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Coming-out – Wikipedia

Coming-out

aus Wikipedia, der freien Enzyklopädie

Dieser Artikel erläutert das psychologische und soziale Coming-Out, für den DDR-Film über das Thema siehe Coming Out (Film).
„Coming out of the closet“
„Coming out of the closet“

Coming-out (von engl. „to come out of the closet“, wörtlich: aus dem Kleiderschrank herauskommen) bezeichnet primär den individuellen Prozess sich seiner eigenen gleichgeschlechtlichen Empfindungen bewusst zu werden, dies gegebenenfalls dem näheren sozialen Umfeld mitzuteilen (zunehmend auch (Selbst-)Outing genannt) und im Endeffekt selbstbewusst mehr oder weniger offen als Lesbe, Schwuler oder Bisexueller zu leben.

Analog zur sexuellen Orientierung (lesbisch/schwulbihetero) durchleben auch Menschen, denen das Schema der Heteronormativität in anderer Weise nicht gerecht wird, ähnliche Prozesse. Die gesellschaftliche Erwartung einer (Hetero-) sexuellen Orientierung ist also nicht der einzige mögliche Grund. Ähnlich wirken eingeschränkte bis fehlende Akzeptanz für sexuelle Vorlieben/Neigungen (z. B. SadomasochistInnen), für weitere Formen geschlechtlichen (Zugehörigkeits-) Selbstverständnisses (TransvestitInnen), für mit der geschlechtlichen Identität nicht übereinstimmende biologische Zuordnung (Transgender), selbst für androgyne Menschen. Daraus ergeben sich teilweise weitere Fragekomplexe wie die nach Geschlechterrollen und Identitätsgeschlecht. Bei Transgender-Personen werden gegebenenfalls zusätzliche Themen wie geschlechtsangleichende Maßnahmen und das Transsexuellengesetz aktuell[1]. Der nachfolgende Text beschäftigt sich fast ausschließlich nur mit dem Coming-Out homosexueller Menschen.

Inhaltsverzeichnis

Hintergrund

Die meisten Menschen werden heteronormativ oder gar heterosexistisch erzogen, das bedeutet, dass man sie so erzieht, als wären sie heterosexuell, ungeachtet der tatsächlich vorhandenen sexuellen Orientierung. Das ist vergleichbar mit der Erziehung von Linkshändern in früheren Tagen, denen dasselbe Verhalten beigebracht wurde wie Rechtshändern. Für die Gesellschaft ist das einfacher, da man sich die Differenzierung spart, für die Betroffenen hingegen verursacht das erhebliche Schwierigkeiten.

Die sexuelle Orientierung eines Menschen ist schon im frühesten Kindesalter unabänderlich festgelegt. Es ist durch verschiedene Studien zweifelsfrei erwiesen, dass die sexuelle Orientierung zu einem großen Teil von genetischen Faktoren bestimmt wird [2] [3]. Es ist bisher noch unzureichend erforscht, ob und welche weiteren Faktoren nach der Zeugung noch hinzukommen können [4]. Bisher sind keine seriösen Fälle bekannt, in der die sexuelle Orientierung erfolgreich verändert wurde, trotz umfangreicher Versuche vor allem durch Aktivisten der Ex-Gay-Bewegung. Man kann daher sagen, dass die sexuelle Orientierung unveränderlich ist. [5]. Dies wird gelegentlich verdeutlicht durch die Redewendung: „Schwul wird man nicht, schwul ist man!“. Im Zuge des Coming-out wird also eine vorhandene homosexuelle Orientierung nicht etwa entwickelt, sondern nur entdeckt.

Coming-out als Prozess

Im Coming-out unterscheidet man zwei Phasen, das innere Coming-out und das äußere Coming-out [6] [7] (für letzteres hat sich die präzisere Bezeichnung Going Public = an die Öffentlichkeit gehen im Alltagsgebrauch nicht durchgesetzt). Das innere Coming-out umfasst den Teil des Prozesses bis zur Bewusstwerdung über eine bei der eigenen Person vorhandene homosexuelle Orientierung. Die Feststellung „Ich bin homosexuell!“ erfolgt zunächst für sich selbst. Diese Phase kann individuell unterschiedlich lange dauern, beginnt meist mit der Pubertät und kann sich teilweise über viele Jahre hinziehen.

