Wilhelm Ostwald
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Wilhelm Ostwald (* 2. September 1853 in Riga; † 4. April 1932 in Leipzig) war ein deutsch-baltischer Chemiker, Nobelpreisträger und Philosoph.
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[Bearbeiten] Leben
Wilhelm Ostwald wurde als zweiter Sohn eines Böttchermeisters im damals zu Russland gehörenden Riga geboren (heute Lettland). Seine Vorfahren stammten aus Hessen und Berlin, lebten aber als baltische Familie seit mehreren Generationen im russischen Reich.
Von 1864 bis 1871 machte er sein Abitur an einem Realgymnasium und benötigte dafür sieben statt der regulären fünf Jahre.
1872 begann er ein Chemiestudium an der Universität Dorpat (heute Tartu, Estland), das er 1875 mit einer Kandidatenarbeit beendete. Er wurde Assistent am physikalischen Institut bei Arthur von Oettingen, später am chemischen Institut bei Carl Schmidt. 1877 schrieb er in Dorpat seine Magisterarbeit und 1878 seine Dissertation. Während dieser Zeit war Ostwald bei der studentischen Corporation Fraternitas Rigensis aktiv. 1880 habilitierte Ostwald und wurde Privatdozent am Chemischen Institut.
Von 1882 bis 1887 war Ostwald Professor für Chemie am Rigaer Polytechnikum (heute: Technische Universität Riga). Dann folgte er einem Ruf nach Leipzig. Er war von 1887 bis 1906 Professor an der Universität Leipzig, hielt Vorlesungen zu den Themen Chemie und Philosophie. 1888 veröffentlichte er das Ostwaldsche Verdünnungsgesetz, 1897 die Ostwald-Reifung. Ebenso stellte er die Ostwaldsche Stufenregel zusammen mit der Ostwald-Volmer-Regel auf. In dieser Zeit begründete er zusammen mit Svante Arrhenius, Jacobus Henricus van't Hoff und Walther Nernst die physikalische Chemie.
Von 1901 bis 1921 gab Ostwald die "Annalen der Naturphilosophie" heraus (Bände 12f 1913/14 und 1914/17 unter dem Titel "Annalen der Natur- und Kulturphilosophie"). Die Sächsische Akademie der Wissenschaften zu Leipzig plant ein Projekt zu Ostwalds Wissenschaftsphilosophie, das 2008 abgeschlossen werden soll.
Nach einem einjährigen Aufenthalt in den USA 1905 als erster deutscher Austauschprofessor (Harvard University, MIT) ließ sich Ostwald 1906 vorzeitig emeritieren und zog nach Großbothen in seinen Landsitz „Energie“, den er 1901 erworben hatte. Dort arbeitete er bis zu seinem Lebensende als freier Forscher. Ostwald war Mitglied der Königlich Sächsischen Gesellschaft der Wissenschaften (Vorgängerorganisation der Sächsischen Akademie der Wissenschaften) und Korrespondierendes Mitglied der Preußischen Akademie der Wissenschaften.
Wilhelm Ostwald starb 1932 in einem Leipziger Krankenhaus und wurde in Großbothen beigesetzt. Er war seit 1880 mit Helene von Reyher verheiratet, mit der er zwei Töchter und drei Söhne hatte, u. a. die Chemiker Wolfgang Ostwald (Ostwald-Viskosimeter) und Walter Ostwald (Kraftstoffe (Aral)), Verbrennungstechnik). Der Sohn seiner Tochter Elisabeth, Georg Brauer, war ebenfalls Chemiker und hatte lange Jahre den Lehrstuhl für Anorganische Chemie an der Universität Freiburg inne.
[Bearbeiten] Der Wissenschaftler
Ostwald entwickelte bei Arthur von Oettingen in Dorpat während seiner Magisterarbeit „Volumenchemische Studien über Affinität“ zwischen 1875-1878 ein Pyknometer zur Dichtebestimmung, nach seiner Habilitation entwickelte er in Riga einen Thermostaten, einen Rheostaten und ein Viskosimeter.
