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Negatives Stimmgewicht bei Wahlen – Wikipedia

Negatives Stimmgewicht bei Wahlen

aus Wikipedia, der freien Enzyklopädie

Negatives Stimmgewicht (auch inverser Erfolgswert) bezeichnet einen Effekt bei Wahlen, bei dem sich Stimmen gegen den Wählerwillen auswirken, wenn also

  • Stimmen für eine Partei dieser einen Verlust an Sitzen bescheren oder
  • Stimmen, die für eine Partei nicht abgegeben werden, dieser einen Gewinn an Sitzen einbringen.

Der Effekt, dass eine Stimme für eine Partei dieser Verluste beschert, widerspricht dem Anspruch, dass jede Stimme gleich viel zählen sollte. Er widerspricht auch dem Anspruch, dass sich die Stimme nicht explizit gegen den Wählerwillen auswirken darf.

Inhaltsverzeichnis

[Bearbeiten] Auftreten bei Wahlen zum Deutschen Bundestag

Bei Bundestagswahlen tritt das negative Stimmgewicht durch das Zusammenwirken der Überhangmandate und der Verteilung der von einer Partei gewonnenen Sitze auf die einzelnen Landeslisten nach der Stimmzahl in den jeweiligen Ländern auf. Hat beispielsweise die Partei P im Bundesland A mehr Direktmandate durch die Erststimmen gewonnen als ihr nach den Zweitstimmen in diesem Land zustehen, so behält sie dennoch alle Direktmandate, da diese nicht verloren gehen können. Erhält sie nun in diesem Bundesland A etwas weniger an Zweitstimmen, kann es passieren, dass sich dieser Stimmverlust zwar nicht auf die Verteilung der regulären Mandate auf die Bundesparteien auswirkt, er jedoch ausreicht, um Auswirkungen auf die Verteilung der von der Partei P gewonnenen Sitze auf ihre Landeslisten zu haben. In diesem Fall verliert die Partei ein reguläres Mandat von der Landesliste A, das auf eine Landesliste in einem weiteren Bundesland B übergeht. Der Verlust eines regulären Mandates von der Landesliste A ist für die Anzahl der Abgeordneten der Partei P aus dem Land A aber folgenlos, weil die Überhangmandate dieses Bundeslands nicht verlorengehen. Somit gewinnt die Partei P ein zusätzliches Überhangmandat, falls sie in dem jeweiligen Bundesland weniger Zweitstimmen erhält.

Ebenso funktioniert das Phänomen auch in die andere Richtung: Erhält die Partei P im Bundesland A mehr Zweitstimmen, gewinnt ihre Landesliste einen regulären Sitz auf Kosten einer Landesliste B derselben Partei. Der zusätzliche Sitz vom Land A bleibt aber folgenlos, da er mit den Überhangmandaten im Land A verrechnet wird. Die Partei verliert also ein Überhangmandat, falls sie in dem jeweiligen Bundesland mehr Zweitstimmen erhält.

Bisher hat es weder im Deutschen Bundestag noch von Seiten des Bundesverfassungsgerichts größere Anstrengungen gegeben, diesen Systemfehler zu vermeiden.

[Bearbeiten] Sonstiges Auftreten

Bei Volksentscheiden ist es denkbar, dass ein negatives Stimmgewicht auftritt, wenn sie ein Beteiligungsquorum haben. Stimmen gegen den Antragsgegenstand können dann dazu führen, dass das Quorum überschritten wird und dass gerade dadurch der Antrag der Volksinitiative obsiegt. Aus diesem Grund sind Beteiligungsquoren prinzipiell unsachgemäß; ihr Anliegen wird durch Zustimmungsquoren korrekter umgesetzt.

Ein negatives Stimmgewicht tritt manchmal auch bei anderen Wahlverfahren auf. Die meisten anderen Typen negativer Stimmgewichte sind allerdings seltener und haben weniger Einfluss auf die Mandatsvergabe als der für das Bundestagswahlrecht wesentliche Typ. Negatives Stimmengewicht ist derzeit außerhalb Deutschlands z.B. bei Parlamentswahlen in Tschechien und bei Landtagswahlen in den meisten österreichischen Bundesländern möglich.