Das äußere Coming-out ist dadurch geprägt, dass man allen oder ausgewählten Menschen des sozialen Umfeldes (oder manchmal auch darüber hinaus), meist beginnend mit nahen Verwandten und Freunden, die eigene sexuelle Orientierung explizit offenbart, die Feststellung „Ich bin homosexuell!“ erfolgt dann gegenüber anderen Menschen. Viele Homosexuelle informieren allerdings nur einen Teil ihres sozialen Umfeldes.

Der Coming-out-Prozess ist nicht an ein bestimmtes Alter gebunden. Es gibt Fälle, in denen Menschen in relativ hohem Alter ihre Homosexualität ihren Familien, Kollegen oder ihrem Freundeskreis offenbaren. Obwohl diese Menschen, im Gegensatz zu jüngeren, meist finanziell unabhängig sind und nicht von Pubertätsproblemen geplagt werden, haben sie andere Probleme, weil sie meist sehr lange ihrer Umgebung eine Fiktion gezeigt haben, die nur sehr schwer zu widerrufen ist. In vielen Fällen sind sie sogar verheiratet oder haben Kinder.

Wann immer ein Betroffener in eine fremde Umgebung kommt (neuer Arbeitsplatz, Wohnort oder fremde Menschen, die er nicht auf Anhieb abschätzen kann, weil sie zum Beispiel aus anderen Kulturkreisen stammen), stellt sich für ihn immer wieder neu die Frage, ob und wie er seine sexuelle Identität seiner Umgebung offenbart.

Es gibt kein definiertes Ergebnis für einen Coming-out-Prozess. Vom völlig offenen bis zum weitgehend zurückgezogenen Leben reichen die Schattierungen. Kriterium ist, ob der Betroffene innerlich seine sexuelle Orientierung akzeptiert hat und sich selbst nicht verleugnet. Jemand kann sich seiner homosexuellen Veranlagung bewusst sein oder sogar sexuelle Beziehungen zum selben Geschlecht haben und trotzdem Schuldgefühle oder Selbsthass empfinden (in der psychiatrischen Diagnostik „ichdystone Sexualorientierung“ genannt[8]).

Auf dem Land in Deutschland, Schweiz oder Österreich lebende homosexuelle Menschen haben es im Vergleich zu homosexuellen Menschen in den deutschen, schweizerischen, österreichischen Mittel-/Großstädten schwerer und suchen daher zunächst Informationen über Medien (Internet, Fernsehen,…). Erst wenn sie sich selbstsicher genug fühlen, offenbaren sie sich Vertrauenspersonen oder engen Freunden. Ein offenbarendes Gespräch mit Eltern oder Verwandten erfolgt häufig später und ist von den jeweiligen Familienverhältnissen abhängig.

Coming-out bei Migranten

Gerade homosexuelle Personen mit Migrationshintergrund stehen vor besonderen Schwierigkeiten bei ihrem Coming-out, die über das Maß an Schwierigkeiten von Personen ohne Migrationshintergrund noch deutlich hinausgehen. In vielen Kulturen, vor allem in den patriarchalisch geprägten, ist der Familienzusammenhalt enorm wichtig, gerade auch wegen der oft wirtschaftlich schwierigen Situation vieler Familien. Es ist für Betroffene dann besonders problematisch und traumatisch, wenn sie in der Folge des Coming-outs von der Familie verstoßen werden – was keine seltene Reaktion in den Familien mit Migrationshintergrund ist.

In vielen Kulturen sind die Erwartungen an das geschlechtsspezifische Rollenverhalten der Familienmitglieder viel stärker ausgeprägt als in Westeuropa, in dem die Emanzipation von Mann und Frau weit fortgeschritten ist. Je stärker die Erwartungen, umso herber die Enttäuschung, wenn diese dann nicht erfüllt werden, weil der Homosexuelle vom erwarteten Rollenverhalten abweicht.

