Realismus (Literatur)
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Als Realismus wird in der Literaturgeschichte eine Epoche im 19. Jahrhundert bezeichnet. Als Zeitspanne wird ungefähr 1848 bis 1890 angegeben. Die Periode der deutschen Literaturgeschichte zwischen 1850 und 1890 wird häufig auch „bürgerlicher Realismus“ oder „poetischer Realismus“ genannt.
Der Realismus will die fassbare Welt objektiv beobachten. Er beschränkt sich jedoch nicht nur auf die bloße Beschreibung der Wirklichkeit, sondern versucht, diese künstlerisch wiederzugeben. Der Autor oder Erzähler darf dabei nicht sichtbar werden.
Inhaltsverzeichnis |
[Bearbeiten] Einleitung
Der Realismus als Literaturepoche wird im Zeitraum zwischen 1848 und 1890 angesiedelt. Als Schreibweise ist der Realismus in allen Epochen sämtlicher Literaturen enthalten, vorwiegend in der Dramatik und Epik. Dies trifft auf die Tragödien des Euripides, die Komödien des Aristophanes, die römischen Satiren, die Novellen und Schwänke des späten Mittelalters und der Renaissance, die Dramen Shakespeares und die barocken Schelmenromane zu. Die ersten Vertreter des psychologischen Romans, darunter der Marquis de La Fayette, Henry Fielding und Samuel Richardson, stellten erstmals seelische Vorgänge realistisch dar. In der Literaturtheorie spielt der Begriff seit Friedrich Schlegel und Schiller eine Rolle, und auch für den Roman des 19. Jahrhunderts war er sehr bedeutsam.
Der Epochenbegriff bezieht sich vor allem auf die englische, russische, französische, deutsche und amerikanische Literatur. Geprägt wurde der Begriff in diesem Kontext von Jules Champfleury durch seine Aufsatzsammlung mit dem Titel "Le réalisme" (1857).
Der Realismus in Deutschland (ungefähr 1850–1890) wird häufig auch bürgerlicher Realismus oder poetischer Realismus genannt. Diese Bezeichnung rührt daher, dass der Realismus in Deutschland auch offen für Erfundenes, Poetisches war. Er beschränkte sich also nicht nur auf bloße Beschreibung der Wirklichkeit und verschloss sich nicht einer Ästhetisierung der Realität. Träger dieser Bewegung war in Deutschland das Bürgertum. Deshalb spielen in Deutschland im Realismus auch bürgerliche Werte und Ideen eine Rolle. Die handelnden Charaktere sind in der Regel im Bürgertum angesiedelt.
Die beiden oben genannten Begriffe engen allerdings das Bedeutungsfeld des Realismus ein, indem sie bestimmte Konzepte und Merkmale besonders betonen.
[Bearbeiten] Geschichtlicher und philosophischer Hintergrund
Bis zur Mitte des 19. Jahrhunderts war die Literaturlandschaft in Deutschland geprägt von der Vormärzliteratur. In der Folge der Märzrevolution von 1848 wurden die verschiedenen literarischen Bewegungen jener Zeit einem Wandel unterworfen.
Die Revolution führte zum Rücktritt des Staatskanzlers Metternichs, der Ausarbeitung einer deutschen Verfassung und der Lockerung der Zensur und des Spitzelwesens. Letztlich erwies sich die Revolution jedoch als ein „Sturm im Wasserglas“, da die Forderungen des liberalen Bürgertums, das die Revolution hauptsächlich trug, nur ansatzweise erfüllt wurden. Die Idee von staatlicher Einheit und politischer Freiheit blieben unerfüllt.
Diese Dialektik von der Hoffnung auf eine bessere Zukunft zu einer nüchternen Betrachtung der Gegenwart, lässt sich auch im frühen Marxismus erkennen. Marx war als Schüler Hegels vom deutschen Idealismus beeinflusst. Von dort kommt seine Vorstellung eines zielgerichteten Verlaufs der Geschichte. Gleichzeitig war er Materialist und wollte nur die ökonomische Entwicklung als Grundlage der Geschichte anerkennen. Dies ist mit dem berühmten Zitat gemeint, dass Marx Hegel vom Kopf auf die Füße gestellt habe.
[Bearbeiten] Theoretische Überlegungen
Der wichtigste Theoretiker des deutschen Realismus war Julian Schmidt. In seiner Zeitschrift Die Grenzboten forderte er, dass die Dichter die Wirklichkeit beschreiben sollten, statt metaphysische Spekulationen anzustellen. Zugleich sollten sie aber besonders die Schönheit der Welt und die Poesie in der Wirklichkeit entdecken. Sozialkritische Themen wurden als hässlich und unpoetisch ausdrücklich abgelehnt. Als vorbildlich galt Schmidt der Roman Soll und Haben von Gustav Freytag.
