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Kulturkampf – Wikipedia

Kulturkampf

aus Wikipedia, der freien Enzyklopädie

Dieser Artikel stellt die Situation in Deutschland dar. Zu den zeitgleichen Ereignissen in der Schweiz siehe Kulturkampf in der Schweiz.
Modus vivendi, Karikatur von Wilhelm Scholz: Der Papst und der Reichskanzler fordern sich gegenseitig zum Stiefellecken auf. Bildunterschrift: Pontifex: „Nun bitte, genieren Sie sich nicht!“ Kanzler Bismarck: „Bitte gleichfalls!“  Aus: Kladderadatsch, Nr. 14/15 (18. März 1878).
Modus vivendi, Karikatur von Wilhelm Scholz: Der Papst und der Reichskanzler fordern sich gegenseitig zum Stiefellecken auf. Bildunterschrift: Pontifex: „Nun bitte, genieren Sie sich nicht!“ Kanzler Bismarck: „Bitte gleichfalls!“ Aus: Kladderadatsch, Nr. 14/15 (18. März 1878).

Der Kulturkampf war eine Auseinandersetzung zwischen der katholischen Kirche unter Papst Pius IX. und dem Königreich Preußen bzw. dem kaiserlichen Deutschen Reich unter Reichskanzler Otto von Bismarck zwischen 1871 und 1878 / 1887.

Inhaltsverzeichnis

[Bearbeiten] Anlass

Der Begriff Kulturkampf wurde erstmals am 17. Januar 1873 im preußischen Abgeordnetenhaus von Rudolf Virchow gebraucht, der damit die Befreiung der Kultur vom Einfluss der Kirche postulierte.

Anlass des Kulturkampfes war erstens die Veröffentlichung eines Verzeichnisses moderner theologischer und gesellschaftlicher Anschauungen und Lehren durch Papst Pius IX. im Jahre 1864, die von der Kirche abzulehnen seien (Syllabus Errorum). Dies bedeutete u. a. sowohl die Ächtung philosophischer Vorstellungen, wie die des Naturalismus, Pantheismus und Rationalismus, als auch die Ablehnung von Sozialismus, Kommunismus, Nationalismus und Liberalismus. Zweitens wurde im Ersten Vatikanischen Konzil 1870 das Dogma der Unfehlbarkeit des Papstes definiert, wenn er in Fragen des Glaubens und der Sitte eine Lehre „ex cathedra“ verkündet. Insbesondere im deutschen Sprachraum gab es Proteste gegen dieses neue Dogma, woraufhin es zu einer kirchlichen Abspaltung kam. Den sogenannten „Altkatholiken“ wurde deswegen von der Kirche die Lehrbefugnis entzogen. Weil die Professoren aber auch Staatsdiener waren, sah der Staat dies als Eingriff in seine Belange an.

Außerdem erlaubte die katholische Abteilung des Kultusministeriums in den polnischsprachigen Gebieten, dass in den Schulen auf Polnisch unterrichtet werde, was gegen das deutsche Staatsverständnis verstieß. Dazu sagte Bismarck:

„Seit der Einrichtung der ‚Katholischen Abteilung‘ im geistlichen Ministerium stellten die statistischen Data einen schnellen Fortschritt der polnischen Nationalität auf Kosten der deutschen in Posen und Westpreußen außer Zweifel, und in Oberschlesien wurde das bis dahin stramm preußische Element der ‚Wasserpolackenpolonisiert.“
„In Posen und Westpreußen waren nach Ausweis amtlicher Berichte Tausende von Deutschen und ganze Ortschaften, die in der vorigen Generation amtlich deutsch durch die Einwirkung der katholischen Abteilung polnisch erzogen und amtlich ‚Polen‘ genannt worden. Nach der Kompetenz, welche der Abteilung verliehen worden war, ließ sich ohne Aufhebung derselben hierin nicht abhelfen. Diese Aufhebung war also nach meiner Überzeugung als nächstes Ziel zu erstreben.“

[Bearbeiten] Politische Repressionen

Als dann am 8. Juli 1871 die katholische Abteilung im Kultusministerium aufgelöst wurde, regte sich Widerstand von Seiten der Zentrumspartei. Die oppositionelle Zentrumspartei war der politische Arm des Katholizismus. Bismarck war darauf bedacht, Staat und Kirche zu trennen, weil er den politischen Einfluss der Katholischen Kirche auf staatliche Angelegenheiten als „staatsgefährdend“ ansah. Deswegen versuchte er, mit repressiven Mitteln die „Reichsfeinde“ zu zerschlagen. Am 10. Dezember 1871 wurde der „Kanzelparagraph“ als § 130a in das Reichsstrafgesetzbuch aufgenommen, in dem es hieß:

„Ein Geistlicher …, welcher … die Angelegenheiten des Staates in einer den öffentlichen Frieden gefährdenden Weise zum Gegenstande einer Verkündigung oder Erörterung macht, wird mit Gefängnis oder Festungshaft bis zu zwei Jahren bestraft.“

Es kam in der Folge auch zu politisch motivierten Haftstrafen gegen katholische Geistliche wie gegen Mieczysław Halka Ledóchowski, den Erzbischof von Posen. Er wurde zur Höchststrafe von zwei Jahren verurteilt[1].

