Grammatik
aus Wikipedia, der freien Enzyklopädie
Die Grammatik (Sprachlehre, altgriechisch [τέχνη] γραμματική, [technē] grammatikē „Kunst des Lesens und Schreibens“, von γράμμα, gramma, „Geschriebenes, Buchstabe“; lat. [ars] grammatica) bezeichnet in der Linguistik und Sprachforschung jede Form einer systematischen Sprachbeschreibung. Dabei steht der Begriff der Grammatik einmal für das Regelwerk selbst, auf der anderen Seite wird Grammatik auch für die Theorie über eine bestimmte Sprache oder Sprachfamilie verwendet. Teile der neueren grammatischen Forschung bestehen in der Frage, wie weit sich vor allem natürliche Sprachen auf formale Sprachen reduzieren lassen (siehe Noam Chomsky). Mit dem Ausgang des 18. Jahrhunderts hat mit den Arbeiten von Franz Bopp eine Analyse der Sprachverwandtschaften anhand der Grammatiken begonnen, die bis heute den zentralen Forschungsgegenstand darstellt. Bei den alten Griechen (zum Beispiel Aristoteles), die diese Begriffsbildung eingeleitet haben, diente die Grammatik unter anderem in der Diskussion, ob die Sprache Menschenwerk sei.
Inhaltsverzeichnis |
[Bearbeiten] Die Abgrenzung der Grammatik von anderen Gebieten
In einem engeren Sinn bezeichnet eine Grammatik als Morphosyntax die Formenlehre von Wörtern (Morphologie) und von Sätzen (Syntax). In einem weiteren Sinn fallen ihr Gebiete zu, die normalerweise anderen Wissenschaften zugeordnet werden: Bereiche aus der Phonologie, aus der Semantik, und aus der Pragmatik und Diskursanalyse.
- Mit der Phonologie hat sie gemein, dass die Elemente der Phonologie als kleinste bedeutungsunterscheidende Elemente aufgefasst werden, und damit einen Teil der Morphologie bilden, die sich mit den kleinsten bedeutungstragenden Elementen einer Sprache beschäftigt.
- Die Semantik hingegen bildet im Gegensatz zur Phonologie und Morphosyntax kein eigenständiges Gebiet der Sprachforschung. Sie ist als Lehre über den inhaltlichen Zusammenhang von Worten oder Sätzen ein Teil der formalen Logik bzw. mit der Frage, worauf und wie wir überhaupt sprachliche Bezüge herstellen können, ein Teil der Sprachphilosophie. Ein gemeinsames Interesse von Grammatik und Semantik ist die Bildung von Wortklassen und Kategorien. Jenseits ihrer Bedeutung haben solche Kategorien in einer Grammatik Auswirkungen auf die Beugung (Flexion) der Worte, und in der Syntax auf ihre Stellungen in wohlgeformten Sätzen.
- Die Frage, was dabei einen wohlgeformten Satz ausmacht und wann Sätze überhaupt zu einer Sprache gehören oder nicht und wann es sich um sinnvolle Sätze handelt, kann innerhalb dieser Gebiete nicht behandelt werden. Im besten Fall wie zum Beispiel in den formalen Sprachen kann man Sätze dadurch prüfen, ob sie sich über die Regeln ableiten lassen. Allerdings kann auch ein Satz, der formal nicht korrekt gebildet wurde, bestimmte Kriterien an einen erfolgreichen Sprechakt stellen und darüber hinaus in unterschiedlichen Kontexten sogar unterschiedliche Bedeutungen oder Funktionen ausüben. Mit solchen Ansätzen beschäftigt sich die Pragmatik und Diskursanalyse, aber auch die Semiotik und die Sprachphilosophie. In Grammatik-Theorien spielen solche Überlegungen eine Rolle, wenn es um die Tragfähigkeit oder um den heuristischen Wert einer bestimmten Grammatik geht. Einzug in das Regelsystem finden sie im allgemeinen nur über die semantischen Komponenten.
[Bearbeiten] Grammatiken in der Antike und im Mittelalter
Verschiedene Grammatiken lassen sich nach ihrer Funktion in präskriptive oder deskriptive Grammatiken unterteilen. Präskriptive bzw. normative Grammatiken enthalten Regeln durch die explizite Ausdrücke einer Sprache erzeugt werden. Im Gegensatz zu den natürlichen und vor allem gesprochenen Sprachen, deren Kriterien vager sind und sich vor allem auf eine gewisse Akzeptanz einer Sprachgemeinschaft stützen, gehören Ausdrücke, wenn sie nicht regelkonform sind, entweder gar nicht zur Sprache (z.B. in den Formalen Sprachen) oder zeugen zumindest von einem schlechten Stil. Doch schon in der Antike mit der Schaffung erster grammatischer Systeme stritt man sich auch über ihren Sinn und Nutzen.
