Sedantag
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Der Sedantag war ein Gedenktag, der im deutschen Kaiserreich (1871–1918) jährlich am 2. September gefeiert wurde. Er erinnerte an den 2. September 1870, an dem preußische Truppen im Deutsch-Französischen Krieg nahe der französischen Stadt Sedan den entscheidenden Sieg über die Franzosen errangen, wobei der französische Kaiser Napoléon III. in preußische Gefangenschaft geriet.
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[Bearbeiten] Der Ruf nach einem nationalen Feiertag
Im Zuge der Reichsgründung 1871 in Versailles mehrten sich in Deutschland jene Stimmen, welche nach einem gemeinsamen, nationalen Feiertag verlangten und es lag nahe, das Datum der Kaiserproklamation am 18. Januar, als Gedenktag vorzuschlagen.
Bereits im Frühjahr 1871 richtete ein Gremium von Persönlichkeiten aus kirchlich-evangelischen und liberalen Kreisen eine Petition an Wilhelm I. mit der Bitte, einen Tag zu benennen, der als Stiftungstag des Reiches gefeiert werden könnte. Der Kaiser lehnte den 18. Januar aber ab, da der 18. Januar auch der Tag der ersten preußischen Königskrönung war und der sollte nicht in den Schatten eines deutschen Feiertages geraten. Man erhoffte sich statt verordneter Feiern vielmehr, dass, ähnlich wie zur Erinnerung an die Völkerschlacht bei Leipzig, durch spontane Gedenkfeiern innerhalb der Bevölkerung das Gedächtnis an die Ereignisse des Krieges bewahrt würde.
Im Juni 1872 machte der westfälische Pastor Friedrich Wilhelm Bodelschwingh einen erneuten Versuch und schlug den 2. September, das Datum der Kapitulation Napoleons III. in Sedan, welche so eng mit der Gründung des Kaiserreiches verbunden war, als Datum für ein Dank- und Friedensfest vor.
Bis 1873 setzte sich der Sedantag mehr und mehr als Feiertag gegenüber einem ebenfalls erwogenen, jährlich wiederkehrenden Frühlingsfest am Stiftungstag des Deutschen Reiches (18. Januar 1871) oder Feierlichkeiten zum Friedensschluss in Frankfurt (10. Mai 1871), wie ihn beispielsweise der Berliner Magistrat favorisierte, durch. Er erlangte aber nie amtlichen Charakter, da Wilhelm I. ihn nicht zum offiziellen Feiertag erklären wollte. Auch kam ihm niemals die Bedeutung etwa der „Kaiserparade“ oder der Feierlichkeiten anlässlich des Kaisergeburtstages zu. Da der Sedantag seit 1873 jedoch auf Anordnung des preußischen Kultusministeriums durch Festveranstaltungen an Schulen und Universitäten gefeiert wurde, besaß er dennoch zumindest den Charakter eines offiziellen Erinnerungstages an den Deutsch-Französischen Krieg. In vielen preußischen Kleinstädten wie Camburg wurde dieser Tag zu Einweihung von Kriegsdenkmälern genutzt.
[Bearbeiten] Sinn und Inhalt der Feierlichkeiten zum Sedantag
Seit Beginn der Sedanfeiern schieden sich die Geister daran, welche Inhalte die Feierlichkeiten haben sollten. Durch die Einweihung der mit erbeuteten Kanonen aus dem Deutsch-Französischen Krieg verzierten Berliner Siegessäule am 2. September 1873 wurde die militärische Komponente der Reichseinigung deutlich betont, zumal unter den Gästen - Mitglieder der kaiserlichen Familie, eine Vielzahl deutscher Fürsten sowie militärische Abordnungen aus dem ganzen Reich - eindeutig die Uniformen dominierten. Dieser Aspekt wurde durch die von Kaiser Wilhelm I. ab 1873 alljährlich anlässlich des Sedantages abgehaltene Militärparade des Gardekorps noch unterstrichen. Für Wilhelm I. war und blieb der 2. September vor allem ein Ehrentag der Armee, insbesondere der preußischen Armee. Zwar fanden die Paraden aus Termingründen nicht jedes Jahr am 2. September statt, der symbolische Bezug zum Sedantag blieb jedoch auch in den folgenden Jahren erhalten und trat erst unter Kaiser Wilhelm II. in den Hintergrund, nachdem dieser die Paraden auf Mitte August verschoben hatte.