Über die Struktur von Elektrolyten und der Dissoziation gab es während Ostwalds Professur in Riga noch keine klaren Vorstellungen (es wurde damals angenommen, das Ionen nur sehr reaktive Atome seien). Ostwald stieß auf eine Arbeit des damals noch vollkommen unbekannten schwedischen Chemikers Svante Arrhenius und lud ihn nach Riga ein. Er ließ Arrhenius Dichtemessungen mit seinem Viskosimeter durchführen. Dabei entwickelte sich eine kollegiale Freundschaft zwischen Arrhenius und Ostwald, die bis an das Lebensende anhielt. Ostwald und Arrhenius entwickelten die Theorie der Dissoziation. Dabei bekam die Theorie der elektrolytischen Dissoziation weitere hilfreiche Belege von dem Holländer van´t Hoff, der sich mit dem osmotischen Druck befasste. Die Theorie der Dissoziation verschaffte Ostwald 1887 einen Lehrstuhl für physikalische Chemie in Leipzig. Dieser Lehrstuhl war zwar nicht der erste und einzige für physikalische Chemie in Deutschland, in Heidelberg lehrte Hermann Kopp, der Leipziger Lehrstuhl wurde aber durch Ostwald für zwei Jahrzehnte der erfolgreichste.
Im Jahr 1887 reifte bei Ostwald der Gedanke, die erste Zeitschrift für physikalische Chemie zu gründen. Er konnte van´t Hoff, mit dem sich ebenfalls eine Freundschaft entwickelte, als Mitherausgeber der „Zeitschrift für physikalische Chemie, Stöchiometrie und Verwandtschaftslehre“ gewinnen. Für die Mitwirkung bei dem ersten Band mussten weltweit viele Forscher gewonnen werden. Diese Zeitschrift war über Jahrzehnte Sammelpunkt für Forscher auf physikalisch-chemischen Gebiet, da Ostwald und van´t Hoff auch anderssprachige Artikel übersetzten. Diese Zeitschrift festigte die physikalische Chemie als Wissenschaft.
Zwischen 1887 und 1897 beschäftigte sich Ostwald intensiv mit der Elektrochemie. Er gehörte zu den Mitbegründern der „Deutschen Elektrochemischen Gesellschaft“. In seinem Vortrag „Die wissenschaftliche Elektrochemie der Gegenwart und die technische der Zukunft" propagierte er den zukünftigen Einsatz von Brennstoffzelle-n und im Artikel „Die Energiequellen der Zukunft“ die Nutzung von Sonnenenergie.
Ostwald blieb lange Zeit ablehnend gegenüber Denkansätzen die Thermodynamik auch auf atomarer Ebene zu betrachten. Insbesondere lehnte er Boltzmanns kinetische Gastheorie ab. Zwischen 1906-1916 wirkte Ostwald in der internationalen Kommission zur Festsetzung der Atomgewichte mit.
Ostwald bemühte sich für eine bessere internationale Zusammenarbeit von Wissenschaftlern. Dieses Bemühen mündete in der "Internationalen Assoziation der Chemischen Gesellschaften" im Jahre 1912. Ostwald wurde erster Präsident dieser Vereinigung.
Durch seine Lehrbücher und die Herausgabe der ersten Zeitschrift für physikalische Chemie gilt Ostwald als Begründer und Organisator der physikalischen Chemie.
1909 wurde Ostwald der Nobelpreis für Chemie für seine Forschungen auf dem Gebiet der Katalyse, sowie für seine grundlegenden Untersuchungen über chemische Gleichgewichtsverhältnisse und Reaktionsgeschwindigkeiten verliehen.
Lehrsätze zur Katalyse:
"Katalyse ist die Beschleunigung eines langsam verlaufenden chemischen Vorgangs durch die Gegenwart eines fremden Stoffes." (1894)
"Ein Katalysator ist jeder Stoff, der, ohne im Endprodukt einer chemischen Reaktion zu erscheinen, ihre Geschwindigkeit verändert." (1901)
Ostwalds Arbeiten gelten als Grundlage für das auf Katalysatoren aufbauende Haber-Bosch-Verfahren. Durch das so genannte Ostwaldverfahren wurde sein Name verewigt. 1911 bis 1913 setzte er sich für das Projekt Die Brücke ein.
Ostwald war Mitbegründer und erster Mitherausgeber der Zeitschrift für physikalische Chemie.
Ab 1914 widmete sich Ostwald der Farbenlehre. 1917 erschien der "Ostwaldsche Farbenatlas", 1921 die Zeitung "Die Farbe".
