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André Glucksmann – Wikipedia

André Glucksmann

aus Wikipedia, der freien Enzyklopädie

André Glucksmann (* 19. Juni 1937 in Boulogne-Billancourt) ist ein französischer Philosoph und Essayist. Er ist Sohn jüdisch-österreichischer Emigranten.

Inhaltsverzeichnis

[Bearbeiten] Leben

Sein Vater stammte aus der Bukowina, seine Mutter aus Prag. Sie haben sich in Palästina kennengelernt, wo auch Glucksmanns beide Schwestern geboren sind. 1930 gingen die Gluckmanns nach Deutschland, um sich dem antifaschistischen Widerstand anzuschließen, 1937 flüchteten sie nach Frankreich. Der Vater kam 1940 ums Leben, 1941 wurde die Familie ins Lager Bourg-Lastic bei Vichy gebracht, um nach Deutschland deportiert zu werden. Die Aufseher ließen sie aber unter dem Vorwand laufen, dass André in Frankreich geboren und eigentlich Franzose wäre, woraufhin die Familie wieder untertauchte.

Nach seinem Philosophie-Studium in Lyon und an der École normale Supérieure Saint-Cloud arbeitete Glucksmann beim CNRS als Spezialist für Krieg, Abschreckung und nukleare Strategie unter der Leitung von Raymond Aron. Im Jahre 1968 veröffentlichte er sein erstes Buch Le Discours de la Guerre (Diskurs über den Krieg). Er nahm an den Mai-Demonstrationen im Jahre 1968 teil und bezeichnete sich als militanten Maoisten. Danach wurde er Mitglied der Gauche Prolétarienne (GP), die die antiautoritäre Revolte des Pariser Mai in eine proletarische Revolution weiterentwickeln wollte und den Kampf noch bis 1970 fortführte, solidarisch unterstützt von Jean Paul Sartre. Im Verständnis der GP verstärkte sich damals in Frankreich die staatliche Unterdrückung und nahm die Formen eines Faschismus von oben an.

In der deutschen Linken wurde Glucksmann durch sein 1976 in deutscher Sprache erschienenes Buch Köchin und Menschenfresser – Über die Beziehung zwischen Staat, Marxismus und Konzentrationslager bekannt. Beeinflusst von Solschenizyns Archipel Gulag stellt es eine Abrechnung mit Marxismus und Stalinismus dar und entwickelt eine antitotalitäre Sichtweise der Sowjetunion. Wegen seiner GP-Vergangenheit wurde Glucksmanns Buch in einigen Teilen der militanten Linken, die sich revolutionär und kommunistisch verstanden, besonders stark diskutiert.

Als Glucksmanns Hauptwerk gilt seine 1977 erschienene philosophische Abhandlung "Die Meisterdenker" ("Les maîtres penseurs"), zu welcher er nach eigenem Bekunden ebenfalls durch die Lektüre des Buches "Der Archipel Gulag" von Alexander Solschenizyn angeregt wurde. Mit "Die Meisterdenker" sind die deutschen "Meisterdenker" Fichte, Hegel, Nietzsche und Marx gemeint, denen Glucksmann den Vorwurf macht, den Kult um die romantisch-mythische Überhöhung der "abschließenden, totalen und endgültigen Revolution" und des daraus resultierenden totalitären Staates salonfähig gemacht zu haben, und so für den nicht oder nicht ausreichend vorhandenen Widerstand gegenüber Totalitarismen verantwortlich zu sein.

Zitat aus "Die Meisterdenker":

  • "Das 'Deutschland', Geburtstätte der faschistischen Bewegungen, ist kein Territorium, keine Bevölkerung, sondern ein Text und ein Verhältnis zu Texten, die lange vor Hitler aufgestellt und weit über die alten Grenzen des Heiligen Römischen Reiches Deutscher Nation verbreitet wurden. Dieses Deutschland ist ganz zeitgemäß, es hat seinen Sitz in den modernen Köpfen des modernen Planeten, im Pentagon zu Washington ebenso wie in dem letzten Loch eines Konzentrationslagers in den Dörfern Kambodschas."

Sein im Oktober 2004 erschienenes Buch handelt von Hass. Seine Kernthesen dazu aus einem Spiegelinterview (Der Spiegel 39/26. September 2005 S. 216 ff): "Ideologien sind das Alibi des Hasses." "Um seine Zerstörungskraft zu entfalten, muss Hass kollektiv werden." "Ideologien können der Kollektivierung des Hasses dienen, sind aber nicht dessen Ursache." Das gilt ebenso für Religionen. Wenn die Ideologien widerlegt oder besiegt sind, verschwindet also keineswegs der Hass, sondern erst durch die Beherrschung der Todestriebe, der Mordinstinkte und der Begierden werden Terror und Hass eingedämmt. "Eine Zivilisation gründet sich nicht unbedingt auf das gemeinsam angestrebte Beste, sondern auf die Ausgrenzung, die Tabuisierung des Bösen." Als erfolgversprechenden Kampf gegen das Böse sieht er z. B. den Irak-Krieg der USA. Viele Demokratien warten ihm zu tolerant ab, dass sich das Gute mit dem Fortschritt von selbst durchsetzt.