Negative Stimmgewichte können sowohl unabhängig vom Sitzzuteilungsverfahren als auch unmittelbar in Zusammenhang mit dem Verfahren nach Hare und Niemeyer entstehen. Stark anfällig für negative Stimmgewichte sind beispielsweise Systeme mit Ausgleichsmandaten, die bei einigen Landtagswahlen vergeben werden. Ihre Ursache liegt meist im Hare-Niemeyer-spezifischen Alabama-Paradoxon.

Ebenfalls spezifisch für das Hare-Niemeyer-Verfahren (oder für die Abweichung von der Sitzzuteilung nach d’Hondt) ist die Möglichkeit des Sperrklausel-Paradoxons. Hierbei kann eine Partei weniger Sitze erhalten, wenn sie mit einer größeren Zahl von Stimmen eine andere Partei unter die Sperrklausel drückt. Dieses Paradoxon kann besonders bei einer relativ kleinen Zahl zu vergebender Mandate auftreten.

Es taucht auch bei Stichwahlen und Instant-Runoff-Voting auf.

[Bearbeiten] Allgemeines Beispiel

[Bearbeiten] Beschreibung

Eine Partei P1 erhält bei einer Bundestagswahl 250.000 Stimmen, davon in Bundesland A 106.000 und in Bundesland B 144.000 Stimmen. Eine andere Partei P2 erhalte ebenfalls 250.000 Stimmen.

Es ergibt sich für P1 eine Gesamtsitzzahl im Bundestag von 25 Sitzen (Sitze = 598, gültige Stimmen = 5.980.000). Davon entfallen auf Bundesland A 11 Sitze und auf Land B 14 Sitze. In Land A erreicht die Partei durch die Erststimme 11 Direktmandate, in Land B 6. Die übrigen 8 Sitze in Land B werden mit Kandidaten aus der Landesliste aufgefüllt.

Wenn P1 in Land A 5.000 Zweitstimmen weniger erhalten hätte, bliebe sie mit 245.000 Stimmen bei 25 Sitzen im Bundestag, selbst wenn die andere Partei auch jetzt 250.000 erhielte.

In Land A hätte sie nur noch 101.000 Stimmen, in Land B nach wie vor 144.000. In Land A stünden ihr nun nach den Zweitstimmen nur noch 10 Sitze zu. Weil der Partei insgesamt aber immer noch 25 „normale“ Sitze (keine Überhangmandate) zuständen, bekäme sie in Land B jetzt 15 statt 14 Sitze. Dieser zusätzliche Sitz würde von einem Kandidaten aus der Landesliste besetzt. In Land A entstünde ein Überhangsmandat, weil unabhängig von der Zweitstimmenverteilung 11 Kandidaten ein Direktmandat bekamen.

P1 wäre also, weil sie 5.000 Stimmen weniger bekäme, mit 26 statt mit 25 Sitzen im Bundestag vertreten. Es besteht eine Disproportion von 5,77 % des Verhältnisses der Stimmenzahl zur Anzahl der Mandate.

(Dieses Beispiel vernachlässigt zur Vereinfachung die Vorschrift des Bundeswahlgesetzes, dass eine Partei, die die absolute Mehrheit der Zweitstimmen erhält, automatisch auch die Mehrheit der Mandate bekommt.)

[Bearbeiten] Tabellendarstellung

Verteilung
der Mandate
„Reale“ Stimmenverhältnisse 5.000 Stimmen in A weniger
Wählerstimmen Sitze nach Hare-Niemeyer Sitze Ergebnis Wählerstimmen Sitze nach Hare-Niemeyer Sitze Ergebnis
Land A 106.000 10,60 11 101.000 10,31 10
Land B 144.000 14,40 14 144.000 14,69 15

Im zweiten Fall geht also ein Mandat von Land A in Land B über.


Mandatsverteilung
in beiden Fällen
„Reale“ Stimmenverhältnisse 5.000 Stimmen in A weniger
Landeslistensitze Direktmandate Sitze Ergebnis Landeslistensitze Direktmandate Sitze Ergebnis
Land A 11 11 11 10 11 11 (1 ÜM)
Land B 14 6 14 15 6 15
Partei gesamt 25 17 25 25 17 26 (1 ÜM)

P1 erhält wegen der Verschiebung des einen Mandats von Land A in Land B ein Überhangmandat in Land A und damit eine 26:25-Mehrheit im Parlament.