[Bearbeiten] Entwicklung des Realismus
Zu Beginn lehnte sich der Realismus an die Philosophie des Immanentismus von Ludwig Feuerbach an, dessen Religionskritik nicht in einen resignativen Nihilismus mündete, sondern stattdessen die Hinwendung zur Diesseitigkeit propagierte. Der Mensch solle das Göttliche in sich erkennen und in diesem Sinne sein Leben leben und gleichzeitig für andere Menschen tätig sein (Homo homini deus - Lat. „Der Mensch ist dem Menschen ein Gott“). Der technische Fortschritt durch die Industrielle Revolution und der daraus entstehende Fortschrittsglaube verstärkten diese optimistische Haltung.
Spätere Vertreter des Realismus waren hingegen von einem starken Pessimismus beeinflusst. Die sich verschärfenden sozialen Probleme infolge der Industrialisierung erschütterten das Vertrauen in den technischen Fortschritt nachhaltig. Die Erkenntnisse bedeutender Naturwissenschaftler wie Charles Darwin verschafften der Geisteshaltung des Determinismus Zulauf. Das menschliche Individuum sei ein Produkt der Evolution und seine Handlungen würden von physiologischen Prozessen in seinem Körper bestimmt. Die besondere Tragik dieser sinnlosen Existenz bestehe darin, dass der Mensch diesem Fatalismus ausgeliefert sei und sich ihm stellen müsse, wohl wissend, dass er den Kampf im Moment seines Todes letztlich verlieren werde. Diese Art der Betrachtung negiert jegliche Transzendenz im menschlichen Leben. Arthur Schopenhauer brachte diese Resignation auf den Punkt:
„Die Welt ist die Äußerung einer unvernünftigen und blinden Kraft; in ihr zu leben heißt leiden.“
– Arthur Schopenhauer
Das bedeutet, dass sich der Realismus im Laufe der Jahre in seiner Auffassung geändert hat.
[Bearbeiten] Merkmale
Wichtige Themen der realistischen Literatur:
- Viele Realisten bevorzugen historische Stoffe, die eine wirklichkeitsgetreue Schilderung ermöglichen. Hier zeigt sich der Realismus vom Historismus beeinflusst, der im 19. Jahrhundert als eine Art Universalwissenschaft das kulturelle Leben erfasste.
- Die Entstehung der Arbeiterbewegung und die Aufstände von 1848 rückten die sozialen Umstände in den Mittelpunkt des Interesses.
- Die Frage nach der nationalen Einheit bleibt bis zur Einigung Deutschlands 1871 ein wichtiges Thema.
- Auch der Konflikt zwischen Individuum und Gesellschaft wird thematisiert. Für die Realisten steht nicht die Masse der Gesellschaft im Vordergrund, sondern die Persönlichkeit. Dieser psychologische Realismus legt besonderen Wert auf die Beschreibung des Innenlebens der Figuren.
Der Stil des Realismus lässt sich durch drei Eigenschaften beschreiben:
- Der Humor wurde verwendet, um sich der Unzulänglichkeit und Tristesse der Existenz zu erwehren.
- Detailtreue ist eine der obersten Forderungen. In der Schilderung von historischen Themen oder gesellschaftlichen Verhältnissen soll die Wirklichkeit möglichst genau mittels der Mimesis nachgeahmt werden.
- Das Schönheitsempfinden wird als subjektiv angesehen. Während in vorhergehenden Epochen die Schönheit meist als ein objektiver Wert betrachtet wurde, verleiht im Realismus vielmehr erst der Autor den Dingen ihre Schönheit, was man wiederum als Verklärung bezeichnen kann.
[Bearbeiten] Naturalismus – ein gesteigerter Realismus?
