Kunstlied
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Als Kunstlied wird eine Gattung des Liedes bezeichnet, die sich Ende des 16. Jahrhunderts entwickelte.
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[Bearbeiten] Merkmale des Kunstliedes
Formal unterscheidet man:
- Einfache Strophenlieder
- Melodie und Begleitung sind in jeder Strophe dieselbe. Die so erzeugte Gesamtstimmung erstreckt sich über das ganze Lied. Beispiel: „Der Zauberlehrling“, W. A. Mozart. Stimmungswechsel haben keinen Einfluss auf die strophische Anlage.
- Variierte Strophenlieder
- Melodie und Begleitung ändern sich in bestimmten Strophen. Beispiel: „Der Lindenbaum“ aus dem Zyklus „Winterreise“, Franz Schubert. Stimmungswechsel haben nur einen geringen Einfluss auf die strophische Anlage (z. B. Wechsel von Dur nach Moll, Ausschmückung von Strophen, Ergänzung durch einen kleineren neuen Teil)
- Durchkomponierte Lieder
- Dem Geschehen folgen stets neue Melodie und Begleitung. Beispiele: „Mit der Njanja“ aus dem Zyklus „Kinderstube“, Modest Mussorgski, "Der Erlkönig" op.1 von Franz Schubert. Stimmungswechsel des Textes haben Einfluss auf die musikalische Gestaltung, der musikalische Strophenaufbau geht verloren.
Der Unterschied des Kunstliedes zum Volkslied besteht hauptsächlich darin, dass der Komponist des Kunstliedes bekannt ist, das Volkslied hingegen ohne Autor existiert. Vertonungen von Lyrik sind für Kunstlieder charakteristisch. Sie werden auf Grundlage einer schriftlichen Fixierung gesungen, Volkslieder dagegen mündlich tradiert. Kunstlieder werden von ausgebildeten Sängern interpretiert, weil die Anforderungen für die Stimme gegenüber einem Volkslied generell deutlich höher sind.
Zuweilen kommt es vor, dass Volkslied und Kunstlied ineinander übergehen. Franz Schuberts Lied „Der Lindenbaum“ aus seinem Zyklus „Winterreise“ wurde z. B. durch eine Männerchorfassung von Friedrich Silcher, welche die dramatische Molltrübung in einer Strophe schlicht überging, als das Volkslied „Am Brunnen vor dem Tore“ bekannt.
[Bearbeiten] Geschichte
[Bearbeiten] Mittelalter
Die Tradition des Minnesangs aus dem Mittelalter bildet die Grundlage für das Kunstlied. Troubadours (Provence), Trouvères (Nordfrankreich) und Minnesänger (Deutschland) vertonten eigene Texte zu Ehren der adligen Frauen und trugen sie selbst vor, meist mit Laute begleitet. Weitere typische Instrumente, die von anderen Musikern zur Begleitung gespielt wurden, waren Fidel, Dudelsack oder Schalmei. Inhalte von Helden- und Preisliedern wurden auch mit der Harfe untermalt.
Melodien wurden auch schriftlich in Quadratnotation ohne Rhythmusangabe notiert, die Wiedergabe erfolgte also nicht rein aus dem Gedächtnis.
Die wichtigsten Zeugnisse für die Entwicklung des Liedes bleiben die Liederhandschriften, z. B. der Codex Manesse.
[Bearbeiten] Barock
Im 17. Jahrhundert entwickelte sich die Variante des Generalbassliedes, das sich an Monodie und Opernarie orientierte. Die Lieder waren sehr häufig in Strophenform gehalten und als einfache Kompositionen angelegt, die möglichst jeder nachsingen können sollte. Die Begleitung übernahm das Cembalo als Vorläufer des Klaviers, langsam ging die auf das Mittelalter zurückgehende Begleitung durch die Laute zurück.
Johann Sebastian Bach verfasste einige geistliche Lieder im von Georg Christian Schemelli herausgegebenen Gesangbuch, unter seinen Werken nehmen Lieder aber eher eine untergeordnete Stellung ein.
