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Prägung (Verhalten) – Wikipedia

Prägung (Verhalten)

aus Wikipedia, der freien Enzyklopädie

Wildgänse und Kraniche im gemeinsamen Flug mit Christian Moullec als Resultat einer Nachfolgeprägung
Wildgänse und Kraniche im gemeinsamen Flug mit Christian Moullec als Resultat einer Nachfolgeprägung

Prägung nennt man in der Verhaltensbiologie eine irreversible Form des Lernens: Während eines meist relativ kurzen, genetisch festgelegten Zeitabschnitts (sensible Phase) werden Reize der Umwelt derart dauerhaft ins Verhaltensrepertoir aufgenommen, dass sie später wie angeboren erscheinen. Im Rahmen der Instinkttheorie wird das Phänomen Prägung gedeutet als die Aneignung eines Schlüsselreizes durch Lernen.

Das englische Wort für Prägung („imprinting“) wird heute in der Genetik auch in einem gänzlich anderen Zusammenhang benutzt.

Inhaltsverzeichnis

[Bearbeiten] Merkmale von Prägungsvorgängen

  • Lernen durch Prägung findet statt, ohne dass Belohnung oder Bestrafung eine Rolle spielen. Lernen durch Prägung unterscheidet sich daher fundamental von einer Lernform wie dem Lernen durch Versuch und Irrtum.
  • Prägung ist dadurch gekennzeichnet, dass sie nur in einer bestimmten Zeitspanne stattfinden kann, die daher als sensible Lebensphase bezeichnet wird. Prägung ist also nicht nachholbar. In welchem Alter diese Phase nachweisbar ist und wie lange sie dauert, kann je nach Tierart sehr unterschiedlich sein.
  • Prägung ist unwiderruflich, das durch sie Gelernte wird besonders schnell und effektiv gelernt und auf Lebenszeit behalten; zumindest werden die durch Prägung erworbenen Auslöser („Schlüsselreize“) auf Dauer bevorzugt.
  • Durch Prägung werden stets nur eng begrenzte Inhalte gelernt, also zum Beispiel eine bestimmte Reaktion auf ein bestimmtes Objekt der Umwelt oder eine bestimmte, klar gegen andere Verhaltensweisen abgrenzbare Verhaltensweise.
  • Prägung kann in einer Zeitspanne stattfinden, in der die geprägte Verhaltensweise noch nicht vollzogen werden kann.

[Bearbeiten] Varianten von Prägungslernen

Es gibt grundsätzlich zwei Prägungsformen: Bei der Objektprägung wird das Tier auf ein bestimmtes Objekt geprägt, etwa auf einen Artgenossen. Bei der motorischen Prägung eignet sich das Tier bestimmte Bewegungsabfolgen („Handlungen“) an, zum Beispiel bei manchen Vogelarten den Gesang. Unterscheiden lassen sich ferner u. a. Nachfolgeprägung, sexuelle Prägung, Ortsprägung (Biotop-Prägung) und Nahrungsprägung.

[Bearbeiten] Nachfolgeprägung

Am bekanntesten ist die so genannte Nachfolgeprägung, speziell bei Gänsen. Die Küken der Gänse müssen nach dem Schlüpfen erst lernen, wer ihre Mutter ist, sie verfügen also über kein angeborenes Erscheinungsbild der Mutter. Sie nähern sich in den ersten Stunden nach dem Schlüpfen vielmehr zunächst bevorzugt allen Objekten in ihrer Umgebung an, die sich bewegen und regelmäßig Lautäußerungen von sich geben. Nach wenigen Minuten Aufenthalt in deren Nähe folgen die Küken ihnen nahezu bedingungslos nach. In natürlicher Umgebung ist das jenes Tier, das die Eier erbrütet hat und alle fremden Individuen vom Nest fernhält – also die Mutter. Im Experiment mit Küken, die im Brutschrank auch von allen Geräuschen isoliert schlüpften, konnte man die jungen Testtiere hingegen in Minutenschnelle auch auf einen Fußball oder auf eine Holzkiste prägen.

Diesen „blitzartigen Lernvorgang“ (Katharina Heinroth) [1] beschrieb Oskar Heinroth 1911 mit den Worten, der Beobachter entwickle die Vorstellung, dass die in einem Brutapparat schlüpfenden Küken „einen wirklich in der Absicht ansehen, um sich das Bild genau einzuprägen“. [2] Später, in den 1930er Jahren, wurde das Phänomen Prägung vor allem von Konrad Lorenz ausführlich beschrieben, genau definiert und in zahlreichen Versuchen analysiert. Bekannt geworden ist er daher u. a. als „Vater der Graugänse“: Lorenz sorgte wiederholt dafür, dass nur er selbst sich nach dem Schlüpfen von Küken in deren unmittelbarer Nähe aufhielt. Dies hatte zur Folge, dass die Küken auf Lorenz geprägt wurden und ihm nachfolgten, wohin auch immer er lief. Gleichermaßen eindrucksvolle wie unterhaltsame Filmaufnahmen machten diese Variante der Prägung zu einem der bekanntesten Sachverhalte der klassischen vergleichenden Verhaltensforschung.

