Gleichschaltung
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Unter Gleichschaltung wird die Einschränkung oder der Verlust der individuellen Persönlichkeit beziehungsweise der Unabhängigkeit, Mündigkeit und Freiheit eines Menschen durch Regeln und Gesetze sowie sonstige Maßnahmen der Gleichsetzung und Vereinheitlichung der Massen verstanden. Im Besonderen handelt es sich um ein Wort aus der nationalsozialistischen Terminologie, der den Prozess der Vereinheitlichung des gesamten gesellschaftlichen und politischen Lebens – also das öffentliche und das private Leben – in Deutschland zwischen 1933 und 1934 bezeichnet.
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[Bearbeiten] Entstehung
Der Begriff wurde 1933 durch den Reichsjustizminister Franz Gürtner verwendet und geprägt. Als Datum der erstmaligen offiziellen Verwendung kann der 31. März 1933 gesehen werden. An diesem Tag trat das Erste Gleichschaltungsgesetz in Kraft, mit dem die deutschen Länder ihre politische Souveränität verloren. Mit diesem Gesetz wurde der Begriff zu einem Synonym für die Maßnahmen der nationalsozialistischen Führung gegen Opposition, andere Parteien, Vereine usw. Gleichschaltung bezeichnet damit nicht nur die administrativen Maßnahmen, sondern steht auch für den damit verbundenen Terror.
[Bearbeiten] Wichtige Schritte der Gleichschaltung
Ausgangspunkt waren die zwei Gleichschaltungsgesetze vom 31. März 1933 und vom 7. April 1933, mit denen zuerst die Länder ihrer relativen Souveränität beraubt wurden und später die Entsendung von Reichsstatthaltern beschlossen wurde. Einen entscheidenden Schritt stellte dann das Gesetz über den Neuaufbau des Reichs vom 30. Januar 1934 dar, mit dem der Entzug der Hoheitsrechte der Länder vollendet wurde. Es wirkte sich unmittelbar auf den Einzelnen insofern aus, als mit der sich aus dem Gesetz ergebenden Neuregelung der Staatsangehörigkeit mit Verordnung vom 5. Februar 1934 der Eintrag in den Standesregistern zu lauten hatte: deutsche Staatsangehörigkeit. Bis dahin verliehen die Länder ihre jeweilige Staatsangehörigkeit, so dass es in Deutschland Bayern, Braunschweiger, Badener, Preußen, Sachsen usw. gab, aber trotz des seit 1871 bestehenden deutschen Nationalstaates noch keine als Deutsche ausgewiesenen Staatsbürger. Der Abschluss der „Gleichschaltung der Länder“ kann auf den 14. Februar 1934 mit der Auflösung des Reichsrates und der Übernahme der Landesjustizverwaltungen datiert werden.[1] Legalisiert wurde die „Gleichschaltung der Länder“ über § 2 der Reichstagsbrandverordnung, wonach die Reichsregierung in die Kompetenzen der Länder eingreifen konnte, sofern diese nicht für Ordnung und Sicherheit sorgen konnten. Die „Gleichschaltung von Partei und Staat“ erfolgte am 1. August 1934 mit der Auflösung aller Parteien und der Erklärung der NSDAP zur Körperschaft öffentlichen Rechts. Zudem wurde das Amt des Reichspräsidenten mit dem des Reichskanzlers verschmolzen.[2] Weitere bedeutende Maßnahmen der Gleichschaltung war die Beseitigung der pluralen Gesellschaft mit der Auflösung der Gewerkschaften in die Deutsche Arbeitsfront und der Zwangsvereinigung der Agrarverbände in den Reichsnährstand. Mit der Ernennung von Joseph Goebbels zum Reichsminister für Volksaufklärung und Propaganda am 13. März 1933 wurde zudem mit der Errichtung der Reichskulturkammer die Gleichschaltung des kulturellen Lebens begonnen.
Die entscheidende Voraussetzung für die Maßnahmen war das Ermächtigungsgesetz vom 23. März 1933, das Hitler gesetzgeberische und vertragliche Vollmachten verschaffte, die er dann zur weiteren Beseitigung des Pluralismus und der Demokratie einsetzte. Auf die Gleichschaltung reagierten die betroffenen Vereine und Organisationen oftmals mit einer nachgiebigen Position, um einem Verbot und der Auflösung zu entgehen. Beispiele dafür sind z. B. der Allgemeine Deutsche Gewerkschaftsbund[3] oder die Organisationen der Arbeiterkultur.
