Galizien
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Galizien (ukrainisch Галичина/Halytschyna, polnisch Galicja, historisch auch Rothreußen genannt poln. Ruś Czerwona oder Grody Czerwieńskie, latein. Russia rubra) ist eine Landschaft im Westen der Ukraine (Ostgalizien) und im Süden Polens (Westgalizien). Die Namen Galizien und Lodomerien sind Umlautungen von Halytsch (oder Galitsch, latinisiert: Galicia) am Dnjestr und Wladimir. In dieser Form waren sie Teil der ungarischen Königstitulatur, da die Gegend im 14. Jahrhundert, unter König Ludwig von Ungarn und Polen, kurzzeitig unter ungarischer Oberhoheit stand. Von dort wurde der Name als Bezeichnung für das Gebiet genommen, das bei der Ersten Teilung Polens zu Österreich gekommen war. Die Lautgleichheit im Deutschen mit der autonomen Gemeinschaft Galicien (spanisch: Galicia) im Nordwesten Spaniens ist rein zufällig.
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[Bearbeiten] Geografie und Klima
Ausführliche Darstellung unter Geographie und Klima Galiziens.
[Bearbeiten] Geschichte
→ Hauptartikel: Geschichte von Galizien
Ursprünglich war Halytsch-Wolhynien ein Fürstentum der Kiewer Rus. Es löste sich Mitte des 11. Jahrhunderts vom Kiewer Reich und wurde 1199 mit dem Fürstentum Wolodymyr im heutigen Wolhynien vereinigt. Nach 1205 erhoben Polen und Ungarn Ansprüche (der ungarische König führte den Titel rex Galiciae et Lodomeriae), doch konnten die Teilfürstentümer, die aus der im 13. Jahrhundert zerfallenen galizisch-wolhynischen Herrschaft hervorgegangen waren, ihre Selbstständigkeit bis 1349 bewahren.
Ab 1349 gehörte es zum Königreich Polen und zwischen 1569-1772 als Woiwodschaft Ruthenien zur Polnisch-Litauischen Adelsrepublik (siehe auch Geschichte Litauens, Geschichte Polens). Von 1772 bis 1918 bildete die Region einen Teil des österreichischen Kronlandes Königreich Galizien und Lodomerien.
[Bearbeiten] Galizien als Teil des Habsburgerreiches
Galizien kam mit der Ersten Teilung Polens 1772 unter die Herrschaft der Habsburger. In den folgenden Jahren wanderten daraufhin unter Joseph II. tausende, vor allem aus der Pfalz stammende Familien nach Galizien ein und siedelten sich dort meist in neu gegründeten Ortschaften als deutschsprachige Gemeinschaften an.
Nach der Dritten Polnischen Teilung 1795 kamen auch weite Gebiete in Mittelpolen unter dem Namen Westgalizien an das Kronland, mussten aber schon 1809 an das napoleonische Großherzogtum Warschau abgetreten werden, mit dem sie gemeinsam im Wiener Kongress an das Russische Reich fielen.
Das österreichische Galizien reichte weit nach Westen über die heutige Ukraine hinaus und umfasste seit 1846 auch Krakau, Tarnów und Rzeszów. Der Name des Kronlandes lautete offiziell Königreich Galizien und Lodomerien mit dem Großherzogtum Krakau und den Herzogtümern Auschwitz und Zator. Die Bukowina wurde 1849 zu einem eigenen Kronland erhoben.
[Bearbeiten] Königreich Galizien und Lodomerien
Das Königreich Galizien und Lodomerien hatte im Jahr 1914 78.497 km² und 8.212.000 Einwohner. Hauptstadt war Lemberg (heute ukrainisch Lwiw). Dieses Königreich war eine von verschiedensten Völkern und Konfessionen bewohnte mehrsprachige Region. So wohnten hier neben Polen und Ukrainern auch Juden, Deutsche, Ungarn und Armenier, wobei allerdings jede Volksgruppe sich von der anderen auch abgrenzte und ihre eigene Kultur pflegte. Im Westen waren die Polen und im Osten die Ukrainer in der Mehrheit.
[Bearbeiten] Jüdische Bevölkerung und kulturelles Leben
Einen großen Bevölkerungsanteil stellten die Juden, die fast überall eigene Stadtviertel hatten (Schtetl) und in einigen Kleinstädten des Ostens fast unter sich waren. In ihrer Sprache Jiddisch erschienen Bücher und Zeitungen. Die (assimilierten) Juden in den größeren Städten sprachen und schrieben allerdings Deutsch oder Polnisch. Von den Juden Galiziens kamen herausragende intellektuelle Impulse, nicht nur im religiösen und philosophischen Bereich – z. B. Martin Buber – sondern auch in literarischer Hinsicht – etwa Joseph Roth oder Mascha Kaleko – sowie auf vielen anderen Gebieten (Naturwissenschaften, Film (Billy Wilder), Rechtswissenschaft usw.). Die Juden waren die einzige ethnische Gruppe, in der keine nationalistisch-partikulare Perspektive entwickelt wurde, sondern die die gesamte Monarchie als ihre Heimat betrachtete. Der Zionismus spielte aber auch bei den galizischen Juden eine bedeutende Rolle.