Ostwald hatte eine Vielzahl akademischer Schüler, unter ihnen Georg Bredig; zu seinen Schülern zählt auch der Begründer des Papierformats Walter Porstmann.
[Bearbeiten] Der Lehrer
Im Jahr 1885 erschien sein erstes „Lehrbuch der allgemeinen Chemie“, welches auch als der „große Ostwald“ bezeichnet wurde. Es gab den Erkenntnisstand über die physikalische Chemie vom Jahr 1885 wieder. Im Jahr 1896 erschien Ostwald Buch „Elektrochemie. Ihre Geschichte und Lehre“ (1125 S.). Dieses Werk war das umfassendste über Elektrochemie in seiner Zeit.
Zwischen 1895-1897 beschäftigte sich Ostwald intensiv mit den Gedanken von Josiah Willard Gibbs zur Thermodynamik. Im Jahr 1892 erschienen die „Thermodynamischen Studien“ von Ostwald, wodurch die Ideen von Gibbs auch im deutschsprachigen Raum bekannt wurden (Gibbs-Energie). Ostwald prägte den Satz: „Ein perpetuum mobile zweiter Art ist unmöglich.“ Es kann keine Maschine konstruiert werden, die verschiedene Energien vollständig ineinander umwandelt.
Im Jahr 1894 verfasste Ostwald das Buch „Die wissenschaftlichen Grundlagen der analytischen Chemie“. Ostwald führte in diesem Buch Dissoziationskonstanten, Löslichkeitsprodukt, Ionenprodukt, Wasserstoffionenkonzentration und Indikatorgleichgewichte in die analytische Chemie ein.
Unter Ostwald wurden mehrere hundert Physikochemiker ausgebildet. Darunter waren 70 Chemiker die später selbst Professuren erhielten. Der Chemiker Walther Nernst entwickelte bei Ostwald die „osmotische Theorie der galvanischen Elemente“, welche heute besser als Nernst-Gleichung bekannt ist. Frederick G. Donnan entwickelte bei Ostwald die erste Glaselektrode und Robert Behrend nahm die erste potentiometrische Titration vor. Weitere bedeutende Chemiker, die aus Ostwalds Schule hervorgingen waren Paul Walden, Le Blanc, Herbert Freundlich, Alwin Mittasch, Max Bodenstein.
1906 legte Ostwald sein Lehramt nieder und zog sich als freier Forscher und Kulturphilosoph auf seinen Landsitz nach Großbothen bei Leipzig zurück.
[Bearbeiten] Philosophie und Weltanschauung
Mit Ernst Haeckel war Ostwald seit 1910 eine der führenden Figuren der 'kirchenfreien' Weltanschauungsgemeinschaft Deutscher Monistenbund, der sich für ein wissenschaftlich begründetes Weltbild einsetzte. Schon vorher hatte Ostwald versucht, mit seiner 'Energetik' eine philosophische Lehre zu entwickeln. Demnach war Energie die eigentliche Form der Materie. Ostwald befasste sich auch mit anderen Themen, etwa Goethe oder mit Malerei. Er malte auch selbst. Seit 1910 engagierte er sich für die Etablierung weltweiter Standards, etwa bei der Währung, des Wissens oder von Sprachen. Zahlreiche Initiativen verfolgte Ostwald beispielsweise mit Welthilfssprachen wie Esperanto, später Ido, auch schlug er 1916 den Versuch einer Weltsprache auf der Grundlage des Deutschen vor (Weltdeutsch).
Im Zusammenhang mit seinen praktischen Erfahrungen bei eigenen Bildern trieb er seine Beschäftigung mit den Farben voran. Dabei war seine Absicht einerseits ein wissenschaftlich fundiertes Farbsystem zu schaffen. Zum anderen sollte seine Forschung zu Farbharmonien dem handwerklichen Malergewerbe eine Richtlinie zum Farbeneinsatz geben.
Ostwald war ferner Gründer und erster Präsident der Organisation "Die Brücke - Institut zur Organisation der geistigen Arbeit", welche das gesamte bekannte Wissen katalogisieren und organisieren wollte. Mittel dazu waren u.a. das Brücke-Institut, die Weltbibliothek und das Weltformat. Es wurden jedoch nur Ansätze realisiert. Das Institut wurde 1914 wegen finanzieller Probleme geschlossen.
