Reichsgericht
aus Wikipedia, der freien Enzyklopädie
Das Reichsgericht war das oberste Straf- und Zivilgericht im Deutschen Reich. Der Bau des Reichsgerichtsgebäudes, in dem seit dem Jahr 2002 das Bundesverwaltungsgericht seinen Sitz hat, wurde 1888 begonnen und 1895 vollendet. Die Architekten des 69 Meter hohen Gebäudes waren die Architekten Ludwig Hoffmann und der Norweger Peter Dybwad.
Inhaltsverzeichnis |
[Bearbeiten] Wilhelminisches Reich 1879-1918
Das Reichsgericht war mit Ausnahme seiner Zuständigkeit in Hoch- und Landesverratssachen eine reine Rechtsmittelinstanz. Seine Aufgabe war es, die Einheitlichkeit der Rechtsprechung auf dem gesamten Reichsgebiet sicherzustellen.
[Bearbeiten] Dienstsitz
Das Reichsgericht nahm am 1. Oktober 1879 auf Anordnung des Einführungsgesetzes zum Gerichtsverfassungsgesetz gleichzeitig mit dem Inkrafttreten der Reichsjustizgesetze seine Tätigkeit auf. Dienstsitz des Reichsgerichts war Leipzig. Angesichts der im Bundesrat umstrittenen Standortwahl fiel Berlin nur knapp mit 28 Stimmen (Leipzig 30 Stimmen) durch. Leipzig war schon Sitz des Bundesoberhandelsgerichts des Deutschen Bundes, des späteren Reichsoberhandelsgerichts. Es entschied über Streitigkeiten nach dem Allgemeinen deutschen Handelsgesetzbuch (ADHGB) von 1861.
[Bearbeiten] Zuständigkeiten
Das Reichsgericht war ein ordentliches Gericht. Es war zur Entscheidung über Strafsachen und Zivilsachen (Bürgerliche Rechtsstreitigkeitkeit, Rechtshandlungen des Staates als Fiskus, Handelssachen, Arbeitsrecht) berufen. Eine gesonderte Arbeitsgerichtsbarkeit bestand nicht. Zuständig war das Reichsgericht auch für das Staatshaftungsrecht.
Im Instanzenzug hatte das Reichsgericht in der Regel geborene (d.h. durch Gesetz zwingend vorgegebene) Zuständigkeiten. Lediglich bei der Revision gegen Berufungsurteile der Strafkammern in Strafsachen betreffend Abgaben, die in die Reichskasse flossen, war seine Zuständigkeit gekoren (d.h. erst auf Antrag der Staatsanwaltschaft entstanden). Als geborene Zuständigkeiten hatte das Reichsgericht im Zivilrecht Entscheidung über die Revision gegen Endurteile und Beschwerden über Beschlüsse der Oberlandesgerichte (Kammergericht) zu fällen. Daneben war es Berufungsinstanz gegen Entscheidungen des Patentamts im Patentnichtigkeits-, Patentrücknahme- und Zwangslizenzverfahren und in diesem Bereich zweite Tatsacheninstanz. Als geborene Zuständigkeit im Strafrecht war es zur Entscheidung über das Rechtsmittel der Revision gegen die Urteile der Strafkammern erster Instanz und der Schwurgerichte berufen, wenn nicht die Zuständigkeiten der Oberlandesgerichte (Kammergericht) begründet war. Das war der Fall, wenn ausschließlich eine Norm aus dem Landesrecht verletzt war. Das Reichsgericht war somit nicht zuständig für Revisionsverfahren bei Straftaten, in denen die Amtsgerichte erstinstanzlich entschieden. Das waren Verfahren wegen leichter Delikte (z.B. Übertretungen, Hausfriedensbruch, Diebstahl und Sachbeschädigung bis zu einem Wert von 25 Mark). Sie konnten nur bis zum Oberlandesgericht angefochten werden.
Das Reichsgericht entschied in erster und letzter Instanz für die Untersuchung und Entscheidung in Fällen des Hoch- und Landesverrats, wenn diese Verbrechen gegen Kaiser oder Reich gerichtet waren. Eine Rechtsmittelinstanz war nicht mehr gegeben. In dieser erstinstanzlichen Zuständigkeit war das Reichsgericht Tatsacheninstanz. Auch diese Zuständigkeit war geboren. Das Reichsgericht führte keine eigenen Ermittlungsrichter. Für die Entscheidungen vor Erhebung der öffentlichen Klage durch den Oberreichsanwalt, welche nach der StPO dem Richter oblagen, waren die Ermittlungsrichter an den Landgerichten zuständig (heute an den Oberlandesgerichten und am Bundesgerichtshof). Der erste Senat erledigte die Geschäfte der gerichtlichen Voruntersuchung, die nach der StPO a.F. bis in die 1970er Jahre möglich war, und entschied über die Beschwerden betreffend die Entscheidungen des Ermittlungsrichters. Das Hauptverfahren fand vor dem vereinigten zweiten und dritten Senat statt.
