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Gesamtschule – Wikipedia

Gesamtschule

aus Wikipedia, der freien Enzyklopädie

Die Gesamtschule ist eine Form der Schule, bei der die Differenzierung in die Schule verlagert wird und nicht mehr zwischen verschiedenen Schulformen besteht.

Inhaltsverzeichnis

[Bearbeiten] Einführung

Die Gesamtschule in Deutschland ist eine Form der weiterführenden Schule, die Kinder nach der Grundschule mindestens bis zur 9. oder 10. Klasse besuchen können. Sie ist in mehreren Bundesländern eine Alternative zum traditionellen dreigliedrigen Schulsystem (mit Hauptschule, Realschule, Gymnasium) geworden. Der wesentliche Unterschied zum herkömmlichen Schulsystem besteht darin, dass bei der Gesamtschule die Differenzierung in die Schule verlagert wird und nicht mehr zwischen verschiedenen Schulformen besteht. Nach der 10. Klasse kann an die Gesamtschule eine gymnasiale Oberstufe anschließen, während ein Teil der Schüler in berufliche Ausbildungsgänge außerhalb der Gesamtschule wechselt.

Wird die Gesamtschule nicht neben dem dreigliedrigen Schulsystem, sondern als alleinige Schulform mindestens bis zur 9. Klasse etabliert, wird im 20. Jahrhundert meist nicht von "Gesamtschule", sondern von Einheitsschule gesprochen. Im Rahmen der Bestrebungen, nach PISA das Schulsystem effektiver zu gestalten, wird diskutiert, die Grundschulzeit auf sechs Jahre zu verlängern und diese Schule dann Gemeinschaftsschule zu nennen.

In Österreich gibt es zur Zeit – außer Alternativschulkonzepten – keine Gesamtschule. Lediglich in Wien gibt es seit 1972 einige Gesamtschulen, die im Rahmen eines Schulversuchs von 1972 eingerichtet wurden. Dieser Schulversuch war ursprünglich auf zehn bis fünfzehn Jahre geplant, 1986 wurde er jedoch auf unbestimmte Zeit verlängert. Dadurch haben die wenigen Wiener Gesamtschulen jedoch keinen offiziellen Status (offiziell gelten sie als Hauptschulen) und könnten auch jederzeit beendet werden. Über eine dauerhafte Einführung der Gesamtschule parallel neben den anderen Schultypen wie Hauptschule und Gymnasium wird jedoch seit etwa 2004 viel diskutiert, ein entsprechender Beschluss wurde aber noch nicht gefasst.

Auch in der Schweiz gibt es kein entsprechendes Konzept. Unter Gesamtschule wird hier eine Dorfschule verstanden, in der die Schüler mehrerer Jahrgänge gemeinsam unterrichtet werden (vgl. Zwergschule).

[Bearbeiten] Ziele

Gesellschaftspolitisch soll das Konzept der Gesamtschule, verstärkt als Ganztagsschule, einer Entwicklung entgegen wirken, in der sich Schüler aus unterschiedlich sozialisierten Gesellschaftsgruppen (z. B. Akademiker, Arbeiter etc.) frühzeitig fremd werden. Heranwachsende mit schwachen Leistungen lernen mit und von leistungsmäßig besseren Schülern – und alle gemeinsam lernen, mit Mitmenschen aus allen Schichten umzugehen und diese bei Bedarf auch anzuleiten. Dieses Ziel wurde jedoch bisher nur ansatzweise erreicht, da die Gesamtschule zum einen mit dem mehrgliedrigen Schulsystem konkurriert und zum anderen die schichtspezifische Zusammensetzung einer Schulklasse sehr von der Struktur des Einzugsgebietes der Schule (Arbeitersiedlung, wohlhabender Vorort etc.) abhängt.

Ein politisches Ziel der Gesamtschule ist es, möglichst vielen Schülern einen höheren Bildungsabschluss zu ermöglichen. Kritiker wenden allerdings ein, dies gehe häufig mit einer Reduzierung des Niveaus einher.

