Karl Emil Franzos
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Karl Emil Franzos (* 25. Oktober 1848 in Russisch-Podolien nahe von Czortkow, Galizien (Podolien, Ukraine); † 28. Januar 1904 in Berlin) war ein österreichischer Schriftsteller und Publizist. Seine Erzählungen und Romane reflektieren die Welt des osteuropäischen Judentums und die Spannungen, denen er als Jude und Deutscher in Galizien und der Bukowina ausgesetzt war.
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[Bearbeiten] Leben
[Bearbeiten] Herkunft
Karl Emil Franzos wurde als Sohn von Heinrich Franzos (1808-1858), Bezirksarzt in Czortkow, und Karoline Franzos geb. Klarsfeld aus Odessa geboren. Die väterliche Linie bildeten sephardische Juden aus Spanien. Sie kamen Mitte des 18.Jahrh. über Lothringen noch unter dem Namen Levert nach Galizien (heutige Ukraine), wo sie gezwungen wurden den Namen Franzos anzunehmen.
Karl Emil erhielt Privatunterricht von Heinrich Wild, einem Wiener Studenten der 1848er-Unruhen, der zur Strafe ins Militär gesteckt wurde. Später besuchte Franzos drei Jahre die Klosterschule der Dominikaner in Czortkow und erhielt privaten Unterricht in Hebräisch. Nach dem Tod des Vaters (1858) übersiedelte Karoline Franzos mit ihrer Familie nach Czernowitz, der Hauptstadt der Bukowina. Hier besuchte Karl Emil 1859 bis 1867 das deutsche Gymnasium und erhielt in dieser Stadt auch die stärksten Eindrücke seines Lebens, einen Einblick in die ethnische Vielschichtigkeit des Habsburgerreiches, die in seinen späteren Erzählungen und Romanen ihre literarische Formung erlebte. In diese Zeit fallen auch seine ersten dichterischen Versuche.
[Bearbeiten] Studienjahre
Nach dem Abschluss der Reifeprüfung 1867 mit Auszeichnung wollte er zunächst Klassische Philologie studieren. Da ihm aufgrund seiner jüdischen Abkunft kein Stipendium gewährt wurde, sattelte er auf Rechtswissenschaften um, begann 1867 sein Studium an der Universität Wien und wechselte nach zwei Semestern an die Universität Graz. Franzos bekannte sich stets offen zu seinem Judentum, war aber dennoch, geprägt durch den Vater, deutschnationaler Gesinnung und in Wien Mitglied der Burschenschaft "Teutonia" und in Graz der "Orion". Die Schaffung des deutschen Kaiserreiches 1871 begrüßte er freudig und sprach sich außerdem für eine deutsche Einigung unter preußischer Führung mit Einschluss Österreichs aus. Franzos trat allerdings tief enttäuscht aus den Burschenschaften aus, nachdem deren antisemitische Gesinnung klar zutage trat.
In Graz verfasste er für Tageszeitungen Satiren, Rezensionen, Erzählungen und Gedichte und freundete sich mit Schriftstellerkollegen wie Robert Hamerling und Alfred Klaar an. Das Zerbrechen einer Liebesbeziehung mit einer Christin aus Czernowitz wurde zum Anlass der Novelle Das Christusbild, die in Westermanns Monatshefte aufgenommen wurde und bei den Lesern sogleich Anklang fand. Franzos erwarb noch den Dr. iur., erkannte jedoch bald, dass er sich zum Journalismus und der Schriftstellerei mehr hingezogen fühlte.
[Bearbeiten] "Halb-Asien" und jüdisches Alltagsleben
1872 bis 1873 war Franzos Feuilletonredaktor der Tageszeitung Ungarischer Lloyd in Budapest, und schrieb später für die Wiener Neue Freie Presse. Nebenbei verfasste er Ghettonovellen. Die baldige Gründung und Redaktion der Wochenschrift Die Laterne wurde zu einem finanziellen Fiasko und kam über sechs Ausgaben nicht hinaus. Danach unternahm er längere Reisen, die ihn u.a. nach Venedig, Genua, Monaco, Florenz, Rom und Neapel führten und die in seine Reisefeuilletons eingingen.