Naturalisten vertraten als Verfechter der Ideenlehre eine realistische Position, dass Sprachen ohne menschliches Zutun existieren. Gemäßigter ist zwar der Standpunkt, der die Referenzen einer Sprache nicht in ihren Ideen sah, sondern in den tatsächlichen Gegenständen der Welt. Allerdings sind nur solche Sprachen, deren Regeln nach erkenntnistheoretischen und philosophischen Gesichtspunkten aufgestellt wurden in der Lage, etwas über diese Welt auszusagen. Der Konventionalismus, demzufolge Sprache immer nur auf den willkürlichen Regeln der Sprechergemeinschaft fußt, lehnte beide Positionen ab, entweder aus ästhetischen Gründen, wie bei Aristophanes, oder bei Sextus Empiricus aus einer allgemeinen Skepsis gegenüber wissenschaftlicher Erkenntnis. (Mauthner 1912)
Trotz dieser Kritik setzte sich die präskriptive Einstellung durch. Viele der Regeln und Termini wurden von römischen Gelehrten und Grammatikern übernommen und auf das Latein übertragen und hielten so Einzug in das europäische, kirchlich geprägte Mittelalter. Dabei blieben auch die logischen und philosophischen Überlegungen erhalten und schlugen sich im Universalienstreit nieder. Die Beschäftigung mit Grammatik beschränkte sich daher lange Zeit auf die Sprachen der Bibel, das Latein und, in geringerem Umfang auch das auf das Hebräische und das Griechische. (Eco 1997). Ein großer Teil der Diskussionen bezog sich allerdings hauptsächlich auf semantische Aspekte und ihre theologischen Implikationen. Erst mit Luthers Bibelübersetzung und dem Zeitalter der Reformation, löste man sich von der Fixierung auf das Lateinische. (Bodemer 1997)
[Bearbeiten] Grammatiken in der Neuzeit und der Moderne
Grammatiktheorien der Neuzeit waren durch die philosophische Strömung des Empirismus bestimmt. Der Empirismus verwarf das Konzept der platonischen Ideen. Das Einzige, wodurch der Mensch zu Wissen gelangen kann, ist die Erfahrung, was auch für den Spracherwerb gilt. Lag der Schwerpunkt des Interesses im Mittelalter noch bevorzugt in semantischen Fragen, so setzten sich mit der Erforschung des Sanskrit durch Friedrich Schlegel und Franz Bopp und mit der Entdeckung der Indogermanische Sprachen wieder grammatische Interessen und konventionalistische und relativistische Positionen durch. J.F. Herder vertrat die Auffassung, dass Sprache vor allem das Ergebnis bestimmter Sprachgemeinschaften ist. Alexander Humboldt ging einen Schritt weiter und behauptete dass Sprache neben ihrer Gültigkeit in einer Sprachgemeinschaft, ihren Ursprung und ihre Gültigkeit immer nur im einzelnen Subjekt hat.
Aus der Vergleichenden Sprachwissenschaft entwickelte Anfang des 20. Jahrhunderts Ferdinand de Saussure die deskriptive Grammatik mit den induktiven Methoden der empirischen Forschung. Ohne den Einflüssen aus der Philologie entstanden durch die Arbeiten von George Boole und Gottlob Frege zur selben Zeit die ersten normativen, formalen Systeme, die sich von den Vorlagen einer bestimmten Sprache zu lösen versuchten. Dabei kamen auch wieder die Fragen nach einer erkenntnistheoretisch angemessene Sprache auf. Frege differenzierte die Bedeutung eines Ausdrucks in die Bezugnahme auf einen Gegenstand und die „Art seines Gegebenseins“ seinen Sinn. Die Bezugnahme erweiterte er, so dass sie sich nicht mehr nur auf einzelne Worte, sondern auf ganze Sätze bezog. Ein einzelner Ausdruck bezieht sich auf einen Gegenstand oder eine Person, die Bedeutung eines ganzen Satzes hingegen ist sein Wahrheitswert. Er ebnete so Holistischen Sprachtheorien und Theorien der Sprechakte den Weg, und den logischen Systemen der Aussagenlogik, der Prädikatenlogik und der Quantorenlogik.
Eine Einteilung solcher normativen Sprachen und den ihnen zugrundeliegenden Grammatiken entwickelte Noam Chomsky. Dabei erzeugen Grammatiken eines bestimmten Typs innerhalb der Chomsky-Hierarchie genau die Sätze und Ausdrücke einer Sprache, die von einem bestimmten Interpreten erkannt werden, und sie erzeugt alle Sätze und Ausdrücke die erkannt werden können. Interpreten sind in solchen Fällen einer formalen Grammatik Rechenmaschinen aus der Automatentheorie. Solche formalen Grammatiken, besonders die kontextsensitive Grammatik finden Verwendung in der Informatik in Untersuchungen über Compiler und Interpreter. Aber auch in der Philosophie und Wissenschaftstheorie finden solche Sprachen Verwendung, genauso wie in Forschungsrichtungen der deskriptiven Grammatik.