Deutlich zu sagen ist, dass die Schulform der Gesamtschule besondere didaktische Kompetenzen der Lehrer erfordert: Denn wenn eine äußere Differenzierung nach Leistung entfällt, muss sich der Unterricht weitaus stärker am Prinzip der Binnendifferenzierung ausrichten.

Einige Länder, wie das deutsche Bundesland Nordrhein-Westfalen, haben außerdem an vielen Gesamtschulen des Landes Schulsozialarbeit installiert. Diese und andere Unterstützungen in der Ausstattung von Gesamtschulen sollen die besonderen Umfeldprobleme dieser Schulart auffangen helfen. Schulsozialarbeiter sind aber auch an anderen Schulformen tätig.

[Bearbeiten] Gesamtschulen in Deutschland

[Bearbeiten] Aufbau

Stellung der Gesamtschule im deutschen Bildungssystem
Stellung der Gesamtschule im deutschen Bildungssystem


Unterschieden werden integrierte Gesamtschulen und kooperative Gesamtschulen. In der integrierten Gesamtschule werden die Schüler nur in einzelnen Fächern nach Leistung und Anforderungen in verschiedene Kurse aufgeteilt. In der kooperativen Gesamtschule gibt es nebeneinander Klassen des Hauptschul-, Realschul- und Gymnasialzweiges. Lediglich einzelne Fächer wie Sport werden gemeinsam unterrichtet.

In Deutschland ist die Gesamtschule neben dem Gymnasium die einzige Schulform, die Kinder und Jugendliche in der Sekundarstufe I und Sekundarstufe II durchgehend besuchen können, wenn die örtliche Gesamtschule über eine gymnasiale Oberstufe verfügt.

[Bearbeiten] Geschichte

Die Geschichte der Gesamtschule ist, gemessen etwa an der des Gymnasiums, relativ kurz. Die zugrunde liegende Idee, eine Schule für alle Kinder und Jugendlichen einzurichten, unabhängig von ihrer Herkunft, ihren Fähigkeiten und Neigungen und ihrem künftigen Beruf, reicht dagegen weit zurück.

Forderungen, alle Kinder des Volkes in einer Einheitsschule (Gesamtschule) zu unterrichten, lassen sich in Deutschland bis ins 17. Jahrhundert zurückverfolgen. Comenius setzte sich in seinem Werk "Große Didaktik", im Unterschied zu zeitgenössischen Forderungen, drei verschiedene grundständige Schulen – Bauern-, Bürger- und Gelehrtenschulen – einzurichten, für ein einheitliches, in Stufen gegliedertes Schulsystem ein. Den Ausgangspunkt seiner pädagogischen Überlegungen stellte die Gleichheit aller Menschen vor Gott dar.

Die erste ausführliche Konzeption für eine Gesamtschule legte 1809 der preußische Leiter der Sektion für Kultus und Unterricht Wilhelm von Humboldt vor. Das von ihm de facto angeregte humanistische Gymnasium wurde allerdings in sozialer Hinsicht das genaue Gegenteil. Weiterhin gab es sogenannte Mittelschulen bzw. Realgymnasien, die neben oder nach der Volksschule zu höheren Abschlüssen führten.

Erst 1919 führte die Weimarer Verfassung eine Gesamtschule ein, und zwar die vierjährige Grundschule für die Sechs- bis Zehnjährigen. Gleichzeitig wurde die Unterrichts – oder genauer Schulpflicht eingeführt – zuvor konnten reiche Eltern ihre Kinder auch zuhause oder in einer auf das Gymnasium vorbereitenden Vorschule unterrichten lassen. In Österreich gibt es bis heute eine Unterrichtspflicht genannt, jedoch keine Schulpflicht.

Die Odenwaldschule, Heppenheim, ist eine integrierte und die älteste Gesamtschule (1910 gegründet). Eine der ersten Gesamtschulen in Deutschland war die Waldorfschule in Stuttgart (1919 gegründet). Als eine der ersten Schulen führte die die Integrierte Gesamtschule Bonn-Beuel den gemeinsamen Unterricht von behinderten und nicht behinderten Kindern ein.