[Bearbeiten] Politische Verhältnisse bis zum Ersten Weltkrieg
Politisch und wirtschaftlich waren allerdings Polen seit dem Ausgleich von 1867 führend. Im östlichen Teil des Kronlandes herrschten polnische Großgrundbesitzer über ukrainische Bauern. Durch ein Kurienwahlrecht hatten Polen auch die absolute Mehrheit im galizischen Landtag. In der österreichischen Regierung gab es einen Minister für Galizien, der bis zum Ende der Doppelmonarchie stets polnischer Nationalität war. Auch andere wichtige Ministerposten hatten Polen inne.
[Bearbeiten] Weltkriege und die Teilung
Nach dem Ende des Ersten Weltkriegs, dem Zusammenbruch Österreich-Ungarns, beanspruchten die Polen zuerst den westlichen Teil und die Ukrainer den östlichen. So wurde in Ostgalizien Ende 1918 in Lemberg die Westukrainische Volksrepublik (Sachidna Ukrainska Narodna Respublika (SUNR) ausgerufen. Diese konnte sich aber gegen die einmarschierende polnische Armee im Polnisch-Ukrainischen Krieg nicht halten, so dass Ostgalizien im Mai 1919 polnisch wurde.
Im Verlauf des Zweiten Weltkrieges wurde das Gebiet nach sowjetischer und deutscher Besatzung zwischen Deutschland und der Sowjetunion aufgeteilt (siehe auch ukrainische Geschichte). Westgalizien wurde Bestandteil des "Generalgouvernements für die besetzten polnischen Gebiete" mit Sitz in Krakau, während die Sowjetunion Ostgalizien an die Ukrainische SSR anschloss. Nach dem deutschen Angriff auf die Sowjetunion wurde auch Ostgalizien in das Generalgouvernement eingegliedert.
[Bearbeiten] Polnische Region West-Galizien
Heute gehört die Region des ehemaligen West-Galizien zu den Woiwodschaften Karpatenvorland, Heiligkreuz und Kleinpolen, zu einem kleinen Teil auch zur Woiwodschaft Schlesien.
[Bearbeiten] Ukrainische Region Ost-Galizien
In Galizien befindet sich der ukrainische Anteil der Karpaten mit dem Howerla, dem mit 2.060 m höchsten Berg der Ukraine. Die heutige ukrainische Region Galizien enthält die Verwaltungseinheiten Oblast Lwiw, Oblast Iwano-Frankiwsk und Oblast Ternopil.
[Bearbeiten] Größere Städte
- Drohobytsch (ukr. Дрогобич/Drohobytsch, pol. Drohobycz), gegründet 1422.
- Stanislau (früher Stanislawiw, ukr. Івано-Франківськ/Iwano-Frankiwsk, pol. Stanisławów), gegründet 1663.
- Jaroslau (pol. Jarosław, ukr. Ярослав/Jaroslaw), gegründet 1351.
- Kalusch (ukr. Калуш/Kalush, pol. Kałusz)
- Kolomea (ukr. Коломия/Kolomyja, pol. Kołomyja), gegründet 1370.
- Krakau (pol. Kraków, ukr. Краків/Krakiw), gegründet 1257.
- Lemberg (ukr. Львів/Lwiw, pol. Lwów), um 1256.
- Neu Sandez (pol. Nowy Sącz), gegründet 1292.
- Prömsel (pol. Przemyśl, ukr. Перемишль/Peremyschl), 1383.
- Rzeszów (von 1940–1945 Reichshof, ukr. Ряшів/Rjaschiw), gegründet 1354.
- Sambir (ukr. Самбір/Sambir, pol. Sambor), gegründet 1390.
- Saanig (pol. Sanok, ukr. Сянок/Sjanok), gegründet um 1356.
- Stryj, gegründet 1431.
- Tarnau (pol. Tarnów), gegründet 1380.
- Ternopil (ukr. Тернопіль/Ternopil, pol. Tarnopol), gegründet 1540.
- Tscherwonohrad (ukr. Червоноград/Tscherwonohrad, pol. Krystynopol), gegründet 1692.
[Bearbeiten] Deutsche Siedlungen
[Bearbeiten] Stammsiedlungen:
- Annaberg (ukrainisch Нагірне/Nahirne), gegründet 1835.
- Bandrow (polnisch Bandrów Narodowy), gegründet 1783.
