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Otto Gross – Wikipedia

Otto Gross

aus Wikipedia, der freien Enzyklopädie

Otto Hans Adolf Gross (* 17. März 1877 in Gniebing bei Feldbach, Steiermark; † 13. Februar 1920 in Berlin) war ein österreichischer Psychiater, Psychoanalytiker und Anarchist.

Inhaltsverzeichnis

[Bearbeiten] Leben

Otto wurde 1877 als Sohn des Professors für österreichisches Strafrecht und Strafprozessrecht Hans Gross (1847-1915) und Adele geb. Raymann (1854-1942) geboren. Nach der Matura 1894 am zweiten k.k. Staatsgymnasium in Graz studierte er zunächst Zoologie an der Universität Graz, wechselte dann zur Medizin (München, Straßburg) und wurde 1899 zum Doktor der Medizin promoviert.

Nach Tätigkeiten als Assistenzarzt in den internen Abteilungen verschiedener Krankenhäuser (Frankfurt/M, Czernowitz, Kiel) trat er 1901 eine Stellung als Schiffsarzt auf der Hamburger Dampferlinie „Kosmos“ an, die Häfen in Südamerika anlief (Punta Arenas, Santiago, Montevideo, Buenos Aires). Auf diesen Fahrten begann er Kokain zu nehmen und wurde süchtig. 1902 ließ er sich in der Psychiatrischen Klinik Burghölzli in Zürich erstmals deswegen behandeln. Danach trat er eine Stelle als psychiatrischer Volontär in München an und anschließend an der Psychiatrisch-Neurologischen Klinik von Prof. Gabriel Anton in Graz. 1903 heiratete er Frieda Schloffer († Dezember 1950).

1904 traf er zum ersten Mal Sigmund Freud. 1905 konnte er an der Universität Graz habilitieren und versuchte in der Naturheilanstalt auf dem Monte Verità bei Ascona auch eine erneute Entwöhnung. Im folgenden Frühjahr kam er wiederum nach Ascona. Dort starb im April 1906 die Siedlerin Lotte Hattemer an dem von ihm bereitgestellten Gift. In dieser Freistatt der „freien Liebe“, in ihrem Genossenschaftskommunismus, vermittelt durch die anarchistischen Bohemiens Erich Mühsam und Johannes Nohl, erlebte Gross den Durchbruch zu seiner Theorie der „sexuellen Revolution“. Zunächst wurde er Privatdozent an der Universität Graz für das Fach Psychopathologie, zog aber im September mit seiner Frau Frieda nach München, um als Assistenzarzt bei Emil Kraepelin tätig zu werden.

Die Verwirklichung seiner Ideen versuchte er in einer „Hochschule zur Befreiung der Menschheit“, die in einer Mühle im Wald von Ascona einquartiert und zu einem anarchistischen Zentrum wurde. Sein zweiter Lebensmittelpunkt wurde das Künstlerviertel Schwabing. Über Einladungen seiner Frau kamen auch Else Jaffé, geb. von Richthofen, mit der sie gemeinsam im Internat gewesen war, und ihre Schwester Frieda Weekley geb. von Richthofen nach München; mit beiden Richthofen-Schwestern ging er ebenfalls Beziehungen ein.

Am 21. Januar 1907 wurde sein ehelicher Sohn Wolff (Wolfgang) Peter geboren († 21. September 1946 in Davos), am 24. Dezember sein Sohn Peter, den der damalige Ehemann von Else an Sohnes statt annahm. Zu dieser Zeit ging er auch mit seiner Patientin, der schweizer Dichterin Regina Ullmann eine Liebschaft ein, aus der wiederum eine Tochter hervorging. Am 26. und 27. April 1908 nahm er am 1. Psychoanalytischen Kongress in Salzburg teil, auf dem er einen Vortrag über „culturelle Perspectiven“ halten wollte. Freud kritisierte allerdings seine Sichtweise: „Wir sind Ärzte, und Ärzte müssen wir bleiben.“ Er stellte ihm ein ärztliches Zeugnis für eine Behandlung am Burghölzli in Zürich aus, wo er eine zweite Entziehungskur begann, der er sich zwar nach fünf Wochen schon wieder entzog, während der er aber (Carl Gustav Jung kennenlernte; beide sollen sich in dieser Zeit gegenseitig psychoanalysiert haben, wovon Jung allerdings wenig gehalten zu haben scheint, da er bei ihm eine „Dementia praecox“) diagnostizierte.

