Calvinismus
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Der Calvinismus (auch Kalvinismus) ist eine theologische Bewegung, die auf der Reformation und insbesondere den Lehren von Johannes Calvin beruht. Sie bereitete durch ihre spezifische Arbeits- und Wirtschaftsethik der Industriellen Revolution eine wesentliche Grundlage.
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[Bearbeiten] Lehre
Die Theologie Calvins ist die unbedingte Heiligkeit Gottes. Alles Menschenwerk, sogar die Glaubensentscheidung und nicht zuletzt der Kultus der katholischen Kirche (Sakramente, Reliquien, Ablass) galten ihm als Versuche, die Souveränität Gottes einzuschränken und an Irdisches zu binden. Die zum Teil schroffen Züge von Calvins Offenbarungs- und Gnadenlehre sind nur aus diesem Grundanliegen zu verstehen. Im Calvinismus ist vorherbestimmt (siehe Prädestination), ob das Individuum auf dem Weg zur Seligkeit oder auf dem Weg zur Hölle ist.
[Bearbeiten] Die vier Sola als Basis
Wie bei allen Richtungen, die aus der Reformation hervorgingen, gehören die vier Sola zur Basis des Calvinismus:
- sola scriptura - allein die Schrift ist die Grundlage des christlichen Glaubens (nicht die Tradition)
- solus Christus - allein Christus (nicht die Kirche) hat Autorität über Gläubige
- sola gratia - allein durch Gnade Gottes wird der Mensch errettet (nicht wegen seiner eigenen Güte)
- sola fide - allein durch den Glauben wird der Mensch gerechtfertigt (nicht durch gute Werke)
[Bearbeiten] Die fünf Punkte
Darüber hinaus wird die spezifische Lehre des Calvinismus oft in fünf Punkten zusammengefasst:
[Bearbeiten] Völlige Verderbtheit oder völlige Unfähigkeit
Aufgrund des Sündenfalls beherrscht die Sünde den ganzen Menschen, sein Denken, seine Gefühle und seinen Willen. Daher ist der normale Mensch nicht fähig, die Botschaft des Evangeliums zu verstehen, er ist geistlich völlig hilflos und verloren. Der Mensch kann Gottes rettende Botschaft erst verstehen, nachdem er durch den Heiligen Geist dazu befähigt wurde (Römer 5,12, Markus 4,11).
[Bearbeiten] Bedingungslose Erwählung
Dies ist Calvins Prinzip der doppelten Prädestination. Die Erwählung zum Heil vollzieht sich nach Calvin wie folgt: Gott hat die Menschen in eine Gruppe der Auserwählten und eine der Nicht-Auserwählten geteilt. Für die Auserwählten hat Gott seine Erkenntnis bestimmt und die Wiedergeburt vorhergesehen. Die Übrigen bleiben unwissend bezüglich Gottes und des Evangeliums. Laut Calvin sind sie von Gott verdammt auf dem Weg in die ewige Hölle. Diese Entscheidung sei noch vor der Schaffung des Universums getroffen worden und somit erst recht vor der Geburt des einzelnen Menschen sowie vor irgendwelchen Entscheidungen, die der Mensch in seinem Leben trifft. Die Gründe warum Gott einige erwählt hat, sind unbekannt. Es ist aber offensichtlich, dass das nicht aufgrund irgendwelcher guten Werke von Seiten des Erwählten geschehen ist. Die Erwählung ist insofern nicht an irgendwelche in der Person des Erwählten liegenden Bedingungen geknüpft (Römer 9,15 Römer 9,21)
[Bearbeiten] Begrenzte Versöhnung/Sühne
Das ist der Glaube, dass Jesus Christus nicht gestorben ist, um alle Menschen zu retten. Sein Erlösungswerk ist nur an die auserwählten Sünder, die durch ihn gerettet sind, gerichtet. (Matthäus 26,28, Epheser 5,25)