Seine Reisebeiträge waren beliebt, weswegen ihn die Neue Freie Presse von 1874 bis 1876 auf weitere Reisen in die östliche Hälfte der Monarchie schickte. Es entstanden kulturhistorische und ethnografische Kulturbilder, die nach Abdruck in der Zeitung als Buch unter dem Titel Aus Halb-Asien zusammengefasst und immer wieder aktualisiert in mehreren Auflagen erschienen und sehr erfolgreich wurden. 1878 und 1888 erschienen weitere Sammlungen solcher Kulturbilder (Vom Don zur Donau beziehungsweise Aus der grossen Ebene). Die Juden wünschte Franzos sich mehr an die "deutsche Kultur" angepasst, weshalb er einigen Attacken jüdischer Zeitungen ausgesetzt war. Er rechtfertigte sich damit, dass er als erster Jude die Juden realistisch und ohne jegliche Schönfärberei gezeichnet habe.
In der Novellensammlung Die Juden von Barnow (1876), die jüdische Ghettogeschichten vereint, setzte Franzos seinem Heimatort Czortkow (dem fiktiven Barnow seiner Schriften) ein literarisches Denkmal. Diese beiden Werke von 1876 schufen die materielle Grundlage dafür, dass er sich mehr und mehr vom Tagesjournalismus abwenden konnte und der Schriftstellerei im Hauptberuf widmete. 1877 heiratete er Ottilie Benedikt, die Tochter eines jüdischen Kaufmanns. Ottilie hatte unter dem Namen Fanny Ottmer Texte veröffentlicht und war verwandt mit dem Mitherausgeber der Neuen Freien Presse Moriz Benedikt und dem Schriftsteller Fritz Mauthner. Auch der später geborene Schriftsteller und Herausgeber Hermann Kesten entstammt diesem Zweig und ist ein Neffe von Karl Emil Franzos. Desgleichen gehört auch George Steiner der Familie an, seine Mutter war eine geborene Franzos aus Wien.
[Bearbeiten] Herausgeber und literarischer Förderer
Neben seiner Tätigkeit als Schriftsteller war Franzos auch als Übersetzer, beispielsweise von Gogol und kleinrussischen Volksliedern, und vor allem als Herausgeber tätig. Als herausragende Leistung gab Franzos 1879 die Werke von Georg Büchner, dem zunehmend vergessenen deutschen Dichter aus der Vormärzzeit, heraus. Neben den schon bekannten Theaterstücken Dantons Tod und Leonce und Lena enthielt diese Ausgabe auch den Woyzeck (damals noch Wozzeck), den Franzos aus dem Nachlass erstmals 1878 in der Zeitschrift Mehr Licht! veröffentlichte. Franzos Edition wird in der zeitgenössischen Philologie einerseits positiv bewertet, andererseits werden Übersetzungsfehler und ein teilweise Zerstörung der Manuskripte Büchners durch Franzos kritisiert.
1884 wurde Franzos Redakteur der Wiener Illustrierten Zeitung und gründete 1886 die Halbmonatszeitschrift Deutsche Dichtung (1886-1904), die er bis zu seinem Tod herausgab. In dieser literarischen Zeitschrift schrieben auch heute noch bekannte Schriftsteller wie C.F. Meyer, Theodor Fontane oder Theodor Storm. Franzos hatte es sich zudem zur Aufgabe gemacht, junge Talente zu fördern. Stefan Zweig veröffentlichte darin seine ersten Gedichte und Aphorismen.
1887 zog Franzos mit seiner Gattin von Wien nach Berlin. In den 1890er-Jahren schrieb er vor allem bürgerliche Liebes- und Gesellschaftsnovellen mit leicht pessimistischen Zügen, die literarisch nicht besonders wertvoll sind. Gleichzeitig engagierte er sich für seine jüdischen Glaubensgenossen in Russland, die unter zunehmendem Druck standen. 1891 trat er dem Zentralkomitee für die russischen Juden bei, das Geld für verfolgte Juden sammelte. Außerdem hielt er Vorträge zu diesem Themenkreis (Manuskripttitel: Russische Literatur und Kultur, Die Rechtslage der russischen Juden, Die Juden in Russland: Nach Zeugnissen christlicher Russen).
1895 erfolgte auf Initiative Franzos' und mit dessen finanzieller Beteiligung die Gründung der Concordia-Verlagsgesellschaft.
