Natur
aus Wikipedia, der freien Enzyklopädie
Natur (lat.: natura, von nasci „entstehen, geboren werden“, grch. semantische Entsprechung φύσις, physis, vgl. „Physik“) bezeichnet alles was nicht vom Menschen geschaffen wurde. Der Begriff wird jedoch in verschiedenen Gesellschaften und oft auch innerhalb einer Gesellschaft unterschiedlich und teilweise widersprüchlich verwendet.
Inhaltsverzeichnis |
Belebte und unbelebte Natur
Man unterscheidet zwischen belebter Natur (biotisch, z. B. Pflanzen, Tiere) und unbelebter Natur (abiotisch, z. B. Steine, Flüssigkeiten, Gase). Die Begriffe „belebt“ beziehungsweise „unbelebt“ sind dabei eng mit den Begriffsklärungen von Lebewesen und Leben verbunden, und in den Kontext philosophischer oder weltanschaulicher Anschauungsweise eingebunden.
Natur als Gegenbegriff zur Kultur
In westlichen Kulturkreisen wird mit Natur im Allgemeinen das bezeichnet, was nicht vom Menschen geschaffen wurde.
Ob der Mensch selbst zur Natur gehört oder nicht, ist bereits nicht mehr gesellschaftlicher Konsens. Natur ist nach einer verbreiteten Auffassung das Gegenteil von Kultur. Andere Auffassungen sprechen vom Menschen und außermenschlicher Natur, um auszudrücken, dass Menschen Teil der Natur sind. Der Naturbegriff beginnt dann, sich dem Begriff Umwelt anzunähern.
Naturereignisse, Naturerscheinungen sind unter anderem Regen oder Gewitter, das Klima insgesamt. Dass auch diese natürlichen Phänomene längst nicht mehr von der Kultur des Menschen unbeeinflusst sind, passt nicht zu dieser tradierten Auffassung. Der menschliche Umgang mit der Natur wird immer häufiger zum Gegenstand einer Kritik an der Kultur, an Gesellschaftssystemen oder Regierungen.
Heute stellen sich in dieser Hinsicht mehr denn je kritische Fragen: ökologische Probleme wie Rohstoffverknappung und Umweltverschmutzung sind die Folgen der Übernutzung endlicher und erneuerbarer natürlicher Ressourcen. Ereignisse, die der Mensch nicht in den Griff bekommt, wie Erdbeben, Vulkanausbrüche und ähnliches, sind im menschlichen Maßstab Naturkatastrophen. Die Forderung nach Eingriffen in das Naturgeschehen zum Schutz vor solchen Naturgefahren steht im Gegensatz zu der genannten Kulturkritik. Heute weiß man: Die Natur ist zerstörbar und kann sich in manchen Bereichen nicht aus eigener Kraft erneuern.
In unserem Sprachgebrauch vorhandene Wendungen wie „natürlich“ (selbstverständlich) oder „in der Natur der Sache“ verweisen auf die elementare Bedeutung des Begriffs Natur. Bereits in der Romantik war ein großes Interesse an der Natur - in Verbindung mit einer gesteigerten Hinwendung zu Innerlichkeit und Gefühlen - als Gegenbewegung zur Industrialisierung entstanden.
Natur als philosophischer Begriff
Der umgangssprachliche Gebrauch von natürlich oder unnatürlich und Ausdrücke wie „es liegt in der Natur der Sache“ weisen auf eine erweiterte Bedeutung hin. Möglich sind hier Deutungen wie „von der Natur gegeben“ oder „Bestimmung“.
Augustinus von Hippo unterscheidet zwischen einer materialen und einer formalen Definition der Natur. Für ihn ist Natur Wesen (essentia) und Substanz (substantia). Die Theologie folgt seit jeher der Frage nach dem Verhältnis von Natur und übernatürlicher Gnade.
Probleme der Definition von Natur
Als philosophischer Begriff (vgl. Naturphilosophie) ist das, was natürlich (der Natur entstammend) und was nicht natürlich ist, vom Verhältnis der Menschen zu ihrer Umwelt geprägt. In diesem Zusammenhang steht Umwelt für das Nicht-Ich, das außerhalb des Ego des Menschen ist.
Der Begriff Natur ist nicht wertfrei, so wird auch von Naturkatastrophen, Naturgefahren oder Ähnlichem gesprochen. Natur wird zur menschlichen Existenz in Beziehung gesetzt. Dieses Verhältnis ist vor allem durch emotional, ästhetisch und religiös wertende, normative Einstellungen bestimmt (Oldemeyer 1983).
Natur als Nutzgegenstand
Nach bzw. neben dem anthropomorphen Naturverhältnis der Frühzeit, und dem biomorphen Verhältnis der Antike und des fernen Ostens, bildete sich durch die alttestamentliche Überlieferung im mittelalterlichen Europa das technomorphe Naturverhältnis. Es gab dem Menschen gleichzeitig Beherrschungs- und Bewahrungsauftrag. Die Natur außerhalb der Städte erzeugte eher Angst.
