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Russlandmennoniten – Wikipedia

Russlandmennoniten

aus Wikipedia, der freien Enzyklopädie

Die Russlandmennoniten sind Mennoniten, die sich im 16. und 17. Jahrhundert im westpreußischen Weichseldelta angesiedelt haben, später für ca. 200 Jahre in der Ukraine zuhause waren und sich dann in verschiedenen Migrationswellen über den gesamten Erdball verstreut haben. Die eigentliche Sprache der Russlandmennoniten ist Plautdietsch, eine westpreußische Varietät des Niederdeutschen. Diese Sprache ist im Weichseldelta als Verschmelzung von verschiedenen mitgebrachten (niederländischen, friesischen und flämischen) Dialekten und niederpreußischen Dialekten entstanden und wird heute noch weltweit von ca. einer halben Million Menschen gesprochen. Ein großer Teil der Russlandmennoniten bekennt sich heute nicht mehr zu den ursprünglichen Glaubensüberzeugungen der Mennoniten. Die Russlandmennoniten stellen als ethno-religiöse Gruppe (mit der gemeinsamen Sprache Plautdietsch, siehe auch Plautdietsch-Freunde) eine weltweit verstreute ethnische Minderheit dar. In Deutschland leben heute ca. 200.000 russlanddeutsche Aussiedler mit plautdietschem bzw. russlandmennonitischem Hintergrund.

Inhaltsverzeichnis

[Bearbeiten] Geschichte

Viele Anhänger der (im Zuge der Reformation entstandenen) protestantischen Freikirche der Mennoniten – benannt nach dem niederländisch-friesischen Reformator Menno Simons aus der Bewegung der Täufer – siedelten sich im Weichseldelta (bei Danzig) an. Auf Einladung von Katharina II. bzw. Paul I., also Ende des 18. und Anfang des 19. Jahrhunderts, wanderten Tausende dieser Mennoniten von Westpreußen nach Südrussland (in die heutige Ukraine) aus. Die neuen Siedler niederländisch-niederdeutscher Herkunft – versehen mit Privilegien wie Religionsfreiheit und Aussicht auf Landerwerb – sollten die von den Türken zurückeroberten Landstriche urbar machen und den ukrainischen Nachbarn als Muster-Landwirte dienen. Im Laufe einiger Jahrzehnte gründeten die Russland-Mennoniten in ihrer neuen Heimat am Dnjepr zwei große „Mutterkolonien“ mit insgesamt fast hundert Dörfern. Die erste, auch „Alt-Kolonie“ genannt, ist als die Chortizaer Ansiedlung bekannt geworden. Heute ist dort die ukrainische Großstadt Saporoshje. Das zweite mennonitische Siedlungszentrum, entsprechend als „Neu-Kolonie“ bezeichnet, lag an einem kleinen Fluss namens Molotschna und wurde daher Molotschnaer Ansiedlung genannt. In diesen Kolonien wurde ziemlich bald der Landmangel, der in der Erbteilungstradition begründet war, zu einem großen Problem. Während der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts (und später) entstanden daher unzählige „Tochterkolonien“, die über weite Gebiete des Russischen Reiches verstreut lagen. Eine von solchen „Tochterkolonien“ war als Barnauler Siedlung bekannt gewordene Mennonitenansiedlung im Altai.

Da sich am Ende des 18. Jahrhunderts in der Kirchensprache Westpreußens gerade ein Wandel vom Niederländischen zum Deutschen hin vollzog, nahmen die Auswanderer größtenteils schon deutsche Bibeln und Gesangbücher mit nach Südrussland bzw. in die heutige Ukraine. In den folgenden Jahrhunderten war nun Hochdeutsch die Sprache für Kirche und Schule; Plautdietsch blieb nicht nur Umgangssprache, es wurde neben den religiösen Traditionen auch zu einem Faktor, der wichtig für Identität und Selbstbewusstsein wurde. Diese gemeinsame Sprache war ein starkes Bindeglied und deutliches Erkennungsmerkmal einerseits, aber es bot auch eine (hauptsächlich aus religiösen Gründen erwünschte) Abgrenzung von den übrigen deutschstämmigen Siedlern in Russland.