[Bearbeiten] Änderungsmöglichkeiten

Da das beschriebene negative Stimmgewicht unabhängig vom Berechnungsverfahren auftreten kann, ist der durch eine im März 2008 in Kraft getretene Änderung des Bundeswahlgesetzes erfolgte Wechsel vom Hare-Niemeyer-Verfahren zum Verfahren nach Sainte Laguë-Schepers keine grundsätzliche Verbesserung. Auch Ausgleichsmandate lösen das Problem nicht, da mindestens eine betroffene Partei regelmäßig keine Ausgleichsmandate erhält.

Das negative Stimmgewicht lässt sich nur vermeiden, wenn das Entstehen interner Überhangmandate verhindert wird. Durch vier verschiedene Strategien könnte man das erreichen, ohne das derzeitige Bundestagswahlrecht grundlegend zu verändern:

  1. Überhangmandate könnten durch Verrechnung von Direkt- und Listenmandaten schon auf Bundesebene verhindert werden, wodurch andere Bundesländer weniger Listenmandate stellen. Scheidet ein Wahlkreisgewinner aus einem Überhangland aus, würde ein Listenmandat in dem anderen Land wieder aufleben. Derartige Modelle existieren schon länger. Im Gegensatz zum derzeit gültigen Wahlrecht können sich bei ihnen die Mehrheiten innerhalb einer Legislaturperiode durch den beschriebenen Effekt nicht verändern oder sogar in ihr Gegenteil verkehren. Würde diese Strategie angewendet, müßte jedoch gleichzeitig die Möglichkeit zum Ausschluss der Listenverbindung (§ 7 Abs. 1 in Verbindung mit § 29 Bundeswahlgesetz) abgeschafft werden, denn sonst könnten die Parteien verhindern, dass eine ihrer Landeslisten weniger Mandate zugeteilt werden, und negatives Stimmengewicht wäre weiterhin möglich.
  2. Überhangmandate könnten dadurch verhindert werden, dass überzählige Direktmandate gestrichen würden. Eine solche Regelung galt in Bayern bei den Landtagswahlen von 1954 bis einschließlich 1962: erhielt eine Partei mehr Direktmandate als ihr auf Grund des Stimmenanteils Sitze zustanden, erhielten die Direktkandidaten mit der geringsten Stimmenzahl keinen Sitz. Alternativ könnte die Regelung auch so ausgestaltet werden, dass statt den Direktkandidaten mit der geringsten Stimmenzahl die mit dem geringsten Stimmenanteil ausscheiden.
  3. Mit der Abschaffung von Landeslisten und der Einführung von Bundeslisten würden interne Überhangmandate ausgeschlossen.
  4. Die Mandate könnten, wie bei den Bundestagswahlen 1949 und 1953, proportional in den Bundesländern verteilt werden, wobei jedes Bundesland eine feste Sitzzahl (ohne Überhangmandate) hätte. Dies würde jedoch zu größeren Disproportionseffekten führen, insbesondere zugunsten von Parteien, die dort stark sind, wo die Wahlbeteiligung unterdurchschnittlich ist. Es wäre dann z.B. viel wahrscheinlicher als bisher, dass eine Partei trotz weniger Stimmen mehr Sitze bekommt als eine andere Partei.


1996 ging die Bundestagsfraktion von Bündnis 90/Die Grünen mit dem Vorschlag, das obige Verrechnungsmodell umzusetzen[1], u. a. das Problem des negativen Stimmgewichts an:

Nach § 7 Abs. 3 Bundeswahlgesetz wird folgender Absatz 4 eingefügt:
(4) Entfallen auf eine oder mehrere Landeslisten einer Partei Überhangmandate, so wird die Verteilung der auf die übrigen Landeslisten dieser Listenverbindung entfallenden Sitze erneut vorgenommen. Bei dieser Verteilung wird die Zahl der Wahlkreismandate in Abzug gebracht, die in den Ländern entstanden sind, in denen Überhangmandate aufgetreten sind. Die verbleibenden Sitze werden unter Anrechnung der in den übrigen Ländern erlangten Wahlkreismandate entsprechend dem Verfahren nach § 7 Abs. 3 auf die Landeslisten verteilt. Soweit hierbei erneut Überhangmandate auftreten, wird das Verfahren wiederholt, bis keine Überhangmandate mehr auftreten.