[Bearbeiten] Zusammensetzung
Das Reichsgericht wurde mit einem Präsidenten und der erforderlichen Anzahl von Senatspräsidenten und Räten (Reichsgerichtsräte) besetzt. Beim Reichsgericht wurden Zivil- und Strafsenate gebildet, deren Anzahl der Reichskanzler bestimmte. Wollte ein Senat in einer Rechtsfrage von der Entscheidung eines anderen Senates abweichen, so hatte dieser, um die Einheitlichkeit der Rechtsprechnung zu wahren, die Verhandlung und Entscheidung an die Vereinigten Zivil- oder die Vereinigten Strafsenate zu verweisen. Der Präsident, die Senatspräsidenten und die Reichsgerichtsräte wurden auf Vorschlag des Bundesrats vom Kaiser ernannt. Voraussetzung dafür war die Befähigung zum Richteramt und die Vollendung des 35. Lebensjahres. Im Reichsgericht bestand eine Gerichtsschreiberei. Beim Reichsgericht wurde die Oberreichsanwaltschaft als Staatsanwaltschaft eingerichtet.
Das Reichsgericht wurde seit seiner Etablierung von Kritikern als Fortsetzung des Preußischen Obertribunals interpretiert. Die Richterschaft war monarchisch-konservativ geprägt, besonders im Bereich des Strafrechts waren zur Zeit des Kaiserreichs kritische Stimmen am Gericht in der Minderheit – so auch in anderen damaligen staatlichen Institutionen. So wertete das Gericht es im Jahre 1912 beispielsweise als Beleidigung, dass die sozialdemokratische Partei 1907 eine Broschüre herausbrachte, die sich an Beamte richtete und diese zur Wahl der SPD aufforderte – und das zu einem Zeitpunkt, zu dem die SPD bereits die stärkste Fraktion im Reichstag stellte (vgl. RGSt 46, 151 - 154, Urt. vom 28. Juni 1912.) Ferner führte das Reichsgericht in seinem Urteil vom 12. Oktober 1907 im Hochverratsprozess gegen Karl Liebknecht aus, die unbedingte Gehorsamspflicht der Soldaten gegenüber dem Kaiser sei eine zentrale Bestimmung der Verfassung des Kaiserreichs. Dagegen hatte der Angeklagte im Prozess vergeblich betont, kaiserliche Befehle seien null und nichtig, wenn sie einen Bruch der Verfassung bezweckten (vgl. dazu: Der Hochverratsprozeß gegen Karl Liebknecht vor dem Reichsgericht. Verhandlungsbericht nebst einem Nachwort. Buchhandlung Vorwärts, Berlin 1907).
Auf der anderen Seite ergingen auf dem Gebiet des Zivilrechts in dieser Zeit einige wegweisende Entscheidungen, die noch heute Gültigkeit besitzen. So bejahte das Reichsgericht die damals gesetzlich nicht geregelte vorvertragliche Haftung (culpa in contrahendo, abgekürzt c.i.c.; vgl. RGZ 78, 239, Urt. vom 07. November 1911 - Teppichrollenfall bzw. auch Linoleumrollenfall genannt). Die c.i.c war jahrzehntelang ein in der Rechtsprechung und der Literatur anerkanntes Haftungsinstitut, bis sie im Wege der 2002 in Kraft getretenen Schuldrechtsreform Gesetz geworden ist, vgl. dazu § 311 Bürgerliches Gesetzbuch (abgekürzt BGB) n.F. Ferner entwickelte das Reichsgericht die Kategorie der „positiven Vertragsverletzung“, welche ebenfalls dem Bürgerlichen Gesetzbuch unbekannt war. Es entwickelte die Haftung aufgrund positiver Vertragsverletzung anhand der noch heute gültigen Vorschrift des § 276 BGB, wonach ein Schuldner für vorsätzliches bzw. fahrlässiges Handeln haftet (vgl. beispielsweise zur positiven Vertragsverletzung RGZ 66, 289, Urt. vom 09. Juli 1907 - Pferdefutterfall -, dieses Urteil ist eine Bestätigung einer Entscheidung aus dem Jahr 1902, wo das Reichsgericht erstmalig eine positive Vertragsverletzung angenommen hat, vgl. RGZ 52, 18 -Roggenfall-). Die positive Vertragsverletzung war jahrzehntelang gewohnheitsrechtlich anerkannt. Nach der im Jahr 2002 in Kraft getretenen Schuldrechtsreform werden nun entsprechende Fälle anhand § 280 BGB n. F. gelöst.
