Melodram (Musik)
aus Wikipedia, der freien Enzyklopädie
Melodram (griech. melos: Klang, Weise, drama: Handlung) bezeichnet in der Musik ein Werk oder einen Teil davon, in dem sich gesprochener Text, Gestik und Instrumentalmusik abwechseln oder überlagern, ohne dass gesungen wird wie in der Oper, abgesehen von eventuellen Begleitchören.
Inhaltsverzeichnis |
[Bearbeiten] Ursprünge
Heute wird meist die Unterlegung von gesprochenen Texten mit Musik als Melodram bezeichnet. Im 18. Jahrhundert, als das moderne Melodram entstand, lag das Schwergewicht aber eher auf einer Verbindung von tänzerischer oder pantomimischer Gestik mit Musik.
In der altgriechischen Tragödie war das rhythmische Sprechen der Darsteller möglicherweise mit Musik unterlegt. Vorläufer des Melodramatischen könnten die Reden zur Musik in William Shakespeares Theaterstücken sein. Eine ähnliche Tradition existierte in den protestantischen Schuldramen, die teilweise mit improvisierter Musik begleitet wurden.
Wahrscheinlicher jedoch ist die Herkunft von der Ballettmusik und den Pantomimen des 18. Jahrhunderts, wie sie etwa auf den Pariser Jahrmärkten zu hören und zu sehen waren.[1]
[Bearbeiten] Das Melodram als darstellerisches Experiment
Die Entstehung des modernen Melodrams etwa seit 1760 steht im Zusammenhang mit einer Neubewertung der Künste als Überwindung barocker Vanitas-Motive. Als Haupteigenschaft des Musikalischen wurde nicht mehr das Verklingende, sondern das Belebende gesehen (siehe Vanitas#Moderner Wandel).
Jean-Jacques Rousseaus Pygmalion (1762, aufgeführt 1770) gilt als erstes eigenständiges Melodram. Hier dient die Musik, noch vom Text getrennt, als Untermalung der dramatischen Pantomime zwischen den gesprochenen Abschnitten.
In Georg Anton Bendas Melodramen (z. B. Ariadne auf Naxos, 1774), werden gesprochene Sprache und Bewegung, ähnlich einem Rezitativ, von zugleich erklingender dramatischer Musik untermalt. Auch Johann Wolfgang von Goethe schrieb ein Melodram Proserpina, das von Franz Carl Adelbert Eberwein vertont wurde.
Beim Phänomen des Melodrams lassen sich Medienwechsel beliebter Stoffe beobachten: Die Ballade Lenardo und Blandine von Gottfried August Bürger wurde von Joseph Franz von Götz zu einem Melodram umgestaltet und von Peter von Winter vertont. Götz gab eine Folge von Kupferstichen heraus, mit der er die Handlung als Bildergeschichte illustrierte. Die Mode flaute bald ab, doch vor allem Bendas Melodramen waren bis ins 19. Jahrhundert hinein beliebt.
Die große Öffentlichkeit der Pariser Jahrmarktsattraktionen wurde in deutschen Höfen und Kleinstädten zur Exklusivität eines Kammerspiels gemacht. Doch diese scheinbare Intimität ließ sich nicht halten. Nach der Französischen Revolution ging das Melodrama in der gering geschätzten populären Theatergattung Melodram auf, die am Boulevard du Temple gegeben wurde, und verlor durch diese Kommerzialisierung gewissermaßen seine experimentelle Attraktivität.[2] Die melodramatische Musik behielt fortan den Anstrich des Vulgären, obwohl ihre Popularität immer eine Faszination ausübte. Viele Partituren der Pariser Melodramen etwa von Pixérécourt sind in der dortigen Bibliothèque de l'Opéra erhalten. Ihre Tendenz zur diskreten Hintergrundmusik mit Bevorzugung des Streicher-Tremolos scheint schon auf die Filmmusik vorauszuweisen.[3]
[Bearbeiten] Melodramatische Abschnitte im Musiktheater
Theatermelodramen als Spektakelstücke nach dem Pariser Vorbild, wie man sie auf der Bühne des Théâtre de l’Ambigu-Comique sehen konnte, waren eine Mischung aus Ballett, Schauspiel und Oper (siehe Melodram (Theater)). Es gab sie ebenfalls im deutschen Sprachgebiet, oft auch mit größerem Stellenwert des Musikalischen, aber aufgrund ihrer Geringschätzung sind sie kaum mehr bekannt. Interessant ist ihre Musik vor allem dort, wo sie mehr pantomimisch und charakteristisch wirkt als tänzerisch.
Ignaz von Seyfried (Der Hund des Aubry, 1815) oder Adolf Bernhard Marx (Die Rache wartet, 1829) schrieben in großem Umfang Melodram-Musik für populäre Stücke.
Das Theater an der Wien gehörte im 19. Jahrhundert zu den Theatern mit der besten Bühnentechnik und war für sie ein geeigneter Ort. Beispiele für dort uraufgeführte Melodramen sind Franz Schuberts Die Zauberharfe (1820) und Franz von Suppés Der Tannenhäuser (1852).
Üblich war es, melodramatische Nummern in Opern einzugliedern. Die Entwicklung von Melodram und Recitativo accompagnato Ende des 18. Jahrhunderts scheint parallel zu verlaufen. In beiden Fällen wird ein Gesagtes „gestisch“ gedeutet. Schon in Mozarts Singspiel-Fragment Zaïde (ca. 1780) kommen zwei Melolog genannte Nummern vor. Als Reflex auf populäre Theatermelodramen war Daniel François Esprit Aubers Die Stumme von Portici (1828) gedacht, eine Oper, die ausgedehnte gestische Musikpassagen zur Charakterisierung der stummen Hauptfigur enthält, die als Sozialkritik verstanden wurden und die belgische Revolution von 1830 entfacht haben sollen.
