Überwachungsstaat
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Der Begriff Überwachungsstaat beschreibt ein Szenario, in dem ein Staat seine Bürger mit allen zur Verfügung stehenden und staatlich legalisierten Mitteln überwacht. So sollen Gesetzesverstöße besser und schneller erkannt und verfolgt werden können. Befürworter führen die Verhinderung von Straftaten, organisierter Kriminalität und Terrorismus als Notwendigkeit für die Etablierung einer umfassenden Überwachung der Bürger an. Kritiker halten einen Überwachungsstaat hingegen für nur schwer oder gar nicht mit einer freiheitlichen Demokratie vereinbar. Außerdem weisen sie auf die schlechte Erfolgsquote bei Mitteln wie der Rasterfahndung hin.
Im Überwachungsstaat werden die Erkenntnisse aus der Überwachung hauptsächlich zur Verhinderung und Ahndung von Gesetzesverstößen, sowie zur Gewinnung von geheimdienstlichen Informationen über die einzelnen Individuen und Bevölkerungsgruppen genutzt. Die Prävention von Straftaten und anderen unliebsamen Verhaltensweisen der Bürger findet im Überwachungsstaat bereits indirekt durch den ständigen Beobachtungsdruck statt. In diversen überwachenden Staaten waren bzw. sind „präventive“ Festnahmen überwachter Personen vor Veranstaltungen üblich, um das öffentliche Erscheinungsbild der Veranstaltungen zu beeinflussen (China, Nepal, Kolumbien, DDR, UdSSR). Auch in der Bundesrepublik Deutschland wird zur Zeit darüber nachgedacht, gewaltbereite Störer präventiv in Haft zu nehmen (G8-Gipfel in Heiligendamm 2007) [1]
Der Überwachungsstaat zeichnet sich auch durch die Einschränkung des Datenschutzes, der Privatsphäre und der informationellen Selbstbestimmung aus. So gesehen ist die informationelle Selbstbestimmung ein direkter Gegenspieler des Überwachungsstaats. Als Beispiele für typische Maßnahmen des Überwachungsstaates seien Rasterfahndungen, Kameraüberwachung öffentlicher Plätze, die routinemäßige Erstellung von Bewegungsprofilen, Gendatenbanken (Genetischer Fingerabdruck), biometrische Datenbanken, umfassende Kommunikationsüberwachung, sowie die Schleppnetz- und Schleierfahndung und die ab 1. Januar 2008 in der EU und damit auch Deutschland startende Vorratsdatenspeicherung genannt.
Im Präventionsstaat werden im Gegensatz zum Überwachungsstaat die Informationen aus den Überwachungsmaßnahmen des Staates bereits sehr verstärkt genutzt, um Gesetzesverstöße oder unliebsames Verhalten von vornherein zu verhindern.
Eine genaue Abgrenzung zwischen Überwachungsstaat und Präventionsstaat ist schwierig, da das eine in das andere übergeht.
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[Bearbeiten] Technologien/Methoden zur Überwachung
Folgende Technologien oder Methoden können zur Überwachung eingesetzt werden:
- Rasterfahndung
- Lauschangriff
- Videoüberwachung
- Telefonüberwachung
- Online-Überwachung
- Vorratsdatenspeicherung
- Bewegungsprofile
- durch RFID-Chips (zum Beispiel in Geld, Ausweisen, Implantaten, Fahrkarten, Kleidung, Aufklebern, usw.)
- durch satellitenbasierte PKW-Maut
- durch automatische Nummernschilderkennung (Zeichenerkennungssoftware)
- durch städtische Gesichtserkennungssysteme (Beispiel: London, geplant: Peking, in Mainz derzeit ein Pilotprojekt)
- durch Ortung des Mobiltelefons
- Gendatenbanken zur Speicherung des Genetischen Fingerabdrucks
- Datenbanken (zentral oder in RFID-Chips) zur Speicherung biometrischer Merkmale wie:
- Gesichtsmerkmale
- Iris-Muster
- Fingerabdruck
- siehe auch Lifescan
- Informanten (zum Beispiel IMs, V-Männer)
[Bearbeiten] Überwachung in der Deutschen Demokratischen Republik
Zum Alltag in der DDR gehörte die flächendeckende Überwachung von fast allem und fast jedem. Der Staatssicherheitsdienst (kurz Stasi) überwachte alle gesellschaftlichen Bereiche Ostdeutschlands und nahm sämtliche tatsächlich oder potentiell „staatsfeindlichen“ Personen und Aktivitäten in unzähligen Akten auf. Die Stasi beschäftigte schätzungsweise 100.000 inoffizielle Mitarbeiter.