Damit sollten interne Überhangmandate neutralisiert und so negative Stimmgewichte verhindert werden. Der Bundestag lehnte mit den Stimmen der Fraktionen von CDU/CSU, SPD und FDP den Entwurf ab und vertraute auf die Verringerung der Anzahl der Sitze auf 598 und einen neuen Wahlkreiszuschnitt. Der Gesetzentwurf sah auch den Wegfall der Möglichkeit des Ausschlusses der Listenverbindung vor, interne Überhangmandate wären somit nicht mehr möglich gewesen.

[Bearbeiten] Rechtspolitische Diskussion

Das Phänomen des negativen Stimmgewichts wird in der öffentlichen Diskussion eher stiefmütterlich behandelt. Vor der Bundestagswahl 2002 haben die Nachrichtenmagazine Der Spiegel und FOCUS[2] über die Thematik des negativen Stimmgewichts berichtet. Davon abgesehen ist dieses Thema in den Medien nicht präsent. Allenfalls in engen Expertenkreisen wird das Problem beachtet.

Bei Erfolgswertverzerrungen mangelt es oft an einer scharfen kausalen Zuordnung von Überhangmandaten und negativen Stimmgewichten, da sie häufig kumulativ zusammenwirken. 1996 beschäftigte sich eine Reformkomission des Bundestags mit Wahlproblemen – u. a. mit Überhangmandaten – und holte die Meinung von Experten wie die der Professoren Mahrenholz, Löwer und Heintzen ein. Das Bundesinnenministerium entwickelte in diesem Zusammenhang u. a. das so genannte Kompensationsmodell I, das eine Verrechnung ähnlich der oben angeführte Änderungsmöglichkeit 1 vorsieht.

Viele der damit befassten Mathematiker und Rechtswissenschaftler kritisieren das negative Stimmgewicht scharf und betrachten es als einen Defekt, der mit dem Erfordernis der Gleichheit, Freiheit und Unmittelbarkeit (Transparenz) einer Wahl unvereinbar ist:

  • Die Gleichheit der Wahl ist nach ihrer Meinung dadurch verletzt, dass der Erfolgswert einer Stimme geringer ist – nämlich negativ – als der Erfolgswert, wenn man keine Stimme abgegeben hätte.
  • Die Freiheit der Wahl wird verletzt, weil der Wähler in seiner Wahlentscheidung nicht mehr frei sei, wenn er mit seiner Stimme der gewünschten Partei Schaden zufügen kann. Dies könne einen Wähler verunsichern und davon abhalten, seine Partei zu wählen.
  • Schließlich sehen sie die Unmittelbarkeit der Wahl als nicht gegeben an, da durch den Defekt des notwendig dazwischen geschalteten mathematischen Berechnungsverfahrens die Stimmen für eine Partei nicht mehr zu ihren Gunsten, sondern zu ihren Lasten gezählt werden können. Der Wählerwille werde nicht mehr unmittelbar in Mandate für eine Partei umgerechnet, sondern verfälscht. Ein Wähler dürfe seine Partei nicht wählen, um ihr seine Zustimmung auszudrücken.

Auch in vielen Verhältniswahlverfahren kann ein negatives Stimmgewicht auftreten. Allerdings ist die Unschärfe pro Partei üblicherweise auf höchstens ein Mandat beschränkt. Außerdem sind die meisten anderen Verfahren weniger anfällig als das des Bundestagswahlrechts. Nach diesem Recht kann sogar eine Minderheit an Wählern die Mehrheit der Bundestagssitze erreichen.

[Bearbeiten] Abstrakte Normenkontrolle 1995/96

1995 ließ die Regierung des Landes Niedersachsen Teile des Bundeswahlgesetzes vom Bundesverfassungsgericht überprüfen und trug explizit die Wirkung von negativen Stimmgewichten vor.[3] Nach ihrer Auffassung erzeugten Überhangmandate und negative Stimmgewichte eine Erfolgswertverzerrung in kumulativer Kausalität, die so gleichheitswidrig sei, dass §§ 6 und 7 BWahlG in wesentlichen Teilen verfassungswidrig und nichtig seien. Es verwies auf die Rechtsprechung des Gerichts und den Charakter des Bundestages als unitaristisches Parlament, weshalb sich mindestens drei Änderungsmöglichkeiten anboten, die Gleichheitsanforderungen von Art. 38 GG zu erfüllen. Sie unterstrich die oben angeführte Änderungsmöglichkeit 1. Das Ergebnis der Anhörung des Bundeswahlleiters in dieser Sache stützte den kritischen Befund im Antrag von Niedersachsen.