Die Russlandmennoniten wanderten schon im 19. Jahrhundert aus den russischen Siedlungsgebieten zunächst hauptsächlich nach Kanada und in die USA aus. Von dort aus gingen die Wanderströme später auch nach Mexiko, Paraguay und in andere Länder Mittel- und Südamerikas. Größere Migrationsbewegungen in die verschiedensten Richtungen gab es auch infolge des zweiten Weltkrieges, vor allem auch über Deutschland nach Lateinamerika. Schon in den 70er Jahren begann zudem auch die Emigration von den im Sowjetreich eingeschlossen gebliebenen Russland-Mennoniten, die inzwischen größtenteils in Deutschland leben: Schätzungsweise 10 Prozent von den über 2 Millionen russlanddeutschen Aussiedlern stammen aus einer plautdietschen Familie mit dem oben skizzierten russlandmennonitischen Hintergrund, während fast alle anderen Aussiedler ursprünglich aus süddeutschen Regionen stammen.

[Bearbeiten] Liste der mennonitischen Siedlungen in Russland um 1921

Name der Siedlung Provinz Gründungsjahr Bevölkerung 1926 Fläche in ha Anzahl der Dörfer
Mutterkolonien
1. Chortitza Ekaterinoslaw 1789 ff. 12000
(1922)
41.345 18
2. Molotschna Taurien 1804 ff. 18.437 130.000 57
3. Am Trakt (Köppental) Samara 1853 1.358 15.300 10
4. Alt-Samara Samara 1861 1.164 15.300 10
Tochterkolonien
5. Bergtal Ekaterinoslaw 1836 ff. 12.100 5
6. Huttertal Taurien 1843 3.970 2
7. Tschernoglas Ekaterinoslaw 1843 1.090 1
8. Siedlungen auf der Krim Taurien 1862 ff. 4.817 43.700 25
9. Kuban Kuban 1863 7.100 2
10. Fürstenland Taurien 1864 1.374 7.650 6
11. Borosenko Ekaterinoslaw 1865 6.700 6
12. Schönfeld-Brasol Ekaterinoslaw 1868 60.700 4
13. Jasykowo Ekaterinoslaw 1869 9.440 8
14. Sagradowka Cherson 1871 5.000
(1922)
22.720 16
15. Baratow Ekaterinoslaw 1872 3.970 2
16. Schljachtin Ekaterinoslaw 1874 4.370 2
17. Neu-Rosengart Ekaterinoslaw 1878 9.430 2
18. Aulie-Ata und Ak-Metschet Turkestan 1882 8.740 7
19. Memrik Ekaterinoslaw 1885 13.110 10
20. Miloradowka Ekaterinoslaw 1889 2.290 2
21. Ignatjewo Ekaterinoslaw 1889 15.430 7
22. Neu-Samara (Pleschanowo) Samara 1890 3.071 24.040 12
23. Naumenko Charkow 1890 5.810 3
24. Borissowo Ekaterinoslaw 1892 5.570 2
25. Orenburg (Tochtersiedlung von Chortitza) Orenburg 1894 5.767
(zusammen mit 28.)
25.770 14
26. Suworowka Stawropol 1894 4.370 2
27. Olgino Stawropol 1895 564 4.920 2
28. Orenburg (Tochtersiedlung von Molotschna) Orenburg 1898 12.020 8
29. Besentschuk Samara 1898 2.020 3?
30. Omsk Akmolinsk und Tobolsk 1899 ff. 3.502 437.080 29
31. Terek Terek 1901 27.100 15
32. Trubetskoje Cherson 1904 48.080 2
33. Zentral Woronesch 1909 608 2.980 1
34. Sadowaja Woronesch 1909 6.500 1?
35. Barnaul (Slawgorod) Tomsk 1908 13.029 54.630 58
36. Pawlodar Semipalatinsk 1906 2.736 15.300 14
37. Minusinsk Jenisseisk 19?? 3.370 4
38. Andreasfeld Ekaterinoslaw 18?? 4.260 3
39. Kusmitskij Ekaterinoslaw 18?? 1.970 1
40. Arkadak Saratow 1910 1.152 10.320 7