1947 verordnete der Alliierte Kontrollrat auf amerikanische Initiative den Deutschen in der Kontrollratsdirektive 54 der Intention nach ein Gesamtschulsystem. Alliierte Bildungsexperten hielten es für zu früh, Kinder bereits nach vier Jahren Grundschule auf verschiedene Schultypen zu verteilen. Sie sahen darin einen der Gründe für die Anfälligkeit der Deutschen für die rassistische NS-Ideologie, denn das gegliederte Schulsystem löse bei einer kleinen Gruppe ein Überlegenheits- und bei der Mehrzahl der Schüler ein Minderwertigkeitsgefühl aus. Doch gelang es den deutschen Bildungspolitikern, durch Verzögerung der Umsetzung wieder stärker an die Weimarer Schultradition anzuknüpfen.

Im Bildungssystem der DDR wurde auf diktatorischem Weg die Einheitsschule wie in allen Ostblockstaaten durchgesetzt, die von der SED zur einheitlichen Erziehung zum „sozialistischen Menschen“ genutzt wurde. Sie reichte von der Grundschule (Unterstufe) bis zur 8. Klasse bzw. ab spätestens 1984 bis zur 10. Klasse in der Polytechnischen Oberschule (POS). Die Erweiterte Oberschule (EOS), die nur gut 10 Prozent der Schüler in vier bzw. zwei Jahren zum Abitur führte, schloss sich erst ab der 9. Klasse bzw. ab der 11. Klasse an.

Der Begriff Gesamtschule wurde 1963 auch als Abgrenzung zur sozialistischen Einheitsschule in der DDR vom West-Berliner Schulsenator Carl-Heinz Evers geprägt.

Die Kritik am vertikal gegliederten Schulsystem der Bundesrepublik und die positiven Erfahrungen mit ausländischen Schulreformen, vor allem in England und Schweden, führten zur Wiederaufnahme der Diskussion. Zugleich war der Blick auf die Schulsysteme in den USA, der Sowjetunion und der DDR gerichtet. Nicht nur eine Veränderung der Struktur des Schulsystems, sondern auch der Unterrichtsorganisation, der Unterrichtsmethoden sowie der Bildungsziele und -inhalte wurden gefordert. Die Reformwünsche zielten einerseits auf mehr Modernisierung, andererseits auf mehr soziale Gerechtigkeit. Integration benachteiligter Gruppen anstatt „Aussonderung“ war das Ziel.

Der Deutsche Bildungsrat forderte die Einrichtung von Schulversuchen mit Gesamtschulen, um die anstehenden gesellschaftspolitischen Entscheidungen über die Strukturveränderungen der Schule auf wissenschaftlich begleitete und kontrollierte Versuche stützen zu können. In Westdeutschland wurden staatliche Gesamtschulen ab 1967 im sauerländischen Kierspe, ab 1968 in West-Berlin und seit den 1970er Jahren in den meisten Bundesländern eingerichtet.

Wurde anfangs der Beschluss des Bildungsrates auch von CDU-Politikern mitgetragen, so kam es in den folgenden Jahren doch zu einem "Schulkampf" zwischen CDU und SPD. Dies hatte mit der zeitgleichen Machtverschiebung im Bund und den Ländern zugunsten der SPD zu tun. Diese Partei machte in der 1970er Jahren die Gesamtschule zum schulreformerischen Kernstück ihrer Politik. Daraufhin expandierte die Gesamtschule, was in Gymnasien und – nicht nur bei konservativen Politikern – auf Ablehnung stieß.

Ein Höhepunkt dieses Konfliktes war 1978 der Versuch der SPD/FDP-Landesregierung in Nordrhein-Westfalen, die Gesamtschule flächendeckend einzuführen. Die oppositionelle CDU, die Mehrzahl von Lehrer- und Elternverbänden sowie die Kirchen veranstalteten Großkundgebungen und Flugblattaktionen. Es bildete sich die Initiative „Stoppt das Schulchaos“, die vom 16. Februar bis 1. März 1978 mehr als 3,6 Millionen Unterschriften gegen die kooperative Gesamtschule sammelte und so die erforderliche 20-Prozent-Hürde für ein Volksbegehren weit übertraf[1]. Das neue Schulgesetz wurde so verhindert.