Mit seiner Mittlerstellung zwischen Judentum und Deutschtum geriet er in den 1890er-Jahren zunehmend in das Zentrum antisemitischer Angriffe. Seit 1901 litt er an Herzbeschwerden und starb am 28. Januar 1904 in Berlin, wo er auf dem Jüdischen Friedhof Berlin-Weißensee in einem Ehrengrab beigesetzt wurde.
[Bearbeiten] Werke
- Aus Halb-Asien. Culturbilder aus Galizien, der Bukowina, Südrußland und Rumänien, 2 Bde., 1876
- Die Juden von Barnow. Novellen, 1877
- Vom Don zur Donau. Neue Culturbilder aus Halb-Asien, 2 Bde., 1878
- Junge Liebe. Zwei Geschichten, 1879
- Stille Geschichten, 1880
- Moschko von Parma. Roman, 1880
- Ein Kampf ums Recht. Roman in zwei Bänden, 1882
- Der Präsident. Erzählung, 1884
- Die Reise nach dem Schicksal. Erzählung, 1885
- Tragische Novellen, 1886
- Aus der großen Ebene. Neue Culturbilder aus Halb-Asien, 2 Bde., 1888
- Judith Trachtenberg. Roman, 1891
- Der Gott des alten Doktors. Erzählung, 1892
- Ein Opfer. Erzählung, 1893
- Der Wahrheitssucher. Roman in zwei Bänden, 1893
- Die Geschichte des Erstlingswerkes. Selbstbiographische Aufsätze, 1894
- Der kleine Martin. Erzählung, 1896
- Leib Weihnachtskuchen und sein Kind. Roman, 1896
- Allerlei Geister. Erzählungen, 1897
- Mann und Weib. Novellen, 1899
- Deutsche Fahrten I, Reise- und Kulturbilder. Erste Reihe: Aus Anhalt und Thüringen, 1903; Neudruck u. d. T. Aus Anhalt und Thüringen. Hg, v. Herbert Weißhuhn. Textrevision Peter Wersig. Berlin/DDR: Rütten & Loening 1984.
- Neue Novellen, 1905
- Der Pojaz. Roman, 1905
[Bearbeiten] Briefe
- "Deutsche Dichtung" und Königliche Bibliothek. Ein Briefwechsel zwischen Karl Emil Franzos und Heinrich Meisner. Hg. v. Roland Berbig. In: Berliner Hefte zur Geschichte des literarischen Lebens 6 (2004), S. 48-69. ISSN 09049-5371
- Wolfgang Rasch: "Vielleicht ist dies nur eine träumerische Schrulle von mir". Zehn Briefe von Karl Emil Franzos an Eduard Hallberger und die Redaktion von "Über Land und Meer" aus den Jahren 1874 und 1875. In: Berliner Hefte zur Geschichte des literarischen Lebens 6 (2004), S. 17-37. ISSN 09049-5371
[Bearbeiten] Literatur
- Oskar Ansull: Zweigeist Karl Emil Franzos. Ein Lesebuch von Oskar Ansull, mit einer beigelegten CD der Rundfunkfsendung (NDR) von Oskar Ansull "Ein bunter Flecken am Kaftan". Potsdamer Bibliothek, Deutsches Kulturforum östliches Europa 2005 ISBN 3-936168-21-0
- Dieter Kessler: Ich bin vielleicht kein genügend moderner Mensch. Notizen zu Karl Emil Franzos (1848-1904). München: Verl. d. Südostdt. Kulturwerks 1984. (= Veröffentlichungen des Südostdeutschen Kulturwerkes; Reihe D; 14) ISBN 3-88356-033-2
- Fred Sommer: "Halb-Asien". German nationalism and the Eastern European works of Emil Franzos. Stuttgart: Akad. Verl. 1984. (= Stuttgarter Arbeiten zur Germanistik; 145) ISBN 3-88099-149-9
- Andrea Wodenegg: Das Bild der Juden Osteuropas. Ein Beitrag zur komparatistischen Imagologie an Textbeispielen von Karl Emil Franzos und Leopold von Sacher-Masoch. Frankfurt am Main u.a.: Lang 1987. (= Europäische Hochschulschriften; Reihe 1; 927) ISBN 3-8204-8808-1
