Primo Levi
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Primo Levi (* 31. Juli 1919 in Turin, † 11. April 1987 ebenda) war ein italienischer Schriftsteller und Chemiker. Er ist vor allem bekannt für sein Werk als Zeuge und Überlebender des Holocaust. In seinem autobiographischen Bericht Ist das ein Mensch? verarbeitet er seine Erfahrung im KZ Auschwitz.
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[Bearbeiten] Frühe Jahre
Primo Levi wuchs in einer liberalen jüdischen Familie in Turin auf. Ab 1934 besuchte er das Liceo classico Massimo d’Azeglio, ein humanistisches Gymnasium, das bekannt war für die antifaschistische Einstellung vieler seiner Lehrer, von denen die meisten jedoch bereits aus dem Schuldienst entfernt worden waren. 1937 schrieb sich Levi an der Universität Turin für das Fach Chemie ein. 1938 erließ die faschistische Regierung Italiens ein Rassegesetz, das es jüdischen Bürgern verbot, staatliche Schulen und Hochschulen zu besuchen. Dennoch schaffte es Levi 1941, sein Studium mit Auszeichnung zu beenden. Auf dem Abschlusszeugnis war jedoch der Vermerk „von jüdischer Rasse“ zu finden.
[Bearbeiten] Zweiter Weltkrieg und Auschwitz
Im Herbst 1943, nach dem Waffenstillstand der Regierung Badoglio, der Befreiung des abgesetzten Mussolini durch die SS und der Errichtung eines faschistischen Reststaates in Norditalien, schloss sich Levi dem antifaschistischen Widerstand, der Resistenza, an. Mit einigen Kameraden versuchte er im Oktober, sich in den Bergen des Aosta-Tals einer Partisanengruppe der liberalen Bewegung „Giustizia e Libertà“ (Gerechtigkeit und Freiheit) anzuschließen. Aufgrund ihrer militärischen Unerfahrenheit wurden sie jedoch bald von faschistischen Milizen gefasst. Vor die Alternative gestellt, entweder als Partisan auf der Stelle erschossen oder als Jude deportiert zu werden, gab Levi seine jüdische Abstammung zu und wurde daraufhin in das speziell für Juden eingerichtete KZ Fossoli bei Modena verbracht. Am 11. Februar 1944 wurden die Insassen dieses Lagers in Viehwaggons nach Auschwitz deportiert.
Dort verbrachte Levi elf Monate im Konzentrationslager bis zur Befreiung durch die Rote Armee. Von ursprünglich 650 italienischen Juden, mit denen er in Auschwitz angekommen war, überlebte er als einer von fünf. Da er als Chemiker in den Buna-Werken von Auschwitz-Monowitz eingesetzt war, konnte er den schlimmsten Arbeitsbedingungen im Winter 1944/45 entgehen. Dennoch erkrankte er wenige Tage vor der Befreiung des Lagers an Scharlach und wurde in den sogenannten „Krankenbau“ verlegt, wo es allerdings zu dieser Zeit kaum noch ärztliche Pflege gab, so dass seine Überlebenschancen sehr gering waren.
Durch Glück und Zufall überstand er jedoch die Krankheit und entging durch sie den Todesmärschen der vor der Roten Armee flüchtenden SS-Schergen. Am 27. Januar 1945 wurde Auschwitz befreit. Trotzdem konnte Levi erst am 19. Oktober nach Turin zurückkehren, nachdem er von seinen Befreiern auf eine wirre Reise in Zügen quer durch Mittel- und Osteuropa bis fast nach Minsk in Weißrussland geschickt worden war. Sofort nach seiner Rückkehr begann er, seine Erfahrungen in Auschwitz niederzuschreiben und ihnen literarisch Ausdruck zu verleihen. So entstanden die beiden autobiographischen Berichte Ist das ein Mensch? und Die Atempause.
[Bearbeiten] Die Zeit nach dem Krieg
Zurück in Italien, begann Primo Levi zunächst nur nebenbei als Schriftsteller tätig zu werden. Bis 1977 arbeitete er hauptberuflich wieder als Chemiker. Nach seinem Ausscheiden aus dem aktiven Arbeitsleben widmete er sich ganz dem Schreiben. Am 11. April 1987 starb er durch einen Sturz in den Treppenschacht seines Wohnhauses. Obwohl ein definitiver Beweis fehlt, wird heute allgemein angenommen, dass es ein Freitod war.