[Bearbeiten] Zwischenfazit

Vorgesehen wurde 1972, nach 10 Versuchsjahren zu entscheiden, ob die Gesamtschule das bessere Konzept sei: Im positiven Fall sollte sie als alleinige Schulform eingeführt werden. Die Bewertung blieb jedoch strittig. 1982 endete der Schulversuch Gesamtschule. Je nach parteipolitischer Ausrichtung der Regierung der einzelnen Bundesländer wurden diese Versuche als hochgradig erfolgreich angesehen oder für gescheitert erklärt.
Hier drei Beispiele: Berlin baute die Gesamtschule zur Regelschule aus, Bayern löste fast alle Gesamtschulen bis 1993 wieder auf und Nordrhein-Westfalen entwickelte danach eine gemischte Schullandschaft, in der ein dreigliedriges System neben vielen Gesamtschulen existiert.

Konzeptionell als Alternative zum dreigliedrigen System gedacht, konkurriert die Gesamtschule aber gegenwärtig mit den anderen Schulformen, mit den Gymnasien um den Abschluss Abitur sowie vor allem mit Hauptschulen bei der Rekrutierung von neuen Schülern. Der ursprünglich beabsichtigte sozialpolitische Effekt (Motto: „Miteinander und voneinander lernen, um miteinander leben zu lernen“) kann so heute nicht mehr erreicht werden.

Die Schülerschaft vieler Gesamtschulen spiegelt nicht das gesamte Leistungsspektrum eines Jahrgangs wider, weil die leistungsstärkeren Kinder zunächst nach der Klasse 4 an die Gymnasien wechseln. Das Max-Planck-Institut für Bildungsforschung kam zu dem Fazit, dass die Leistungen an den Gesamtschulen deutlich schlechter sind als an Gymnasien.
Dies hat jedoch nicht zwingend mit einem schlechterem Konzept zu tun, sondern vielmehr damit, dass Gesamtschulen auch von Schülern mit Hauptschulempfehlungen besucht werden. In manchen Bundesländern ist den Gesamtschulen die Aufnahme von Kindern aller Leistungsstufen nach einer bestimmten Quotenvorgabe vorgeschrieben. Des Weiteren müssen sie die Bevölkerungsstruktur des Einzugsgebietes (Ausländeranteil) widerspiegeln und bis zu 15 % „Sonderfälle mit schwierigem Lebenshintergrund“ aufnehmen. Allein die Gesamtschulen haben diese strikte Vorgabe, was bei jedem Vergleich mit den anderen Schulen zu beachten ist. Es wird jedoch berichtet, dass einige Gesamtschulen gegen diese Vorgabe verstoßen. So würde etwa die Helene-Lange-Schule (Wiesbaden) Kinder mit Gymnasialempfehlung bevorzugen.[2] Auch berichtete der Bildungsforscher Frank-Olaf Radtke, dass die Schule Kinder mit Migrationshintergrund benachteilige. Sie versuche den Anteil von Kindern mit Migrationshintergrund in ihren Klassen möglichst gering zu halten. Die Schule verfolge eine "Creaming-Strategie", Frei übersetzt heißt das: Sie pickt sich die Rosinen heraus. Wenn die Plätze knapp sind, würden solche Schüler ausgewählt, mit denen man erwartet, in Konkurrenz zu den Gymnasien erfolgreich arbeiten zu können.[3]


Gesamtschulen werden mancherorts weniger aus pädagogischen Gründen als aus kommunalpolitischen und demografischen errichtet: Die Unterhaltung eines gemeinsamen Schulzentrums erscheint gerade kleineren Gemeinden als eine kostengünstige Alternative zum traditionellen System. Der Rückgang der Schülerzahlen erlaubt nicht mehr die Verteilung auf mehrere Schulformen, um ein wohnortnahes Schulangebot zu erhalten. In einer kooperativen (auch additiven) Gesamtschule wird die Zwei- oder Dreigliedrigkeit des Schulsystems nicht aufgehoben. Man erhofft sich vorrangig Synergieeffekte durch diese räumliche oder organisatorische Zusammenlegung. Die ursprüngliche Form des Unterrichtes (Gemeinsames Lernen) von Gesamtschule wird hierbei um mehrere Jahre verkürzt.