Daneben gab es aber auch zivile Ansätze zur Ausgestaltung der Sedanfeiern. Der rheinisch-westfälische Provinzialausschuss schlug vor, was er unter einem „typisch deutschen“ Fest für das gesamte Volk verstand: Der Vorabend des 2. September würde mit dem Absingen patriotischer Lieder, Freudenfeuern und Glockengeläut begangen werden. Der Sedantag selbst sollte mit Umzügen der Veteranen und Offiziere, begleitet von der Ortsobrigkeit, durch festlich geschmückte Straßen hin zur Kirche begonnen werden, wo Lobreden, Dankesgebete und Predigten abzuhalten waren. Das Mittagsmahl sollten die Menschen im Familienkreise einnehmen und nachmittags Feierlichkeiten im Freien mit Musikkapellen, Festreden, dem Absingen alter und neuer vaterländischer Lieder sowie Volksbelustigungen aller Art abgehalten werden. Der Abend endete, festlich illuminiert, wiederum in Feiern im Familienkreis. In einigen Städten - vor allem in Leipzig, Coburg, Braunschweig, Worms und Stettin - wurden neben den militärischen Vereinen, wie etwa den Veteranenverbänden, auch die Turnerschaften in die Feierlichkeiten mit einbezogen.
Den Ablauf einer schulischen Sedanfeier im holsteinischen Bargteheide schildert eine Volksschülerin in einem Aufsatz vom 12. September 1912:
- Unsere Sedanfeier
- In diesem Jahr wurde unsere Sedanfeier ganz besonders schön gefeiert. Die Feier, die sonst gewöhnlich in der Schule stattfindet, fiel in diesem Jahr aus. Wir hatten eine besondere Feier am Nachmittag. Im geschlossenen Zug marschierten wir, voran unser Pfeifen- und Trommelkorps, nach dem Turnspielplatz. Aus den umliegenden Dörfern waren die Knaben gekommen, um an den Wettspielen teilzunehmen. Es wurden turnerische übungen vorgeführt. Wir Mädchen mußten im Kreis spielen und einen Reigen machen. Des Abends wurde eine Stunde getanzt. Zum Schluß sangen wir: „Deutschland, Deutschland über alles“, und so war die schöne Feier beendet. Die Schlacht bei Sedan war nicht die gewaltigste, aber die bedeutendste Schlacht, weil Napoleon gefangen genommen wurde. Der Sedantag ist darum der bedeutungsvollste Tag. (zitiert nach 100 Jahre Altschulgebäude in Bargteheide 1887–1987, [1])
Um 1890 erlebte der Sedantag eine Wandlung seiner Bedeutung. War er bis dahin hauptsächlich eine alljährlich wiederkehrende militärische Siegesfeier anlässlich der Schlacht von Sedan, so stand nun mehr und mehr die Reichseinigung im Vordergrund. Ein Grund hierfür lag im Generationenwechsel innerhalb der Kaiserdynastie. Wilhelm I. sah sich in erster Linie noch als König von Preußen und der Sedantag war für ihn die Erinnerung an einen preußischen Sieg, welcher die Errichtung eines Reiches zur Folge hatte, dessen Krone er nur widerwillig angenommen hatte. Sein Enkel Wilhelm II. jedoch, der seit 1888 regierte, fühlte sich vor allem als deutscher Kaiser, und als solcher förderte er diese nationale Komponente der Sedanfeiern. Gleichzeitig war der Tag auch für ihn vor allem ein Militärjubiläum, wobei er nie müde wurde, an Disziplin und militärische Pflichterfüllung zu appellieren. Darüber hinaus versuchte er die Mythologisierung der Schlacht von Sedan sowie den Personenkult um seinen Großvater zu fördern, wie die termingerechte Einweihung einiger Kaiser-Wilhelm-Denkmäler, etwa 1894 in Königsberg und 1896 in Breslau, zeigen.
