Ernst Niekisch
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Ernst Niekisch (* 23. Mai 1889 in Trebnitz; † 23. Mai 1967 in West-Berlin) war ein deutscher Politiker und politischer Schriftsteller.
Er war Mitglied der SPD und der USPD und Vorsitzender des Deutschen Arbeiter- und Soldatenrates. Niekisch war einer der Köpfe des Nationalbolschewismus und gab 1926 bis 1934 die teilweise vom Grafiker A. Paul Weber illustrierte Zeitschrift Widerstand. Zeitschrift für nationalrevolutionäre Politik im Widerstands-Verlag, Berlin, heraus. Er wurde 1937 verhaftet. Nach dem zweiten Weltkrieg war Niekisch Mitglied der KPD und SED und Professor für Soziologie an der Berliner Humboldt Universität. Nach der Niederschlagung des Aufstandes vom 17. Juni 1953 legte Niekisch alle Ämter nieder und trat 1955 aus der SED aus. 1963 siedelte er in die Bundesrepublik über. Er starb 1967 in West-Berlin.
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[Bearbeiten] Leben und Wirken
Niekisch besucht die Volks- und Realschule und ein Lehrerseminar und ist danach Volksschullehrer in Augsburg.
1917 wird er Mitglied in der Sozialdemokratischen Partei Deutschland (SPD), 1918/19 Vorsitzender des „Zentralen Arbeiter- und Soldatenrates“ in München. Er ist 1919-1922 Mitglied der Unabhängigen Sozialdemokratischen Partei Deutschlands (USPD) und Abgeordneter im Bayerischen Landtag. Wegen seiner Beteiligung an der Münchner Räterepublik wird er wegen Beihilfe zum Hochverrat zu zwei Jahren Festungshaft verurteilt, die er in der Haftanstalt Niederschönenfeld, gemeinsam mit Ernst Toller und Erich Mühsam verbüßt.
1922, nach der Vereinigung der USPD mit der SPD im Bayerischen Landtag, wird er stellvertretender Vorsitzender der Landtagsfraktion. 1923 legt Niekisch sein Mandat nieder, geht nach Berlin und wird zum Sekretär des „Deutschen Textilarbeiterverbandes“ gewählt. Er gründet mit anderen den Hofgeismarer Kreis, der sich gegen den Internationalismus nach Marx wendet und einen Sozialismus im nationalen Rahmen anstrebt. Von bleibendem Interesse ist seine kritische Marxismus-Definition: „Der Marxismus ist die zugespitzte Formulierung der Tatsache des Klassengegensatzes; durch die mit den raffinierten Mitteln eines scharfen Verstandes zuwege gebrachte theoretische Zuspitzung wird der Klassengegensatz förmlich ins Unbedingte hinaufgesteigert, wird er als letzte Gegebenheit alles sozialen und geschichtlichen Geschehens ausgedeutet. Er macht die nebenbuhlerischen, mehr oder weniger unfriedlichen Beziehungen zwischen den Volksklassen, den „Klassenkampf“, zum Inhalt eines geistvollen wissenschaftlichen Systems, innerhalb dessen dem Klassenkampf die Rolle des letzten allein sinngebenden Erklärungsgrundes alles Daseins eingeräumt ist. Unter dem marxistischen Gesichtswinkel gewinnt die Staatentfremdung der Arbeiterschaft tiefe Bedeutsamkeit; sie ist davor gefeit, als eine bloße zufällige, willkürliche oder gar unnatürliche Verhaltungsweise gebrandmarkt zu werden; sie stellt sich vielmehr als das notwendige Ergebnis des Waltens einer unentrinnbaren sachlichen Gesetzlichkeit dar. [...] Indem der Marxismus den Staat als lediglich klassenpolitische Tatsache sehen lehrte, wurde er zur Theorie schroffer Staatsverneinung, zur revolutionären Lehre im Sinne eines radikalen, die Traditionen vernichtenden Umsturzes.“ (Ernst Niekisch, Der Weg der deutschen Arbeiterschaft zum Staat, Berlin 1925, S. 8f.)
Um einen Parteiausschluss zuvorzukommen, trat Niekisch am 22. Juli 1926 aus der SPD aus. 1926-1934 wirkte er als „Nationalrevolutionär“ und war Herausgeber der Zeitschrift Widerstand sowie zeitweise Redakteur der Tageszeitung Volksstaat der Alten Sozialdemokratischen Partei Deutschlands[1], 1928 Beginn der Zusammenarbeit mit A. Paul Weber. Niekisch trat für nationalbolschewistische und antiwestliche Politik ein. Damit beeinflusste er den linken Flügel der Nationalsozialistischen Deutschen Arbeiterpartei (NSDAP) um Gregor Strasser. Niekisch wurde bei seinen publizistischen Tätigkeiten in dieser Zeit vom Hamburger Kaufmann Alfred Toepfer finanziell unterstützt.