[Bearbeiten] Klassik
Das erste Drittel des 18. Jahrhundert verzeichnete einen Rückgang von Liedern zugunsten der Arie. Der Begriff „Lied“ verlor an Deutlichkeit, was sich auch daran zeigt, dass ein Sololied manchmal als „Aria“ betitelt wurde. Lieder galten als gesungene Texte ohne hohen Kunstanspruch. Der Typus des Strophenliedes ist allgemein vorherrschend, auf den individuellen Text der jeweiligen Strophen wird nicht differenzierend eingegangen. Lieder galten als einfach, natürlich, volkstümlich, und ihre Melodien sollten im Sinne der ersten Berliner Liederschule, in der u. a. C.P.E. Bach wirkte, leicht sanglich und fassbar sein. Neu ist, dass die Generalbassbegleitung zunehmend durch eine ausgeschriebene Begleitung ersetzt wird.
In den Liedern der Wiener Klassik, die noch heute neben denen der Romantik bestehen, merkt man daher deutlich den Einfluss aus dem Bereich der Oper. Joseph Haydn vertonte in London Canzonetten mit charakterisierenden Vor- und Nachspielen und schrieb auch die Hymne „Gott erhalte Franz den Kaiser“, deren Melodie heute die Grundlage für die deutsche Nationalhymne ist. Wolfgang Amadeus Mozart verfasste Gelegenheitskompositionen mit unterschiedlichen stilistischen Eigenschaften. Er komponiert neben den üblichen Strophenliedern auch zum ersten Mal Lieder, die wie kleine Opernszenen wirken (z. B. „Das Veilchen“, „Als Luise die Briefe ihres ungetreuen Liebhabers verbrannte“). Ludwig van Beethoven orientierte sich zunächst an der zweiten Berliner Liederschule. Neu an seinen Liedern war, dass sie tatsächlich den Versuch unternahmen, den Gefühlsinhalt der Texte auszudrücken, statt an einer festgefügten Form zu haften. Sein Werk „An die ferne Geliebte“ setzt einen deutlichen Impuls in Richtung Liederzyklus.
[Bearbeiten] Romantik
Das deutsche Kunstlied im engeren Sinne entwickelte sich im 19. Jahrhundert mit den Hauptvertretern Franz Schubert, Robert Schumann, Johannes Brahms und Hugo Wolf.
Franz Schubert erweiterte den herkömmlichen Begriff des Kunstliedes in hohem Maße. Das bisher vorherrschende Strophenlied wird von ihm erweitert zum variierten Strophenlied, aber ebenso finden sich gänzlich durchkomponierte Lieder in seinem Schaffen. Das begleitende Klavier emanzipierte sich vollständig vom Sänger und schuf so einen reicheren Gegenpart zur Melodie. Für Schuberts Lieder ist typisch, dass er meist eine charakteristische melodische Figur (Motiv) wiederholt. In höchster Steigerung ist dies im „Gretchen am Spinnrade“ zu hören, in dem permanent das gleichmäßige Drehen des Spinnrades in der Klavierstimme dargestellt wird. Seine beiden großen Liederzyklen „Die schöne Müllerin“ (1823) und „Winterreise“ (1827) auf Texte von Wilhelm Müller zählen zu den Höhepunkten der Liedliteratur und sind Prüfstein für jeden männlichen Interpreten, obwohl auch große Sängerinnen wie Christa Ludwig, Brigitte Fassbaender oder Christine Schäfer die „Winterreise“ beeindruckend aufgeführt haben. Der posthum erschienene „Schwanengesang“ umfasst Lieder aus Schuberts letzter Schaffenszeit.
Seine Lieder wurden schließlich so bekannt, dass man das deutsche Wort „Lied“ in andere Sprachen übernommen hat (französisch: „Le lied“, englisch: „The lied“). Damit wird spezifisch das Kunstlied bezeichnet, das durch Schubert eine enorme Aufwertung erfuhr. Die Vertonung eines Liedes erhält neuen schöpferischen Wert.
Robert Schumann schuf neben zahlreichen Liedern, die sehr eng an der literarischen Vorlage komponiert waren, die bedeutenden Zyklen „Dichterliebe“ op. 48 und „Frauenliebe und -leben“ op. 42. Sein Liederkreis op. 39 über Gedichte von Joseph von Eichendorff ist genauso wie die „Myrten“ op. 25 eine inhaltlich nicht unmittelbar zusammenhängende Sammlung von Liedern.