[Bearbeiten] Sexuelle Prägung

Als sexuelle Prägung bezeichnet man in der Verhaltensforschung eine Form der Aneignung von Kenntnissen über adäquate Sexualpartner. Eine Besonderheit der sexuellen Prägung ist, dass sie neben den beiden Hauptmerkmalen (sensible Phase und Irreversibilität) noch dadurch auffällt, dass es einen sehr großen Abstand gibt zwischen dem Zeitpunkt der Prägung auf das Objekt und der Ausführung der zugehörigen Verhaltensweisen: Die sensible Phase ist durchweg bereits abgeschlossen, bevor das Tier geschlechtsreif wird.

Zebrafinken beispielsweise werden bereits gegen Ende des ersten Lebensmonats sexuell geprägt, aber erst Wochen später geschlechtsreif. Werden Zebrafinken zum Beispiel durch Japanische Mövchen (Lonchura striata) aufgezogen, so zeigen sie später bei der Balz eine eindeutige Präferenz für Tiere der Art, die sie „adoptiert“ hatte. Aus wissenschaftlichen Lehrfilmen sind ferner auf Haushühner geprägte Enten bekannt.

Bochumer Forscher berichteten im Jahr 2000 von einer Studie an Java-Bronzemännchen, in deren Verlauf die erwachsenen Tiere als künstlichen Schmuck eine rote Scheitelfeder erhielten. Die von ihnen aufgezogenen Nachkommen bevorzugten später ihrerseits eindeutig Artgenossen mit roter Schmuckfeder. Die männlichen Nachkommen ungeschmückter Eltern lehnten hingegen geschmückte Weibchen ab und balzten signifikant häufiger schmucklose Weibchen an.

Gänseküken, die im Sinne einer Nachfolgeprägung auf den Mensch oder auf andere Objekte geprägt wurden, zeigten hingegen später bei der Partnerwahl durchweg die natürliche Präferenz für Artgenossen. Eine sexuelle Prägung hatte bei ihnen also nicht stattgefunden. Auch Studien an anderen im Labor aufgezogenen Vögeln zeigten, dass die Individuen vieler Vogelarten auch ohne relevante Vorerfahrungen mit Artgenossen auf diese spontan reagieren können.

Die Bedeutung der sexuellen Prägung für das Erkennen von Artgenossen wird aufgrund der recht uneinheitlichen Befunde bei unterschiedlichen Tierarten von den Forschern sehr unterschiedlich eingeschätzt. Diskutiert wird u. a., dass die sexuelle Prägung in vielen Fällen eher dem Verwandtschaftserkennen als dem Erkennen der eigenen Art dient und so zur Vermeidung von Inzucht beiträgt.

[Bearbeiten] Prägung auf den eigenen Nachwuchs

Prägung auf den eigenen Nachwuchs ist bei einigen Tierarten nachgewiesen worden, die in größeren sozialen Gruppen leben, so dass der unmittelbare Kontakt von Muttertier und Nachwuchs zeitweise, leicht und häufig verloren gehen kann.

Kurz nach der Geburt beleckt beispielsweise eine Ziegenmutter intensiv ihr Junges und ist Experimenten zufolge ca. eine Stunde lang besonders aufnahmebereit für den individuellen Geruch des Jungtiers. In dieser sensiblen Phase genügt ein fünfminütiger Kontakt der Ziegenmutter mit irgendeinem Jungtier, um dieses später am Gesäuge zu dulden. Kommt ein solcher Kontakt kurz nach der Geburt nicht zustande, werden alle Jungtiere abgewehrt und am Trinken gehindert.

In vergleichbarer Weise lernen Möwen nach dem Schlüpfen die individuellen Rufe ihrer Nestlinge.

[Bearbeiten] Ortsprägung

Als Ortsprägung wird das irreversible Lernen von bestimmten Eigenschaften eines bestimmten Ortes gedeutet. Durch Umsetzungsexperimente nachgewiesen wurde es u. a. bei Lachsen, die offenbar den spezifischen Geschmack des Gewässers durch Prägung lernen, in dem sie ihre ersten Lebenswochen verbrachten.

Viele Meeresschildkröten, so zum Beispiel die atlantische Suppenschildkröten, verfügen über einen Magnetsinn und orientieren sich am Magnetfeld der Erde, um Jahre nach dem Schlüpfen erstmals wieder zur Eiablage an den gleichen Strand zurückzukehren. Man vermutet, dass die Inklination der Feldlinien des Magnetfelds am Geburtsort durch Prägung dauerhaft gelernt wird.