Glucksmann wendet sein antitotalitäres Erklärungsmodell inzwischen auch auf den Terrorismus an. Die Attentate der Tschetschenen verklärt er zum antitotalitären Widerstand. Heute ist Glucksmann einer der Herausgeber der Zeitschrift "Le Meilleur des Mondes", in der die französischen Befürworter des Irak-Krieges zu Wort kommen und deren Schwerpunkt der Antiamerikanismus ist.

In der Zeitung Le Monde (Ausgabe 30. Januar 2007) erklärte er, wieso er dieses Jahr bei den französischen Präsidentschaftswahlen für Nicolas Sarkozy (UMP) stimmen wird.[1]

[Bearbeiten] Werke

  • Une rage d'enfant 2006. Übers. Bernd Wilczek: Wut eines Kindes, Zorn eines Lebens. Erinnerungen Nagel & Kimche, München 2007 ISBN 9783312003853 Rez. in "Der Standard" 7. April 2007
  • Le Discours de la haine 2004. Übers. Bernd Wilczek & Ulla Varchmin: Hass. Die Rückkehr einer elementaren Gewalt Nagel & Kimche, München 2005 ISBN 3312003601 und WBG 2005
  • Ouest contre Ouest 2003
  • Dostoïevski à Manhattan (Januar 2002)
  • La Troisième Mort de Dieu (März 2000)
  • Cynisme et passion (Jan. 1999)
  • Le Bien et le mal (Sept. 1997)
  • Krieg um den Frieden. DVA, 1996, ISBN 3421050309
  • Descartes c'est la France (Oktober 1987)
  • De Gaulle où es-tu? (März 1995)
  • La Fêlure du monde (Dez. 1993)
  • Le XIe commandement (Jan. 1992)
  • Silence, on tue (Oktober 1986) mit Thierry Wolton; deutsch: Politik des Schweigens. DVA, 1987, ISBN 3421063605
  • L'Esprit post-totalitaire, précédé de Devant le bien et le mal (Mai 1986) mit Petr Fidelus
  • La Bêtise (März 1985)
  • La Force du vertige (November 1983), deutsch: Die Macht der Dummheit. 1985, ISBN 3421062935
  • Cynisme et passion (October 1981)
  • Les Maîtres penseurs (März 1977), deutsch: Die Meisterdenker. DVA, 1987, ISBN 3421063508
  • La Cuisinière et le Mangeur d'Hommes, réflexions sur L'état, le marxisme et les camps de concentration (1975)
  • Discours de la guerre, théorie et stratégie (1967)

[Bearbeiten] Sekundärliteratur

  • Jürg Altwegg, André Glucksmann – ein existentieller und intellektueller Dialog mit Deutschland, in: André Glucksmann, Philosophie der Abschreckung, Frankfurt am Main/Berlin 1986, S. 9-24
  • Jürg Altwegg/Aurel Schmidt, André Glucksmann oder Der Intellektuelle als anti-ideologischer Brandstifter, in: Dies., Französische Denker der Gegenwart. Zwanzig Porträts, München (2. Aufl.) 1988, S. 98-104
  • Ingeborg Breuer/Peter Leusch/Dieter Mersch, Vom Antitotalitarismus zur „Ethik der Ersten Hilfe“. Politische Moralistik bei André Glucksmann, in: Dies., Welten im Kopf. Profile der Gegenwartsphiloso-phie, Frankreich/Italien, Hamburg 1996, S. 127-136
  • Yves Bizeul, André Glucksmanns Weg zum Leitintellektuellen – Aufstieg und Fall, in: Harald Bluhm/Walter Reese-Schäfer (Hrsg.), Die Intellektuellen und der Weltlauf. Schöpfer und Missionare politischer Ideen in den USA, Asien und Europa nach 1945, Baden-Baden 2006, S. 171-193
  • Günther Schiwy, André Glucksmann: „Le Discours de la Guerre“ und „La Force du Vertige“ („Philosophie der Abschreckung“), in: Ders. (Hrsg.), Poststrukturalismus und „Neue Philosophen“, Reinbek bei Hamburg 1985, S. 121-131

[Bearbeiten] Filme

  • "Sauve qui pense - Rette sich, wer denkt" ARTE-Filmportrait über den französischen Philosophen André Glucksmann. Deutsch-französische Erstausstrahlung Januar 1998 – Buch und Regie: Christoph Weinert

[Bearbeiten] Siehe auch

Nouvelle Philosophie

[Bearbeiten] Quellen

  1. Le Monde: Pourquoi je choisis Nicolas Sarkozy, par André Glucksmann, 30. Januar 2007

[Bearbeiten] Weblinks


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