[Bearbeiten] Weimarer Republik
In der Weimarer Republik setzte das Gericht besonders im Bereich des Strafrechts seine konservative Linie bis hin zum Reaktionären fort. Dies zeigt die Ambivalenz des am 21. Dezember 1921 ergangenen Urteils gegen drei Teilnehmer des rechtsgerichteten Kapp-Putsches: Auf der einen Seite betonte das Reichsgericht, die Bestimmungen über den Hochverrat schützten die jeweils gültige Verfassung des Deutschen Reichs und damit auch die Weimarer Reichsverfassung vom 11. August 1919. Ferner dürften tatsächliche oder vermeintliche politische Mißstände nicht mittels Staatsstreich beseitigt werden, denn der Satz "Der Zweck heilige die Mittel" sei mit den Vorschriften über Hochverrat unvereinbar. Auf der anderen Seite kam es nur zu einer einzigen Verurteilung - der Innenminister der Putschregierung Traugott von Jagow wurde lediglich zur Mindesstrafe von fünf Jahren Festungshaft (die mildeste und ehrenhafteste Form der Freiheitsentziehung bei Vergehen und Verbrechen) verurteilt. Bei der Strafzumessung führte das Reichsgericht u.a. aus (Zitat): "Bei der Strafzumessung sind dem Angeklagten, der unter dem Banne selbstloser Vaterlandsliebe und eines verführerischen Augenblicks dem Rufe von Kapp gefolgt ist, mildernde Umstände zugebilligt worden.(...) Eine fünfjährige Festungshaft erschien dem Verschulden des Angeklagten angemessen." Am gleichen Tag wurde das Strafverfahren gegen zwei Mitangeklagte eingestellt. Zur Begründung hieß es, sie hätten beim Putsch keine führende Rolle gespielt, so dass das Amnestiegesetz vom 04. August 1920 Anwendung finde. Die drei am 21. Dezember 1921 abgeschlossenen Strafverfahren waren überdies die einzigen Strafverfahren, die vor dem Reichsgericht gegen Teilnehmer dieses Putsches durchgeführt wurden (vgl. zum Kapp-Putsch-Prozess: Karl Brammer, Verfassungsgrundlagen und Hochverrat, Verlag für Politik und Wirtschaft, Berlin 1922).
Diese konservative Linie setzte das Gericht fort. So wurde beispielsweise Carl von Ossietzky in dem spektakulären Weltbühne-Prozess wegen Spionage am 23. November 1931 zu 18 Monaten Haft verurteilt, weil in seiner Zeitschrift ein Artikel erschienen war, der auf die geheime und rechtswidrige Aufrüstung der Reichswehr hingewiesen hatte (sog. Publizistischer Landesverrat) (vgl. zum Weltbühne-Prozess: a) Heinrich Hannover/Elisabeth Hannover-Drück, Politische Justiz 1918 - 1933, Lamuv Verlag Bornheim-Merten 1987, Seite 186 - 192 m. w. N.; b) die Ablehnung des Wiederaufnahmeverfahrens des Weltbühne-Prozesses durch einen Beschluss des Bundesgerichtshofs vom 03. Dezember 1992, siehe BGHSt 39, 75 - 87 m. w. N.).
Da zugleich der Gewalt von rechts nicht entschieden genug begegnet wurde bzw. diese insbesondere in den sogenannten Fememordverfahren in einigen Urteilen gerechtfertigt wurde, trugen dieser und ähnliche Prozesse zu dem Vorwurf bei, die Justiz sei in der Zeit der Weimarer Republik „auf dem rechten Auge blind“ gewesen.
In den zwanziger Jahren fanden vor dem Reichsgericht die Leipziger Prozesse statt. Allerdings erfolgte nur in wenigen Fällen eine Bestrafung deutscher Kriegsverbrechen. Viele Prozesse wurden eingestellt und von den wenigen Verurteilungen wurden später die Urteile gegen zwei Marineangehörige wegen der Versenkung eines englischen Lazarettschiffs heimlich aufgehoben.
