Simone de Beauvoir
aus Wikipedia, der freien Enzyklopädie
Simone de Beauvoir [simɔndə boˈvwaʀ] (* 9. Januar 1908 in Paris; † 14. April 1986 ebenda; vollständiger Name: Simone Lucie-Ernestine-Marie-Bertrand de Beauvoir) war eine französische Schriftstellerin, Philosophin und Feministin.
Inhaltsverzeichnis |
[Bearbeiten] Leben
Simones Vater Georges de Beauvoir arbeitete als Anwalt am Pariser Appellationsgerichtshof. Die Mutter Françoise, geborene Brasseur, war streng katholisch, der Vater Agnostiker. Er duldete jedoch die katholische Erziehung von Simone und ihrer um zwei Jahre jüngeren Schwester Hélène. Da das Vermögen ihrer großbürgerlichen Familie in der Nachkriegszeit der 1920er Jahre verloren ging, musste sie einen Beruf ergreifen.[1] Die „Tochter aus gutem Hause“ (Titel ihrer Autobiographie Memoiren einer Tochter aus gutem Hause) rebellierte Zeit ihres Lebens gegen den Konformismus und die „bedrückende Tyrannei“ des Bürgertums, aus dem sie kam. Mit vierzehn Jahren schrieb sie, dass sie nicht mehr an Gott glaube. Von 1913 bis 1925 fand ihre Schulausbildung am katholischen Mädcheninstitut Cours Désir in Paris mit dem Abschluss Baccalauréat (Abitur/Matura) statt. 1914 begann die enge Freundschaft mit Elizabeth Le Coin, geborene Mabille, genannt Zaza (1908-1929). In den Jahren 1925/26 studierte sie Philologie am Institut Sainte Marie in Neuilly, Mathematik am Institut Catholique und 1926/27 Philosophie an der Sorbonne. 1928/29 schrieb sie ihre Diplomarbeit über Leibniz und bereitete sich auf die Agrégation an der Sorbonne und der École Normale Supérieure vor. Als Jahrgangszweite nach Sartre bestand sie 1929 die Agrégation in Philosophie und war damit eine der ersten Philosophielehrerinnen Frankreichs. Nach ihrem Studium unterrichtete sie in Marseille, dann in Rouen, bis sie 1936 wieder nach Paris zurückkehrte, um am Lycée Molière und darauf am Camille Sée zu unterrichten.
Den Durchbruch als Schriftstellerin schaffte Simone de Beauvoir mit ihren beiden existenzialistischen Romanen Sie kam und blieb (1943) und Das Blut der anderen (1945).
Während ihres Studiums an der Sorbonne lernte sie 1929 ihren Lebensgefährten, den existenzialistischen Philosophen Jean-Paul Sartre kennen. Wie weit die beiden einander in ihrem philosophischen Schaffen beeinflusst haben, bleibt bis heute unklar. Beide lebten sie im Quartier Montparnasse, jedoch in getrennten Wohnungen (lange Jahre lebten beide in Hotels) und führten zeitlebens eine offene Beziehung. Ihre zahlreichen Affären und Liebschaften bildeten keinen Widerspruch zu ihrer intellektuell geprägten Beziehung. So genossen sie - nach eigenen Aussagen - „die Vorteile des Lebens zu zweit und keine seiner Unannehmlichkeiten“. Mit dem amerikanischen Schriftsteller Nelson Algren verband sie in den Jahren 1947 bis 1951 eine leidenschaftliche Liebesbeziehung; von 1952 bis 1958 war sie mit dem späteren Filmemacher Claude Lanzmann zusammen.
Ihr Welterfolg Das andere Geschlecht erschien im Jahr 1949 (deutsch 1951) und machte sie zur Vorzeigeintellektuellen Frankreichs. Sie wurde von Regierungen eingeladen und reiste in ganz Europa, Nord-, Mittel- und Südamerika, im Nahen und Fernen Osten, in die UdSSR und nach China. Über ihre Reiseerfahrungen schrieb sie in Reportagen und Tagebüchern. 1954 erhielt sie den renommierten Prix Goncourt für ihren Roman Les Mandarins (Die Mandarins von Paris).