[Bearbeiten] Beispiele
Mit der Gleichschaltung wurden auch unpolitische Menschen, z. B. die im ADAC organisierten Kraftfahrer im gleichgeschalteten Nationalsozialistischen Kraftfahrer-Korps (NSKK), erfasst und ideologisch beeinflusst. Andere Beispiele sind der „Stahlhelm, Bund der Frontsoldaten“, der 1934 gleichgeschaltet wurde, sowie die Studentenverbindungen, die entweder aufgelöst oder als sogenannte Kameradschaften dem Nationalsozialistischen Deutschen Studentenbund (NSDStB) angegliedert wurden.
Ein weiterer wichtiger Aspekt ist die Gleichschaltung der Medien, insbesondere der Zeitungen und Zeitschriften und die Aufhebung der Pressefreiheit. Weiterhin vergab die Reichsschrifttumskammer das „Recht zur weiteren Berufsausübung“ an Schriftsteller, wobei „Nichtarier“ ab 1934 konsequent ausgeschlossen wurden. Literatur wurde unter bestimmte Themenvorgaben gestellt, wie z. B. Blut- und Bodenideologie, Krieg und soldatisches Heldentum, sowie Volksgemeinschaft. Unpassende Bücher wurden aus Bibliotheken entfernt und am 10. Mai 1933 wurden in einer „Aktion wider den undeutschen Geist“ der Deutschen Studentenschaft zehntausende Bücher öffentlich verbrannt.
Weitere Beispiele für die Durchdringung der Gesellschaft sind die Hitler-Jugend (HJ), die als einzige anerkannte Jugendorganisation agieren durfte und der ihr untergliederte Bund Deutscher Mädel (BDM).
[Bearbeiten] Die so genannten Volksdeutschen
Mit der Neuordnung der deutschen Staatsangehörigkeit dürfte sich die in der nationalsozialistischen Volkstumspolitik zur Vollendung kommende Vereinheitlichung dessen, was unter einem „Deutschen“ zu verstehen sei, am folgenreichsten ausgewirkt haben. Diese Frage war zunächst nach dem Ersten Weltkrieg zu einer nationalstaatlichen aufgewertet worden, als nach dem mit den in Ostmitteleuropa neu gegründeten Nationalstaaten deren deutschsprachige Minderheiten der jeweiligen Nationalität zugeschlagen wurden. Sie galten jetzt von Deutschland aus in vereinheitlichender Terminologie im Unterschied zu den „Reichsdeutschen“ als „Volksdeutsche“. So ebnete der 1933 aus dem Zusammenschluss verschiedener landsmannschaftlicher Vereinigungen zustande gekommene Bund Deutscher Osten alle geografischen, historischen, siedlungsgeschichtlichen Besonderheiten der weit voneinander getrennten Siedlungsgebiete und ihrer Bevölkerungen ein, indem, wie der Name zeigte, der Osten jenseits der Reichsgrenzen verallgemeinernd zu einem „deutschen“ erklärt wurde. In die Fassung des Generalplans Ost vom Dezember 1942 wurden dann über die östlichen Siedlungsgebiete hinaus alle Regionen in Europa einbezogen, in denen „volksdeutsche“ Minderheiten lebten, die dem „Heiligen germanischen Reich deutscher Nation“ (Heinrich Himmler 1942; vgl. Heiliges Römisches Reich Deutscher Nation) zugeschlagen werden sollten.