Jedoch fielen in die gleiche Zeit einige bahnbrechende Entscheidungen im Gebiet des Zivilrechts. So wurde die Kategorie des „Wegfalls der Geschäftsgrundlage“(vgl. RGZ 100, 129 ff., Urt. vom 21. September 1920 "Dampfpreisfall") entwickelt, die dem Bürgerlichen Gesetzbuch bis dato unbekannt war – heute fester Bestandteil der Zivilrechtsordnung (vgl. der im Zuge der im Jahr 2002 in Kraft getretenen Schuldrechtsreform neugefasste § 313 BGB). Geradezu revolutionär war die unter dem Eindruck der Weltwirtschaftskrise (siehe auch Deutsche Inflation 1914 bis 1923) entwickelte Aufwertungsrechtsprechung, mit der sich das Reichsgericht erstmals die Befugnis zusprach, Gesetze auf ihre Gültigkeit zu überprüfen (vgl. RGZ 111, 320, 323, Urt. vom 04. November 1925), was dazu führte, das der bis dahin anerkannte Mark-gleich-Mark-Grundsatz (Nennwertgrundsatz, Nominalismus) wegen der galoppierenden Inflation aufgegeben wurde (vgl. zu dieser Problematik: Knut Wolfgang Nörr, Der Richter zwischen Gesetz und Wirklichkeit - Die Reaktion des Reichsgerichts auf die Krisen von Weltkrieg und Inflation, und die Entfaltung eines neuen richterlichen Selbstverständnisses, Verlag C. F. Müller, Heidelberg 1996, ISBN 3-8114-5096-4).
[Bearbeiten] Nationalsozialismus
Der Machtergreifung Hitlers und der zahlreichen illegalen Gewaltakte stellte sich das Reichsgericht nicht entgegen. Vielmehr verstrickte es sich tief in das nationalsozialistische Unrechtsregime, etwa als es im Prozess um den Reichstagsbrand den holländischen Kommunisten Marinus van der Lubbe rechtswidrig zum Tode verurteilte. Trotz dieses Urteils war der neuen Staatsführung die Rechtsprechung dieses Gerichts ein Dorn im Auge, sprach es doch die sonstigen Mitangeklagten frei und widerlegte damit die öffentliche Behauptung Hermann Görings, dass ein kommunistischer Umsturzversuch im Gange sei. Unter anderem deshalb wurde dem Reichsgericht im Jahre 1934 durch das Gesetz zur Errichtung des Volksgerichtshofs die Zuständigkeit in Hoch- und Landesverratssachen entzogen.
[Bearbeiten] Eherecht
Auch im Bereich des Zivilrechts war die Verstrickung tief. Beispielhaft sei hier eine Entscheidung aus dem Jahre 1935 herausgegriffen, in der das Reichsgericht urteilte (Fundstelle: RGZ 147, 65, 68):
Beizutreten ist dem Spruchausschuß darin, daß bei der grundlegenden Bedeutung der Rassenfrage im nationalsozialistischen Staat die Heranbildung des jungen Menschen arischer Abstammung zu einem art- und rassebewußten Volksgenossen einen untrennbaren Bestandteil des Erziehungswerkes bildet und daß diese Heranbildung nicht gewährleistet ist, wenn zwar die Pflegemutter, nicht aber der Pflegevater arischer Abstammung ist.
In Form von Rechtsfortbildung erkannte das Reichsgericht 1935 (noch vor Erlass der Nürnberger Gesetze) die Tatsache, dass der Ehepartner Jude war, als Eheanfechtungsgrund an, obwohl eine förmliche Rechtsgrundlage für derartige Ehebeendigungen erst mit dem 1938 verkündeten Ehegesetz geschaffen wurde.