Deskriptive Grammatiken unterscheiden sich von formalen Grammatiken insofern, als sie sich aus einem empirischen Forschungsansatz ergeben. Sie beschäftigen sich mit den natürlichen Sprachen, denen im allgemeinen eine größere Ausdrucksstärke zugesprochen wird. Der Linguist sichtet erst eine bestimmte Menge an Ausdrücken und Sätzen, die zu einer Sprache gehören und versucht dann, diese Ausdrücke durch Regeln zu erzeugen. Kriterien dafür, dass bestimmte Ausdrücke und Sätze zu einer Sprache gehören, können vor allem die Vorkommen in der geschriebenen Sprache und Literatur sein, aber auch die Akzeptanz der Ausdrücke in einer Sprachgemeinschaft. Dabei steht die Vollständigkeit der erklärten Phänomene im Gegensatz zu einem ökonomischen Prinzip der Einfachheit.
Eher regelgeleitete, auf der Syntax basierende Grammatiken, die mit möglichst wenig Annahmen und Regeln auskommen, sind vor allem die aus Chomskys Generativer Grammatik entstandene Rektions- und Bindungstheorie und das Minimalistische Programm. Erweiterungen rein syntaktischer Regeln durch semantische findet man in der Generalised Phrase Structure Grammar, sowie in den Unifikationsgrammatiken, zum Beispiel der Head-driven Phrase Structure Grammar oder der Lexikalisch-funktionalen Grammatik. Semantische Ansätze, die vor allem mit Strukturen von Lexikoneinträgen arbeiten sind die Dependenzgrammatiken und die Grammatik Richard Montagues.
[Bearbeiten] Literatur
- Frederick Bodmer: The Loom of Languages, 1944, (deutsch: Die Sprachen der Welt), (C) Kiepenheuer & Witsch, Neuauflage im Parkland Verlag 1997, ISBN 3-88059-880-0.
- Franz Bopp: Über das Konjugationssystem der Sanskritsprache in Vergleichung mit jenem der griechischen, lateinischen, persischen und germanischen Sprache. 1816
- Noam Chomsky: Syntactic Structures. The Hague: Mouton, 1957. Reprint. Berlin and New York 1985.
- Umberto Eco: La ricerca della lingua perfetta nella cultura europa, 1993, (C) Laterza (dtsch: Die Suche nach der vollkommenen Sprache, dtv, 1997, ISBN 3-423-30629-7)
- Helmut Glück (Hrsg.): Metzler Lexikon Sprache. Stuttgart, Weimar: Metzler, 1993; ISBN 3-476-00937-8
- Hadumod Bussmann: Lexikon der Sprachwissenschaft. Stuttgart 1990, ISBN 3-520-45202-2
- Gerhard Helbig und Joachim Buscha: Leitfaden der deutschen Grammatik. Mai 2000, ISBN 3-468-49495-5, ISBN 978-3-468-49495-6
- Wissenschaftlicher Rat der Dudenredaktion (Hg.): Duden. Die Grammatik (Band 4), Mannheim 2005, ISBN 3-411-04047-5
[Bearbeiten] Siehe auch
-
Portal: Sprache – Übersicht zu Wikipedia-Inhalten zum Thema Sprache
- Deutsche Grammatik
- Grammatiker
- Deklination, Konjugation
- Affix, Suffix, Präfix
- Wortart, Wortform
- Satz, Satzart, Satzglied, Syntax
- Universalgrammatik
- Grammatikbegriffe im Deutschen
- Liste der Grammatikvorsilben
[Bearbeiten] Weblinks
- grammis: grammatisches Informationssystem am Institut für Deutsche Sprache (IDS)
- Online-Nachschlagewerk der deutschen Grammatik
- Kleine deutsche Schulgrammatik
- Canoo.net: Deutsche Grammatik und Wörterbücher
- Ausführliches Grammatik-Glossar
- Grammatische Zweisamkeit: Kontaktgrammatik
- Deutsche Grammatik
- Forscher entdecken, in welchen Hirnregionen Grammatik verarbeitet wird – ein Artikel von www.wissenschaft.de
- Fritz Mauthner – Zur Sprachwissenschaft – Beiträge zu einer Kritik der Sprache, Bd. 2, 1912
- Meyers Konversationslexikon – Band 15 von Sodbrennen bis Uralit / Sprache und Sprachwissenschaft
- Deutsche Grammatik kurz und knapp, mit Beispielen