Am 3. März 1911 beging eine weitere Geliebte von Gross, seine Patientin Sophie Benz in Ascona Suizid; auch ihr hatte er das Gift besorgt. Er selbst begab sich danach in die Anstalt Mendrisio bei Casbaigno (Schweiz) zur Behandlung, von wo er später an die Wiener Anstalt „Am Steinhof“ überwiesen wurde. Als er 1912 wegen Mord und Beihilfe zum Selbstmord steckbrieflich gesucht wurde, suchte er sich seiner Verhaftung dadurch zu entziehen, dass er 1913 nach Berlin ging, wo er sich der Gruppe um Franz Pfemfert, dem Herausgeber der „Aktion“ anschloss. Am 9. November wurde er hier jedoch als gefährlicher Anarchist verhaftet und aus dem preußischen Staatsgebiet ausgewiesen. Sein Vaters veranlasste, dass er in der Privat-Irrenanstalt Tulln bei Wien interniert wurde, was eine internationale Pressekampagne zu seiner Befreiung zur folge hatte.

1914 wurde gegen ihn wegen Wahnsinns mit Genehmigung des k.k. Landesgericht vom Bezirksgericht Graz eine "Kuratel" (Zwangsverwaltung) beschlossen und der Vater zum "Kurator" eingesetzt, der sogleich dafür sorgte, dass sein Sohn in die Landesirrenanstalt Troppau in Schlesien verlegt wurde. Hier begann er gegen seine Entmündigung anzukämpfen, verfasste mehrere Gesuche um neuerliche Untersuchung und Begutachtung seines Geisteszustandes und erreichte schließlich, dass er als genesen entlassen wurde.

1915 konnte er kurz am Epidemie- und Barackenspital des Komitats Ungvar tätig werden, arbeitete danach als landsturmwilliger Zivilarzt und anschließend als Landsturmassistenzarzt am k.k. Epidemiespital Vinkovci in Slawonien. Am 9. Dezember starb sein Vater in Graz an einer Lungenentzündung.

Am 23. November 1916 wurde seine Tochter Sophie als uneheliches Kind von Marianne Kuh geboren, der Schwester des Schriftstellers Anton Kuh, mit dem er die Herausgabe einer Zeitschrift plante; mit ihren Schwestern soll er ebenfalls Liebschaften gehabt haben.

Wegen seiner Drogenabhängigkeit kam es 1917 erneut zu zwangsweisen Behandlungen in Temesvar und der der Landes-, Heil- und Pflegeanstalt Steinhof in Wien, wo er zwar bald wieder entlassen, aber dienst- und landsturmuntauglich gestellt wurde. Im September wurde auch die Kuratel aufgehoben, wegen Verschwendung und gewohnheitsmäßigem Gebrauch von Nervengiften aber ab Dezember in beschränkter Form erneut eingerichtet.

1918 wurde er Mitarbeiter bei den Zeitschriften „Die Erde“ und „Das Forum“ und wohnte abwechselnd in Graz und Wien. 1919 war er in Graz, dann in München; im Oktober ging nach Berlin, wo er bei Cläre und Franz Jung in Friedenau wohnte.

Am 13. Februar 1920 verstarb Otto Gross in der Privat-, Heil- und Pflegeanstalt Dr. Gustav Scholinus in Pankow an einer Lungenentzündung und möglicherweise Entzugserscheinungen, nachdem er zwei Tage zuvor halb verhungert und erfroren mit einer Lungenentzündung in einem Durchgang zu einem Berliner Lagerhaus von Freunden aufgefunden worden war.