Siehe auch Polizeistaat [2]
[Bearbeiten] Überwachung in der Bundesrepublik Deutschland
Folgende Überwachungstechnologien und -maßnahmen werden in Deutschland bereits eingesetzt oder sind bereits beschlossen. Kritiker sehen hierin bereits deutliche Schritte hin zu einem Überwachungsstaat.
- Ausweispflicht
- Rasterfahndung
- Einführung der Abgabepflicht von Fingerabdrücken bei Reisepässen
- Abnahme einer Speichelprobe bei schweren oder wiederholten Straftaten und dazugehörige Gendatenbanken
- Großer Lauschangriff
- Gesundheitskarte
- teilweise Aufhebung des Bankgeheimnisses, hauptsächlich durch das Gesetz zur Förderung der Steuerehrlichkeit
- JobCard
- Videoüberwachung
- biometrische Datenbanken im allgemeinen
- Vorratsdatenspeicherung bei Internetzugangsanbietern und Telekommunikationsanbietern
- automatisierter Kfz-Kennzeichenabgleich auf öffentlichen Straßen
- automatisiertes Abhören von Telefon- und Internet-Kommunikation im Allgemeinen und E-Mail-Kommunikation im Besonderen
- Bei E-Mail-Überwachung in Deutschland werden alle E-Mails, die mindestens eine zu überwachende E-Mail-Adresse im MIME-Header haben, als vollständige Kopie an ein Staatsorgan weitergeleitet.
- Allerdings ist es legal, diese E-Mails zu verschlüsseln (Verschlüsselung)
- Mobiltelekommunikation:
- IMSI-Catcher
- GTP* (GPRS Tunneling Protocol*)
- automatisierte Funkpeilung und Kreuzpeilung über die Sendemasten zur Erstellung und Auswertung von aktuellen oder historischen Bewegungsprofilen (geographische Funkzellendaten, Peilung, Signalstärke und Datum/Uhrzeit der Kommunikation werden gespeichert, siehe auch Vorratsdatenspeicherung) unterstützt durch den nicht legalen Einsatz von Silent Messages zur Triggerung einer Kommunikationsverbindung eines anzupeilenden Mobilfunkgerätes
- Bei E-Mail-Überwachung in Deutschland werden alle E-Mails, die mindestens eine zu überwachende E-Mail-Adresse im MIME-Header haben, als vollständige Kopie an ein Staatsorgan weitergeleitet.
Folgende Schritte werden in ihrer Umsetzbarkeit zum Teil auch in Deutschland geprüft:
- Abnahme einer Speichelprobe auch bei leichten Straftaten und Überführung in dazugehörige Gendatenbanken
- RFID im Bargeld
- RFID im Ausweisdokument
- RFID in Waren aller Art (zum Beispiel in Jeans eingearbeitet)
Folgende Schritte sind bereits in der Umsetzung:
- Platzverweis
- Unterbindungsgewahrsam
- Aussetzung des Schengener Abkommens, um aus dem Ausland einreisende Teilnehmer von Demonstrationen und anderen Aktionen kontrollieren zu können
- Schleierfahndung
- Geruchsprobe
Aufgrund zunehmender Überwachungsmaßnahmen im Krieg gegen den Terror hat sich in Deutschland mittlerweile der Begriff Stasi 2.0 in Anlehnung an das Ministerium für Staatssicherheit der DDR und das Web 2.0, als kritisches Schlagwort unter Datenschützern verbreitet.
[Bearbeiten] Überwachung in Österreich
In Österreich ist sowohl Rasterfahndung als auch Lauschangriff nach gerichtlicher Genehmigung erlaubt. Zukünftig werden österreichische Reisepässe Mikrochips mit biometrischen Daten sowie Fingerabdrücke enthalten.
Im September 2007 warnte der Präsident des Verfassungsgerichtshofs Karl Korinek vor einem Abrutschen Österreichs in den totalen Überwachungsstaat: „… Ich habe manchmal den Eindruck, wir werden ähnlich stark überwacht wie seinerzeit die DDR-Bürger von der Stasi …“. Im Oktober desselben Jahres kommentierte Hans Zeger, Vorsitzender der ARGE Daten, die kurz zuvor verkündete Einigung der SPÖ/ÖVP-Koalition bezüglich Überwachung von Privatcomputern mittels Schadprogrammen als „… Wir leben schon heute in einem Stasi-ähnlichen Überwachungssystem …“.