In manchen Fällen wird ein schwuler Sohn von der Familie auch als „Schande“ angesehen und in extremen Fällen kommt es hier sogar zu Gewalttaten zur Wiederherstellung der verloren geglaubten Ehre. Das Coming-out kann für einen Migranten bedeuten, in Lebensgefahr zu geraten. Viele Migranten verzichten daher darauf, Familienmitglieder einzuweihen.

Emotionale Aspekte

Aufgrund der normativen Erziehung entstehen bei homosexuellen Menschen zum Teil erhebliche Spannungen zwischen den Erwartungen der Umgebung an ihre Gefühle und den tatsächlich vorhandenen Gefühlen. Während zum Beispiel andere Jungs eine sexuelle Erregung beim Anblick von Mädchen verspüren, empfinden schwule Jungs in derselben Situation ganz anders. Das führt oft zu einem subjektiven Gefühl des Andersseins und auch des Alleinseins. Viele Homosexuelle glauben zunächst, ganz alleine und einzigartig zu sein mit ihren Gefühlen.

Vorausgesetzt, dass keine Verfolgung von Homosexuellen droht, können Lesben und Schwule dieses emotionale Dilemma dadurch auflösen, dass sie einsehen und akzeptieren, tatsächlich anders zu sein und darüber hinaus zu erkennen, dass die an sie von anderen herangetragenen Erwartungen für sie nicht bindend sind. Die Betreffenden lösen sich von den Rollenerwartungen ihrer Umgebung, sie emanzipieren sich von der Rolle als Heterosexueller. Das erfordert ein erhebliches Maß an Mut und Selbstvertrauen, da es auch das Eingeständnis der Zugehörigkeit zu einer Minderheit bedeutet, die zum Teil noch immer mit erheblichen Widerständen in Staat und Gesellschaft zu kämpfen hat.

Homosexuelle müssen je nach Region und Kulturkreis mit unterschiedlich großen Widerständen rechnen, die die Selbstfindung sehr erschweren können. Diese reichen von einfachen Ressentiments bis hin zu akuter Lebensgefahr[9] vor allem in von der Scharia geprägten Regionen. Eine negative Reaktion der Umwelt oder auch nur die Erwartung einer solchen kann Stressreaktionen bei den Betroffenen auslösen, die bis zu extremen Konsequenzen führen können einschließlich der Selbsttötung. Eines der prominentesten Opfer, welches sich nach seinem unfreiwilligen Outing das Leben nahm, war der Mathematiker Alan Turing.

Besonders Jugendliche sind in solchen Fällen gefährdet: Zu den Pubertätsproblemen gesellen sich Fragen wie „Bin ich normal?“, „Bin ich allein so?“ Dies verdeutlicht auch die erhöhte Suizidversuchsrate[10] bei jungen homosexuellen Menschen.

Es erfordert daher ein erhebliches Maß an Vertrauen der Betroffenen in ihre Umwelt, um die eigene sexuelle Orientierung anderen zu offenbaren. Manchmal schrecken Betroffene aus Angst vor einer möglichen negativen Reaktion vor dem Outing zurück, obwohl eine solche negative Reaktion tatsächlich gar nicht droht.

Anspielend einerseits auf die erheblichen emotionalen Belastungen, die mit dem Coming-out verbunden sind, und andererseits auf den Umstand, dass Homosexualität teilweise angeboren ist, pflegen manche Betroffenen die Redewendung: „Schwul ist man nicht, das hat man sich hart erarbeitet!“.

Historische Entwicklung

Weltweit nimmt die Intensität der Verfolgung von Homosexuellen ab, insbesondere die staatliche Verfolgung ist in den vergangenen 50 Jahren besonders in Europa stark zurückgegangen. Daher ist das Coming-out heute leichter als früher.

Gleichzeitig existieren heute im Internet Plattformen mit hoher Reichweite und umfangreichem Informationsangebot. Hier können Betroffene bequem und anonym Informationen einholen, ohne sich selbst zu gefährden. Darüber hinaus ist ein gefahrloser Austausch mit anderen Menschen möglich und sogar Beratung, wodurch die Unsicherheit der Betroffenen abgebaut werden kann. Das war früher nicht möglich, da man sich oft schon mit dem Wunsch nach Informationen über Homosexualität angreifbar gemacht hatte.