[Bearbeiten] Aktuelle Entwicklungen

1982 wurde eine Vereinbarung der Kultusministerkonferenz getroffen, welche die gegenseitige Anerkennung der Abschlüsse gewährleistet, d. h. dass Gesamtschulabschlüsse auch in Bundesländern anerkannt werden, die das Modell Gesamtschule nicht fortgeführt haben (z. B. Bayern). Dies gilt auch für das Abitur an Gesamtschulen. Die Länder, die diese Schulform ablehnen, fürchteten, die für das dreigliedrige System geltenden Niveaus könnten unterlaufen werden. Lernziele und Lerninhalte müssen laut KMK-Vereinbarung den jeweiligen Anforderungen des nach Schularten gegliederten Schulwesens entsprechen. Eine Folge davon ist, dass Gesamtschulen gezwungen sind, ab der 7. Klasse unterschiedliche Niveaugruppen einzurichten mit einer Leistungsdifferenzierung in Deutsch, Englisch und Mathematik, die mit der 2. Fremdsprache zusammen gut die Hälfte der Unterrichtszeit ausmachen. Damit war die ursprüngliche Gesamtschulidee kaum noch zu erkennen.

Zu einer Neuauflage der Gesamtschuldiskussion kam es Anfang der 1990-er Jahre im Rahmen der deutschen Wiedervereinigung. Während westdeutsche Gesamtschulbefürworter hofften, die bereits vorhandenen Einheitsschulen der DDR in Gesamtschulen umzuwandeln, forderten Teile der ostdeutschen Bevölkerung das dreigliedrige Schulsystem. Die Einheitsschule der DDR beruhte also nicht auf einer einhelligen Zustimmung. So kam es nur in Brandenburg in Folge der Landespartnerschaft mit dem von der SPD regierten Nordrhein-Westfalen zu einer quantitativ bedeutsamen Einführung der Gesamtschule.

Weitgehend unbemerkt von der westdeutschen Öffentlichkeit haben Sachsen und Thüringen nach der Wende 1990 ein zweigliedriges Schulsystem eingeführt, in dem Haupt- und Realschulen zusammengelegt werden als Mittelschule bzw. als Regelschule. Mecklenburg-Vorpommern hat dies später ebenso gemacht unter der Bezeichnung Regionale Schule, Brandenburg unter der Bezeichnung "Oberschule". Im Saarland ist als erstem westdeutschen Bundesland die Hauptschule abgeschafft worden. Auch Hamburg wird mit Stadtteilschulen statt Haupt- und Realschulen 2009 ein zweigliedriges System einführen, in das auch die bestehenden Gesamtschulen eingehen sollen. Allerdings bleibt es bei den drei traditionellen Abschlüssen und eigenständigen Gymnasien. Bayern hat dagegen am 1. August 2000, nach Erprobung der Methode, noch den jahrzehntelang üblichen gemeinsamen Unterricht von Haupt- und Realschülern in der 5. und 6. Klasse abgeschafft.

In Berlin, Brandenburg und Mecklenburg-Vorpommern besteht außerdem in der 5. und 6. Klasse eine gesamtschulartige Orientierungsstufe, in der die Kinder zusammen unterrichtet werden. Die Ausnahmen für die Einrichtung von 5. Klassen an Gymnasien sind selten. Niedersachsen hat dagegen die in den 1970er Jahren eingeführte gemeinsame Orientierungsstufe unter Kultusminister Busemann (CDU) wieder abgeschafft, Bremen folgte unter der Großen Koalition 2005.

Auftrieb erhielt die Diskussion um die Leistungsfähigkeit dieser Schulform, als die PISA-Werte 2000/2003 für deutsche Gesamtschulen deutlich schlechter ausfielen als etwa von Realschulen. Dem kann entgegengehalten werden, dass mit die besten PISA-Werte auch an einigen deutschen Gesamtschulen erreicht wurden (z. B. Helene-Lange-Schule (Wiesbaden) oder an der Laborschule Bielefeld. Umgekehrt gibt es Untersuchungen, die den deutschen Gesamtschulen eine bessere Förderung von schwachen Schülern als im gegliederten System bescheinigen.[4] In den Gesamtschulen wird seit PISA stärker über effizienten und nachhaltigen Unterricht nachgedacht, zumal viele Bundesländer zum Zentralabitur übergehen, das alle Schulformen mit gleichen Aufgaben überprüft.