[Bearbeiten] Schriften (Auswahl)

  • 1901 Compendium der Pharmako-Therapie für Polikliniker und junge Ärzte. Vogel, Leipzig
  • 1901 Zu den cardiorenalen Theorien'.' Wiener klinische Wochenschrift. 14: 47-48
  • 1901 Zur Frage der socialen Hemmungsvorstellungen. Archiv für Kriminal-Anthropologie und Kriminalistik. 7: 123-131
  • 1902 Die cerebrale Sekundärfunction. Vogel, Leipzig
  • 1902 Zur Phyllogenese der Ethik. Archiv für Kriminal-Anthropologie und Kriminalistik. 9: 101-103
  • 1902 Über Vorstellungszerfall. Monatsschrift für Psychiatrie und Neurologie. 11: 205-12
  • 1902 Die Affektlage der Ablehnung. Monatsschrift für Psychiatrie und Neurologie. 11: 359-70
  • 1903 Beitrag zur Pathologie des Negativismus. Psychiatrisch-neurologische Wochenschrift. 26: 269-273
  • 1903 Über die Pathogenese des spezifischen Wahns bei Paralytikern. Neurologisches Zentralblatt. 17: 843-844
  • 1904 Zur Differentialdiagnostik negativistischer Phänomene. Psychiatrisch-neurologische Wochenschrift. 37: 354-353, 357-363
  • 1904 Ueber Bewußtseinszerfall. Monatsschrift für Psychiatrie und Neurologie. 15, S. 45-51.
  • 1907 Das Freud'sche Ideogenitätsmoment und seine Bedeutung im manisch-depressiven Irresein Kraepelins. Vogel, Leipzig
  • 1908 Elterngewalt. Die Zukunft. 65: 78-80 (*)
  • 1909 Über psychopathische Minderwertigkeiten. Braumüller, Wien & Leipzig; Neuausgabe: VDM Verlag Dr. Müller, 2006 ISBN 978-3836401272
  • 1913 Zur Überwindung der kulturellen Krise. Die Aktion 3: Sp. 384-387 (*)
  • 1913 Ludwig Rubiner's „Psychoanalyse“. Die Aktion 3: Sp. 506-507
  • 1913 Die Psychoanalyse oder wir Kliniker. Die Aktion 3: Sp. 632-634
  • 1913 Die Einwirkung der Allgemeinheit auf das Individuum. Die Aktion 3: Sp. 1091-1095 (*)
  • 1913 Anmerkungen zu einer neuen Ethik. Die Aktion 3: Sp. 1141-1143 (*)
  • 1913 Notiz über Beziehungen. Die Aktion Bd. 3: Sp. 1180-1181 (*)
  • 1914 Offener Brief an Maximilian Harden. Die Zukunft 86: 304-306 (*)
  • 1914 Über Destruktionssymbolik. Zentralblatt für Psychoanalyse und Psychotherapie 4: 525-534
  • 1916 Bemerkung (mit Franz Jung). Die freie Straße 4: 2
  • 1916 Vom Konflikt des Eigenen und Fremden. Die freie Straße 4: 3-5 (*)
  • 1919 Orientierung der Geistigen. Sowjet 1: 1-5 (*)
  • 1919 Die kommunistische Grundidee in der Paradiessymbolik. Sowjet 1: 12-27 (*)
  • 1919 Protest und Moral im Unbewußten. Die Erde 1: 681-685 (*)
  • 1919 Zum Problem: Parlamentarismus. Die Erde 1: 639-642 (*)
  • 1919 Zur funktionellen Geistesbildung des Revolutionärs. Räte-Zeitung. 1: Nr. 52 (*)
  • 1920 Zur neuerlichen Vorarbeit: vom Unterricht. Das Forum. 4: 315-320 (*)
  • 1920 Drei Aufsätze über den inneren Konflikt. Marcus & Weber, Bonn 1920
    • I: Über Konflikt und Beziehung (*)
    • II. Über Einsamkeit
    • III. Beitrag zum Problem des Wahnes (Ausz. Zwei Fallstudien (*))

Die mit (*) versehenen Titel sind enthalten in dem Neudruck u.d.T.