[Bearbeiten] Vertragsrecht
Zur Deutung oder Umdeutung von Verträgen mit Juden :
Die frühere („liberale“) Vorstellung vom Rechtsinhalte der Persönlichkeit machte unter den Wesen mit Menschenantlitz keine grundsätzlichen Wertunterschiede nach der Gleichheit oder Verschiedenheit des Blutes. ... Der nationalsozialistischen Weltanschauung dagegen entspricht es, im Deutschen Reiche nur Deutschstämmige (und gesetzlich ihnen Gleichgestellte) als rechtlich vollgültig zu behandeln. Damit werden grundsätzliche Abgrenzungen des früheren Fremdenrechts erneuert und Gedanken wiederaufgenommen, die vormals durch die Unterscheidung zwischen voll Rechtsfähigen und Personen minderen Rechts anerkannt waren. Den Grad völliger Rechtlosigkeit stellte man ehedem, weil die rechtliche Persönlichkeit ganz zerstört sei, dem leiblichen Tode gleich; die Gebilde des „bürgerlichen Todes“ und des „Klostertodes“ empfingen ihre Namen aus dieser Vergleichung. Wenn in Nr. 6 des Manuskriptvertrages v. 24.Febr.1933 davon die Rede ist, dass Ch. „durch Krankheit, Tod oder ähnlichem Grund nicht zur Durchführung seiner Regietätigkeit imstande sein sollte“, so ist unbedenklich eine aus gesetzlich anerkannten rassepolitischen Gesichtspunkten eingetretene Änderung in der rechtlichen Geltung der Persönlichkeit dem gleichzuachten, sofern sie die Durchführung der Regietätigkeit in entsprechender Weise hindert, wie Tod oder Krankheit es täte.“ (Urteil RG v. 27. Juni 1936; der Fall Charell; nach Forum Justizgeschichte e.V. Dieses Urteil des RG ist veröffentlicht worden in der Juristischen Wochenschrift (JW) 1936, Seite 2529 ff.)
Die Entrechtung der jüdischen Bevölkerung vollzog sich dabei auf zivilrechtlichem Weg unter Förderung durch das Reichsgericht, die juristischen Werkzeuge waren Umdeutung und Auslegungsspielraum.
Die Entscheidungspraxis des Reichtsgerichts kann auch als eine Verschäftung der Urteilspraxis gesehen werden, siehe Artikel Sondergericht
[Bearbeiten] Präsidenten des Reichsgerichtes
Nr. | Name | Amtsantritt | Ende der Amtszeit |
---|---|---|---|
1 | Eduard von Simson (1810–1899) | 1. Oktober 1879 | 1. Februar 1891 |
2 | Otto von Oehlschläger (1831–1904) | 1. Februar 1891 | 1. November 1903 |
3 | Karl Gutbrod (1844–1905) | 1. November 1903 | 17. April 1905 |
4 | Rudolf Freiherr von Seckendorff (1844–1932) | 18. Juni 1905 | 1. Januar 1920 |
5 | Heinrich Delbrück (1855–1922) | 1. Januar 1920 | 3. Juli 1922 |
6 | Walter Simons (1861–1937) | 16. Oktober 1922 | 1. April 1929 |
7 | Erwin Bumke (1874–1945) | 1. April 1929 | 20. April 1945 |
[Bearbeiten] Abschaffung des Reichsgerichtes durch die Alliierten
Mit dem Zusammenbruch des Dritten Reichs wurde 1945 das Reichsgericht durch die Alliierten aufgelöst (vgl. Art. 1 Abs. 2 des Gesetzes Nr. 2 der Militärregierung Deutschland, Kontrollgebiet der einundzwanzigsten Armeegruppe, Amtsblatt Nr. 3, Seite 4) und nicht wieder errichtet. Damit stand in vielen Fällen die prozessrechtlich vorgesehene letzte Instanz bis auf weiteres nicht mehr zur Verfügung. Der letzte Präsident, Erwin Bumke, hatte noch vor dem Einrücken der amerikanischen Armee in Leipzig Suizid verübt. Ab dem 25. August 1945 wurden in Leipzig 37 Richter des Reichsgerichts (mehr als ein Drittel des Gesamtbestandes) vom russischen Geheimdienst NKWD verhaftet und ohne Gerichtsverfahren zunächst im Leipziger Gerichtsgefängnis inhaftiert. Später wurden die Richter in das ehemalige Kriegsgefangenenlager Mühlberg/Elbe und im Herbst 1948 in das ehemalige KZ Buchenwald verlegt. Als von Januar 1950 bis 1955 die Entlassungen erfolgten, hatten nur vier Richter des Reichsgerichts überlebt, die übrigen Richter waren verhungert bzw. aufgrund von Krankheiten gestorben. Zu den Überlebenden zählte auch Reichsgerichtsrat August Schaefer, der später über die Lagerzeit einen Bericht verfasste (vgl. Das große Sterben im Reichsgericht, Deutsche Richterzeitung 1957, Seite 249, 250).