[Bearbeiten] Unwiderstehliche Gnade
Gemeint ist, dass man die Gnade der Erwählung nicht ausschlagen kann. Der Mensch hat in dieser Hinsicht also keinen freien Willen. Jeder Mensch, den Gott erwählt hat, werde Gott erkennen. Die Erwählten können dem Ruf Gottes nicht widerstehen. (Johannes 6,44, Römer 8,14)
[Bearbeiten] Die Beharrlichkeit der Heiligen
Die einmal Geretteten werden gerettet bleiben. Es sei unmöglich, Gottes Gnade wieder zu verlieren. (Römer 8,28, Johannes 6,39)
[Bearbeiten] Weitere Prägungen
Weiter ist der Calvinismus geprägt durch:
- protestantische Askese
- strenge Kirchenzucht, d.h. die Gemeinde kann verschiedene Strafen gegen ihre Mitglieder verhängen, wenn sich diese unmoralisch verhalten
- Fleiß und Arbeitseifer, wobei wirtschaftlicher Wohlstand in der protestantischen Ethik mitunter als Zeichen der Erwählung interpretiert wird
- Unabhängigkeit vom Staat
- nicht-hierarchische Kirchenordnung (Allgemeines Priestertum)
- gesellschaftspolitisches Engagement
- Abendmahl als Erinnerungsfeier, kein Glaube an die Realpräsenz
[Bearbeiten] Calvinistische Arbeitsethik
Der Calvinismus hat im Verlauf des 18. Jahrhunderts die Arbeitsmoral und -ethik in England maßgeblich beeinflusst und legitimiert. Er setzt einen Maßstab bei der Nützlichkeit menschlichen Handelns an, wobei der wirtschaftliche Erfolg im Vordergrund steht: Zeitvergeudung sei die schlimmste Sünde, wozu auch übermäßig langer Schlaf oder Luxus zähle. Arbeit sei der von Gott vorgeschriebene Selbstzweck des Lebens.
Da die Absichten Gottes den Menschen verborgen bleiben, müsse jeder im Sinne einer tugendhaften Lebensführung handeln, also so, als ob er von Gott auserwählt sei. Rastloser Fleiß und wirtschaftlicher Erfolg können in der Folge als Zeichen für den Gnadenstand gewertet werden. Jedoch hat der Mensch keinerlei Einfluss auf die göttliche Entscheidung. Ob jemand nach dem Tod in der Hölle landet oder zum Himmel auffährt, wurde bereits zu Anbeginn der Zeit festgelegt. Was der Mensch nun versucht, ist sich selbst durch seine Tugendhaftigkeit Gewissheit darüber zu verschaffen, dass er auserwählt sein müsse.
Durch die Testakte von 1673 wurden schließlich in England neben Katholiken auch die calvinistischen Puritaner aus Staatsämtern ausgeschlossen, wodurch sie in privatwirtschaftliche Bereiche gedrängt wurden. Im 18. Jahrhundert bestand beinahe die Hälfte der englischen Erfinder, Kaufleute und Unternehmer aus Calvinisten, obwohl diese in der britischen Gesamtbevölkerung eine Minderheit darstellten.
[Bearbeiten] Kontroversen
Die strikte Lehre des Calvinismus wird von vielen Christen nicht akzeptiert, wobei es dafür unterschiedliche Gründe gibt:
- Die Katholiken lehnen entschieden alle fünf Punkte ab (siehe oben), dazu kommen etliche andere wichtige Lehrpunkte, unter anderem bezüglich der Ekklesiologie und der Sakramente.
- Für die Orthodoxen ist der Freie Wille, den Calvin ablehnt, eine Grundlehre der Bibel. Erlösung sei kein einmaliger, rein passiv zu empfangender Gnadenakt und keine Frage des Sich-gerettet-Wissens, sondern eine andauernde aktive Zusammenarbeit des Heiligen Geistes mit den Gläubigen.