Sie engagierte sich gemeinsam mit Sartre gegen den Vietnam- und den Algerienkrieg. Daneben verfolgte sie konsequent ihren eigenen Weg, übernahm die Redaktion der linken Zeitschrift Les Temps Modernes und engagierte sich im Feminismus. Ab den 1970er Jahren stellte sie sich „à disposition du mouvement féministe international“ („der internationalen Frauenbewegung zur Verfügung"). Als eine der Ersten trat sie für die Straffreiheit der Abtreibung ein.
1975 wurde de Beauvoir mit dem Jerusalempreis für die Freiheit des Individuums in der Gesellschaft und 1983 mit dem Sonning-Preis der Universität Kopenhagen ausgezeichnet.
Sie pflegte ihren Lebensgefährten Sartre während seiner langen Krankheit bis zu seinem Tod im Jahr 1980. In diesem Jahr adoptiert sie die Philosophielehrerin Sylvie Le Bon, um ihren Nachlass zu regeln. 1981 veröffentlichte sie Die Zeremonie des Abschieds (La Cérémonie des adieux), ein schmerzhafter Rückblick auf die letzten Jahre des Lebens Sartres. Simone de Beauvoir starb am 14. April 1986 und wurde auf dem Cimetière du Montparnasse in Paris begraben.
[Bearbeiten] Werk
Simone de Beauvoir gilt als eine der Begründerinnen des Feminismus nach 1968. Ihre philosophischen Werke verbinden sich stark mit dem Sartreschen Existentialismus. Am bekanntesten wurde sie jedoch, neben ihrer mehrbändigen Autobiographie, mit ihrem Werk Das andere Geschlecht (Le Deuxième Sexe, 1949): Darin wies sie eingehend auf die Unterdrückung der Frau im Patriarchat hin und schuf eine der theoretischen Grundlagen für die erstarkende neue Frauenbewegung.
In diesem Werk vertritt sie die These, dass die Unterdrückung der Frau gesellschaftlich bedingt sei. Für sie existiert keine irgendwie geartete Essenz der Frau:
"Man wird nicht als Frau geboren, man wird es" („On ne naît pas femme, on le devient“).
Frauen sind von den Männern zum „Anderen Geschlecht“ gemacht worden. Dies bedeutet in der existenzialistischen Terminologie Beauvoirs, dass sich der Mann als das Absolute, das Essentielle, das Subjekt setzt, während der Frau die Rolle der Anderen, des Objekts zugewiesen wird. Sie wird immer in Abhängigkeit vom Mann definiert. Deshalb hat sie mit stärkeren Konflikten zu kämpfen als der Mann. Wenn sie ihrer „Weiblichkeit“ gerecht werden will, muss sie sich mit einer passiven Rolle begnügen, dies steht aber ihrem Wunsch entgegen, sich als freies Subjekt durch Aktivität selbst zu entwerfen.
Beauvoir präsentiert eine äußerst komplexe Analyse der Lage der Frau. Sie diskutiert biologische, psychoanalytische und historische „Fakten und Mythen“ (so der Titel des ersten Teils) und die „gelebte Erfahrung“ der Frau. Stark beeinflusst von der Methodologie der existenzialistischen Phänomenologie von Jean-Paul Sartre und Maurice Merleau-Ponty geht sie davon aus, dass keine wissenschaftliche Betrachtung die „Frau“ erklären kann, sondern dass nur die individuelle Erfahrung ausschlaggebend ist.
Beauvoir war immer wieder heftigen Anfeindungen ausgesetzt. Neben der zu erwartenden Kritik aus dem bürgerlich-konservativen Lager legte sie sich auch mit der Linken an, weil sie (vor allem in späteren Jahren) davon überzeugt war, dass sich die Unterdrückung der Frau nicht automatisch im Kommunismus auflösen würde. Auch von Feministinnen wurde sie angegriffen. Im Zentrum der Kritik standen dabei meist ihre Beschreibungen des weiblichen Körpers und ihre „Entmystifizierung“ der Mutterschaft. Sie hat viele der späteren Diskussionen im Feminismus beeinflusst und angestoßen und war wegbereitend für die Gender Studies.
- „Wenn man uns sagt: 'Immer schön Frau bleiben, überlaßt uns nur all diese lästigen Sachen wie Macht, Ehre, Karrieren, seid zufrieden, daß ihr so seid: erdverbunden, befaßt mit den menschlichen Aufgaben...' Wenn man uns das sagt, sollten wir auf der Hut sein!“ (Schwarzer, A.: Simone de Beauvoir heute, Reinbek bei Hamburg 1983, S. 16.)