Ostwalds pazifistisches Engagement kam u.a. in kritischen Äußerungen gegen die deutsche Kriegszielpolitik im Dezember 1914 zum Ausdruck.[1] Er wirkte auch in der Friedensbewegung von Berta von Suttner mit.
Ostwald versuchte auch, die ökonomischen Wissenschaften (und die Kulturwissenschaften überhaupt) auf eine (seiner Ansicht nach) einzig solide Basis im Rahmen der Thermodynamik zu stellen (siehe Ostwald 1909; für einen neueren Ansatz siehe z.B. Georgescu-Roegen), wurde dabei aber harsch von Max Weber und anderen führenden Nationalökonomen kritisiert (siehe Max Weber Gesamtausgabe, Band ??).
[Bearbeiten] Ostwald-Schulen
Folgende Schulen sind nach Ostwald benannt:
- Die Wilhelm-Ostwald-Grundschule in Großbothen
- Die Wilhelm-Ostwald-Realschule in Grimma
- Das Wilhelm-Ostwald-Gymnasium (WOG) in Leipzig
- Die Wilhelm-Ostwald-Schule, das OSZ Farbtechnik und Raumgestaltung in Berlin
[Bearbeiten] Zitate
- Groß ist die Aufgabe, die vor mir steht und bescheiden sind die Kenntnisse und Kräfte, die für ihre Bewältigung ausreichen sollen. Aber Aufgaben sind da, um gelöst zu werden, und welcher Schlachtruf wäre wohl besser geeignet, den Ermatteten mit neuem Mut zu erfüllen, als das Wort: Energie?
- Je mehr wir vom Schüler fordern, um so mehr wird er leisten.
- Vergeude keine Energie, verwerte und veredle sie!
[Bearbeiten] Siehe auch
[Bearbeiten] Literatur
- Jan-Peter Domschke: Wilhelm Ostwald, eine Kurzbiografie. Wilhelm-Ostwald-Gesellschaft, Großbothen 2000.
- Jan-Peter Domschke: Wilhelm Ostwald: Chemiker, Wissenschaftstheoretiker, Organisator. Pahl-Rugenstein, Köln 1982.
- GDCh (Herasug.): Historische Stätten der Chemie: Friedrich Wilhelm Ostwald. Frankfurt/a.M. - Leipzig/Großbothen, 2005.
- Markus Krajewski: Restlosigkeit. Weltprojekte um 1900. Fischer Taschenbuch, Frankfurt/a.M. 2006.
- Wilhelm Ostwald: Energetische Grundlagen der Kulturwissenschaft. Leipzig 1909.
- Grete Ostwald: Wilhelm Ostwald. Mein Vater. Berlin 1953.
- Ulrich Becker, Fritz Wollenberg: Eine Sprache für die Wissenschaft. Humboldt-Universität, Berlin 1996. Beiträge und Materialien des Interlinguistik-Kolloquiums für Wilhelm Ostwald
- Lothar Dunsch: Das Portrait: Wilhelm Ostwald. In: Chemie in unserer Zeit., 16. Jahrgang, Dezember 1982, S.186-196. Verlag Chemie
[Bearbeiten] Einzelnachweise
- ↑ Vgl.: Eine Erklärung der Universität Leipzig gegen Wilhelm Ostwald, in: Berliner Tageblatt vom 20. Dezember 1914, S. 4.
[Bearbeiten] Weblinks
- Literatur von und über Wilhelm Ostwald im Katalog der Deutschen Nationalbibliothek
- Informationen der Nobelstiftung zur Preisverleihung 1909 an Wilhelm Ostwald (englisch)
- Wilhelm-Ostwald-Gesellschaft
- Wilhelm Ostwald Gedenkstätte & Archiv
- Portrait TU Harburg
- Ostwalds Schriften und Bücher zum Thema Farbe
- Informationen zu Ostwald in English
- Ostwalds Autobiographie
Personendaten | |
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NAME | Ostwald, Wilhelm |
KURZBESCHREIBUNG | balten-deutscher Chemiker und Nobelpreisträger |
GEBURTSDATUM | 2. September 1853 |
GEBURTSORT | Riga |
STERBEDATUM | 4. April 1932 |
STERBEORT | Leipzig |