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Rudolf Bahro – Wikipedia

Rudolf Bahro

aus Wikipedia, der freien Enzyklopädie

Rudolf Bahro (* 18. November 1935 in Bad Flinsberg; † 5. Dezember 1997 in Berlin) war ein deutscher Philosoph, Sozialökologe und Politiker.

Bahro auf einer Bundesversammlung der Grünen
Bahro auf einer Bundesversammlung der Grünen

Inhaltsverzeichnis

Kindheit und Ausbildung

Bahros Vater Max Bahro war Viehwirtschaftsberater. Die Mutter starb, als Rudolf Bahro neun Jahre alt war bei der Flucht aus Niederschlesien am Ende des Zweiten Weltkrieges. Bahro kam 1945 erst in die Tschechoslowakei, schließlich über Wien und Kärnten nach Biedenkopf an der Lahn. 1946 traf Bahro seinen Vater wieder, der in der Nähe der Oder das Kriegsende überstanden hatte und dort eine neue Familie gründete. Von 1946 bis 1950 besuchte Rudolf Bahro die Grundschule in verschiedenen Orten im Oderbruch und schließlich in Fürstenberg (heute Eisenhüttenstadt). Von 1950 bis 1954 besuchte er die Oberschule. 1950 wurde er Mitglied der Freien Deutschen Jugend (FDJ) und bereits 1952 Mitglied der SED. An der Humboldt-Universität in Berlin studierte Bahro von 1954 bis 1959 Philosophie. Sein Diplomarbeitsthema lautete „Johannes R. Becher und das Verhältnis der deutschen Arbeiterklasse und ihrer Partei zur nationalen Frage unseres Volkes“.

Berufliche Karriere

Nach dem Diplom ging Bahro nach Sachsendorf (Oderbruch), wo er u. a. für die Dorfzeitung „Die Linie“ verantwortlich wurde. Er heiratete 1959 die ins Oderland versetzte Slawistin Gundula Lembke. 1960 wurde Bahro Mitglied der Universitätsparteileitung in Greifswald und gründete dort die Zeitung „Unsere Universität“, deren verantwortlicher Redakteur er wurde. 1960 erschien sein erstes Buch, ein Band mit Gedichten: „In dieser Richtung“. Ab 1962 arbeitete er als Referent für den Zentralvorstand der Gewerkschaft Wissenschaft in Berlin. Dort war er für den Kontakt zu den Naturwissenschaftlern an den Universitäten zuständig.

Abkehr von der SED

Von 1965 an war Bahro stellvertretender Chefredakteur der von der FDJ herausgegebenen Jugend- und Studentenzeitschrift „Forum“. Wegen des nicht genehmigten Abdrucks von Volker Brauns „Kipper Paul Bauch“ wurde er 1967 dieses Postens enthoben. Bis 1977 stieg Bahro bis zum Abteilungsleiter „Wissenschaftliche Arbeitsorganisation“ (WAO) im Berliner Gummikombinat auf und arbeitete als Parteiorganisator seines Bereiches. Nebenberuflich schrieb er an seiner Dissertation „Über die Entfaltungsbedingungen der Hoch- und Fachschulkader in volkseigenen Betrieben der DDR“, die er 1975 an der TH Merseburg einreichte. Sie wurde trotz dreier positiver Gutachten angesichts zweier Negativ-Gutachten abgelehnt. Außerdem schrieb Bahro seit 1972 an der „Alternative“, als Antwort auf den Einmarsch der Staaten des Warschauer Pakts in die ČSSR 1968. 1973 ließen sich er und seine Frau Gundula Bahro scheiden, damit sie und die Kinder vor zu erwartenden staatlichen Repressalien bewahrt bleiben würden.