Die Epochenbezeichnungen „Naturalismus“ und „Poetischer Realismus“ werden oft und gerne gleichberechtigt behandelt, da in beiden die poetologische Grundlage enthalten ist: der Dichter habe die erkennbare Welt abzubilden. Dies ist so nicht korrekt, denn während im Realismus das Negative ästhetisch aufgehoben und zugunsten einer höheren, idealen Idee exkludiert wird, zielt der Naturalismus darauf ab, genau dieses Negative mit einzubeziehen und detailliert wiederzugeben. Dies lässt sich darauf zurückführen, dass der Naturalismus die äußere Richtigkeit wiedergibt (mit all ihren Facetten), währendhin der Realismus die innere Wahrheit darzustellen versucht. Indem der Naturalismus seine Daseinsberechtigung aus der positivistischen Wissenschaftsgläubigkeit, der sozialen Vererbung des Menschen im Milieu und hieraus seine „Berechenbarkeit“ als Massenobjekt definiert sieht, wird das idealistische Element des Bürgerlichen Realismus aus der Literatur verbannt. Der Realismus zeigt ein anthropologisches Idealbild subjektiver Autonomie, hingegen geht der Naturalismus aus von der Milieuzugehörigkeit jedes Menschen und der Erkennbarkeit bzw. Berechenbarkeit menschlichen Verhaltens mittels der Wissenschaften.
[Bearbeiten] Autoren und Werke
[Bearbeiten] Deutschsprachige Autoren
- Friedrich Hebbel – Maria Magdalena (Drama 1848)
- Theodor Storm – Der Schimmelreiter (Novelle 1888)
- Theodor Fontane – Effi Briest (Roman 1895), Irrungen, Wirrungen (Roman 1887)
- Gustav Freytag – Soll und Haben (Roman 1855)
- Gottfried Keller – Romeo und Julia auf dem Dorfe (Novelle 1856), Der grüne Heinrich (Roman 1879/80)
- Conrad Ferdinand Meyer – Der Heilige (Novelle 1879)
- Fritz Reuter – Kein Hüsung (Roman 1857), Ut mine Stromtid (Roman 1862)
- Wilhelm Raabe – Der Hungerpastor (Roman 1864)
- Adalbert Stifter – Bergkristall (Erzählung zuerst 1845, dann 1853), Der Nachsommer (Roman 1857)
[Bearbeiten] Französische Autoren
- Stendhal
- Honoré de Balzac
- Gustave Flaubert – Madame Bovary (1857)
- Edmond de Goncourt – Germinie Lacerteux (1865)
- Émile Zola – Germinal (1885)
- Guy de Maupassant – Une vie (1883)
- Lucien Descaves – Sous-offs (1889)
- Paul Bonnetain – Charlot s'amuse (1884)
- Octave Mirbeau – Tagebuch einer Kammerzofe (1900)
[Bearbeiten] Russische Autoren
[Bearbeiten] Englischsprachige Autoren
- Charles Dickens – Oliver Twist (1837 Roman)
- William Makepeace Thackeray
- Rudyard Kipling
- Robert Louis Stevenson
- Herman Melville – Moby Dick (1851 Roman)
- Mark Twain
[Bearbeiten] Tschechische Autoren
[Bearbeiten] Siehe auch
- Realismus – Realismus außerhalb der Literatur
- soziales Drama
- Naturalismus und Realismus in Lateinamerika
- magischer Realismus – eine künstlerische Strömung in den 1920er Jahren in Malerei und Literatur
- sozialistischer Realismus – die dominierende Stilrichtung in der Sowjetunion in Kunst und Literatur
- bürgerlicher Realismus
[Bearbeiten] Literatur
- Erich Auerbach: Mimesis, Dargestellte Wirklichkeit in der abendländischen Literatur., Tübingen, 1994.
- Hugo Aust: Realismus. Lehrbuch Germanistik, Stuttgart, 2006.
- Hugo Aust: Literatur des Realismus., Stuttgart, 2000.
- Sabina Becker: Bürgerlicher Realismus. Literatur und Kultur im bürgerlichen Zeitalter., Tübingen, Basel, 2003.
- Richard Brinkmann (Hrsg.): Begriffsbestimmung des literarischen Realismus., Darmstadt, 1987.
- Stephan Kohl: Realismus: Theorie und Geschichte., München 1977.
- Reinhard Lauer (Hrsg.): Europäischer Realismus., Wiesbaden 1980.
- Edward McInnes (Hrsg.): Bürgerlicher Realismus und Gründerzeit., München 1996.
- Klaus-Detlef Müller (Hrsg.): Bürgerlicher Realismus, Grundlagen und Interpretation, 1981.
- Marianne Wünsch: Realismus, 2007.
- Gerhard Plumpe (Hrsg.): Theorie des bürgerlichen Realismus, Eine Textsammlung, 1985
[Bearbeiten] Weblinks
- Kurzer Überblick über den literarischen Realismus
- Literatur im Zeitalter des Realismus
- Verzeichnis diverser Gesamtdarstellungen und Essays zum Realismus
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