Durch die Internetplattformen ist ebenfalls die Notwendigkeit eines Outings gesunken. Um einen Partner zu finden, ist es heute nicht mehr zwingend notwendig, sich durch Besuch einschlägiger Orte wie zum Beispiel Kneipen mit schwuler Stammkundschaft selbst zu outen. Stattdessen können Bekanntschaften direkt in der Privatsphäre geknüpft werden, ohne sich selbst den Gefahren des öffentlichen Raumes auszusetzen.

Entwicklung des Begriffs

Die aus dem Englischen übernommene Redewendung „Coming out“, die im englischen Ursprung sowohl den Auftritt einer Debütantin bei ihrer Volljährigkeit als auch den Prozess, ein Versteck (Schrank) zu verlassen („Coming out of the closet“), bezeichnet, hat in der deutschen Sprache eine feste Bedeutung erlangt, die durch keine anderen deutschen Wörter zu ersetzen ist. Dabei hat das eingedeutschte Wort outen auch eigene, weitere Bedeutungen erhalten:

  • (transitiv): jemanden outen oder Zwangsouten ist die auch in der lesbischen und schwulen Community umstrittene, gegen den Willen des Betroffenen erfolgende Bekanntgabe seiner sexuell abweichenden Orientierung. Im Allgemeinen gilt die Praxis als verpönt. Sie wird aber eher akzeptiert und dann als eine Art Notwehr betrachtet, wenn der Betroffene sich z. B. in der Politik aktiv gegen Homosexuelle engagiert. Näheres dazu unter Outing.
  • sich outen wird oft in einem sehr allgemeinen Umfeld benutzt, um scherzhaft bekannt zu geben, dass man einer in der jeweiligen Gruppe verpönten Haltung, Geschmacksrichtung oder ähnlichem zuneigt. Beispiel: In einer Jugendgruppe sagt jemand: Ich oute mich mal als Klassikliebhaber.
  • outen wird umgangssprachlich inzwischen auch für die Bekanntgabe beliebiger privater biografischer Momente verwendet, z. B.: Ich oute mal etwas aus meiner Ausbildungszeit.

Hilfsangebote und Selbsthilfe

Eine positive Reaktion der Umwelt wirkt auf die Betroffenen erleichternd. Sie fühlen sich oft befreit und in ihrem Selbstvertrauen bestätigt. Sie neigen dazu, optimistisch in die Zukunft zu blicken.

Deswegen gibt es mittlerweile im deutschsprachigen Raum in allen größeren Städten Gruppen und Organisationen, die Hilfe und Selbsthilfe anbieten. Für ländliche Gegenden sind überregionale Organisationen, meist über Webseiten oder Telefondienste, tätig.

Für homosexuelle und sadomasochistische Jugendliche werden oft spezielle Coming-out-Gruppen angeboten, in denen informations- und hilfesuchende Jugendliche alle Fragen zum Thema besprechen können und darüber hinaus oft auch Anschluss zu Gleichgesinnten finden.

„Coming-out“ von Prominenten

Medienwirksames öffentliches Outing von Prominenten findet eher selten statt. Wenn es selbst angestoßen wurde, hat es meist einen tiefergehenden Grund. Es sind „Going Publics“ alleine vor der Medienwelt, da es für das nähere Umfeld kein Geheimnis mehr darstellt. Meist wurde es aus verschiedensten Gründen vorher nie Stück für Stück innerhalb standardmäßiger Meldungen thematisiert. Es ist damit eine noch schwierigere Gratwanderung: Auf der einen Seite geht es um die einfache Bekanntgabe einer nicht der sozialen Norm entsprechenden sexuellen Orientierung sowie eines oft vorhandenen gleichgeschlechtlichen Weggefährten, was schon alleine und auch im alltäglichen Leben durch die automatische „heterosexuelle Vorannahme“ oft als eine Grenzüberschreitung von der Privat- zur Sexualitätssphäre empfunden wird[11]. Auf der anderen Seite steht die Sensationslust der Medien, welche es oft noch als auflagestärkendes Medienereignis sehen. Sobald der Anfang gemacht wurde lässt sich die Berichterstattung so gut wie nicht mehr steuern.