[Bearbeiten] Literarisches Schaffen
Von Weltbedeutung ist sein autobiographischer Bericht Se questo è un uomo (1947, dt. Ist das ein Mensch?), in dem er seine Erfahrungen in Auschwitz beschreibt und dem Phänomen der gezielten Entmenschlichung der Opfer nachzuspüren versucht.[1] In dem direkt anschließenden, ebenfalls autobiographischen Bericht La Tregua (dt. die Atempause) schildert er die Odyssee seiner monatelangen Reise durch die Ukraine und Weißrussland bis zur schließlichen Rückkehr nach Italien und seine Sicht auf ein vom Krieg zerstörtes Europa, das er auf dieser Reise durchquert hat.
Autobiographisch ist auch der Roman Das periodische System, in dem er kunstvoll Episoden aus seinem Leben erzählt: Jedes der 21 Kapitel ist nach einem der chemischen Elemente benannt, dessen Eigenschaft er in Bezug zu einer Episode aus seinem Leben setzt. Das 1975 erschienene Buch wurde im Oktober 2006 vom Londoner Imperial College im Rahmen einer Publikumsabstimmung zum „besten populären Wissenschaftsbuch aller Zeiten“ gewählt.
Eine Reihe von Erzählungen scheinen dagegen reine Fiktion zu sein, desgleichen der umfangreiche Partisanenroman Wann, wenn nicht jetzt? und die eher pikareske Geschichte eines weitgereisten Technikers in Der Ringschlüssel, aber auch sie spiegeln mehr oder minder deutlich Erfahrungen und Episoden aus dem Leben des Autors.
In seinem letzten Buch, Die Untergegangenen und die Geretteten, das 1986 ein halbes Jahr vor seinem Tod erschienen ist, kehrt Primo Levi nach 40 Jahren noch einmal zu seiner prägenden Auschwitz-Erfahrung zurück und reflektiert in eindringlicher Weise über die Verdrängungen und Verzerrungen im Gedächtnis der Zeitzeugen, der Mörder wie auch der Inhaftierten, über die beklemmende „Grauzone“ zwischen Tätern und Opfern, über die „Scham“ derer, die das KZ durch Zufall und Glück überlebt haben, über den vielgestaltigen Terror im Lageralltag, über die besondere Situation der Intellektuellen in Auschwitz und insgesamt über die Notwendigkeit eines nicht erlahmenden Zeugnisablegens und Erinnerns an „das größte Verbrechen in der Geschichte der Menschheit“.
Dabei betont er ausdrücklich (und hierauf bezieht sich die Unterscheidung zwischen den „Untergegangenen“ und den „Geretteten“ im Titel): „Nicht wir, die Überlebenden, sind die wirklichen Zeugen. Das ist eine unbequeme Einsicht, die mir langsam bewußt geworden ist, während ich die Erinnerungen anderer las und meine eigenen nach einem Abstand von Jahren wiedergelesen habe. Wir Überlebenden sind nicht nur eine verschwindend kleine, sondern auch eine anomale Minderheit; wir sind die, die aufgrund von Pflichtverletzung, aufgrund ihrer Geschicklichkeit oder ihres Glücks den tiefsten Punkt des Abgrunds nicht berührt haben. Wer ihn berührt hat, konnte nicht mehr zurückkehren, um zu berichten, oder er ist stumm geworden.“
Zurecht gilt dieses ebenso luzide wie engagiert geschriebene Buch[2] als Primo Levis Vermächtnis, in dem er die Themen seines Lebens noch einmal bündig zusammenfasst. Am Ende zitiert und kommentiert er eine Reihe von Briefen, die er in den 60er Jahren von deutschen Lesern seines Auschwitz-Buches erhalten hat: mehrheitlich Dokumente des verdrängten oder gespaltenen Schuldbewusstseins von Zeitgenossen des Holocaust.