- Beckersdorf (heute Ortsteil von Новосілка/Nowosilka) gegründet 1784.
- Brigidau (ukrainisch Ланівка/Laniwka), gegründet 1783.
- Bruckenthal (heute Ortsteil von Хлівчани/Chliwtschany) gegründet 1786.
- Deutsch-Smolin (ukrainisch Смолин/Smolin), gegründet 1783.
- Dornfeld (ukrainisch Тернопілля/Ternopillja), gegründet 1786.
- Gelsendorf (ukrainisch Загірне/Sahirne), gegründet 1784.
- Gassendorf (heute Ortsteil von Уличне/Ulytschne), gegründet 1784.
- Josefsberg (ukrainisch Коросниця/Korosnyzja), gegründet 1785.
- Kaiserdorf (ukrainisch Калинів/Kalyniw), gegründet 1783.
- Landestreu (ukrainisch Зелений Яр/Selenyj Jar), gegründet 1783.
- Machliniec (ukrainisch Махлинець/Machlynez), gegründet 1823.
- Mariahilf (heute Ortsteil von Kolomyja), gegründet 1811.
- Münchenthal (ukrainisch Мужиловичі/Muschylowytschi), gegründet 1783.
- Neu-Oleksice (heute Ortsteil von Олексичі/Oleksytschi), gegründet 1786.
- Ottenhausen (ukrainisch Затока/Satoka), gegründet 1786.
- Padew Kolonie (polnisch Padew Narodowa), gegründet 1783.
- Ugartsberg (polnisch Wypuczki, ukrainisch Bипучки/Wyputschky) gegründet 1785 und im Zweiten Weltkrieg zerstört; westlich von Hirske/Гірське gelegen
- Ugartsthal (heute Ortsteil von Сівка-Калуська/Siwka-Kaluska), gegründet 1785.
- Weißenberg (heute Ortsteil von Добростани/Dobrostany), gegründet 1784.
- Wiesenberg (heute Ortsteil von Merwitschi bei Kulikiv, 15 km nördlich von Lemberg), gegründet 1785.
[Bearbeiten] Deutsche Einsiedlung in eine bestehende slawische Siedlung:
[Bearbeiten] Weitere Siedlungen mit Deutschen:
- Felizienthal (ukrainisch Долинівка/Dolyniwka))
- Königsau (ukrainisch Рівне/Rovnoye)
- Obersdorf (heute Ortsteil von Krościenko in Polen), gegründet 1783; siehe auch pl:Obersdorf
- Prinzenthal (heute Ortsteil von Smereczno in Polen), gegründet 1784; siehe auch pl:Prinzenthal
- Siwka (ukrainisch Сівка-Калуська/Siwka-Kaluska)
- Siegenthal (heute Ortsteil von Brzegi Dolne in Polen), gegründet 1783.
- Steinfels (heute Ortsteil von Stebnik in Polen), gegründet 1783; siehe auch pl:Steinfels
[Bearbeiten] Verwandte Themen
- Schtetl - (jiddisch für eine mehrheitlich jüdische Kleinstadt oder ein solches Stadtviertel)
- Deutschsprachige Minderheiten
- Distrikt Galizien
- Wolhynien
[Bearbeiten] Literatur
- Alexander Granach: Da geht ein Mensch - autobiographischer Roman. btb-Verlag. ISBN 978-3-442-73603-4
- Bertha Pappenheim, Sara Rabinowitsch: Zur Lage der jüdischen Bevölkerung in Galizien. Frankfurt am Main 1904 (Volltext bei Wikisource)
- Martin Pollack: Nach Galizien - von Chassiden, Huzulen, Polen und Ruthenern. Eine imaginäre Reise durch die verschwundene Welt Ostgaliziens und der Bukowina, Verlag Brandstätter, Wien 1984, ISBN 3-85447-075-4.
- Isabel Röskau-Rydel: Deutsche Geschichte im Osten Europas - Galizien, Bukowina, Moldau. Verlag Siedler-Verlag, Berlin 2002, ISBN 3-88680-781-9.
- Thomas Sandkühler: "Endlösung" in Galizien. Der Judenmord in Ostpolen und die Rettungsinitiativen von Berthold Beitz 1941 - 1944. Verlag Dietz, Bonn 1996, ISBN 3-8012-5022-9.
- Evelyn Scheer, Gert Schmidt: Die Ukraine entdecken - Zwischen Karpaten und Schwarzem Meer. Trescher-Verlag, Berlin 2004, ISBN 3-89794-060-4.
[Bearbeiten] Weblinks
- Emil Brix: Warum Galizien?
- Galicia: Historic land in Western Ukraine
- Themenkreis Galizien (Quelltexte und wissenschaftliche Artikel) des eLibrary Projektes (eLib)
- Die deutsche Sprachinsel Machliniec