Der Berliner Bürgermeister Klaus Wowereit wollte 2001 einer sich abzeichnenden Thematisierung durch Medien im Wahlkampf zuvorkommen. Mit seinem inzwischen zum geflügelten Wort gewordenen Ausspruch „Ich bin schwul, und das ist gut so“ war er der erste hochrangige deutsche Politiker, der die Flucht nach vorne ergriff und dem es letztendlich sogar einen leichten Vorteil verschaffte. Darauf folgte 2003 Ole von Beust, dem von seinem damaligen Innensenator und Koalitionspartner Ronald Schill ein Lebensgefährte und eine damit zusammenhängende Vermischung von Privatem und Amt zur Last gelegt wurden. Von Beust fasste es als Erpressungsversuch auf, entließ Schill, der daraufhin einzelne angebliche Details erzählte. Später outete sich der vermeintliche Lebensgefährte und wirkliche Studienfreund sowie Wohnungsmieter Roger Kusch. Kurze Zeit später wurden die letzten Zweifel durch ein Interview mit von Beusts Vater beseitigt. Von Beust war darüber letztendlich froh, da darin alles Wesentliche gesagt wurde und er nur mehr darauf verweisen musste.[12][13][14] Beiden brachte es bei der jeweils darauf folgenden Wahl Sympathiepunkte.

Guido Westerwelle hatte schon Jahre sein Privatleben nicht versteckt, auch nicht vor Journalisten, mit denen er schon Jahre zuvor auf einem Parteikonvent scherzte: „Outen Sie mich doch.“ Er ging auch häufiger zu Veranstaltungen in der Szene oder Straßenumzügen. Er hatte sich aber offiziell nie dazu geäußert. In den allgemeinen Medien wurde es nach den ungeschriebenen Regeln der Politik-Journalisten als „Privates“ nie thematisiert. In homosexuellen Medien dagegen wurde es meist beiläufig, nicht sensationell in Meldungen extra erwähnt oder impliziert und gelegentlichen gab es Diskussionen in der schwulen Szene. Im Jahre 2001 wurde er Parteivorsitzender und bei der Bundestagswahl 2002 trat er als Kanzlerkandidat an. Bei einer diskutierten schwarz-gelben Koalition nach der darauffolgenden Wahl war er als möglicher Außenminister im Gespräch. Da würde schon alleine das Diplomatische Protokoll den Lebensgefährten ins öffentliche Licht rücken, soferne man ihn nicht absichtlich ausgrenzen will und damit auch ein Teil des alltäglichen Lebens. So war klar, dass die Öffentlichkeit sowie die Parteimitglieder und so manche Führungskräfte des potentiellen konservativen Koalitionspartners auf das Thema vorbereitet werden sollten und ein halbwegs offizielles Outing – in welcher Form auch immer – im Raum stand. Im Frühjahr und Sommer 2004 erschien er daraufhin mit seinem Lebensgefährten Michael Mronz bei mehr oder weniger offiziellen Terminen. Als erstes berichtete der Spiegel in einer Randnotiz über ein „stilles Outing“ und „stellte damit quasi die Bombe scharf.“ Danach wurden die gemeinsamen öffentlichen Auftritte häufiger. In der Kölner Lokalpresse wurde daraufhin leise spekuliert was los sei, aber kein eindeutiger Bericht gebracht. Nach einer Einladung zur Geburtstagsfeier von Angela Merkel sagte er gemeinsam mit seinem Lebensgefährten zu. Dort saßen die beiden am 19. Juli nebeneinander in der ersten Reihe. Stunden nach der Veranstaltung bot ein Berliner Fotograf die Bilder mit dem Hinweis an, dass sich Westerwelle „erstmalig“ mit seinem Freund gezeigt hatte. Am 21. Juli veröffentlichte die Bild das Foto im Großformat auf der Titelseite mit der Schlagzeile: „FDP-Chef Guido Westerwelle liebt diesen Mann.“ Im Innenteil erklärte Hugo Müller-Vogg wie Westerwelle „sein größtes Geheimnis“ lüftete und dass der Mann auf dem Foto „nun offiziell als Lebensgefährte des FDP-Vorsitzenden eingeführt“ sei. Der Bericht wurde von Westerwelle mit Wohlwollen aufgenommen und in der FDP, auch bezüglich des Blattes, mit „Angemessen“ kommentiert. Weitere Anfragen von Journalisten wurden am nächsten Tag mit den Aussagen „Ich lebe mein Leben und mehr sage ich dazu nicht“ (Westerwelle), „Privatleben ist Privatsache“ (Pressestelle) und „Ich habe mich bisher nicht zu meinem Privatleben geäußert und werde dies auch in Zukunft nicht tun“ (Mronz) abgeblockt. Der Bild-Artikel war für die damalige Zeit trotz der Sensation auffallend wohlwollend formuliert und ganz auf Partnerschaft und nicht auf Sex bezogen. Erst jetzt erschien am gleichen Tag auch im Kölner Express erstmals ein deutlicher Bericht zu Westerwelle. Nach einem kurzen Rummel ging man sehr schnell wieder zur Tagesordnung über. Aber danach konnten die Medien ganz offiziell und ohne irgendwelche eventuellen Befürchtungen darüber berichten, wenn beide gemeinsam bei einer Veranstaltung gesichtet wurden.[15]