Das Gericht bestätigte mit den Stimmen der Richter Jentsch, Kirchhof, Kruis und Winter durch eine Patt-Entscheidung das Bundeswahlgesetz. Sie verwiesen auf die Gestaltungsfreiheit des Gesetzgebers und dass es dabei zu systemimmanenten Erfolgswertverzerrungen kommen könne. Die bisher gebildeten Maßstäbe in der Rechtsprechung seien jedoch nicht annähernd abschließend, und es sei möglich gar andere Ungleichheiten zuzulassen.

Nach Auffassung der Richter Graßhof, Hassemer, Limbach und Sommer ist das Wahlsystem im Umfang des Normenkontrollantrages verfassungswidrig und verletzt die Wahlgleichheit. Gewiss habe der Gesetzgeber einen Spielraum für notwendig gehaltene Gestaltungen, jedoch nur im Rahmen der strengen Wahlgleichheit: „Notwendigkeit allein begründet noch keine Berechtigung.“[4] Sie weisen darauf hin, dass der o. a. Gesetzentwurf von Bündnis 90 / DIE GRÜNEN die Probleme durch Überhangmandate vollständig löse. Wegen des Gebots des judicial self-restraint habe das Gericht zwar nicht vorzugeben, welche legislativen Maßnahmen das Parlament zu ergreifen habe. Jedoch müsse der Gesetzgeber eine davon ergreifen, um der Verfassung gerecht zu werden.

[Bearbeiten] Wahlprüfung

Mit Berufung auf das negative Stimmgewicht werden beim Wahlprüfungsausschuss des Bundestags regelmäßig Wahleinsprüche erhoben, zuletzt zur Bundestagswahl 2002[5] und 2005[6]. Derartige Einsprüche wurden bisher immer abgelehnt, da die Bestimmungen des Bundeswahlgesetzes eingehalten wurden und der Ausschuss die Entscheidung über die Verfassungswidrigkeit von Regelungen des Bundeswahlgesetzes dem Bundesverfassungsgericht überlässt.

Das Bundesverfassungsgericht hat 2001 eine unter anderem das negative Stimmgewicht anführende Wahlprüfungsbeschwerde[7] verworfen[8]. Gründe dafür wurden in diesem A-Limine-Beschluss jedoch nicht genannt.

Eine Wahlprüfungsbeschwerde zum vorgenannten Einspruch zur Bundestagswahl 2002 ist immer noch beim Bundesverfassungsgericht anhängig. In diesem Verfahren bezeichnete im Jahre 2004 der damalige Berichterstatter des Gerichts, Richter Jentsch, beiläufig das mögliche Auftauchen von negativen Stimmgewichten als „verfassungsrechtlich noch hinnehmbar“. Diese Auffassung wird per curiam in dieser Form nicht gestützt. Im Rahmen der Wahlprüfung der Bundestagswahl 2005 wurden weitere Beschwerden erhoben[9]. In diesen Verfahren wird das Gericht per Urteil entscheiden[10].

[Bearbeiten] Auftreten bei Bundestagswahlen

[Bearbeiten] Wahl des Deutschen Bundestages bis 1998

In der Geschichte der Bundestagwahlen ist das Auftreten des negativen Stimmgewichts bei den Bundestagswahlen 1990, 1994 und 2002 nachgewiesen (siehe Weblinks). Außerdem gibt es weitere Beispiele:

  • 1961 hätte die CDU Schleswig-Holstein bei 39.671 Stimmen weniger ein Mandat mehr bekommen. Im gleichen Jahr hätte die CDU Saarland bei 48.902 Stimmen weniger ein Mandat mehr bekommen.
  • 1983 hätte die SPD Bremen bei 73.622 Stimmen weniger ein Mandat mehr bekommen. Ebenso hätte die SPD Hamburg bei 73.569 Stimmen weniger ein Mandat mehr bekommen.
  • 1987 hätte die CDU Baden-Württemberg bei 18.705 Stimmen weniger ein Mandat mehr bekommen.
  • Die SPD hätte 1990 ein Mandat mehr bekommen, wenn sie in Bremen 8.000 Stimmen weniger erhalten hätte. Ebenso hätte die CDU, wenn sie in Thüringen 2.600 Stimmen weniger erhalten hätte, ein Mandat mehr erhalten.
  • Die CDU hätte 1994 jeweils ein Mandat mehr bekommen, wenn sie in Baden-Württemberg, Mecklenburg-Vorpommern, Sachsen oder Sachsen-Anhalt 19.089 Stimmen oder in Thüringen 13.629 Stimmen weniger erhalten hätte.
  • Die SPD hätte 1998 ein Mandat mehr bekommen, wenn sie in Brandenburg 70.955 Stimmen weniger erhalten hätte oder aber in Sachsen-Anhalt 21.323 Stimmen oder in Thüringen 21.228 Stimmen und gleichzeitig in Brandenburg 1.000 Stimmen weniger erhalten hätte.

Weiter gibt es diverse Fälle, in denen eine Partei weniger Mandate bekommen hätte, wenn sie mehr Stimmen erhalten hätte. Dies trifft zu auf:

  • die CDU Schleswig-Holstein 1957 (88.833 Stimmen mehr, dann zwei Mandate weniger),
  • die CDU Saarland 1961 (10.828 mehr, dann ein Mandat weniger),
  • die SPD Schleswig-Holstein 1980 (7.809 Stimmen mehr, dann ein Mandat weniger),
  • die SPD Bremen 1983 (4.083 Stimmen mehr, dann ein Mandat weniger),
  • die SPD Hamburg 1983 (8.199 Stimmen mehr, dann ein Mandat weniger),
  • die CDU Mecklenburg-Vorpommern 1990 (13.545 Stimmen mehr und gleichzeitig in Thüringen 1.000 Stimmen mehr, dann ein Mandat weniger),
  • die CDU Sachsen-Anhalt 1990 (6.314 Stimmen mehr und gleichzeitig in Thüringen 1.000 Stimmen mehr, dann ein Mandat weniger),
  • die CDU Thüringen 1990 (66.693 Stimmen mehr, dann ein Mandat weniger),
  • die SPD Bremen 1994 (1.042 Stimmen mehr, dann ein Mandat weniger),
  • die SPD Brandenburg 1994 (73.403 Stimmen mehr, dann ein Mandat weniger),
  • die SPD Hamburg 1998 (16.651 Stimmen mehr, dann ein Mandat weniger),
  • die SPD Mecklenburg-Vorpommern 1998 (6.628 Stimmen mehr, dann ein Mandat weniger) und
  • die SPD Brandenburg 1998 (4.015 Stimmen mehr, dann ein Mandat weniger)

[Bearbeiten] Wahl des Deutschen Bundestages 2002

Bei der Bundestagswahl 2002 ging der SPD wegen 50.000 Zweitstimmen in Brandenburg zu viel ein Sitz verloren, der sonst an die Bremer SPD-Landeslistenkandidatin Cornelia Wiedemeyer gegangen wäre.

Aufbereitet sind die realen Ergebnisse von Pukelsheim [11], der aufzeigt, dass der Erfolgswert einer Stimme zwischen 99,43 % und 100,63 % schwankt, also bei einer Schwankungsdifferenz von 1,2 %.

Berechnung Gesamtstimmenzahl für die Bundestagswahl 2002

Reale Stimmenverhältnisse 50.000 SPD-Stimmen in Brandenburg weniger
Wählerstimmen Sitze nach Hare-Niemeyer Sitze Ergebnis Wählerstimmen Sitze nach Hare-Niemeyer Sitze Ergebnis
SPD 18.488.668 246,95 247 18.438.668 246,56 247
CDU 14.167.561 189,24 189 14.167.561 189,45 189
CSU 4.315.080 57,64 58 4.315.080 57,70 58
Bündnis 90/Die Grünen 4.110.355 54,90 55 4.110.355 54,96 55
FDP 3.538.815 47,27 47 3.538.815 47,32 47
gesamt (nur Bundestagsparteien) 44.620.479 596,00[12] 596 44.570.479 595,99[12][13] 596