Auch im Volk spielte mit der wachsenden zeitlichen Distanz zu den Ereignissen von 1870/71 die Herausbildung einer gesamtdeutschen Identität eine immer größere Rolle. Die Bevölkerung fühlte sich inzwischen zu sehr als deutsche und hatte die Existenz eines Reiches verinnerlicht, als dass der Sedantag eine rein preußische Siegesfeier bleiben konnte. Ein Vorstoß in diese Richtung war der Vorschlag des Zentralausschusses für Volks- und Jugendspiele von 1894, der jedoch nie verwirklicht wurde. Dieser sah vor, die Komponente der Reichseinigung bei den Feierlichkeiten stärker zu betonen und zu diesem Zwecke anlässlich des Sedantages eine Art „nationales Olympia“ zu veranstalten.
Erschwert wurde die Sinngebung durch die politischen Ereignisse der Jahrhundertwende. Während der Niederschlagung des Boxeraufstandes in China kämpften deutsche und französische Truppen Seite an Seite für ein gemeinsames Ziel. War es da noch angebracht, einen Tag zu feiern, der schon durch seinen Namen den ehemaligen Sieg des einen Waffenbruders über den anderen glorifizierte und in Frankreich immer wieder schmerzliche Erinnerungen an die Niederlage sowie die Annexion Elsaß-Lothringens weckte? Tatsächlich nahm auch das Interesse am Sedantag um die Jahrhundertwende in Deutschland stark ab, auch wenn versucht wurde, die Erinnerung an die Ereignisse wach zu halten, indem so genannte „Sedanbüchlein“ herausgegeben wurden, die den damaligen Kriegsverlauf schilderten und glorifizierten. Lediglich zu runden Jubiläen, wie etwa dem 25. Jahrestag 1895 oder dem 40. Jahrestag 1910, gelang es, die Idee der Sedanfeiern kurzfristig wieder zu beleben. Wurde der Tag 1897 im Gothaischen Hofkalender noch in zehn Bundesstaaten als Feiertag erwähnt, fehlt diese Klassifikation für 1915 völlig, und nur in sechs Staaten wurden überhaupt noch Veranstaltungen durchgeführt. Allerdings spielt hierbei auch der Ausbruch des Ersten Weltkriegs eine große Rolle.
Das endgültige Aus für den Sedantag kam am 27. August 1919, als das Innenministerium der Weimarer Republik erklärte, es werde keine Sedanfeiern mehr geben, da diese nicht mehr den Zeitverhältnissen entsprächen.
[Bearbeiten] Widerstände gegen den Sedantag
Der Sedantag konnte sich zunächst nicht im ganzen Reich durchsetzen. Er wurde vor allem von den süddeutschen Ländern, deren Truppen in dieser Schlacht nicht involviert waren, als preußischer Feiertag betrachtet.
In Bayern gedachte man daher lieber der Schlacht bei Wörth, an der im Wesentlichen bayerische Truppen beteiligt waren bzw. feierte zunächst den 10. Mai, den Tag des Frankfurter Friedens. Zudem standen hier „partikulare Gegentendenzen“ der Ausbreitung der Sedanfeiern im Wege, konnte man sich doch nur schwer mit dem neuen Reich anfreunden. Im Reichsland Elsaß-Lothringen verbot die Rücksichtnahme auf den französischen Bevölkerungsanteil eine Ausweitung der Feiern, und in Baden feierten die örtlichen Kriegervereine zunächst lediglich die Schlachten von Belfort und Nuits, in denen badische Truppen eine herausragende Rolle gespielt hatten. Hierbei wird auch deutlich, welche starke Rolle der persönliche Bezug vor allem der Veteranen zu dem Krieg von 1870/71 und den jeweiligen Schlachten spielte. Der Großherzog von Baden sprach sich daher – wohl stellvertretend für die Skepsis aller süddeutschen Länder gegenüber der preußischen Dominanz und gegenüber der mangelnden nationalen Dimension dieses Datums – für den 18. Januar, den Gründungstag des Deutschen Reiches, als reichseinheitlichen Feiertag aus.
Neben den regionalen gab es auch starke politische Widerstände. Der katholische Bevölkerungsanteil des Reiches etwa boykottierte die Feiern zum Sedantag aus Protest gegen den von Otto von Bismarck in den 1870er Jahren forcierten „Kulturkampf“. Der Mainzer Bischof Wilhelm Emmanuel von Ketteler verbot 1874 sogar das Glockenläuten für den 2. September. Für ihn symbolisierte der Sedantag weniger den Sieg Deutschlands über Frankreich und die darauf folgende nationale Einheit als vielmehr die Niederlage der katholischen Kirche gegenüber Bismarck und dem national-liberalen Protestantismus.