George Takei äusserte sich öffentlich über seine langjährige Beziehung, und damit automatisch über seine Homosexualität, um die allgemeinen Forderungen nach einer Homo-Ehe zu unterstützen. Balian Buschbaum ging als Transmann am 21. November 2007 bezüglich seiner Beendigung der Sportlerlaufbahn[16] und am 24. Januar 2008 bei Johannes B. Kerner an die Öffentlichkeit, da es in der Gesellschaft nur sehr wenig und sehr ungenaue Informationen zum Thema Transsexualität und insbesondere über Frau-zu-Mann-Transsexuelle gibt und wenige Anlaufstellen. „Deswegen habe ich gedacht: Ich muss was ändern, ich muss aufklären.“ Auch meinte er: „Der Schritt an die Öffentlichkeit zu gehen, ist für mich nicht schwer, sondern eine logische Konsequenz. Es gibt keinen Grund, mich zu verstecken.“ Er hat sich schon immer nicht wohl in ihrer Haut gefühlt und wurde als lesbisch wahrgenommen, obwohl er sich nie so gefühlt hat. Es war eine Leidensgeschichte und der Schritt zur Veränderung ist für ihn etwas positives, eine Klarstellung, die Erfüllung eines Lebenstraums. Die Aufmerksamkeit störte ihn nicht, „es ist jetzt einfach aus mir rausgeplatzt […] mir geht es gut: Ich habe alles rausgelassen und mir alles von der Seele gequatscht.“[17][18]