Im Jahr 1872 wurde das Jesuitengesetz erlassen, das den Jesuitenorden verbot. Mit dem Schulaufsichtsgesetz (preußischer Kulturminister Adalbert Falk) übernahm der Staat die Aufsicht über alle Schulen in Preußen. Außerdem wurden 1872 die diplomatischen Beziehungen zum Vatikan abgebrochen. In einer Reichstagsrede bekräftigte Bismarck mit dem Ausspruch „Nach Canossa gehen wir nicht!“, seine Absicht, im Konflikt mit der katholischen Kirche „keinen Fußbreit nachzugeben“. Den Höhepunkt des Kulturkampfes markierten die Maigesetze von 1873, die die staatliche Reglementierung der katholischen Kirche gewährleisten sollten. Diese sahen vor:

  • Geistliche dürfen nur nach Ablegen eines staatlichen Kulturexamens ein Amt übernehmen
  • Meldung aller Geistlichen beim Staat
  • Recht, bei staatlichen Gerichten Berufung einzulegen, wenn jemand von der Kirche mit Strafen belegt wird
  • Erleichterung des Kirchenaustritts

1875 wurde außerdem die Zivilehe eingeführt. Dieses Gesetz wurde im Folgejahr auf das gesamte Reichsgebiet ausgeweitet. Durch das Brotkorbgesetz von 1875 wurden der Kirche alle staatlichen Zuwendungen entzogen. Im Mai 1875 folgte das Klostergesetz (Auflösung aller Klostergenossenschaften, mit Ausnahme der krankenpflegerischen, in Preußen). Die Gesetze verfehlten aber ihre Wirkung, denn das Zentrum ging aus den Reichstagswahlen 1874 gestärkt hervor und konnte die Zahl seiner Wähler verdoppeln.

[Bearbeiten] Folgen

Am 13. Juli 1874 verübte der katholische Handwerker Eduard Franz Ludwig Kullmann wegen des Kulturkampfs ein Attentat auf Bismarck, der dabei aber nur leicht verletzt wurde.

Als Pius IX. 1878 starb, folgte ihm Leo XIII. im Amt. In direkten Verhandlungen mit der Kurie wurden die harten Gesetze gemildert. Im Sommer 1882 nahm Preußen wieder diplomatische Beziehungen zum Vatikan auf. Die 1886 und 1887 erlassenen Friedensgesetze führten schließlich zur Beilegung des Konflikts. Leo XIII. erklärte am 23. Mai 1887 öffentlich den „Kampf, welcher die Kirche schädigte und dem Staat nichts nützte“, für beendet.

Das Jesuitengesetz wurde erst 1917, der Kanzelparagraph erst 1953 in der Bundesrepublik aufgehoben.

Das Schulaufsichtsgesetz und das Zivilehegesetz blieben jedoch erhalten. Der Kulturkampf trug damit zur Trennung von Kirche und Staat bei. Mit der Weimarer Reichsverfassung bekam dann das Verhältnis von Kirche und Staat seine bis heute geltende Fassung.

Erwähnenswert ist zudem, dass die (überwiegend evangelischen) „Konservativen" (bisher rigorose Befürworter Bismarcks) die Bismarcksche Kulturkampf-Gesetzgebung ablehnten, während die „Liberalen“ (bisher rigorose Gegner Bismarcks) sie unterstützten. Das „Zentrum" selbst (die sog. Deutsche Zentrumspartei der Katholiken) ging gestärkt aus der Krise hervor. Bismarck konnte seinen politischen Gegner nicht zerschlagen und war bereit, sich mit den kirchlichen Kräften zu arrangieren, nachdem er wichtige Ziele durchgesetzt hatte (siehe Schaukelstuhlpolitik). Auch die liberalen Parteien gingen gestärkt aus der Krise hervor. Es entsprach ihrer rationalistischen Ideologie, dass sie Bismarck im Kampf gegen den Katholizismus unterstützen. So kam es zu einer Annäherung der bisherigen Gegner.

[Bearbeiten] Andere Begriffsbedeutungen

Einige Jahre später (1903–1908) brach der Akademische Kulturkampf aus, ein feststehender Begriff der Studentenhistorie für Auseinandersetzungen zwischen den reichstreuen und den katholischen Studentenverbindungen.

Der Begriff „Kulturkampf“ wird seit geraumer Zeit auch in anderen Zusammenhängen verwendet, so zum Beispiel für den globalen „Kampf“ zwischen Kulturen verschiedener Länder oder Kulturkreise (etwa Samuel P. Huntington in seinem berühmten Buch Clash of Civilizations - ins Deutsche übersetzt unter dem Titel „Kampf der Kulturen“, obwohl „Zusammenprall der Kulturen“ den Sinn des Originaltitels besser träfe), für einen Kampf um die „kulturelle Vorherrschaft“ innerhalb einer Gesellschaft und insbesondere um die Definitionsmacht über das Selbstverständnis und die Wertvorstellungen einer Nation (siehe Neue Rechte, Wertewandel), sowie in zahlreichen verwandten Bereichen.

[Bearbeiten] Literatur

  • Karl Zuchardt: Der Kulturkampf und Bismarck. Halle (Saale): Evang. Bund, 1912, 51 S. (Flugschriften des Evangelischen Bundes; Nr 330/31)
  • Georg Franz: Kulturkampf - Staat und katholische Kirche in Mitteleuropa. Verlag Georg D.W.Callwey, München, 1954

[Bearbeiten] Weblinks

[Bearbeiten] Anmerkungen

Siehe auch: Badischer Kulturkampf

  1. rbb Preußen-Chronik | Mieczyslaw Graf Halka-Ledochowski


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