[Bearbeiten] Werke
- Se questo è un uomo, 1947, Neuausgabe 1958 (dt. Ist das ein Mensch?, übers. v. Heinz Riedt, Fischer, Frankfurt/M 1961; Neuausgabe Hanser, München 1987, dtv 1992, ISBN 3423115610)
- La tregua, 1963 (dt. Die Atempause, übers. von Barbara und Robert Picht, Wegner, Hamburg 1964; Neuausgabe Fischer, Frankfurt/M 1982; Hanser, München 1988; dtv 1994, ISBN 3423117796)
- Storie naturali, 1966 (Erzählungen, unter dem Pseudonym Damiano Malabaila; dt. Die Verdopplung einer schönen Dame und andere Überraschungen, übers. v. Heinz Riedt, Wegner, Hamburg 1968; dtv 1975, ISBN 3423011092)
- Vizio di forma, 1971 (Erzählungen; dt. Das Maß der Schönheit [Auswahl, ergänzt um Erzählungen aus dem vorigen Band], übers. v. Heinz Riedt und Joachim Meinert, Hanser, München 1997, ISBN 3446189394)
- Lilít e altri racconti, 1971 (dt. Der Freund des Menschen. Erzählungen, übers. v. Heinz Riedt und Barbara Kleiner, Hanser, München 1989, ISBN 3446150358; dtv 1995, ISBN 3423120622)
- Il sistema periodico, 1975 (dt. Das periodische System, übers. v. Edith Plackmeyer, Aufbau Verlag, Berlin (DDR) 1979; Hanser 1987; dtv 1991, ISBN 3423113340; SZ Bibliothek Bd. 48, 2005, ISBN 393779347X)
- La chiave a stella, 1978 (dt. Der Ringschlüssel, übers. v. Barbara Kleiner, Hanser, München 1992, ISBN 3446145524; Wagenbach, Berlin 1997, ISBN 3803122759)
- Se non ora, quando?, 1982 (dt. Wann, wenn nicht jetzt?, übers. v. Barbara Kleiner, Hanser, München 1986; dtv 1989, ISBN 3423111178)
- Ad ora incerta, 1984 (Gedichte, dt. Zu ungewisser Stunde, übers. v. Moshe Kahn, Hanser, München 1998, ISBN 3446158855)
- L'altrui mestiere, 1985 (dt. Anderer Leute Berufe. Glossen und Miniaturen, übers. v. Barbara Kleiner, Hanser, München 2004, ISBN 3446204776)
- Racconti e saggi, 1986 (dt. Die dritte Seite. Essays und Erzählungen, übers. v. Hubert Thüring und Michael Kohlenbach, Stroemfeld/Roter Stern, Basel 1992, ISBN 3878773943)
- I sommersi e i salvati, 1986 (dt. Die Untergegangenen und die Geretteten, übers. v. Moshe Kahn, Hanser, München 1990, ISBN 3446151443; dtv 1993, ISBN 3423117303)
Posthum veröffentlicht:
- Ferdinando Camon, Conversazione con Primo Levi, 1991 (dt. „Ich suche nach einer Lösung, aber ich finde sie nicht“: Primo Levi im Gespräch mit Ferdinando Camon, übers. v. Joachim Meinert, Piper, München 1993)
- Conversazioni e interviste 1963-1987, hrsg. von Marco Belpoliti, 1997 (dt. Gespräche und Interviews, übers. v. Joachim Meinert, Hanser, München 1999, ISBN 3446197885)
[Bearbeiten] Verfilmungen
- 1996 - La tregua (dt. Die Atempause) – Regie: Francesco Rosi – mit John Turturro
- La strada di Levi – Film von Davide Ferrario (Italien, 2006) über Levis Rückkehr aus Auschwitz nach Italien, die ihn 10 Monate durch das zerstörte Osteuropa führte. [1]
[Bearbeiten] Biographien
- Myriam Anissimov, Primo Levi. Die Tragödie eines Optimisten. Eine Biographie, Philo, Berlin 1999, ISBN 3-8257-0061-5
- Ian Thomson, Primo Levi, Hutchinson, London 2002, ISBN 0091785316
- Carole Angier, The Double Bond: Primo Levi. A Biography, Penguin, London 2003, ISBN 0140165878
[Bearbeiten] Ehrungen
Im Jahre 2007 wurde durch die Fusion der Carl-James-Bühring-Oberschule und der Wieland-Herzfelde-Oberschule in Berlin ein neuer Name benötigt. Man entschied sich, nachdem die Schule zwischenzeitlich „14. Oberschule Haus A und B“ hieß, für den Namen „Primo Levi Oberschule“.
[Bearbeiten] Trivia
Der englische Songwriter Peter Hammill widmete dem Schaffen von Primo Levi das auf dem Album The Noise (1992) erschienene Lied Primo on the Parapet. Der Titel („parapet“ = Geländer) ist eine Anspielung auf Levis Tod. Die Metalcore-Band Heaven Shall Burn widmete Primo Levi ihr Lied If this is a man, die dänische Hardcore-Band Lack einen Song mit seinem Namen als Titel.
[Bearbeiten] Anmerkungen
- ↑ Günter Kunert Die Zeit (1999)
- ↑ dessen deutsche Übersetzung leider auch in der Taschenbuchausgabe nicht mehr erhältlich ist
[Bearbeiten] Weblinks
- Literatur von und über Primo Levi im Katalog der Deutschen Nationalbibliothek
- Kurzbiografie mit Bild
- Levis Grab
Personendaten | |
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NAME | Levi, Primo |
KURZBESCHREIBUNG | italienischer Schriftsteller und Chemiker |
GEBURTSDATUM | 31. Juli 1919 |
GEBURTSORT | Turin |
STERBEDATUM | 11. April 1987 |
STERBEORT | Turin |