit auch das Volkslied romantisierend verklärt. Ein Lied, das mit dem zunehmend urbanen Leben korrelierte, passte so eben nicht ins Bild, das man vom Volkslied haben wollte.
So entstanden von Dichtern bewerkstelligte Sammlungen (zunächst überwiegend Texte), die wohl eine Mixtur von aus dem Volk Abgehörtem und Neugeschöpftem enthielten: Herders „Von deutscher Art und Kunst“ (1771) und v.a. „Des Knaben Wunderhorn“ von Achim von Arnim und Clemens Brentano. Und man ging daran, bewusst im einfachen Stile zu komponieren. Viele der noch heute bekannteren deutschen Volkslieder haben gebildete Dichter und Komponisten als Schöpfer oder gehen textlich auf „Des Knaben Wunderhorn“ zurück: „Wenn alle Brünnlein fließen“ (nach Friedrich Silcher), „Kein schöner Land“ (Anton F. v. Zuccalmaglio), „Am Brunnen vor dem Tore“ (Wilhelm Müller/ Franz Schubert), „Sah ein Knab ein Röslein steh’n“ (Goethe/ H. Werner), „Es tanzt ein Bi-Ba-Butzemann“ (Knaben Wunderhorn).
Insgesamt bietet das heute bekannte Erbe deutscher Volkslieder eine Mischung aus Liedern bekannter Autorschaft und solchen, die dann als überlieferte Weisen aus einer bestimmten Region angegeben werden; einige gehen auch noch auf Zeiten vor dem 18. Jh. zurück, was man ihnen musikalisch anmerkt: „Innsbruck, ich muss dich lassen“ (nach Heinrich Isaac, 16. Jh.), „Es geht ein’ dunkle Wolk herein“ (Handschrift d. Klosters Seeon, 17. Jh.), „Und in dem Schneegebirge“ (aus d. Glatzer Bergland u. Schlesien), „Backe, backe Kuchen“ (aus Sachsen u. Thüringen), „Im Frühtau zu Berge“ (aus Schweden), „Die Gedanken sind frei“ (Herkunft unbekannt, vor 1840, Anregung d. Französische Revolution?, Verbreitung auf Flugblättern in Süddeutschland), „Liebe Schwester tanz’ mit mir“ (Tanzlied aus Thüringen, vor 1840), „Laßt nur der Jugend“ (Fränkisch, 19. Jh.), „Dat du min Leewsten büst“ (aus Norddeutschland, 19. Jh.) usw. Insbesondere die Kinder(spiel)lieder („Goldene Brücke“, „Wer will fleißige Handwerker seh’n“, „Alle meine Entchen“ etc.) sind zumeist ungeklärter Herkunft.
Darüber hinausgehendes Liedmaterial ist wohl weniger bekannt und man muss dafür in bestimmten Sammlungen suchen. Nicht wegzudenken – hier zeigt sich dann auch ein doch auszudehnender Begriff von Volksmusik – sind etwa die Landsknechtslieder (15./16. Jh.), die Soldatenlieder („Oh, König von Preußen“) und Lieder, welche den harten Alltag des vom Bauern zum Lohnarbeiter wechselnden Menschen im jungen Kapitalismus des 18./19. Jh. widerspiegeln. Die romantisierenden Sammlungen dieser Zeit haben so etwas offenbar bewusst ausgespart. Gerade diese Lieder zeigen aber wohl noch die Merkmale authentischer volksmusikalischer Praxis, die nahe am Leben geschieht, während die romantischen Volkslieder (s.o.) häufig idealisierte Vorstellungen wiedergeben. Die Soldatenlieder und frühen Arbeiterlieder nahmen oft eine bekannte Melodie und legten ihren anklagenden oder ironisierenden Text darüber. So gibt es z.B. einige Lieder zum schlesischen Weberaufstand 1844.
Johann Gottfried Herder löste mit seiner romantischen Definition des Volksliedes als etwas Natürliches, Urzuständliches und für eine Nation Kennzeichnendes die für die Romantik charakteristische Bewegung nach Natürlichkeit und Einfachheit aus. Nach Herder sind Kennzeichen eines Volksliedes schlichte Formen, ruhige Rhythmen, kleiner Ambitus, leicht zu singen, ohne schwierige Intervalle und Harmonien, leicht zu behalten, mit übersichtlicher Gliederung entsprechend den gereimten Textzeilen.