In den einzelnen Besatzungszonen wurden vorübergehend Oberste Gerichtshöfe gebildet. 1950 übernahm für die Bundesrepublik Deutschland der neu gegründete Bundesgerichtshof die Aufgaben des Reichsgerichts. Ehemalige Richter des Reichsgerichts gehörten zu den ersten Richtern des Bundesgerichtshofes. In der DDR wurde diese Aufgabe durch das Oberste Gericht wahrgenommen.
[Bearbeiten] Heutige Nutzung der Liegenschaft
Nach der Deutschen Wiedervereinigung wurde das höchste bundesdeutsche ordentliche Gericht, der Bundesgerichtshof, nicht an den ehemaligen Standort des Reichsgerichts verlagert. Ausschlaggebend für diese Entscheidung des Deutschen Bundestages waren politische Standorterwägungen im föderalen Verteilungskampf der Bundesländer. Das vorbildlich restaurierte Gerichtsgebäude des ehemaligen Reichsgerichts in Leipzig wird heute zweckentsprechend vom Bundesverwaltungsgericht genutzt.
Die Entscheidung des Bundestages, das Gebäude nicht für den Bundesgerichtshof zu nutzen, wurde zudem damit begründet, dass das Reichsgericht eng mit dem nationalsozialistischen Unrechtsstaat verstrickt gewesen sei. Gleichwohl betrachtet sich der Bundesgerichtshof als legitimer Inhaber der Bibliothek des Reichsgerichts, die nur zu Teilen in das Bundesverwaltungsgericht in Leipzig zurückgekehrt ist.
[Bearbeiten] Literatur
- Prof. Dr. Arno Buschmann: 100 Jahre Gründungstag des Reichsgerichts, Neue Juristische Wochenschrift (NJW) 1979, Seite 1966 bis 1973
- Thomas G. Dorsch: Der Reichsgerichtsbau in Leipzig. Anspruch und Wirklichkeit einer Staatsarchitektur. Frankfurt am Main 1999. ISBN 3631350600 (Zugl.: Marburg, Univ., Diss., 1998)
- Friedrich Karl Kaul: Geschichte des Reichsgerichts Band IV (1933 - 1945), Verlag Detlev Auvermann KG, Glashütte im Taunus, 1971
- Dr. Klemens Kelmmer: Das Reichsgericht in Leipzig, Deutsche Richterzeitung (DRiZ) 1993, Seite 26 bis 31
- Dr. Dieter Kolbe: Reichsgerichtspräsident Dr. Erwin Bumke. Studien zum Niedergang des Reichsgerichts und der deutschen Rechtspflege. Karlsruhe, 1975, ISBN 3811400266
- Dr. Adolf Lobe: 50 Jahre Reichsgericht, Verlag Walter de Gruyter & Co, Berlin/Leipzig 1929
- Erich Loest: Reichsgericht. ISBN 3861520036.
- Ingo Müller: Kein Grund zur Nostalgie: das Reichsgericht. in: Betrifft Justiz 2001, S. 12–18 mwN
- Kai Müller: Der Hüter des Rechts: Die Stellung des Reichsgerichts im Deutschen Kaiserreich 1879 - 1918, 1. Aufl. Nomos Verlagsgesellschaft, Baden-Baden,1997, zugleich: Universität Hannover, Dissertation, 1997, ISBN 3-7890-5052-0; die Seiten 115 bis 124 enthalten Kurzbiographien der ersten vier Reichsgerichtspräsidenten
- Gerhard Pauli: Die Rechtsprechung des Reichsgerichts in Strafsachen zwischen 1933 und 1945 und ihre Fortwirkung in der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofes, 1992, ISBN 3-11-013024-6
- Gerd Pfeiffer: Reichsgericht und Rechtsprechung. 1979
- Bernd-Rüdiger Kern/Adrian Schmidt-Recla (Hrsg.), 125 Jahre Reichsgericht, Berlin 2006, ISBN 3-428-12105-8
[Bearbeiten] Entscheidungssammlungen
- Entscheidungen des Reichsgerichts in Zivilsachen (RGZ)
- Entscheidungen des Reichsgerichts in Strafsachen (RGSt)
Eduard von Simson | Otto von Oehlschläger | Karl Gutbrod | Rudolf von Seckendorff | Heinrich Delbrück | Walter Simons | Erwin Bumke
Koordinaten: 51° 19' 59" n. Br., 12° 22' 11" ö. L.