Das heißt, die Gesamtgrundmandatszahl für die SPD verbleibt trotz geringerer absoluter Stimmenzahl bei 247. Diese 247 Sitze werden nun entsprechend den in den Ländern erreichten Stimmen der SPD vergeben:

Berechnung Sitze für die SPD für die Bundestagswahl 2002

Reale Stimmenverhältnisse 50.000 SPD-Stimmen in Brandenburg weniger
Wählerstimmen für SPD Sitze nach Hare-Niemeyer Sitze Ergebnis Wählerstimmen Sitze nach Hare-Niemeyer Sitze Ergebnis
Baden-Württemberg 1.989.524 26,58 27 1.989.524 26,65 27
Bayern 1.922.551 25,68 26 1.922.551 25,75 26
Berlin 685.170 9,15 9 685.170 9,18 9
Brandenburg 707.871 9,46 10 657.871 8,81 9 (−1)
Bremen 183.368 2,45 2 183.368 2,46 3 (+1)
Hamburg 404.738 5,41 5 404.738 5,42 5
Hessen 1.355.496 18,11 18 1.355.496 18,16 18
Mecklenburg-Vorpommern 405.415 5,42 5 405.415 5,43 5
Niedersachsen 2.318.625 30,98 31 2.318.625 31,06 31
Nordrhein-Westfalen 4.499.388 60,11 60 4.499.388 60,27 60
Rheinland-Pfalz 918.736 12,27 12 918.736 12,31 12
Saarland 295.521 3,95 4 295.521 3,96 4
Sachsen 861.685 11,51 12 861.685 11,54 12
Sachsen-Anhalt 618.016 8,26 8 618.016 8,28 8
Schleswig-Holstein 743.838 9,94 10 743.838 9,96 10
Thüringen 578.726 7,73 8 578.726 7,75 8
gesamt (nur SPD) 18.488.668 247,01[13] 247 18.438.668 246,99[13] 247

Obwohl also für die SPD insgesamt 247 Sitze erhalten bleiben, sorgen die 50.000 Stimmen weniger in Brandenburg für eine Verschiebung des 10. brandenburgischen Mandats nach Bremen. Dies stellt für sich betrachtet noch kein Problem dar.

Übersicht über die Überhangmandate (ÜM)

Reale Stimmenverhältnisse 50.000 SPD-Stimmen in Brandenburg weniger
Landeslistensitze SPD Direktmandate SPD Sitze Ergebnis Landeslistensitze SPD Direktmandate SPD Sitze Ergebnis
Baden-Württemberg 27 7 27 27 7 27
Bayern 26 1 26 26 1 26
Berlin 9 9 9 9 9 9
Brandenburg 10 10 10 9 10 10 (1 ÜM)
Bremen 2 2 2 3 2 3
Hamburg 5 6 6 (1 ÜM) 5 6 6 (1 ÜM)
Hessen 18 17 18 18 17 18
Mecklenburg-Vorpommern 5 5 5 5 5 5
Niedersachsen 31 25 31 31 25 31
Nordrhein-Westfalen 60 45 60 60 45 60
Rheinland-Pfalz 12 7 12 12 7 12
Saarland 4 4 4 4 4 4
Sachsen 12 4 12 12 4 12
Sachsen-Anhalt 8 10 10 (2 ÜM) 8 10 10 (2 ÜM)
Schleswig-Holstein 10 10 10 10 10 10
Thüringen 8 9 9 (1 ÜM) 8 9 9 (1 ÜM)
gesamt (nur SPD) 247 171 251 (4 ÜM) 247 171 252 (5 ÜM)

Erst durch die Tatsache, dass die brandenburgische SPD zehn Direktmandate (und damit ein Mandat mehr, als ihr nunmehr nach der Zweitstimmenzahl zustehen) gewonnen hat, entsteht ein Überhangmandat, während gleichzeitig in Bremen ein zusätzliches Listenmandat entstanden ist. Diese Kombination bringt der SPD 252 Sitze im Bundestag anstatt nur 251 ein.