Verurteilung und Abschiebung

Nach dem Vorabdruck seines Buches Die Alternative. Zur Kritik des real existierenden Sozialismus im westdeutschen Magazin Der Spiegel wurde Bahro am 25. August 1977 verhaftet. Beides machte ihn weltweit bekannt. Die Veröffentlichung löste eine intensive Diskussion in der westeuropäischen Linken über den Realsozialismus und das Verhältnis zu diesem aus. Lawrence Krader nannte Bahro in seinem Beitrag über die „asiatische Produktionsweise“ ein „Gewissen der Revolution, dessen Stärke die Wahrheit“ sei. Für Herbert Marcuse war Bahros Buch „der wichtigste Beitrag zur marxistischen Theorie und Praxis, der in den letzten Jahrzehnten erschienen ist.“[1]

Am 1. Februar 1978 engagierten sich zahlreiche Schriftsteller in einem Leserbrief an die Londoner Tageszeitung The Times für Bahros Freilassung. Unter ihnen waren Heinrich Böll, Graham Greene und Arthur Miller. Am 30. Juni 1978 wurde Bahro wegen „landesverräterischer Sammlung von Nachrichten“ und „Geheimnisverrats“ zu acht Jahren Freiheitsentzug verurteilt, was internationale Proteste und eine Solidaritätsbewegung auslöste. Bahro wurde mit der „Carl-von-Ossietzky-Medaille“ der Internationalen Liga für Menschenrechte ausgezeichnet und zum Mitglied des schwedischen und des dänischen P.E.N.-Zentrums ernannt. In der Bundesrepublik setzte sich besonders Rudi Dutschke für Bahros Freilassung und die Diskussion seiner Thesen ein. Er organisierte dazu den „Internationalen Kongress für und über Rudolf Bahro“, der vom 16. bis 19. November 1978 in West-Berlin stattfand.

1979 erhielt Bahro den Londoner Isaac-Deutscher-Memorial-Preis. Am 11. Oktober 1979 wurde er anlässlich des 30. Jahrestages der Gründung der DDR gleichzeitig mit Nico Hübner amnestiert und in die Bundesrepublik Deutschland abgeschoben. Juristischer Verteidiger zu DDR-Zeiten war Gregor Gysi, mit dem Bahro bis zu seinem Tod befreundet blieb.

Wirken in Westdeutschland

Bahro nahm Lehraufträge in Bremen und West-Berlin an. Im Januar 1980 war er mit Herbert Gruhl und Petra Kelly einer der Gründer der „Grünen“. Er plädierte für ein Zusammengehen von Rot und Grün, für eine neue soziale Bewegung jenseits der traditionellen Ideologien, die Aufgabe linken Sektierertums und das Angehen der ökologischen Frage. Anfang 1980 wurde er an der Universität Hannover mit seiner in Merseburg zurückgewiesenen Dissertation promoviert. 1983 konnte er sich hier auch in Sozialphilosophie habilitieren.

Im Sommer 1983 verbrachte Bahro einige Wochen in Rajneeshpuram, in der Kommune von Bhagwan Shree Rajneesh (Osho) in Oregon (USA). Bahros darauf folgende positive Äußerungen zu Bhagwan und Rajneeshpuram bezogen sich, wie bereits in der „Alternative“ angelegt, auf die Verknüpfung von Welt- und Selbstveränderung. Zugleich sah er vieles kritisch an dem Experiment in Rajneeshpuram, insbesondere die unreflektierten Machtstrukturen.

Im Laufe des Jahres 1984 radikalisierte sich seine Position gegenüber den Grünen. Er versuchte dort einerseits Menschen um sich zu scharen, die „Kommune wagen“ wollen, andererseits konstatierte er bei den Grünen einen „ultimativen Machtwahn“ – eine Gier, sich durch Aufstieg zur politischen Macht zu verwirklichen. Im Sommer 1985 trat Rudolf Bahro aus der Partei aus. Er schrieb an seinem neuen Buch „Logik der Rettung“. Das Buch, das 1987 erschien, war seine Reaktion auf Gorbatschows Perestroika. Er knüpfte an die Fragen nach Bedingungen für die allgemeine Emanzipation an, die er bereits im Schlusskapitel der „Alternative“ gestellt hat - mit dem Ziel, Basisgemeinden einer „Unsichtbaren Kirche“ zu schaffen. Kritiker wie Jutta Ditfurth warfen ihm eine Hinwendung zu esoterischen, autoritären und nationalistischen Ideen vor.

In seinem Haus in Worms lud Bahro zu Lernwerkstätten ein, in denen er seine Ideen diskutierte und Mitstreiter zu gewinnen suchte. 1988 heiratete Bahro in Niederstadtfeld (Eifel) Beatrice Ingermann.