In der Aufklärung wurde die Natur dann vollständig dem Menschen zu seinen Zwecken nutzbar untergeordnet. Diese technisch-utilitäre Einstellung wurde in der Romantik als Pervertierung des Naturzustandes aufgefasst und Natur sentimental gesehen, ohne jedoch die Trennung zwischen Mensch und „göttlicher Natur“ (Hölderlin) zu überwinden. Es manifestierte sich ein Verständnis, dass die „Natur als Gegenbegriff zur menschlichen Kultur und als einen sich selbst definierenden, untermenschlichen Gegenstand menschlicher Nutzung sah und teilweise noch sieht“, und zwar als „Grundlage und Rechtfertigung für eine hemmungslose Ausbeutung ohne normative Beschränkungen “ (Oldemeyer: 1983).
Integratives Naturverständnis
Erst gegen Ende des 19. Jahrhunderts wurde maßgeblich durch Ökologie und Kybernetik die Natur als selbstregulierendes System begriffen. Es entstand das „Wir-Welt-Verhältnis“ (Oldemeyer: 1983).
Mit der Popularisierung der Ökosystemforschung gewinnen seit den 80er Jahren des 20. Jahrhunderts mehr Menschen in den Industriestaaten die Einsicht, dass Natur nicht als Ganzes zu begreifen ist, sondern nur als ein offenes System, dessen Teil auch der Mensch mit seiner Kultur ist (integratives Verhältnis) (Oldemeyer, 1983). Dies wird z. B. auch in der Definition der Arbeit deutlich, welche die Gesellschaft und die Natur im Systemzusammenhang nennt, wobei die Arbeitsprozesse vermittelnde Elemente und Abläufe sind, welche die Menschen wegen ihrer divergierenden Ziele nur offen gestalten können.
Abgeleitet davon wäre z. B. die Stadt, eine Kulturleistung des Menschen, als zweite Natur anzuerkennen. Die Stadt als Habitat (Lebensraum) des Menschen, die wir uns zunehmend lebensunwerter gestalten, erzeugt damit einen Bedarf nach einem diffusen Ideal von wilder oder unberührter Natur, nach Erholung. Dabei wird schlicht übersehen, dass auch vom Menschen stark überformte Bereiche (schützenswerte) Natur beinhalten. Diese integrative Naturauffassung schlägt sich aber in Fachkreisen, z. B. im Naturschutz, in der Ökologie, Stadtökologie etc., bereits nieder. Ludwig Klages bezeichnet als zweite Natur die rational durchformte bzw. „geistdurchsetzte“ Landschaft.
Natur in der Wissenschaft
Innerhalb der Wissenschaft wird Natur sehr unterschiedlich konzipiert, meistens wird davon ausgegangen, dass sich die Naturwissenschaft mit der Natur oder zumindest einem Teil von ihr beschäftigt.
- die Humanwissenschaften in ihrer Beschäftigung mit dem Menschen zählen sich hierbei teils den Naturwissenschaften, teils den Geisteswissenschaften zugehörig
- die Ingenieurswissenschaften nähern sich allgemein der Technik, die sich im Gegensatz einer Auseinandersetzung mit Natur sieht.
Der Umgang mit dem Begriff muss aber in der Wissenschaftsphilosophie als sehr kontrovers dargestellt werden. Schematisch können drei verschiedenen Grundtypen von Rollen für den Begriff Natur in den wissenschaftlichen Konzepten im Hinblick auf ihr Verhältnis zum Sein unterschieden werden:
- Natur wird mit dem Sein identifiziert: So lautet die entsprechenden ontologische Behauptung: „Alles was ist, ist die eine Natur.“ Diese Positionierung wird in der Philosophie als Naturalismus bezeichnet.
- Natur wird als Teil des Seins, oder der Wirklichkeit, anderen Teilen gegenübergestellt. Andere Teile werden dann oft Kultur oder Geist genannt.
- Natur wird in seiner Existenz negiert: „Es gibt keine Natur.“
Siehe auch
Literatur
- Naturauffassungen in Philosophie, Wissenschaft, Technik. Hrsg. von Lothar Schäfer und Elisabeth Ströker. Alber Freiburg / München
- Band I: Antike und Mittelalter. 1993. ISBN 3-495-47771-3
- Band II: Renaissance und frühe Neuzeit. 1994. ISBN 3-495-47772-1
- Band III: Aufklärung und späte Neuzeit. 1995. ISBN 3-495-47773-X
- Band IV: Gegenwart. 1996. ISBN 3-495-47800-0
- Götz Großklaus, Ernst Oldemeyer (Hrsg.): Natur als Gegenwelt - Beiträge zur Kulturgeschichte der Natur. Loeper Verlag GmbH, Karlsruhe 1983.
- Edward O. Wilson: Die Zukunft des Lebens. Berlin 2002, ISBN 3-88680-621-9.
- Brian Greene: Der Stoff, aus dem der Kosmos ist. München 2004, ISBN 388680738X.
- Thomas Sören Hoffmann: Philosophische Physiologie. Eine Systematik des Begriffs der Natur im Spiegel der Geschichte der Philosophie. Bad Cannstatt 2003.
- Karen Gloy: Das Verständnis der Natur. In: Die Geschichte des wissenschaftlichen Denkens. Band 1, Beck, München 1995.
- Karen Gloy: Das Verständnis der Natur. In: Die Geschichte des ganzheitlichen Denkens. Band 2, Beck, München 1996.
Weblinks