- Die Methodisten: Bereits John Wesley akzeptierte die doppelte Prädestination nicht, die der Calvinist George Whitefield vertrat, was zur Trennung der beiden führte.
- Die Lutheraner lehnen eine doppelte Prädestination ab und halten an der leiblichen Gegenwart Christi im Abendmahl fest.
- Die liberalen Christen verschiedener Konfessionen halten die calvinistische Lehre für antiliberal und intolerant.
Der Arminianismus, die Lehre der sogenannten Remonstranten, stellt eine ausdrückliche theologische Gegenposition zum Calvinismus innerhalb der calvinistisch geprägten Gebiete Nordwesteuropas und der englischsprachigen Staaten dar.
[Bearbeiten] Literatur
- Pettegree, Andrew: Calvinism in Europe, 1540-1620. Cambridge University Press, Cambridge 1994, 283 S., ISBN 0-521-43269-3
- Dieter Schellong: Wie steht es um die "These" vom Zusammenhang von Calvinismus und "Geist des Kapitalismus"?. Paderborner Universitätsreden 47. Univ.-Gesamthochsch., Paderborn 1995
- Christoph Strohm: Ethik im frühen Calvinismus. Humanistische Einflüsse, philosophische, juristische und theologische Argumentationen sowie mentalitätsgeschichtliche Aspekte am Beispiel des Calvin-Schülers Lambertus Danaeus. Arbeiten zur Kirchengeschichte 65. de Gruyter, Berlin u.a. 1996 ISBN 3-11-015061-1
- Jan Rohls: Zwischen Bildersturm und Kapitalismus. Der Beitrag des reformierten Protestantismus zur Kulturgeschichte Europas. Veröffentlichungen der Johannes-a-Lasco-Bibliothek 3. Foedus-Verl., Wuppertal 1999 ISBN 3-932735-34-X
- Ernst Koch: Das konfessionelle Zeitalter - Katholizismus, Luthertum, Calvinismus (1563 - 1675). Kirchengeschichte in Einzeldarstellungen 2/8. Evang. Verlagsanstalt, Leipzig 2000 ISBN 3-374-01719-3
- Philip Benedict: Christ's Churches Purely Reformed. A Social History of Calvinism. Yale Univ. Press, New Haven, Conn. u.a. 2002 ISBN 0-300-08812-4
- Philip S. Gorski: The Disciplinary Revolution. Calvinism and the Rise of the State in Early Modern Europe. Univ. of Chicago Press, Chicago u.a. 2003 ISBN 0-226-30483-3
- Stefan Bildheim: Calvinistische Staatstheorien. Historische Fallstudien zur Präsenz monarchomachischer Denkstrukturen im Mitteleuropa der Frühen Neuzeit. EHS 3/904. Lang, Frankfurt a.M. u.a. 2001 ISBN 3-631-37533-6
- Max Weber: Die Protestantische Ethik und der Geist des Kapitalismus. in: Ders.: Gesammelte Aufsätze zur Religionssoziologie, Bd 1, Tübingen 1988
[Bearbeiten] Siehe auch
[Bearbeiten] Weblinks
-
Wiktionary: Calvinismus – Bedeutungserklärungen, Wortherkunft, Synonyme, Übersetzungen und Grammatik
- Die fünf Punkte des Calvinismus, Ausführliche Artikel zu jedem Punkt
- "Prompte et Sincere" - Webseite zu Leben, Werk und Wirkung des großen Reformators
- Islamische Calvinisten: Wandel und Konservatismus in Zentralanatolien (Bericht der Europäischen Stabilitätsinitiative (ESI)
- [1] bietet umfassendes Material über Calvin und calvinistische Theologie
- Die Institutio Calvins: bietet den Text der Institutio Calvins in der Übersetzung von Otto Weber
- Podcast über Calvins Kommentare zur Bibel
- Kapitelweise Zusammenfassung der Institutio