[Bearbeiten] Nahrungsprägung

Unter Nahrungsprägung verstehen manche Forscher eine dauerhafte, dem Anschein nach irreversible Bevorzugung bestimmter Nahrungsmittel nach unter Umständen einmaligem Genuss: Nahrungsmerkmale der Umgebung im frühen Kindesalter werden später bevorzugt.

[Bearbeiten] „Je näher man einen Begriff anschaut, desto ferner blickt er zurück.“

Als Konrad Lorenz 1973 der „Nobelpreis für Physiologie oder Medizin“ verliehen wurde, stellte man in der offiziellen Begründung besonders seine Verdienste um die Erforschung der Prägung heraus. Das war kurios, wenn nicht gar leichtfertig, denn Lorenz hatte sich bereits 1935 in seinem Frühwerk „Der Kumpan in der Umwelt des Vogels“ ausdrücklich auf die wichtigen Vorarbeiten von Oskar Heinroth bezogen und, dessen oben zitierte Wortwahl aufgreifend, den Begriff „Prägung“ geprägt - eine wirkliche wissenschaftliche Entdeckung hatte Lorenz hinsichtlich des Phänomens Prägung aber nicht vollbracht.

Obwohl selbst Heinroths Frau Katherina [3] und viele andere im deutschen Sprachraum ihm die Entdeckung des Phänomens zugeschrieben haben: Auch Oskar Heinroth hatte einen wissenschaftlichen Vorgänger, und zwar den in London geborenen Briten Douglas Alexander Spalding (ca. 1840 – 1877), der diese besondere Lernmethode im Februar 1873 zwar wissenschaftlich korrekt beschrieb, aber eher versteckt in Macmillan's Magazine und ohne vertiefende Experimente durchzuführen. Gleichwohl wurde diese Veröffentlichung 1890 von William James in seinen „Principles of Psychology“ [4] ausführlich und sehr wohlwollend zitiert, und Spalding gilt daher im englischen Sprachraum gelegentlich als der „eigentliche“ Entdecker der Prägung. Breiteren Kreisen wurden die Studien Spaldings allerdings erst nach 1954 bekannt, als John Burdon Sanderson Haldane sie wieder neu auflegte.

Das wiederum ist selbst aus britischer Sicht kaum nachvollziehbar, denn die historische Spur der vermeintlichen wissenschaftlichen Erstbeschreibungen reicht mindestens zurück bis nach Utopia, also ins frühe 16. Jahrhundert. Bei Thomas Morus heißt es nämlich wörtlich über die landwirtschaftlich tätigen Utopier: „Geflügel ziehen sie in unendlicher Menge auf, und zwar mit Hilfe einer erstaunlichen Einrichtung: Die Hennen brüten nämlich die Eier nicht selbst aus, sondern man setzt eine große Anzahl von Eiern einer gleichmäßigen Wärme aus, erweckt so das Leben und zieht die Küken auf. Sobald diese aus der Schale geschlüpft sind, laufen sie hinter den Menschen her wie hinter der Glucke und sehen sie als diese an.“ [5]

Es mag sein, dass man bei noch gründlicherer Recherche am Ende bei den alten Römern, Griechen und Ägyptern landet, denn das Wissen, dass speziell Enten gelegentlich unzuverlässige Brüter sind und man deren Gelege dann am besten einer Henne unterschiebt, um es nicht zu verlieren, dürfte fast so alt sein wie die Tierzucht.

[Bearbeiten] Einzelnachweise

  1. Katharina Heinroth: Oskar Heinroth. In: Der Kreis um Konrad Lorenz. Ideen, Hypothesen, Ansichten. Festschrift anlässlich des 85. Geburtstages von Konrad Lorenz am 7. Nov. 1988. Verlag Paul Parey, Berlin / Hamburg 1988, ISBN 3-489-63336-9
  2. Oskar Heinroth: Beiträge zur Biologie, namentlich Ethologie und Psychologie der Anatiden. In: Berichte des V. Int. Ornithologen Kongresses Berlin 1910., S. 559 ff., 1911
  3. Katharina Heinroth: Oskar Heinroth. In: Der Kreis um Konrad Lorenz....
  4. Chapter XXIV, Instinct, The law of inhibition of instincts by habits
  5. Nachzulesen u. a. in: „Der utopische Staat“. 1960: Reinbek, S. 50

[Bearbeiten] Siehe auch

[Bearbeiten] Literatur

  • Konrad Lorenz: Der Kumpan in der Umwelt des Vogels. in: Journal für Ornithologie 83 (2-3), 137-215 und 289-413

[Bearbeiten] Weblinks


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