1932 veröffentlichte er die Schrift „Hitler - ein deutsches Verhängnis“, worin vor Adolf Hitler und einer nationalsozialistischen Machtübernahme gewarnt wird. Ab 1933 versuchte er, sozialistische Gruppen und nationalkonservative Widerstandsgruppen zusammen zu führen. Am 22. März 1937 wurde er wegen konspirativer Tätigkeit von der Geheimen Staatspolizei (Gestapo) verhaftet und am 10. Januar 1939 vom Volksgerichtshof wegen Hochverrats und Fortführung einer politischen Partei zu lebenslangem Zuchthaus verurteilt.
Im April 1945 wurde Niekisch von der Roten Armee aus dem Zuchthaus Brandenburg befreit. Hier ist er durch schwere körperliche Misshandlung partiell gelähmt worden und erblindet später fast völlig. Er übersiedelte nach Berlin und trat in die Kommunistische Partei Deutschlands (KPD) ein, später wird er Mitglied der SED und der VVN. 1947/48 beteiligte er sich an interzonalen Debatten der Gesellschaft Imshausen über die Neuordnung Deutschlands. 1948 wurde er Professor der Soziologie an der Humboldt-Universität zu Berlin/Ost (wo Heinz Maus, dann Werner Maser seine Assistenten waren. Ein nachmals bekannter Schüler war der rechts-intellektuelle Publizist Wolfgang Venohr).
1949 wurde Niekisch als Mitglied der SED Abgeordneter der ersten Volkskammer der DDR. Nach der gewaltsamen Niederschlagung des Aufstandes vom 17. Juni 1953 legte er alle politischen Ämter nieder. Im Februar 1955 trat er aus der SED aus.
Er verstärkte seine Kritik am Regierungssystem der DDR und siedelte nach West-Berlin über, wo er seine Wohnung in Berlin-Wilmersdorf nie aufgegeben hatte. Er stellte einen Antrag auf Wiedergutmachung, welchen er nach achtjährigem Prozess bis vor den Bundesgerichtshof auch durchsetzen konnte. Das Gericht billigte ihm als einmalige Beihilfe 1500 DM zu.
Am 23. Mai 1967 starb Ernst Niekisch in West-Berlin.
Der streitbare, scharfsinnige und aufrechte Charakter gehörte zu den rechten Leuten von Links und saß in allen Regierungsformen, unter denen er lebte, zwischen den Stühlen. Seine „Widerstandsideologie“ versuchte einen Brückenschlag zwischen Arbeiterbewegung und dem Denken rechtskonservativer, antidemokratischer und antiliberaler Teile der Bevölkerung (vgl. Spengler: „Preußischer Sozialismus“). Er hatte das Programm einer „nationalen Wiedergeburt Deutschlands“ und ein Konzept eines Europa unter deutscher Führung mit starker Verbindung nach Osten bis nach China. Zitat (aus: »Revolutionäre Politik« (1926)): »Westlerisch sein heißt: mit der Phrase der Freiheit auf Betrug ausgehen, mit dem Bekenntnis zur Menschlichkeit Verbrechen in die Wege leiten, mit dem Aufruf zur Völkerversöhnung Völker zugrunde richten.« (Mit "westlerisch" ist die parlamentarische Demokratie gemeint). (Nachdruck in: E. N., Widerstand 1982 u. ö.)
[Bearbeiten] Schriften
- Der Weg der deutschen Arbeiterschaft zum Staat (Verlag der Neuen Gesellschaft, Berlin 1925)
- Grundfragen deutscher Außenpolitik (Verlag der Neuen Gesellschaft, Berlin 1925)
- Gedanken über deutsche Politik. Dresden: Widerstands-Verlag, 1929, V, 389 S.
- Politik und Idee. [Erweiterung eines Vortrags]. Dresden: Widerstands-Verlag Anna Niekisch, 1929, 74 S. (Schriften des „Widerstand“, Band 2)
- Entscheidung. Berlin: Widerstands-Verlag, 1930, VI, 186 S.
- Der politische Raum deutschen Widerstandes. Berlin: Widerstands-Verlag, 1931, 15 S.
- Hitler - ein deutsches Verhängnis. Zeichnungen von A. Paul Weber. Berlin: Widerstands-Verlag, 1932, 36 S.
- Im Dickicht der Pakte (Widerstands-Verlag Berlin 1935)
- Die dritte imperiale Figur (Widerstands-Verlag 1935)
- Deutsche Daseinsverfehlung (1. Auflage 1946), Fölbach Verlag, Koblenz 1990, ISBN 3-923532-05-9
- Das Reich der niederen Dämonen. Das Reich der niederen Dämonen [Eine Analyse des Nationalsozialismus]. Hamburg: Rowohlt, 1953, 312 S.