In Berlin nach der Wende und die Sozialökologie

Im November 1989 verließ Rudolf Bahro die „Lernwerkstatt“ in Niederstadtfeld und ging in die DDR zurück. Am 16. Dezember 1989 sprach er vor den Delegierten des letzten SED- und zugleich Gründungsparteitag der PDS und präsentierte seine Vision eines "sozialökologischen" Umbaus der DDR. Er erntete jedoch weit gehendes Unverständnis für seine radikal-ökologischen Ideen. Allerdings ist 1994 die Ökologische Plattform bei der PDS gegründet worden, die einige Ideen Bahros mit aufgenommen hat. Am 15. Juni 1990 wurde er vom Obersten Gericht der DDR vollständig rehabilitiert.

Im Frühjahr 1990 begann Bahro mit dem Aufbau eines „Instituts für Sozialökologie“ an der Humboldt-Universität Berlin. Im Unterschied zur üblichen Auseinandersetzung mit der ökologischen Krise sollte an diesem Institut ganzheitlich gedacht und vor allem auch die tieferen, sozialen und kulturellen Ursachen dafür erforscht und praktische Alternativen entwickelt werden. Bahro begründete damit eine eigene gesellschafts- und geisteswissenschaftliche Schule, die nicht mit anderen zu verwechseln ist, die ebenfalls als Sozialökologie bezeichnet werden. Ab dem Wintersemester 1990/1991 hielt er Vorlesungen zu Fragen der ökologischen Krise, in denen er seine in der Logik der Rettung aufgeworfenen Thesen weiterentwickelte. Unterstützt durch den sächsischen Ministerpräsidenten Kurt Biedenkopf initiierte und förderte Rudolf Bahro die praktische Entwicklung sozial-ökologischer Experimente. Bekannt ist vor allem das LebensGut Pommritz bei Bautzen. Ein weiterer Ökohof, der aus der Gemeinschaft für Sozialökologie hervorgegangen ist, liegt bei Prenzlau. Im September 1993 nahm sich Bahros Frau Beatrice das Leben. Anfang 1995 heiratete Bahro, bei dem inzwischen Blutkrebs diagnostiziert wurde, Marina Lehnert.

Rudolf Bahro starb am 5. Dezember 1997 in Berlin. Er wurde auf dem dortigen Dorotheenstädtischen Friedhof beigesetzt.

Einzelbelege

  1. Herbert Marcuse: Über Bahro, Protosozialismus und Spätkapitalismus - Versuch einer revolutionstheoretischen Synthese von Bahros Ansatz. In: Kritik, 6. Jg. (1978) Nr. 19, S. 5-27