Berühmt geworden sind aber vor allem zwei Opernmelodramen: Das eine befindet sich in der Kerkerszene von Beethovens Fidelio (1806/14), wo das Sprechen als Steigerung zum Singen angewandt wird: Leonore soll für ihren eigenen Mann das Grab schaufeln – die bedrückte Stimmung findet keinen gesungenen Ausdruck. Das andere ist die Wolfsschlucht-Szene in Webers Freischütz (1821), wo die dämonische Kälte von Max und Samiel (dieser hat eine reine Sprechrolle) durch Nicht-Singen ausgedrückt wird.
Richard Wagner hat offenbar wesentliche Anregungen für seine Musikdramen seit Ende der 1830er Jahre von den Melodramen der Pariser Boulevardtheater empfangen.
Die Melodramen von Igor Stravinski Histoire du Soldat (1918) und Perséphone (1934) bewegen sich zwischen Ballett-Pantomime und Oratorium. Auch Arthur Honeggers Amphion (1929) kann in diesem Umkreis gesehen werden.
Die Komponisten der Zweiten Wiener Schule entwickelten einen rhythmisch festgelegten Sprechgesang, dessen Tonhöhen nur teilweise notiert sind und nur annähernd als Sprachmelodie wiedergegeben werden sollen. Beispiele hierfür finden sich in Alban Bergs Opern Wozzeck (1925) und Lulu (1937) sowie in Arnold Schönbergs Oper Moses und Aron (1954), in der die Titelfiguren durch Sprechgesang und gesungene Kantilene charakterisierend voneinander abgesetzt werden und der brennende Dornbusch unter anderem von einem Sprechchor realisiert wird.
Auch in Operette oder Singspiel finden sich oft Melodramen an den Höhepunkten, erwähnt sei hier die Schlüsselszene in Franz Lehárs Die lustige Witwe (1905), ebenso in Brechts/Weills Dreigroschenoper (1928, Melodram zwischen Mackie und Polly). Im Musical und auch im Schauspiel (siehe Bühnenmusik) ist das Melodram ein häufiges Stilmittel.
[Bearbeiten] Konzertmelodramen
Franz Schubert oder Franz Liszt, auch Robert Schumann und Johannes Brahms haben kürzere Konzertmelodramen mit Klavierbegleitung geschrieben. Der böhmische Komponist Zdeněk Fibich versuchte das Melodram zu einer eigenständigen musikalischen Gattung zu machen. Aber erst im 20. Jahrhundert gelang es, das Konzertmelodram von seiner Geringschätzung zu befreien.
Arnold Schönberg verwendete im Monodrama Erwartung und in Pierrot Lunaire eine ausgeklügelte Notation für die Sprechstimme, in der Tonhöhen angedeutet sind, die aber keinesfalls ausgesungen werden, sondern im Sprechton erklingen sollen. – Richard Strauss hat Alfred Tennysons Gedicht Enoch Arden zu einem Klaviermelodram verarbeitet.
[Bearbeiten] Filmmusik
Im weiteren Sinne kann man manche Szene im Film, die mit gestischer Filmmusik unterlegt ist, als Melodram betrachten. Die Musikbegleitung im Stummfilm und im populären Bühnenmelodrama hängen eng zusammen: In Londoner Theatern spielten die Begleitpianisten der Bühnenmelodramen vor dem Ersten Weltkrieg zunehmend auch zu Filmen.[4]
Richard Strauss stellte für die Stummfilmversion seiner Oper Der Rosenkavalier (1926) eine melodramatische Musik zusammen. Auch die aufgezeichnete Hintergrundmusik im frühen Tonfilm wurde von Komponisten und Theaterkapellmeistern wie dem Wiener Max Steiner geprägt, die Erfahrungen mit melodramatischer Bühnenmusik hatten. Insofern gibt es eine historische Verbindung zwischen Bühnen- und Filmmusik.
[Bearbeiten] Einzelnachweise
- ↑ Henri Lagrave: "La pantomime à la foire, au Théâtre-Italien et aux boulevards (1700–1789)", in: Romanistische Zeitung für Literaturgeschichte 79:1980, S. 408–430
- ↑ Nicole Wild: "La musique dans le mélodrame des théâtres parisiens", in: Peter Bloom (Hg.): Music in Paris in the Eighteen-Thirties. Stuyvesant (NY): Pendragon 1987, S. 589–610
- ↑ Emilio Sala: L'opera senza canto: il mélo romantico e l'invenzione della colonna sonora. Venedig: Marsilio 1995
- ↑ avid Mayer: Four Bars of ’Agit’. Incidental Music for Victorian and Edwardian Melodrama. London: Samuel French 1983
[Bearbeiten] Literatur
- Jan van der Veen: Le mélodrame musical de Rousseau au romantisme. Ses aspects historiques et stylistiques. Den Haag: Nijhoff 1955
- James L. Smith: Melodrama. London: Methuen 1973
- Emilio Sala: L'opera senza canto: il mélo romantico e l'invenzione della colonna sonora. Venedig: Marsilio 1995
- Hubert Holzmann: Pygmalion in München. Richard Strauss und das Konzertmelodram um 1900. Erlangen: Mayer 2003. ISBN 3925978755