Ebenfalls hätte die SPD insgesamt ein Mandat mehr, wenn die brandenburgische SPD nur 549 Stimmen weniger bekommen hätte. Dann hätte die SPD in Brandenburg einen Sitzanteil von 9,4491 und in Bremen 2,4497, d. h. in Brandenburg 9 Mandate (plus 1 Überhangmandat) – vorher 10, da Anteil 9,46 – und in Bremen 3 – vorher 2, da Anteil von 2,45. Es kann also vorkommen, dass relative geringe Anzahl von „zuviel“ Stimmen ein Mandat kostet.

Ein ähnliches Beispiel ist, wenn die SPD in Berlin 55.000 Zweitstimmen weniger erhalten hätte. Hier war es sogar nicht völlig ausgeschlossen, dass dies nicht im Rahmen einer Wahlprüfung noch eingetreten wäre. Mehrere Wahlprüfungsbeschwerden haben zum Ziel, Zweitstimmen von Wählern der Wahlkreise 86 und 87 (Berliner PDS-Wahlkreise) streichen zu lassen. Im Rahmen des Verfahrens wurden Anfang 2005 die Stimmen in Berlin neu ausgezählt. Allerdings ergab die Auszählung, dass nicht genügend SPD-Stimmen abgezogen werden könnten, um der SPD einen Mandatsgewinn zu bescheren.

[Bearbeiten] Bundestagswahl 2005 – Wahlkreis Dresden I

Auch für die Bundestagswahl 2005 ergaben sich wieder Überhangmandate und negative Stimmgewichte. Besondere Brisanz erhielt dies durch eine Nachwahl im Wahlkreis Dresden I am 2. Oktober 2005 im Freistaat Sachsen, wo ein weiteres Überhangmandat (von insgesamt vier in Sachsen) entstand.

Bemerkenswert ist, dass durch die Nachwahl in einem überhangrelevanten Wahlkreis in isolierter Form die Wirkung für das Land Sachsen und die Sitzverteilung beobachtet werden konnte, quasi unter Laborbedingungen: In Dresden „durfte“ die CDU nicht mehr als 41.226 Zweitstimmen gewinnen, sonst wäre ihr eines der Überhangmandate verloren gegangen, da Sachsen dann ein Proporzmandat mehr zu Lasten Nordrhein-Westfalens erhalten hätte.

In diesem Kontext wird kritisch bewertet, dass durch die Besonderheit der Nachwahlsituation konkret für die Nichtabgabe von Zweitstimmen geworben werden konnte. Im Vorfeld der Dresdner Nachwahl gipfelte dies in einer gemeinsamen Plakataktion von CDU und FDP, in der ausdrücklich von beiden Parteien Erststimmen für die CDU und Zweitstimmen für die FDP gefordert wurden. Daraus ist erkennbar, dass die Vorhersehbarkeit negativer Stimmgewichte in Verbindung mit einer Nachwahl weitergehende Probleme hinsichtlich der Gleichbehandlung sowohl aller Wähler als auch aller Parteien aufwirft.

Bei der Wahl in Dresden wurde ein massives Stimmensplitting beobachtet. Dabei gelang es der CDU unter der kritischen Zweitstimmenmarke zu bleiben, womit sie das Mandat aus der vorläufigen Sitzverteilung behalten konnte.

[Bearbeiten] Einzelnachweise

  1. BT-Drs. 13/5575
  2. „Lotterie mit Stimmzetteln – Was Mathematiker selten verraten“ (Ausgabe 37/2002)
  3. BVerfGE 95, 335, <341> und <343>
  4. BVerfGE 95, 335 <390ff>
  5. Wahleinspruch WP 214/02, BT-Drs. 15/1850
  6. Wahleinspruch WP 162/05, WP 179/05 und WP 181/05, BT-Drs. 16/3600
  7. WP 65/98, BT-Drs. 14/1560
  8. BVerfGE 2 BvC 5/99
  9. Wahlprüfungsbeschwerden erhoben – rund 200 bzw. 800 Unterstützer
  10. Bundesverfassungsgericht: Mündliche Verhandlung in Sachen „Negatives Stimmgewicht“
  11. DÖV 2004, 405, 408
  12. a b Die beiden Mandate für die PDS-Abgeordneten wurden zuvor abgezogen (Ausgangslage 598 Sitze)
  13. a b c Rundungsfehler

[Bearbeiten] Siehe auch

ÜberhangmandatWählerzuwachsparadoxonAlabama-Paradoxon

[Bearbeiten] Literatur

[Bearbeiten] Weblinks

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