Auch die Sozialdemokratie stand dem Sedantag ablehnend gegenüber, zum einen aus Protest gegen die 1874 eingeführten „Sozialistengesetze“, zum anderen wegen des gegen Frankreich gerichteten Charakters der Feiern. Für die Sozialdemokratie stellte der „Hurra-Patriotismus“ wie überhaupt die Verherrlichung von Krieg und Militarismus – auch mit Blick auf die Annexion Elsaß-Lothringens – einen Verstoß gegen den von ihr propagierten Internationalismus dar. Demonstrativ beging sie daher den 18. März als Tag des Aufstandes der Pariser Kommune. 1895 gipfelte der Protest in einem Telegramm an die französischen Genossen, in dem man sich gegen „Krieg und Chauvinismus“ aussprach und ihnen „Gruß und Handschlag“ anbot. Da half es auch nichts, dass im gleichen Jahr aufgrund des „silbernen Gedenkjahres“ den Arbeiter und Angestellten in den Staatsbetrieben und der Reichsverwaltung unterstellten Betrieben sowie in einigen privaten Unternehmen (wie etwa den Essener Krupp-Werken) ein, wenn auch unbezahlter, arbeitsfreier Tag gewährt wurde. Wilhelm II. reagierte scharf auf die sozialdemokratischen Proteste. Es folgten Beschlagnahmungen von Flugblättern sowie Verhaftungen von Redakteuren wegen Majestätsbeleidigung. Auch in den folgenden Jahren bis zur Abschaffung des Sedantages im August 1919 gelang es nie völlig, die Arbeiterschaft in die Feierlichkeiten zu integrieren, so dass der Sedantag stets ein Feiertag vor allem des kaisertreuen Bürgertums, des Adels sowie des Militärs und der preußischen Beamtenschaft blieb.
[Bearbeiten] Quellen und Literatur
- Florentine Gebhart: Erinnerung an das Sedanfest in den 1870er Jahren. In: Blätter aus dem Lebensbilderbuch. Berlin 1930, S. 51–54 (Nachdruck in Jens Flemmin (Hrsg.): Quellen zur Alltagsgeschichte der Deutschen vom Mittelalter bis heute. Band 7. 1871–1914. Wissenschaftliche Buchgesellschaft, Darmstadt 1997, ISBN 3-534-11496-5, S. 61-64; außerdem frei verfügbar als PDF)
- Thomas Rohkrämer: Der Militarismus der „kleinen Leute“. Die Kriegervereine im Deutschen Kaiserreich 1871–1914. (= Beiträge zur Militärgeschichte; Bd. 29). Oldenbourg, München 1990, ISBN 3-486-55859-5 (zugl. Dissertation, Universität Freiburg im Breisgau, 1989)
- Fritz Schellack: Nationalfeiertage in Deutschland 1871 bis 1945. Peter Lang, Frankfurt am Main u. a. 1990, ISBN 3-631-42524-4 (zugl. Dissertation, Universität Mainz 1989)
- Jakob Vogel: Nationen im Gleichschritt. (= Kritische Studien zur Geschichtswissenschaft; Bd. 118). Vandenhoeck & Ruprecht, Göttingen 1997, ISBN 3-525-35781-8 (zugl. Dissertation, FU Berlin, 1995)
- Rüdiger Wulf: „Hurra, heut ist ein froher Tag, des Kaisers Wiegenfest!“ Schulfeiern zum Kaisergeburtstag und zum Sedantag des Kaiserreichs. In: Jochen Löher und Rüdiger Wulf (Hrsg.): „Furchtbar dräute der Erbfeind!“ Vaterländische Erziehung in den Schulen des Kaiserreichs 1871–1918. (= Schriftenreihe des Westfälischen Schulmuseums Dortmund; Band 3). Westfälisches Schulmuseum, Dortmund 1998, S. 57–95
- Landeshauptarchiv Koblenz, Landesarchivverwaltung Rheinland-Pfalz: Vor 100 Jahren – Der Sedantag am 2. September 1899 (Archivseite)
[Bearbeiten] Weblinks
- Kapitel Sedanfeier in: Wilhelm Heinrich Riehl: Ein ganzer Mann, Roman, 1897
- O. P.: Sedantag oder Nationalfest?, kritischer Artikel in der Wochenzeitschrift Ethische Kultur, 1. September 1900
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