Mit der Änderung des SPG im Dezember 2007 darf die Polizei ab 2008 ohne richterliche Kontrolle auf IP-Adressen und Standortdaten von Handys zugreifen.
[Bearbeiten] Geschichte
Bereits mit den Karlsbader Beschlüssen gab es Bestrebungen zu einem Überwachungs- und Präventionsstaat.
[Bearbeiten] Zitate
- „Jene, die Freiheit aufgeben, um eine vorübergehende Sicherheit zu erwerben, verdienen weder Freiheit noch Sicherheit.“ (Benjamin Franklin, 1706–1790)
(„He, who trades freedom for temporary security, deservers neither freedom nor security.“)
- „Wer Sicherheit der Freiheit vorzieht, ist zu Recht ein Sklave.“ – Aristoteles
- „Einen Staat, der mit der Erklärung, er wolle Straftaten verhindern, seine Bürger ständig überwacht, kann man als Polizeistaat bezeichnen.“ – (Ernst Benda, ehemaliger Präsident des Bundesverfassungsgerichts)
[Bearbeiten] Siehe auch
- Panoptismus (Foucault)
- Sousveillance
- Big Brother Awards
- Stop1984
- Deutsche Vereinigung für Datenschutz
- Piratenpartei
- Arbeitskreis Vorratsdatenspeicherung
[Bearbeiten] Literatur
- Sabine Leutheusser-Schnarrenberger (MdB) Bundesministerin der Justiz a. D.: Einführungsrede zur Vorstellung des Grundrechte-Reports 2004 (Artikel) http://www.gustav-heinemann-initiative.de/Grp04_LS.pdf (5 Seiten)
- Michel Foucault: Überwachen und Strafen (Philosophie der Überwachung)
- Pär Ström: Die Überwachungsmafia - Das gute Geschäft mit unseren Daten, Carl Hanser Verlag, 2005 ISBN 3-446-22980-9
- Die Riesenwandkarte der Überwachung Telepolis-Artikel zum Überwachungsstaat
- Stephan Heinrich, Auf dem Weg in einen Überwachungsstaat? – Informationssicherheit und Kontrolle in offenen Kommunikationsnetzen, 2004, ISBN 978-3828885974
- Stefan M. Gergely, Überwachungsstaat Österreich
- Peter Koch/Reimar Oltmanns: „SOS Sicherheit – Ordnung – Staatsgewalt Freiheit in Deutschland?“
München, 1980, ISBN 3-442-11503-5
- Fiktion
[Bearbeiten] Filme
- 1984 (1984), Großbritannien 1956/1984 (1./2. Verfilmung), nach dem gleichnamigen Roman 1984 von George Orwell
- Brazil, Großbritannien 1985
- V wie Vendetta, USA 2005
- Der Staatsfeind Nr. 1 (Enemy of the State), USA 1998
- Das Monster, Italien/Frankreich 1994, von und mit Roberto Benigni
- Minority Report, USA 2002
- Nikolaikirche, Deutschland 1995
- Das Leben der Anderen, Deutschland 2006
- Fahrenheit 9/11, (Michael Moore), USA 2004
- Equilibrium – Killer of Emotions, USA 2002
[Bearbeiten] Computerspiele
[Bearbeiten] Quellen
- ↑ Vorbeugend in Haft: "Bundesinnenminister Wolfgang Schäuble (CDU) bekräftigte am Freitag, dass nach der bestehenden Rechtslage gewaltbereite Störer vorbeugend in Haft genommen werden können." In Netzeitung vom 12. Mai 2007.
- ↑ Bundeszentrale für politische Bildung Alles unter Kontrolle?
[Bearbeiten] Weblinks
- Initiative der Grünen Österreich: Onlineabstimmung gegen Überwachungsstaat
- Privacy International - Internationales Ranking
- Thilo Weichert: Überwachung ohne Transparenz fördert staatliche Willkür.
- Burkhard Hirsch: Die Herrschaftsmaschine
- Umfrage der Tagesschau: Inwieweit sind die Pläne zur Terrorabwehr verhältnismäßig?
- Ein offenes metajournalistisches Projekt mit einer laufend aktualisierten Link-Datenbank von Meldungen hauptsächlich zum Thema Überwachung im digitalen Zeitalter
- Wiki zum Thema Überwachung
- Älteste Gegen-Initiative zum Thema Totale Überwachung