Siehe auch

Werke

  • In dieser Richtung. Gedichte. Verlag Volk und Welt, Berlin/DDR 1960
  • Die Alternative. Zur Kritik des real existierenden Sozialismus. Europäische Verlagsanstalt, Köln/Frankfurt 1977, ISBN 3-434-00353-3
  • Rudolf Bahro. Eine Dokumentation. Europäische Verlagsanstalt, Köln/Frankfurt 1977, ISBN 3-434-00366-5, erweitert unter dem Titel Ich werde meinen Weg fortsetzen. Eine Dokumentation. 1979, ISBN 3-434-00399-1
  • Die nicht mit den Wölfen heulen. Das Beispiel Beethoven und sieben Gedichte. Europäische Verlagsanstalt, Köln/Frankfurt 1979, ISBN 3434004033
  • mit Ernest Mandel und Peter von Oertzen: Was da alles auf uns zukommt… Perspektiven der 80er Jahre. 2 Bände. Olle und Wolter, Westberlin 1980
  • Elemente einer neuen Politik. Zum Verhältnis von Ökologie und Sozialismus. Olle und Wolter, Westberlin 1980, ISBN 3-88395-703-8
  • Plädoyer für eine schöpferische Initiative. Zur Kritik von Arbeitsbedingungen im real existierenden Sozialismus. Bund-Verlag, Köln 1980, ISBN 3-7663-0760-6
  • Wahnsinn mit Methode. Über die Logik der Blockkonfrontation, die Friedensbewegung, die Sowjetunion und die DKP. Olle und Wolter, Westberlin 1982, ISBN 3-88395-710-0
  • From Red to Green. Interviews with New Left Rewiew. Verso Editions, London 1984, ISBN 0-86091-760-6
  • mit Jan Foudraine, Adolf Holl und Erich Fromm: Radikalität im Heiligenschein. Zur Wiederentdeckung der Spiritualität in der modernen Gesellschaft.Herzschlag, Westberlin 1984, ISBN 3-922389-14-7
  • Pfeiler am anderen Ufer. Beiträge zur Politik der Grünen von Hagen bis Karlsruhe. Sonderdruck der Befreiung, Zeitschrift für Politik und Wissenschaft. Westberlin 1984
  • Logik der Rettung. Wer kann die Apokalypse aufhalten? Ein Versuch über die Grundlagen ökologischer Politik. Edition Weitbrecht, Stuttgart 1987
  • mit Leonhard Neidhart, Norbert Leser und Michael Voslensky: Die Zukunft der Demokratie. Entwicklungsperspektiven in Ost und West. Orac, Wien 1988, ISBN 3-7015-0161-0
  • mit Reinhard Spittler (Hrsg.): Rückkehr. Die In-Weltkrise als Ursprung der Weltzerstörung. Altis-Verlag, Berlin und Horizonte Verlag, Frankfurt/Main 1991, ISBN 3-926116-40-4.
  • Bleib mir der Erde treu! Apokalypse oder Geist einer neuen Zeit. Edition Ost, Berlin 1995, ISBN 3-929161-53-2
  • Gastrede auf dem SED/PDS-Parteitag am 16. Dezember 1989. In: Lothar Hornbogen, Detlef Nakath, Gerd Rüdiger Stephan (Hrsg.): Außerordentlicher Parteitag der SED/PDS. Protokoll der Beratungen am 8./9. und 16/.17. Dezember 1989 in Berlin. Dietz, Berlin 1999, ISBN 3-320-01972-4
  • mit Franz Alt und Marko Ferst: Wege zur ökologischen Zeitenwende. Reformalternativen und Visionen für ein zukunftsfähiges Kultursystem. Edition Zeitsprung, Berlin 2002, ISBN 3-8311-3419-7
  • Denker, Reformator, Homo politicus. Nachgelassene Texte, Vorlesungen, Aufsätze, Reden und InterviewsHrsg. Guntolf Herzberg, Edition Ost, Berlin 2007,ISBN 978-3-89793-151-0

Literatur

  • Maik Hosang & Kurt Seifert (Hrsg.): Integration. Natur - Kultur - Mensch. Sozialökologische Innovationen für eine zukunftsfähige Lebensweise. Tagungsband des Rudolf-Bahro-Symposiums an der Humboldt-Universität zu Berlin, 18./19. November 2005. Oekom-Verlag, München 2006, ISBN 978-3-86581-051-9
  • Marko Ferst: Die Ideen für einen „Berliner Frühling“ in der DDR. Die sozialen und ökologischen Reformkonzeptionen von Robert Havemann und Rudolf Bahro. In: Hefte zur DDR-Geschichte. Nr. 91, 2005 (Bezug: Helle Panke e.V.)
  • ders.: Rudolf Bahro - vom DDR-Kritiker zum spirituellen Ökologen. In: Udo E. Simonis u.a. (Hrsg.): Jahrbuch Ökologie 2005. Beck, München 2004, ISBN 3-40651-105-8
  • Guntolf Herzberg & Kurt Seifert: Rudolf Bahro - Glaube an das Veränderbare. Eine Biographie. Links, Berlin 2002, ISBN 3-86153-270-0
  • Jutta Ditfurth: Feuer in die Herzen. Gegen die Entwertung des Menschen. Erweiterte und aktualisierte Neuausgabe. Konkret-Literatur-Verlag, Hamburg 1997, ISBN 3-89458-159-X (beinhaltet einen Abschnitt zu Rudolf Bahro)
  • Hannes Schwenger (Hrsg.): Solidarität mit Rudolf Bahro. Briefe in die DDR. Rowohlt, Reinbek 1978, ISBN 3-499-14348-8
  • Ulf Wolter (Hrsg.): Antworten auf Bahros Herausforderung des „realen Sozialismus“. Olle und Wolter, Berlin 1978, ISBN 3-921241-51-0
  • Bahro Kongreß. Aufzeichnungen, Berichte und Referate. Verlag Olle & Wolter, Berlin 1979, ISBN 3-88395-406-3

Weblinks


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