Einen neuen Anlauf zur Steigerung der Schülerleistungen bedeutet die Einführung der nationalen Bildungsstandards für den mittleren Abschluss in den Fächern Deutsch, Englisch und Mathematik sowie den Naturwissenschaften in 2004 und 2005. Ihre Einhaltung soll über Vergleichsarbeiten, die in allen Schulformen gleich sind, überprüft werden. Viele Schulen müssen sich jetzt einem Vergleich mit anderen stellen.

Ein weiterer Fokus der aktuellen Diskussion liegt auf dem hohen Anteil ausländischer Schüler zumindest an Berliner und westdeutschen Gesamtschulen in Ballungszentren. Viele deutschsprachige Eltern fürchten, dass ihre Kinder sprachlich zu wenig gefördert werden können, und weichen deshalb in das gegliederte System aus. Dabei meiden sie neben den Gesamt- auch und vor allem die Hauptschulen.

[Bearbeiten] Gegenwärtige Gesamtschulkonzepte

Deutsche Gesamtschulen (in Nordrhein-Westfalen, Niedersachsen, Rheinland-Pfalz, Hessen, Thüringen und Schleswig-Holstein: "Integrierte Gesamtschulen") unterrichten Kinder und Jugendliche zunächst unabhängig vom Leistungsstand in sehr heterogenen Klassen: Beginnend mit Klasse 7 werden in den Kernfächern (Deutsch, Englisch, Mathematik) Differenzierungskurse (sog. Erweiterungs- und Grundkurse-Kurse / E- bzw. G-Kurs) eingerichtet. In welchen weiteren Fächern die Kurse eingerichtet werden, entscheidet jeweils die Schulkonferenz. Manche Gesamtschulen haben zudem ab Klasse 9 eine Profilbildung eingeführt. Sie bilden organisatorisch neue Klassen nach der Anzahl der E-Kurse, die die Jugendlichen zu diesem Zeitpunkt belegt haben. Berücksichtigt werden zudem auch die Talente sowie bestehende Freundschaften.

Um feste Bezugspersonen für die Schüler zu gewähren, wird an manchen Gesamtschulen das "Team-Kleingruppen-Modell" praktiziert, bei dem ein fester Stamm von Lehrkräften die eine Klasse über mehrere Jahre begleitet.

Mit diesen konzeptionellen Erweiterungen der ursprünglichen Gesamtschulidee reagieren sie auf die sich verändernde Arbeitsmarktsituation und die neuen Lebensbedingungen der Jugendlichen. Angeboten wird mehr Ganztagsförderung, und dies in Lerngruppen, die eine Binnendifferenzierung noch erfolgversprechend machen. Ab Klasse 9 zeigen sich in der Praxis so große Leistungsunterschiede, dass eine sinnvolle Binnendifferenzierung kaum noch planbar ist. Erst hier trennt die Gesamtschule die Jugendlichen – so wie es in den Schulen der meisten Nachbarländer geschieht.

[Bearbeiten] Diskussion

Unter Eltern, Politikern und Pädagogen liegen die Meinungen über die Gesamtschule weit auseinander. Daher ist die Gesamtschule auch in den einzelnen Bundesländern, mit ihren unterschiedlichen politischen Mehrheiten und Traditionen, unterschiedlich weit verbreitet.