Manche scheinen auch mehrmals ihr „Going Public“ zu haben, besonders wenn bei Boulvardblättern eine Schlagzeile gebraucht wird. Bei Richard Chamberlain stand es 1989 erstmals in den Medien, 1991 sprach er selbst erstmals darüber und vollzog somit sein „Going Public“. Mit Erscheinen seiner Biografie im Jahre 2003 wurde er in den Medien wieder als vermeintlich „endlich geoutet“ hingestellt. Ein anderes Beispiel ist Ulrike Folkerts, welche schon lange nicht mehr versteckt lebte, ab 1996 auch an sportlichen Veranstaltungen wie den Gay Games und den Eurogames teilnahm und 1998 über ihre Beziehung und ihre Teilnahme am Christopher Street Day sprach. Trotzdem erschien sie 1999 und 2005 mit ihrem Lesbischsein zweimal auf der Bild-Titelseite. Die rebellische Inge Meysel trat immer wieder für ihre Ideale, Toleranz, Gerechtigkeit und Zivilcourage ein und fand das Image als „Mutter der Nation“ als nicht passend für sie. Sie hatte viele schwule Freunde und ihre offene und direkte Art machte sie bei Schwulen und Lesben beliebt. 1975 gab sie vor 300 Leuten in einer Theater-Talk-Show nach dem Schema des „Heißen Stuhls“ im Hamburger Malersaal zu, schon mit einer Frau geschlafen zu haben. Der Spiegel berichtete relativ passend in einem Nebensatz davon.[19] 1986 wurde im Stern das Zitat „Die Liebe zwischen Frauen ist eine Zukunft“ als ihr Kommentar zu einem Bild von Gustave Courbet mit einem lesbischen Liebesakt gedruckt. In einem Interview mit Alice Schwarzer für die Emma-Ausgabe Jänner 1987 erzählte sie, dass in ihrer Teenagerzeit kein Platz für eine feste Beziehung mit meinem Mann war. Ihr war klar, dass sie dann schwanger werden würde, dies aber für sie nicht mit ihrem Karrierewunsch als Schauspielerin vereinbar war. „Männer waren gestrichen, bis 21, dann ist es doch noch passiert. Aber da hatte ich schon längst eine Liebesbeziehung zu einer Frau. Mit einer Kollegin. Tempi passati.“[20] Richtig bekannt wurde ihr gleichgeschlechtliches Erlebnis und ihr Bekenntnis zu einer gewissen Bisexualität erst ab 1992. Nach einem Talkshow-Auftritt titelte die Bild am 24. April 1992: „Mutiges Bekenntnis. Inge Meysel: Ich habe Frauen geliebt.“[21] In in einem dpa-Interview wird sie 1992 zitiert: „Ich war bisexuell, ich, die ‚Mutter der Nation‘.“ und „Ich habe mit 17 durch eine Frau die körperliche Liebe kennen gelernt. Aber das war das einzige Mal.“. In einem Interview in der Bunten meinte sie im Jahre 2001: „Wer nicht bisexuell ist, verpaßt doch das Beste.“[22]

Rosa von Praunheim offenbarte im Jahr 1991 einige homosexuelle Kollegen von Film, Funk und Fernsehen. Dazu gehörten u. a. Alfred Biolek und Hape Kerkeling. Das Bekanntwerden des ehrenamtlichen BDSM-Engagements des UN-Waffeninspekteurs Jack McGeorge führte im angelsächsischen Sprachraum zu einer umfangreichen gegen ihn gerichteten Medienkampagne, in deren Verlauf sich Hans Blix und Hua Jiang, Pressesprecherin des UN-Generalsekretärs Kofi Annan, eindeutig auf McGeorges Seite stellten.

Literatur

  • Ellen Bass; Kate Kaufman: Wir lieben, wen wir wollen: Selbsthilfe für lesbische, schwule und bisexuelle Jugendliche. Berlin 1999. ISBN 3-929823-62-4.
  • Thomas Grossmann: Schwul, na und? Reinbek bei Hamburg 2002. ISBN 3-499-19109-1.
  • Pia Werner; Barbara Wörmann: Jane liebt Julia: das Coming-Out-Buch für Lesben. München 2000. ISBN 3-426-77449-6.
  • Rolf Winiarski: Coming Out Total. Der Ratgeber für ein selbstbewusstes Leben. Berlin 2002. ISBN 3-86187-323-0
  • Dorit Zinn: Mein Sohn liebt Männer. Frankfurt a. M. 1992. ISBN 3-596-11260-5
    Türkische Übersetzung: Oğlum erkekleri seviyor, ISBN 975-7836-10-9
  • Meike Watzlawik, Friederike Wenner: …und ich dachte, Du bist schwanger! – Frauen erzählen ihr Coming-out Stuttgart 2002. ISBN 3-932855-06-X
  • Knackpunkt Hannover: „Herzrasen – L(i)ebe was du fühlst“ – Hannover 2005 – Die besten Coming-Out-Geschichten des Niedersächsischen Schreibwettbewerbs Herzrasen. Zu beziehen über die Herzrasen-Website
  • Kathrin Passig und Ira Strübel: Die Wahl der Qual. Rowohlt-Verlag 2004, ISBN 3-499-61692-0

Siehe auch

Künstlerische Auseinandersetzung

Filme, die sich mit Homosexualität, im speziellen mit dem Coming-out, beschäftigen:

Bücher

Comics

Weblinks

Deutschland

Schweiz

  • Trau Di.ch – Beratungsseite für homosexuelle Schweizer Jugendliche
  • Coming-out Day – Homepage zum jährlichen COD (jeweils am 11. Oktober)