[Bearbeiten] Problematik der Verwendung des Begriffs
Wie alle Begriffe, die durch die nationalsozialistischen Machthaber selbst geschaffen und geprägt wurden, ist auch der Begriff der Gleichschaltung in seiner Verwendung äußerst problematisch. Imanuel Geiss bezeichnet ihn als „verharmlosende Umschreibung für die faktische Unterwerfung aller Organe und relevanten Gruppen unter die NS-Herrschaft.“ [4] Entsprechende Vorsicht muss bei der Verwendung des Begriffs angewandt werden, ähnlich der Problematik mit dem Begriff „Machtübernahme“, um die verharmlosende Intention nicht zu tradieren. Ein gängiges Mittel dazu ist die Verwendung von Anführungszeichen. [5]
[Bearbeiten] Verwendung des Begriffs für die Zeit nach 1945
Die Verwendung des Begriffs „Gleichschaltung“ für die Zeit nach dem Nationalsozialismus kann immer wieder beobachtet werden. Bei der Durchsicht der einschlägigen wissenschaftlichen Literatur lässt sich aber feststellen, dass aufgrund oben genannter Problematik die Verwendung des Begriffs für Vorgänge nach 1945 keinen Eingang in den herrschenden wissenschaftlichen Diskurs gefunden hat. [6] Vielmehr ist es ein Phänomen der Alltagssprache oder gelegentlich des Histotainment. [7] Entsprechend kennt ein maßgebliches Nachschlagewerk der Geschichtswissenschaft den Begriff auch ausschließlich aus der Zeit des Nationalsozialismus. [8] In der Alltagssprache wird der Begriff jedoch gelegentlich für die Vorgänge der Vereinheitlichung des politischen und gesellschaftlichen Lebens in der sowjetischen Einflusszone nach 1945 genannt. Aufgrund eines semantischen Positivismus wird Gleichschaltung nicht als feststehender Begriff für die Vorgänge zwischen 1933 und 1934 gesehen, sondern als Synonym für „Gleichmacherei“, „Vereinheitlichung“ usw.
Ein anderer Bereich für die Verwendung des Begriffs für die Zeit nach 1945 ist die primär ideologisch motivierte Literatur der Zeit des Ost-West-Konlikts. [9]
[Bearbeiten] Gesetze
- Ermächtigungsgesetz, 23. März 1933
- Erstes Gleichschaltungsgesetz, 31. März 1933 („Vorläufiges Gesetz zur Gleichschaltung der Länder mit dem Reich“)
- Zweites Gleichschaltungsgesetz, 7. April 1933
- Ermächtigungsgesetz gegen die Neubildung von Parteien vom 14. Juli 1933
- Reichskulturgesetz, 22. September 1934
[Bearbeiten] Fußnoten
- ↑ Brockhaus Geschichte, S. 300, Sp. 1, Mannheim/Leipzig 2003
- ↑ Brockhaus Geschichte, S. 300, Sp. 1, Mannheim/Leipzig 2003
- ↑ Klaus Hildebrand, Das Dritte Reich,(Oldenbourg Grundriss der Geschichte Bd. 16), München 2003, S. 9
- ↑ Imanuel Geiss: Geschichte griffbereit – 4. Begriffe. Art. Gleichschaltung, Gütersloh 2002, S. 975
- ↑ siehe Klaus Hildebrand, Das Dritte Reich, S. 1 ff.; OGG wird als Einführung in die verschiedenen historischen Epochen für Studierende der Geschichtswissenschaft verwendet und kann damit in der Verwendung von Begrifflichkeiten und der Darstellung der gängigen Thesen als maßgeblich angesehen werden.
- ↑ eine der äußerst seltenen Ausnahmen: Stefan Creuzberger, Manfred Görtemaker (Hg.), Gleichschaltung unter Stalin? – Die Entwicklung der Parteien im östlichen Europa 1944–1949, Paderborn u.a. 2002; in diesem Werk findet jedoch trotz des Titels keinerlei begriffsgeschichtliche Auseinandersetzung statt. Einer der Autoren setzt in seinem Artikel „Gleichschaltung“ jedoch in Anführungszeichen.
- ↑ siehe auch das hebräische Wort „גלייכשאלטונג“, das lediglich den deutschen Begriff in die hebräische Schrift transkribiert
- ↑ Der Große Plötz – Die Datenenzyklopäde der Weltgeschichte, Freiburg 1998, S. 893 ff. und S. 903
- ↑ vgl. Harald Krieg, L(iberal-) D(emokratische) P(artei Deutschlands) und NDP in der „DDR“ [sic!] 1949–1958, Köln 1965.
[Bearbeiten] Siehe auch
[Bearbeiten] Literatur
- Karl Dietrich Bracher u.a. (Hrsg.): Die nationalsozialistische Machtergreifung.
- D. Erb (Hg), Gleichgeschaltet. Der Nazi-Terror gegen Gewerkschaften und Berufsverbände 1930 bis 1933. Eine Dokumentation. Göttingen 2001
- Martin Broszat: Der Nationalsozialismus. Weltanschauung, Programm und Wirklichkeit.
- Kurt Sontheimer: Antidemokratisches Denken in der Weimarer Republik. (Zu den Voraussetzungen der Selbstgleichschaltung.)