- Gewagtes Leben. Begegnungen und Begebnisse. Köln; Berlin: Kiepenheuer & Witsch, 1958, 390 S. (Erste Ausgabe der Autobiographie des „Nationalbolschewisten“ Ernst Niekisch)
- Die Freunde und der Freund. Joseph E. Drexel zum 70. Geburtstag, 6. Juni 1966. [Von Ernst Niekisch u.a.]. Nürnberg: Verlag Nürnberger Presse, 1966, 51 Bl.
- Erinnerungen eines deutschen Revolutionärs. Köln: Verlag Wissenschaft und Politik
- Band 1: Gewagtes Leben 1889 – 1945, (1974), 391 S., ISBN 3-8046-8485-8
- Band 2: Gegen den Strom 1945 – 1967, (1974), 310 S., ISBN 3-8046-8486-6
- Widerstand. Ausgewählte Aufsätze aus den "Blättern für sozialistische und nationalrevolutionäre Politik" Hg. Uwe Sauermann, Krefeld: Sinus-Verlag 1982, Neuauflage: Riesa: Verlag der Deutschen Stimme ca. 2002
[Bearbeiten] Herausgaben
- Ernst Niekisch/A. Paul Weber (Hgg.): Widerstand - Zeitschrift für nationalrevolutionäre Politik, Widerstands-Verlag, Berlin (wurde im Dezember 1934 verboten)
- Ernst Niekisch (Hg.): Entscheidung. Die Wochenzeitung für nationalrevolutionäre Politik. Berlin: Widerstands-Verlag (Erscheinungsverlauf: Nr. 1: 9. Oktober 1932 bis Nr. 11: 26. März 1933; damit Erscheinen eingestellt)
[Bearbeiten] Literatur
- Wilhelm Raimund Beyer (Hg.): Rückkehr unerwünscht: Joseph Drexels >Reise nach Mauthausen< und der Widerstandskreis Ernst Niekisch, Deutscher Taschenbuch Verlag, München 1980.
- Joseph E. Drexel: Der Fall Niekisch. Eine Dokumentation. Köln; Berlin: Kiepenheuer & Witsch, 1964, 208 S. (Information; Bd. 11) Mit Bibliographie E. Niekisch (S. 12-14)
- Joseph E. Drexel: Nachruf auf Ernst Niekisch. † 23. Mai 1967. In: Joseph E. Drexel: Verantwortung vor der Geschichte. Aufsätze, Kommentare, Glossen aus den Jahren 1929 bis 1970. Nürnberg: Verlag Nürnberger Presse, 1971, 356 S., ISBN 3-920701-33-X, hier: S. 308-311
- Friedrich Kabermann: Widerstand und Entscheidung eines deutschen Revolutionärs - Leben und Denken von Ernst Niekisch, Göttingen, 1973
- Sebastian Haffner: Ernst Niekisch, in: Ders.: Preußische Profile, Königstein 1980.
- Reinhard Opitz: Ernst Niekischs „Widerstandsbewegung“ – oder was heißt „nationalrevolutionär“? In: Reinhard Opitz: Faschismus und Neofaschismus. Band 1: Der deutsche Faschismus bis 1945, Köln: Pahl-Rugenstein, 1988, 466 S., ISBN 3-89144-209-2, hier: S. 141-182
- Michael Pittwald: Ernst Niekisch: Völkischer Sozialismus, nationale Revolution, deutsches Endimperium, PapyRossa-Hochschulschriften; Bd. 37, PapyRossa Verlag, Köln 2002. 355 Seiten, 20,50 EUR.
- Birgit Rätsch-Langejürgen: Das Prinzip Widerstand. Leben und Wirken von Ernst Niekisch., Schriftenreihe Extremismus & Demokratie, Herausgegeben von Uwe Backes und Eckhard Jesse, Band 9. Bouvier Verlag, Bonn 1997. 392 Seiten, 49,80 DM.
- Sylvia Taschka: Das Rußlandbild von Ernst Niekisch. Palm & Enke, Erlanger Studien zur Geschichte, Erlangen und Jena 1999.
[Bearbeiten] Siehe auch
Nationalbolschewismus, Widerstand gegen den Nationalsozialismus, Liste deutscher Widerstandskämpfer gegen den Nationalsozialismus, Joseph E. Drexel, Ernst Jünger, Friedrich Georg Jünger, Karl Otto Paetel
[Bearbeiten] Weblinks
- Literatur von und über Ernst Niekisch im Katalog der Deutschen Nationalbibliothek
- Niekisch und Ernst Jünger
[Bearbeiten] Quellen
Personendaten | |
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NAME | Niekisch, Ernst |
KURZBESCHREIBUNG | deutscher Politiker |
GEBURTSDATUM | 23. Mai 1889 |
GEBURTSORT | Trzebnica, Deutschland |
STERBEDATUM | 23. Mai 1967 |
STERBEORT | Berlin, Deutschland |