  • Befürworter betonen, dass die – sozial und der Bildung nach – schwächeren Schüler besonders zu fördern seien und sie daher möglichst lange mit den starken Schülern gemeinsam lernen sollten. Dies habe auch positive Rückwirkungen auf die starken Schüler und letztlich die gesamte Gesellschaft. Stärker als andere Schulform steigere die Gesamtschule die sozialen Fähigkeiten der Schüler. Diese Auffassungen werden vor allem von der politischen Linken (SPD, Grüne, Die Linke) vertreten und dominiert anscheinend auch unter Erziehungswissenschaftlern. Auch die Handwerksverbände wie der Zentralverband des Deutschen Handwerks und der Westdeutsche Handwerkskammertag fordern eine 9-jährige Basisschule für alle.[5][6][7] Die Befürwortung der Gesamtschule speist sich oft aus der Kritik am dreigliedrigen Schulsystem. Es wird befürchtet, dass dieses den Hauptschülern nicht mehr die für eine erfolgreiche Berufstätigkeit notwendigen Fähigkeiten vermittle[8]. auch wird eine mangelnde Förderung der Intelligenz befürchtet. Es konnte gezeigt werden, dass bei Kontrolle der Ausgangsleistung im Intelligenztest Gymnasiasten ihre Intelligenz weit stäker steigern konnten, als Schüler, die eine andere Schulform besuchten. So konnte also bewiesen werden, dass die Schüler auf den niedrigeren Schulformen schlechtere Entwicklungschancen haben[9]
  • Gegner der Gesamtschule befürchten, dass das gemeinsame Lernen den unterschiedlich begabten Schülern nicht gerecht werde: die schlechten seien über-, die guten unterfordert. Die schlechten „zögen“ die guten „herab“. Dies negiert allerdings die Tatsache einer möglichen inneren Differenzierung. Abzulehnen sei auch die Größe vieler Gesamtschulen (fünf oder gar sechs Klassen nebeneinander), die wegen des komplizierteren Kurssystems nötig sei, was deshalb nicht stimmt, weil die Gesamtschulen der Zweiten Generation vierzügig ausgelegt sind. Die wissenschaftliche Begleituntersuchung zur niedersächsischen Orientierungsstufe unterstützt diese letztgenannte Sicht, sprach sich aber für die Beibehaltung der Orientierungsstufe aus. [10] Ebenfalls verweisen Gesamtschulgegner gerne auf die Tatsache, dass sämtliche PISA-Verlierer, also die gesamte untere Hälfte der Punkteskala, Gesamtschulsysteme haben. Hongkong dagegen, welches im Schwerpunkt Mathematik den Spitzenplatz errungen hat[11], hat ein dreigliedriges Schulsystem.[12] Hier gilt es wieder, keine Bestandteile eines Systems isoliert zu betrachten: In England gibt es zwar fast nur "Gesamtschulen", allerdings auch ein stark entwickeltes Privatschulwesen. Dagegen gehen in den skandinavischen Ländern alle Schüler in die gleiche Schule.

Die Gesamtschule war mit der Hoffnung verknüpft, dass dort die Bildung weniger stark von der sozialen Herkunft abhänge. Diese Hoffnung hat sich in Bezug auf die integrierte Gesamtschule nicht erfüllt. Bei der Analyse der PISA-Ergebnisse fiel auf, dass die Testleistung auf der Gesamtschule am stärksten von der sozialen Herkunft abhängt und auf dem Gymnasium am wenigsten. Die Ergebnisse zeigen auch, dass die Hauptschule die förderschwächste Schule ist.

PISA-Testleistung (gemessen in „Kompetenzpunkten“)
Schulform Sehr „niedrige“ soziale Herkunft „Niedrige“ soziale Herkunft „Hohe“ soziale Herkunft Sehr „hohe“ soziale Herkunft
Hauptschule 400 429 436 450
Intergr. Gesamtschule 438 469 489 515
Realschule 482 504 528 526
Gymnasium 578 581 587 602
PISA 2003 – Der Bildungsstand der Jugendlichen in Deutschland – Ergebnisse des 2. internationalen Vergleiches[13].


Die Langzeitstudie LIFE (Lebensverläufe von der späten Kindheit bis ins frühe Erwachsenenalter) von Helmut Fend kam zu dem Schluss, dass Gesamtschulen die soziale Selektivität reduzieren können, aber Arbeiterkinder, die eine hessische Gesamtschule besucht haben, keine besseren Berufschancen haben, als Arbeiterkinder im gegliederten Schulsystem, weil der spätere familiale Einfluss Wirkung entfalten kann: „Solange die Schule intern agieren kann, also die Kinder und Jugendlichen beisammenhat und sie nach Leistungen gruppiert, kann sie die soziale Selektivität durchaus reduzieren. Wenn es um die weiteren Bildungsstufen geht, um die risikobehafteten Entscheidungen beim Schulabschluss, bei der Ausbildung und bei den Berufslaufbahnen, dann verliert sich dieser schulische Einfluss, und die familiären Ressourcen in der Gestaltung der Entscheidungen treten in den Vordergrund.“[14][15]. Diese Erkenntnisse ist aber nicht neu, weil die soziologische Elitenforschung dies bereits zeigte. Die damit verbundene Frage ist allerdings, ob der Staat soziale Selektivität im Schulsystem zulassen darf.