[Bearbeiten] Das 19. und 20. Jahrhundert
Was sich im 19. Jh. bereits abzeichnete, wurde im Folgenden gängige Praxis: Volksmusik, vor allem das Volkslied, wurde zunehmend eine Sache bewusster Schöpfung, eines bewussten Zuschneidens auf sich ausdifferenzierende Zielgruppen – also die, die es betreffen soll, die es für sich zugehörig erkennen und singen sollen. Hervorzuheben ist hier das Arbeiterlied; besonders die „Internationale“ (Pottier/Degeyter, 19. Jh.) wurde sozusagen das Lied der Arbeiterbewegung in aller Welt und wurde in ganz Europa bis nach Südamerika gesungen. Ebenso wurde das italienische Volkslied „Bella ciao“ textlich als Partisanenlied umgewidmet und ist dann ebenso in ganz Europa bekannt geworden. Auch die Kampflieder Hanns Eislers fanden eine tatsächlich weite Verbreitung; Eisler selbst nahm in Paris erstaunt war, dass dort Arbeiter seinen „Roten Wedding“ sangen. (Tibbe/Bonson, Folk-Folklore-Volkslied).
Bei den verschiedenen Singebewegungen des 20. Jahrhunderts handelt es sich aber kaum noch um Musikpraxen, die authentisch aus dem Volk geschöpft sind, sondern eher um ein romantisch, nostalgisches Zurückgreifen auf ein Repertoire, dass längst in Liederbüchern überliefert ist und kaum noch einen Bezug zur Lebensrealität darstellt. Aber auch das gehört zum Komplex 'Volkslied'; denn schon immer waren Volkslieder auch Zeugen von Wunschvorstellungen und eben auch Nostalgie.
Wichtig für die 'Renaissance' des Volksliedes ist auch das boomende Vereinswesen, welches im späten 19. Jh. seinen Anfang nahm. Besonders ist wohl die Wandervogel-Bewegung des frühen 20. Jh. zu nennen, mit ihrem abenteuerlich-romantischen Flair einer wandernden, die Heimat entdeckenden Jugend, welche, die Wanderklampfe in der Hand, singend durch Wald und Flur zieht. Die immer wieder aufgelegten Wandervogel-Liederbücher (Der Zupfgeigenhansl) geben jedoch ein sehr interessantes Spektrum an, v.a. auch sehr alten, Liedern wieder. Diese Volksliedsammlung prägte auch den Schatz an Fahrtenliedern der Jugendbewegung, während umgekehrt der typisch jugendbewegte Singstil unsere Vorstellung vom typischen Volkslied prägte. Die Hitlerjugend des Dritten Reiches sah die ‚Wandervögel’ dann auch gern als ein Vorläufer ihrer selbst; ein recht fließender Übergang ist wohl auch nicht ganz wegzureden. Dass nun heute gerade in Deutschland ein besonders schwieriges Verhältnis zur eigenen Kultur besteht, ist sicherlich der nationalistischen Übersteigerung und quasi ‚Tottrampelung’ älterer deutscher Kulturnachlässe durch die Nationalsozialisten zu verdanken. Franz Josef Degenhardt hat das einmal treffend beschrieben: „Tot sind unsre Lieder, unsre alten Lieder. Lehrer haben sie zerbissen, Kurzbehoste sie verklampft, braune Horden totgeschrien, Stiefel in den Dreck gestampft.“ (Tibbe/Bonson)
[Bearbeiten] Deutschlandlied
Manchmal gehen die Volkslied-Melodien auch in andere Musikgattungen über. So wird aus dem alt böhmischen Prozessionslied „Ubi est spes mea?“ (deutsch: Wo ist meine Hoffnung?) zunächst im 16. Jahrhundert der Choral „Mein lieber Herr ich preise dich!“. Gut 200 Jahre später, 1797, formt Joseph Haydn hieraus die Melodie zur österreichischen Kaiserhymne „Gott erhalte Franz, den Kaiser“. Haydn selbst löst diese Melodie wieder vom Text und macht sie zum Zentrum des „Kaiserquartetts“ (op. 76 Nr. 3). 1841 dichtet Hoffmann von Fallersleben zu dieser Melodie neue Verse: das „Deutschlandlied“. Seit 1922 wird es offiziell als deutsche Nationalhymne verwendet. Aus dem alten böhmischen Prozessionslied heraus hat sich ebenfalls der weit bekannte deutsche Kanon „O wie wohl ist mir am Abend“ entwickelt.[6]
[Bearbeiten] Volksliedforscher und Volksliedkompilatoren
- Rochus Freiherr von Liliencron
- John Meier
- Ludwig Erk
- Sepp Gregor
- Tobias Reiser
- Ernst Klusen
- Béla Bartók
- Zoltán Kodály
- Béla Vikar
- Erich von Hornbostel
- Walter Wiora
- Constantin Brailoiu
- Hein & Oss
- Dimitrija und Konstantin Miladinov
- Heinrich Möller
[Bearbeiten] Volksliedsammlungen
Mit Herder begann auch das sogenannte „zweite Dasein“ des Volksliedes, das in Volksliedsammlungen niedergeschrieben und damit kodifiziert wurde. Diese Sammlungen bilden bis heute nicht nur die Grundlage der wissenschaftlichen Erforschung des Volksliedes sondern auch der Volksmusikpflege, die damit aber nicht mehr aus den ursprünglichen Wurzeln der Tradierung und Veränderung gespeist werden.