[Bearbeiten] Situation heute

Die Russlandmennoniten leben heute auf dem gesamten Globus, vor allem aber in Kanada, in den USA, in Paraguay und (hauptsächlich als Aussiedler) auch in Deutschland. Offizielle Zahlen zu den Russlandmennoniten bzw. Plautdietsch-Sprechern existieren nicht, es werden wohl ca. eine halbe Million weltweit sein, davon ca. 200.000 in Deutschland. Die Plautdietschen haben aufgrund ihrer von weltweiter Migration geprägten Sprachgeschichte und als russlandmennonitische ethno-religiöse Sprachgemeinschaft eine vielseitige Identität. Sie gehören (jeweils teilweise) zu den folgenden vier Gruppen von Menschen:

Außerdem sind heute einige der Nachfahren der Russlandmennoniten Siebenten-Tags-Adventisten. Durch die Missionsarbeit 1886 in Mennonitischen Gemeinden in Russland traten manche Gemeindemitglieder zum Adventismus hinüber. Heute leben ungefähr 8.000 Menschen russlandmennonitischer Abstammung und adventistischen Glaubens in der Bundesrepublik Deutschland.

[Bearbeiten] Russlandmennonitische Autoren

  • Arnold Dyck („Oppe Forstei“, „De Fria“, „Twee Breew“ etc.)
  • Reuben Epp („Dit un Jant opp Plautdietsch“ etc.)
  • Johannes Harder (Romane und Erzählungen, Übersetzungen, Geschichte)
  • Lena Klassen („Himmel Hölle Welt“ etc.)
  • Peter P. Klassen („So geschehen in Kronsweide“, „Frauenschicksale“ etc.)
  • Lore Reimer (Lyrik)
  • Jack Thiessen (Kurzgeschichten, Übersetzungen)
  • Miriam Toews („Swing Low“, „Ein komplizierter Akt der Liebe“ etc.)
  • Johann Warkentin (Lyrik, Übersetzungen, Literaturkritik)
  • Armin Wiebe („The Salvation of Yasch Siemens“ etc.)
  • Rudy Wiebe („Wie Pappeln im Wind“, „Sweater Than All the World“, „Of This Earth“ etc.)

[Bearbeiten] Weblinks

[Bearbeiten] Literatur

  • Dyck, Cornelius J. An Introduction to Mennonite History, Herald Press, 1993. ISBN 0-8361-3620-9
  • Epp, George K. Geschichte der Mennoniten in Russland. Band I Logos-Verlag, 1997. ISBN 3-927767-62-X
  • Epp, George K. Geschichte der Mennoniten in Russland. Band II Logos-Verlag, 1998. ISBN 3-927767-71-9
  • Epp, George K. Geschichte der Mennoniten in Russland. Band III Logos-Verlag, 2003. ISBN 3-927767-76-X
  • Huebert, Helmut T. Molotschna Historical Atlas, Springfield Publishers, 2003. ISBN 0-920643-08-6
  • Gerlach, Horst Die Russlandmennoniten. Ein Volk unterwegs. Selbstverlag, 2002. ISBN 3-926306-09-2
  • Kroeker, Wally An Introduction to the Russian Mennonites, Good Books, 2005. ISBN 1-56148-391-5
  • Penner, Horst, Gerlach, Horst, Quiring, Horst Weltweite Bruderschaft, Selbstverlag 1995. ISBN 3-926306-12-2
  • Peters, Victor, Thiessen, Jack Mennonitische Namen / Mennoniite Names, N. G. Elwert Verlag, 1987. ISBN 3-7708-0852-5
  • Schroeder, William, Huebert, Helmut T. Mennonite Historical Atlas, Springfield Publishers, 1996. ISBN 0-920643-04-3
  • Toews, Aron A. Mennonite Martyrs: People Who Suffered for Their Faith 1920-1940, Kindred Press,1990. ISBN 0-919797-98-9
  • Toews, John B. Journeys: Mennonite Stories of Faith and Survival in Stalin's Russia, Kindred Press, 1998. ISBN 0-921788-48-7
  • Voth, Norma Jost, Mennonite Foods & Folkways from South Russia, Volumes I & I, Good Books, 1990 & 1991. ISBN 0-934672-89-X & ISBN 1-56148-012-6
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