Weitere Werke: Sie kam und blieb (L'Invitée, 1943); Memoiren einer Tochter aus gutem Hause (Memoires d'une jeune fille rangée, 1958).
[Bearbeiten] Kritik
Die feministischen Enkelinnen Betty Friedan und Luce Irigaray kritisieren Beauvoirs biographische Unterwerfung unter Sartres sexuelle Forderungen, die sie selbst in Briefen und Tagebüchern preisgibt. Beauvoir besaß ein eigenes Klingelzeichen, um Sartre nicht beim Liebesspiel mit anderen Freundinnen zu überraschen. Die angebliche Abtreibung jedoch hatte niemals stattgefunden; sie hatte diese aus Solidarität mit der Frauenbewegung erfunden. Laut Hazel Rowley "ist sich (Sylvie Le Bon) völlig sicher, dass Beauvoir niemals eine Abtreibung hatte." [2] Gefühlsmäßig und intellektuell blieb sie an Sartre gebunden, dem sie seine polygamen Züge nachsah.
Beauvoir ordnet als betonte Intellektuelle den Körper einer Selbstverwirklichung im geistigen Sinn unter und entwertet dabei den weiblichen Körper bis zur Leibvergessenheit, ja zur Leibverachtung. Frau müsse Mann werden, um Mensch sein zu können. Es gäbe demnach zwei Fallen für die Frau, die es abzuschaffen gelte. Zum einen das Kind, das der Mann der Frau aufzwingt, und der Bindungswille an den Mann oder Familie. Daraus folgt, dass sie die Abtreibung und wechselnde sexuelle Beziehungen, auch gleichgeschlechtlicher Art, zu den Errungenschaften der Frauenbefreiung und einer Freiheit von bürgerlichen Zwängen stilisiert. Zu Lebzeiten war Beauvoir eine der berühmtesten Intellektuellen des 20. Jahrhunderts, nach Ihrem Tod hat sie einen erheblichen Teil des politischen Feminismus, noch stärker aber einen Teil der konstruktivistisch orientierten Sozialwissenschaften stark beeinflusst.
[Bearbeiten] Bibliographie
[Bearbeiten] Romane
- L'Invitée (Sie kam und blieb) - 1943
- Le sang des autres (Das Blut der anderen) - 1945
- Tous les hommes sont mortels (Alle Menschen sind sterblich) - 1946
- Les Mandarins (Die Mandarins von Paris) - 1954 - prix Goncourt
- Les belles images (Die Welt der schönen Bilder) - 1966
- Quand prime le spirituel - 1979
[Bearbeiten] Novellen
- La femme rompue, suivi de Monologue et de L'âge de discrétion - 1968 (Eine gebrochene Frau) (1972)
[Bearbeiten] Essays
- Pyrrhus et Cinéas (1944)
- Pour une morale de l'ambiguïté (1947)
- L'Existentialisme et la Sagesse des nations (1948)
- Le Deuxième Sexe (Das andere Geschlecht) (1949)
- Privilèges (1955)
- La Longue Marche (1957)
- La Vieillesse (Das Alter) (1970) Dt. von Anjuta Aigner-Dünnwald u. Ruth Henry. ISBN 3-498-00433-6
[Bearbeiten] Memoiren und Erinnerungen
- Mémoires d'une jeune fille rangée (Memoiren einer Tochter aus gutem Hause) (1958)
- La Force de l'âge (In den besten Jahren) (1960)
- La Force des choses (Der Lauf der Dinge) (1963)
- Une mort très douce (Ein sanfter Tod) (1964)
- Tout compte fait (Alles in allem) (1972)
- La Cérémonie des adieux (1981, Abschied von J P Sartre)
- Diary of a Philosophy Student: Volume 1, 1926/27. Hrsg. und bearbeitet von Barbara Klaw, Sylvie Le Bon de Beauvoir, Margaret Simons, Marybeth Timmermann. University of Illinois Press, Urbana and Chicago 2006. 374 S. ISBN 0-252-03142-3 (engl. posthum)
[Bearbeiten] Theater
- Les Bouches inutiles (Die unnützen Mäuler) (1945)
[Bearbeiten] Literatur
- Deirdre Bair: Simone de Beauvoir. Eine Biographie, München 1990
- Schönherr-Mann, Hans-Martin: Simone de Beauvoir und das andere Geschlecht, dtv premium, München 2007, ISBN 978-3-423-24648-4
- Hervé, Florence und Höltschl, Rainer: absolute Simone de Beauvoir. orange-press, Freiburg 2003, ISBN 3-936086-09-5
- Christiane Zehl Romero: Simone de Beauvoir. Rowohlt Verlag, Reinbek, 15. Aufl. 2001, ISBN 3-499-50260-7
- C. Card: The Cambridge Companion to Simone de Beauvoir, Cambridge 2003.