Die ersten Volksliedsammlungen entsprachen der romantischen Idealisierung und waren zunächst nur Textsammlungen. Erst im 20. Jahrhundert wurde damit begonnen, die Sammlung von Volksliedern auf Grund wissenschaftlicher Kriterien anzulegen.
Deutsche Volkslieder sammelt seit 1914 das Deutsche Volksliedarchiv an der Universität Freiburg. Das Österreichische Volksliedwerk ist seit 1904 für die Sammlung Forschung und Vermittlung von Volksliedern zuständig.
Der Volksliedforscher Ernst Klusen sammelte niederrheinische Volkslieder. Seit 1949 sammelte Sepp Gregor europäische und außereuropäische Lieder aus Ländern, in denen europäische Sprachen gesprochen werden. Nach seinem Tode hat diese Aufgabe die Gesellschaft der Klingenden Brücke e. V. in Bonn übernommen.[7]
- Johann Gottfried Herder: 1778 und folgende Jahre (Textsammlung)
- Achim von Arnim und Clemens Brentano: 1806–1808 Des Knaben Wunderhorn (Textsammlung)
- Ludwig Erk, Franz Magnus Böhme: Deutscher Liederhort, Leipzig 1893/94
- Béla Bartók
- Christian Nützel: 1920–1940 (Text- und Melodiensammlung in Oberfranken)
- Louis Pinck: Volkslieder aus dem deutschsprachigen Lothringen
- Gregor, J., Klausmeier, F. (Hrsg.): Europäische Lieder in den Ursprachen, Berlin, 1966
- Der Zupfgeigenhansl, Leipzig, 1913 (Reprint 1982)
- Ernst Klusen: Die Windmühle. Niederrheinische Volkslieder. Bad Godesberg 1955
- Hein und Oss Kröher: Das sind unsere Lieder – ein Liederbuch, Büchergilde Gutenberg, 1977
- Walter Scherf: Räuber- und Landsknechtslieder, Frankfurt/ M., 1981
- Pachnike, B. (Hrsg.): All mein Gedanken – Deutsche Volkslieder, Leipzig, 1980
[Bearbeiten] Sonstiges
Während der Zeit des Nationalsozialismus versuchten die Machthaber, die Erinnerung an Künstler auszulöschen, die vom NS-Regime unerwünscht waren, indem viele Lieder, die man nicht direkt verbieten wollte/konnte (z.B. die Lorelei von Heinrich Heine) als Volkslieder deklariert wurden.
- Traditional (engl. bzw. keltisches Volkslied)
- deutsches Volkslied
- Fahrtenlied
[Bearbeiten] Fußnoten
- ↑ Hugo Riemann: Musiklexikon., 1916
- ↑ Alfred Götze: Das deutsche Volkslied. 1929
- ↑ Bartók in: Das Ungarische Volkslied
- ↑ Walter Wiora: Europäischer Volksgesang
- ↑ Ebenso in den Volksmusikforschungen Bartóks ist dieses Phänomen ein zentrales Ergebnis.
- ↑ nach: Hans Renner: Grundlagen der Musik, 8. Aufl., Reclam-Verlag, Stuttgart 1969 (p. 84 ff)
Hans Renner: Geschichte der Musik, DVA, Stuttgart 1985 (p. 345): „[Haydns] letztes schönstes Lied, die Weise zu 'Gott erhalte Franz den Kaiser' […] hat eine weitverzweigte Ahnenreihe […] die sich bis auf ein uraltes böhmisches Prozessionslied zurückführen lässt.“ - ↑ Die Klingende Brücke – Lieder in allen Sprachen Europas
[Bearbeiten] Literatur
- Wolfgang Suppan et al.: Volksgesang, Volksmusik, Volkstanz; in MGG1
- Béla Bartók: Das Ungarische Volkslied, Ethnomusikologische Schriften-Faksimile Nachdrucke, Dille, D. (Hrsg.), Mainz, 1965
- Walter Wiora: Europäischer Volksgesang, Gemeinsame Formen in charakteristischen Abwandlungen, Köln, 1952
- Ernst Klusen: Volkslied. Fund und Erfindung. Köln 1969
- Hartmut Braun: Volksmusik: eine Einführung in die musikalische Volkskunde, Kassel, 1999
- Monika Tibbe, Manfred Bonson: Folk, Folklore, Volkslied: zur Situation in- und ausländischer Volksmusik in der Bundesrepublik, Stuttgart, 1981
- Kurt Blaukopf: Musiksoziologie: eine Einführung in die Grundbegriffe mit besonderer Berücksichtigung der Soziologie der Tonsysteme, Köln, 1952
- Christian Kaden: Musiksoziologie, Berlin, 1984 (Wilhelmshaven 1985)
- Theodor Adorno: Kritik des Musikanten; in: Dissonanzen. Einleitung in die Musiksoziologie, (Göttingen 1956); auch in: Gesammelte Schriften, Bd 14, S. 67ff, (Suhrkamp 1973)