  • Von geschlechtlicher Not zur sozialen Katastrophe. Hrsg. Kurt Kreiler. Robinson, Frankfurt 1980; Neuausgabe: Nautilus, Hamburg 2000 ISBN 978-3894013578

[Bearbeiten] Siehe auch

[Bearbeiten] Literatur

  • Thomas Anz und Christina Jung (Hrsg): Der Fall Otto Gross. Eine Pressekampagne deutscher Intellektueller im Winter 1913/14. Marburg an der Lahn 2002
  • Martin Green: Else und Frieda. Die Richthofen-Schwestern. München 1976 (engl. orig. 1974)
  • Martin Green: Mountain of Truth. The Counterculture begins. Ascona, 1900-1920. University Press of New England, Hanover and London 1986 ISBN 0874513650
  • Martin Green: Otto Gross. Freudian Psychoanalyst, 1877-1920. Literature and Ideas. Edwin Mellen Press, Lewiston Queenston Lampeter 1999 ISBN 0773481648
  • Emanuel Hurwitz: Otto Gross - Paradies-Sucher zwischen Freud und Jung. Zürich, 1979
  • Kurt Kreiler (Hrsg.): Otto Gross. Von geschlechtlicher Not zur sozialen Katastrophe. Frankfurt 1980
  • Lois Madison (Hrsg.): Otto Gross. Werke. Die Grazer Jahre. Hamilton, New Yorck 2000
  • Jennifer E. Michaels: Anarchy and Eros: Otto Gross' Impact on German Expressionist Writers. Frankfurt, New York 1983
  • Michael Raub: Opposition und Anpassung. Eine individualpsychologische Interpretation von Leben und Werk des frühen Psychoanalytikers Otto Gross. Frankfurt, New York 1994 (Europäische Hochschulschriften. Reihe 6: Psychologie. Bd. 441)
  • Nicolaus Sombart: Die deutschen Männer und ihre Feinde. Carl Schmitt - ein deutsches Schicksal zwischen Männerbund und Matriarchatsmythos. München 1991 (s. 5. Kapitel: Der »wahre« Feind: Otto Gross)
  • Hansjörg Viesel (Hrsg.): Jawohl, der Schmitt. Zehn Briefe aus Plettenberg. Berlin 1988 (Briefwechsel des Anarchismusforschers Viesel mit Carl Schmitt, weil dieser in seinem Buch Politische Theologie 1922 Otto Gross als anarchistischen Theoretiker erwähnt hatte)
Kongressbände
  • 1. Internationaler Otto-Gross-Kongress (Berlin 1999). Hrsgg. von R. Dehmlow und G. Heuer. Marburg 2000 ISBN 3931614905
  • 2. Internationaler Otto-Gross-Kongress (Zürich 2000). Hrsgg. von G. Heuer. Marburg 2002 ISBN 3936134014
  • 3. Internationaler Otto-Gross-Kongress (München 2002). Bohème, Psychoanalyse & Revolution. Hrsgg. vpm R. Dehmlow und G. Heuer. Marburg 2003 ISBN 3936134065
  • 4. Internationaler Otto-Gross-Kongress (Graz 2004). Die Gesetze des Vaters. Hrsgg. von A. Götz von Olenhusen und G. Heuer. Marburg 2005 ISBN 3-936134-08-1
  • 5. Internationaler Otto-Gross-Kongress (Zürich 2005). Utopie & Eros—Der Traum von der Moderne. Hrsgg. von G. Heuer. Marburg 2006 ISBN 3936134189
  • 6. Internationaler Otto-Gross-Kongress (Wien 2006). „… da liegt der riesige Schatten Freuds nicht mehr auf meinem Weg.“ Die Rebellion des Otto Gross. Hrsgg. von R. Dehmlow, R. Rother und A. Springer. Marburg 2008 ISBN 978-3936134216

[Bearbeiten] Weblinks

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