- Chaperon und Delphy: Cinquantenaire du Deuxième sexe, Paris 2002.
- Toril Moi: Simone de Beauvoir. Die Psychographie einer Intellektuellen, Fischer Taschenbuch Verlag, Frankfurt am Main 1997
- Claudine Monteil: Die Schwestern Helene und Simone Beauvoir. Nymphenburger, München 2006, 269 Seiten, ISBN 3-485-01086-3
- Alice Schwarzer: Simone de Beauvoir heute, rororo, Reinbek bei Hamburg 1983
- Dieter Wunderlich: Simone de Beauvoir. Mit den Männern von gleich zu gleich. In: EigenSinnige Frauen. Zehn Porträts. Piper Verlag, München 2006. ISBN 3-492-24058-5
- Gerlinde Kraus: Bedeutende Französinnen - Christine de Pizan, Émilie du Châtelet, Madame de Sévigné, Germaine de Staël, Olympe de Gouges, Madame Roland, George Sand, Simone de Beauvoir, Schröder Verlag, Inh. G. Kraus, Mühlheim am Main. 2006. ISBN 3-9811251-0-X
- Ingeborg Gleichauf: Sein wie keine Andere. Simone de Beauvoir. Schriftstellerin und Philosophin, Reihe Hanser, dtv, 2007. 298 Seiten. ISBN 978-3-423-62324-7
- Hazel Rowley: tete à tete - Leben und Lieben von Simone de Beauvoir und Jean-Paul Sartre, Parthas Verlag, November 2007. 510 Seiten. ISBN 3866016670
- Walter van Rossum: Simone de Beauvoir und Jean-Paul Sartre. Die Kunst der Nähe, rororo, Oktober 2001. 168 Seiten. ISBN 3499230429
[Bearbeiten] Filmographie
- Simone de Beauvoir – Eine moderne Frau. Dokumentation, Frankreich 2007, 60 Min., Regie: Dominique Gros, Produktion: ARTE France, les Films d'Ici, Erstsendung: 10. Januar 2008, Inhaltsangabe von arte
- Der Liebespakt: Simone de Beauvoir und Sartre. (OT: Les amants du Flore) Spielfilm, Frankreich 2006, 104 Min., Drehbuch: Chantal de Rudder, Evelyne Pisier, Regie: Ilan Duran Cohen, Produktion: ARTE France, France 3, Fugitive Productions, Pampa Production, TV5, Inhaltsangabe von arte
[Bearbeiten] Siehe auch
[Bearbeiten] Weblinks
- Literatur von und über Simone de Beauvoir im Katalog der Deutschen Nationalbibliothek
- Debra Bergoffen: Eintrag in der Stanford Encyclopedia of Philosophy (englisch, inkl. Literaturangaben)
- Shannon Mussett: Eintrag in der Internet Encyclopedia of Philosophy (englisch, inkl. Literaturangaben)
- Bibliographie aller Buch-Titel, Rowohlt-Verlag
- komplette Bibliographie der Schriften Beauvoirs, auch Zeitschriftenartikel, phenomenologycenter.org
- FemBiografie von Marion Kremer mit umfangreichen Literaturangaben
- Leben ohne Angst. Simone de Beauvoir zum 100. Geburtstag, Interview mit Alice Schwarzer auf Kulturzeit am 9. Januar 2007 (Video, 6:40 min)
[Bearbeiten] Quellen und Belege
- ↑ Die Tagespost: „Das Ziel war bindungslose Selbstbestimmmung“, 8. Januar 2008
- ↑ Hazel Rowley, 2007, S. 494, Anmerkung 46.
Personendaten | |
---|---|
NAME | Beauvoir, Simone de |
KURZBESCHREIBUNG | französische Schriftstellerin, Philosophin und Feministin |
GEBURTSDATUM | 9. Januar 1908 |
GEBURTSORT | Paris, Frankreich |
STERBEDATUM | 14. April 1986 |
STERBEORT | Paris, Frankreich |