- Geneviève Humbert: Karl Emil Franzos (1848-1904). Peintre des confins orientaux de l'empire des Habsbourg. Strasbourg: Presses Universitaires de Strasbourg 1993. (= Collection; Maison des Sciences de l'Homme deStrasbourg; 13) ISBN 2-86820-111-3* Sybille Hubach: Galizische Träume. Die jüdischen Erzählungen des Karl Emil Franzos. Stuttgart: Heinz 1986. (= Stuttgarter Arbeiten zur Germanistik; 157) ISBN 3-88099-161-8
- Günther A. Höfler: Psychoanalyse und Entwicklungsroman. Dargestellt an Karl Emil Franzos "Der Pojaz". München: Südostdt. Kulturwerk 1987. (= Veröffentlichungen des Südostdeutschen Kulturwerkes; Reihe B, Wissenschaftliche Arbeiten; 47) ISBN 3-88356-049-9
- Carl Steiner: Karl Emil Franzos. 1848-1904. Emancipator and assimilationist. New York u.a.: Lang 1990. (= North American studies in nineteenth-century German literature; 5) ISBN 0-8204-1256-2
- Andrei Corbea-Hoişie: Kein "Bukowiner Poet" - Karl Emil Franzos; in: "Zwischenwelt. Zeitschrift für Kultur des Exils und des Widerstands"; 17. Jg., Nr. 2 (Doppelheft); Wien: Juli 2000; S. 23-25. ISSN 1563-3438
- Roland Berbig: "Ungedrucktes und Verschollenes" in der "Deutschen Dichtung" - Eichendorff und andere. Zu den Briefen von Karl Emil Franzos und Heinrich Meister. In: Berliner Hefte zur Geschichte des literarischen Lebens 6 (2004), S. 42-47. ISSN 09049-5371
- Jan-Christoph Hauschild: "Sie aßen alle Leberwurst..." Karl Emil Franzos als Editor und Biograph Georg Büchners, ebd., S. 7-16.
- Walter Hettche: Zwei Autographen von Karl Emil Franzos, ebd., S. 38-41.
- Wulf Wülfing: Karl Emil Franzos' "Deutsche Fahrten". Zu den "Kulturbildern" eines wissbegierigen Touristen um Neunzehnhundert, ebd., S. 85-104.
- Jan-Frederik Bandel: Der enttäuschte Assimilant. Der erste deutsch-jüdische Bestseller: Vor hundert Jahren erschien Karl Emil Franzos' Ghettoroman "Der Pojaz"; in: Jüdische Allgemeine Zeitung, 30. Juni 2005.
- Roland Berbig: Von Halb-Asien ins europäische Menschenleben. Karl Emil Franzos und Paul Heyse. In: Hugo Aust / Hubertus Fischer (Hgg.): Boccaccio und die Folgen. Fontane, Storm, Keller, Ebner-Eschenbach und die Novellenkunst des 19. Jahrhhunderts. Frühjahrstagung der Theodor Fontane Gesellschaft e. V. Mai 2004 in Neuruppin. Würzburg: Königshausen & Neumann 2006 (Fontaneana 4) ISBN 3-8260-3458-9, S. 135-153.
- Karl Emil Franzos: Erfurt. Ein Reisebericht aus dem Jahre 1901. Mit einem Vorwort von Steffen Raßloff. Erfurt: Sutton Verlag 2008. ISBN 978-3-86680-321-3.
- Karl Emil Franzos: Im Schwarzatal. Ein Reisebericht aus dem Jahre 1901. Mit einem Vorwort von Rolf-Peter Hermann Ose. Erfurt: Sutton Verlag 2008. ISBN 978-3-86680-329-9.
[Bearbeiten] Weblinks
- Literatur von und über Karl Emil Franzos im Katalog der Deutschen Nationalbibliothek
- Franzos-Handschriften in deutschsprachigen Archiven und Bibliotheken
- Werke von Karl Emil Franzos bei Zeno.org
- Werke von Karl Emil Franzos im Projekt Gutenberg-DE
- Kurzbiografie zu Karl Emil Franzos bei der Wiener Stadt- und Landesbibliothek
- Kurzbiografie zu Karl Emil Franzos
- Karl Emil Franzos und Erfurt
Personendaten | |
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NAME | Franzos, Karl Emil |
KURZBESCHREIBUNG | österreichischer Schriftsteller und Publizist |
GEBURTSDATUM | 25. Oktober 1848 |
GEBURTSORT | Czortkow, Galizien(aber wahrlich Podolien, Ukraine) |
STERBEDATUM | 28. Februar 1904 |
STERBEORT | Berlin |