[Bearbeiten] Siehe auch

[Bearbeiten] Belege

  1. General Anzeiger Bonn, 21. Juli 2006
  2. Josef Kraus (10. Dezember 2002): Informationen und Anmerkungen zu den PISA-Ergebnissen der Laborschule Bielefeld und der Helene-Lange-Schule Wiesbaden. DEUTSCHER LEHRERVERBAND (DL) - AKTUELL zur Zeit (30.03.2008) auch online abrufbar
  3. Wiesbadener Kurier vom 21.08.2007: "Können nicht alle aufnehmen - Wissenschaftler wirft Gesamtschulen "institutionelle Diskriminierung" vor, zur Zeit (30.März.2008) auch online abrufbar
  4. http://www.ggg-bund.de/Die%20blaue%20Reihe%20der%20GGG.pdf (Heft 57/2007)
  5. Broschüre Mehr Mut für eine bessere Bildung aus der Schriftenreihe Positionen des Handwerks, zu bestellen bei: ntasci@handwerk-bw.de
  6. siehe zum gleichen Thema auch http://www.handwerk-bw.de/fileadmin/gruppe_bildung/datei_upload/bwht_pisa_position.pdf
  7. http://www.handwerk-nrw.de/www-whkt/content/aus-weiterbildung/aus-weiterbildung-ausbildung_oecd-pisa.htm
  8. Handwerk in Baden-Württemberg: PISA bringt für Handwerk Hiobsbotschaften aus der Hauptschule abgerufen am 1.3.2008
  9. Elsbeth Stern und Ilonca Hardy (2004): Differentielle Psychologie des Lernens in Schule und Ausbildung. In Birbaumer et al.: Enzyklopädie der Psychologie - Themenbereich C: Theorie und Forschung - Serie VIII: Differentielle Psychologie und Persönlichkeitsforschung - Band 5 Theorien und Anwendungsfelder. Hogrefe Verlag: ISBN 3-8017-0534-X, S. 580
  10. http://publikationen.dipf.de/dld_set.html?FId=5925
  11. Georg Blume: Deutschland macht dumm TAZ vom 06.12.2004 war am 30.03.2008 auch online verfügbar
  12. Georg Blume: Unglücklich auf eins: Hongkong TAZ vom 09.12.2004 war am 30.03.2008 auch online abrufbar
  13. Ehmke et al., 2004, In: PISA-Konsortium Deutschland (Hrsg.): PISA 2003 – Der Bildungsstand der Jugendlichen in Deutschland – Ergebnisse des 2. internationalen Vergleiches, Münster/NewYork: Waxmann, S. 244
  14. Helmut Fend: Die Herkunft entscheidet über den Erfolg [1]
  15. Jochen Leffers: Gesamtschule folgenlos, Bildung wird vererbt, Spiegel online vom 03.01.2008

[Bearbeiten] Literatur

  • Jürgen Diederich, Heinz Elmar Tenorth: Theorie der Schule, Ein Studienbuch zu Geschichte, Funktionen und Gestaltung. Berlin 1997
  • Manfred Bönsch: Die Gesamtschule. Die Schule der Zukunft mit historischen Hintergrund. Hohengehren 2006
  • Jörg Schlömerkemper: Lernen in wahldifferenziertem Unterricht. Untersuchungen zur Struktur der Lernsituation. Dissertation, Athenäum Fischer, Frankfurt 1974
  • Hans Werner Kilz (Hsg.): Gesamtschule. Kap. 1, In: In A die Schlauen, in C die Dummen. SPIEGEL-Verlag, 1980, S. 7–27

[Bearbeiten] Weblinks

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