Österreich

SM

  • SMJG – Selbsthilfegruppe für sadomasochistische und interessierte Jugendliche im Alter zwischen 18 und 27 Jahren
  • sm-outing.de – Informationen für betroffene Sadomasochisten

Quellen und Anmerkungen

  1. siehe auch Geschlechtsidentitätsstörung
  2. In der Mitte dieses Jahrhunderts wurde dies von Franz Josef Kallmann (1952 a, 1952 b, 1963) erforscht. Kallmann untersuchte 40 eineiige und 45 zweieiige männliche Zwillingspaare, von denen wenigstens einer der beiden zu Beginn der Studie sich selbst als homosexuell bezeichnete. Bei dieser Stichprobe fand Kallmann heraus, dass bei den eineiigen Zwillingen zu 100 % beide homosexuell waren. Die zweieiigen Zwillinge glichen im wesentlichen der allgemeinen männlichen Bevölkerung. Bisexualität aus biologischer Sicht
  3. Die Veranlagung für Homosexualität bei Männern wird über die mütterliche Linie vererbt und konnte sich während der Evolution deshalb durchsetzen, weil dieselben genetischen Faktoren die Fruchtbarkeit der weiblichen Verwandten erhöhen. Homosexualität in der Evolution
  4. Udo Rauchfleisch: Schwule, Lesben, Bisexuelle. Lebensweisen, Vorurteile, Einsichten. Vandenhoeck & Ruprecht, Göttingen 2001. ISBN 3-525-01425-2
  5. Gelegentlich werden Menschen mit bisexueller Orientierung als Beispiel gebracht, die zunächst überwiegend geleichgeschlechtlich und später verschiedengeschlechtlich verkehren. Bei diesen ist aber zu beachten, dass diese durchgehend bisexuell bleiben und sich nicht etwa deren sexuelle Orientierung verändert.
  6. Joachim Braun: Ich will keine Schokolade – Das Coming-Out-Buch für Schwule Rowohlt (2001) ISBN 3-499-61142-2 (Inhalt)
  7. Studien beweisen: Auch nach 25 Jahren Christopher Street Day fällt das Coming-out vielen jungen Männern und Frauen schwer
  8. ICD-10 F66.1 „Ichdystone Sexualorientierung“
  9. Zwei schwule Jugendliche in Teheran gehängt
  10. Studie zeigt sechsfach höhere Suizidversuchsrate bei schwulen Jugendlichen in Österreich
  11. Christopher Knoll: Studie „Lesben und Schwule in der Arbeitswelt“, Juni 1996
  12. „Der Ole, der hat sich befreit“ – Interview mit Achim-Helge Freiherr von Beust, Welt am Sonntag, 31. August 2003
  13. Ole von Beust privat in Bunte, Eurogay.net, 13. Februar 2004
  14. Stefan Berg, Klaus Brinkbäumer, Jürgen Dahlkamp, Per Hinrichs, Sebastian Knauer, Cordula Meyer, Andreas Ulrich, Christoph Schult: Das rosa Rathaus, DER SPIEGEL 35/2003 vom 25.08.2003, Seite 34
  15. Matthias Gebauer: Westerwelles Outing – Guidos inszenierte Enthüllung, spiegel.de, 21. Juli 2004
  16. Leichtathletin Buschbaum outet sich als transsexuell, Spiegel online, 21. November 2007
  17. Jörg Winterfeldt: Transsexuelle Buschbaum erfüllt sich „Lebenstraum“, Welt Online, 25. Januar 2008
  18. Christian Fuchs: Von Yvonne zu Balian Buschbaum, leichtathletik.de, 25. Januar 2008
  19. UNTERHALTUNG - Heißer Stuhl, DER SPIEGEL 23/1975 vom 02.06.1975, Seite 138
  20. Inge Meysel - Ein Interview von Alice Schwarzer, Emma, Jänner 1987
  21. Karin Schupp: Angst vor den wilden Lesben, Querverlag, 1998, ISBN 3-89656-031-X, S. 12
  22. dpa: Meysel-Zitate - „Ich war bisexuell, ich, die Mutter der Nation“, faz.net, 10. Juli 2004


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