Johannes Brahms hat die Form des Zyklus um „Die schöne Magelone“ bereichert und darüber hinaus eine große Anzahl an Liedern geschrieben.
Hugo Wolf komponierte ebenfalls stark am Text orientiert. Er bezeichnete seine Lieder auch als „Gedichte für eine Singstimme und Klavier“. 1888 gelang ihm der Durchbruch mit seinen „Mörike-Liedern“. Ein „spanisches Liederbuch“ und ein „italienisches Liederbuch“ gehören ebenso zu seinen Werken wie zahlreiche einzelne Lieder.
Eine Weiterentwicklung ist das Lied und der Liederzyklus mit Orchesterbegleitung („Orchesterlied“), z. B. Gustav Mahlers „Das Lied von der Erde“ und „Lieder eines fahrenden Gesellen“. In diese Gruppe zählen auch Alexander von Zemlinskys „Lyrische Symphonie“ und im weitesten Sinne Arnold Schönbergs großdimensionierte „Gurre-Lieder“ (für Sprecher, Gesangssolisten, Chor und Orchester).
Bedeutende Schöpfer spätromantischer Kunstlieder sind des weiteren Richard Strauss, Hans Pfitzner, Max Reger, Richard Wetz, Joseph Haas, Othmar Schoeck und Yrjö Kilpinen.
Das Kunstlied findet auch Nachahmer im Ausland, z. B. in Gabriel Fauré, Claude Debussy, Maurice Ravel, Modest Mussorgski, Sergei Rachmaninow, Leonard Bernstein, Charles Ives und Benjamin Britten, und verbreitet sich zunehmend als eigenständige Kompositionsform.
[Bearbeiten] Moderne
Arnold Schönberg führte die Gattung des Liedes in die klassische Moderne weiter. Seine Beiträge zur Form des Liederzyklus sind „Das Buch der hängenden Gärten“ op. 15 (auf Texte von Stefan George), sowie der sprechgesangartige „Pierrot lunaire“ op. 21 von 1912. An einzelnen seiner frühen Lieder lässt sich sein Weg von der spätromantischen Tonsprache zur freien Atonalität aufzeigen: Immer stärker gelangt auch in seinem Liedschaffen die Dissonanz zum Vorrang.
Alban Berg und Anton Webern experimentierten in extrem kurzen Liedern (15 Sekunden, 18 Sekunden) mit der Tonalität und Atonalität, um eine eigene Tonsprache zu finden. Dabei verliert die notierte Singstimme zunehmend an Sanglichkeit durch ungewöhnliche Intervallsprünge.
Hanns Eisler verzichtete in seinen Liedern ganz auf abschließende Kadenzen und bricht seine Lieder oft abrupt ab. Seine Lieder bringen Song und Kunstlied miteinander in Verbindung. Der oft sozialkritische Text steht bei ihm im Vordergrund, das Klavier wird eher illustrierend behandelt.
Paul Hindemith wandte sich formal wieder der Barockzeit zu, komponierte aber in seiner unverkennbar eigenen, tonalen Tonsprache. Sein Zyklus „Das Marienleben“ auf Texte von Rainer Maria Rilke erzählt die Geschichte der biblischen Maria nach.
Wolfgang Rihm vertonte Texte des schizophrenen Adolf Wölfli in seinem Wölfli-Liederbuch. Der Schluss des Zyklus mündet in ein Duo für zwei Schlagzeuger („Wölfli arbeitet wie verrückt“).
[Bearbeiten] Siehe auch
[Bearbeiten] Literatur
- Werner Oehlmann: Reclams Liedführer. Stuttgart 1973, 4. A. 1993; ISBN 3-15-010215-4; 1.024 S. (m. 470 Notenbeispielen)
[Bearbeiten] Weblinks
- http://www.recmusic.org/lieder/ – Liedtexte in Originalsprache und Übersetzung
- http://www.karadar.com – Liedtexte in Originalsprache