Tausendfüßler (Düsseldorf)
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Der Begriff Tausendfüßler ist ein von der Bevölkerung vergebener Spitzname für eine Autohochstraße in der nordrhein-westfälischen Landeshauptstadt Düsseldorf. Diese errichtete ihn als Bestandteil der großen Umbaumaßnahmen in der Düsseldorfer Innenstadt zwischen 1954 und 1962. Der Tausendfüßler selbst entstand von 1961 bis 1962. Seitdem ist er ein wichtiges Bindeglied der Nord-Süd-Straßenführung durch die Düsseldorfer Innenstadt und Bestandteil der Landesstraße 55. Am 13. Dezember 1993 wurde er in die Denkmalliste der Stadt in der Kategorie Technische Denkmäler, Anlagen und Bauten für den Straßenverkehr eingetragen.[1] Seit dem Jahr 2001 wird in der Stadt darüber diskutiert, den Tausendfüßler abzureißen[2], um eine größere und neu zu gestaltende Fläche für das geplante Umstrukturierungsprojekt Kö-Bogen zu erhalten.
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[Bearbeiten] Lage und Umgebung
Der von Norden in die Stadt fließende Verkehr wird durch die Kaiserstraße und die Hofgartenstraße geführt. In Höhe des Theatermuseums zweigt eine Straße zur Heinrich-Heine-Allee ab, der weitere Verkehr wird auf die Hochstraße geführt. Diese beginnt kurz hinter dem Abzweig anzusteigen und erreicht ab Jan-Wellem-Platz ihre maximale Höhe.
Im Osten öffnet sich der Blick hinter dem Thyssen-Haus auf den Gustaf-Gründgens-Platz mit dem Schauspielhaus. Im Westen kann man im Hintergrund das Steigenberger Parkhotel und das nördliche Ende der Königsallee erkennen. Im Vordergrund befindet sich der Jan-Wellem-Platz, der vor der Eröffnung des Innenstadttunnels der Stadtbahn der zentrale Knotenpunkt des Düsseldorfer Nahverkehrs war. Heute erscheint der Platz aufgrund der zurückgegangenen Nutzung eher überdimensioniert und leer. Im Westen wie im Osten ergeben sich Einblicke in die am meisten frequentierte Einkaufsstraße Düsseldorfs[3], die Schadowstraße. Hinter dieser teilt sich die Hochstraße in zwei Teile. Der Östliche führt in die Immermannstraße Richtung Hauptbahnhof. Der nach Süden führende Teil lenkt den Verkehr wieder hinunter auf die Berliner Allee. Hier passiert man im Westen das evangelische Zentrum Düsseldorfs, die Johanneskirche, und im Osten das finanzielle, die Industrie- und Handelskammer, die Börse sowie die Niederlassung der Deutschen Bundesbank.
Streckenweise unterhalb des Tausendfüßlers fahren mehrere Straßenbahn-Linien der Rheinbahn. Einige von ihnen kreuzen in Ost-West-Richtung, aber die Linien 701 und 711 begleiten die Hochstraße auf ihrer vollen Länge und halten in Höhe der Schadowstraße an der Haltestelle Jan-Wellem-Platz.
Der weitere Raum direkt unterhalb wird von Fußgängern und dem ruhenden wie fließenden Autoverkehr genutzt.
[Bearbeiten] Konstruktion und Daten
Der Tausendfüßler hat eine Gesamtlänge von 536 Metern. Diese teilen sich auf in den Hauptarm (Hofgartenstraße – Berliner Allee) mit 391 Metern und in den Nebenarm (Abzweig Immermannstraße) mit 145 Metern. Er verfügt über eine Breite von 25 Metern.
21 Y-förmige Stützen aus Stahl tragen den aus Spannbeton erstellten Überbau.[4] Im Querschnitt erkennt man eine doppelte Welle im unteren Bereich der Konstruktion. Diese wird ermöglicht durch schmale weiß gefärbte Wangen, die in der Seitenansicht einen eleganten, fast schwerelos wirkenden Eindruck erwecken.
Verantwortlicher Architekt des Tausendfüßler war Prof. Friedrich Tamms, der damalige Beigeordnete der Stadt für Stadtplanung und vorherige Chef des Planungsamtes. Er entwarf auch die sogenannte Düsseldorfer Brückenfamilie, bestehend aus Rheinknie-, Oberkasseler- und Theodor-Heuss-Brücke.
[Bearbeiten] Entstehung
Die Zeit nach dem Zweiten Weltkrieg war geprägt vom Wiederaufbau der deutschen Städte. Vielerorts geschah dies nicht oder nur teilweise auf den alten Grundrissen, sondern die Stadtplaner nutzten die Chance, ohne großen Aufwand Veränderungen im Stadtgefüge vorzunehmen. So ließ sich die schon länger diskutierte Parallelstraße zur Königsallee endlich verwirklichen. Sie war Bestandteil eines Gesamtplanes für die zukünftige Verkehrsführung durch die Düsseldorfer Innenstadt. Nördlich an die später als Berliner Allee getaufte Straße schloss sich eine Hochstraße an, die zusammen mit Thyssen-Haus, Schauspielhaus, und Gustaf-Gründgens-Platz ein Ensemble von Wirtschaft, Kultur und Verkehr ergeben und den Jan-Wellem-Platz als neuen Knotenpunkt der Innenstadt prägen sollte, um die Möglichkeiten, die sich aus der Zerstörung der Stadt ergeben hatten, optimal zu nutzen.
Die Planungen riefen jedoch einen nicht unerheblichen Bürgerprotest auf den Plan. Denn für die Verkehrsführung am Jan-Wellem-Platz sollte ein größerer Teil des Hofgarten Weihers an der Landskrone zugeschüttet und dem Verkehr zugeschlagen werden. So gab es erste Einwände gegen die Hochstraße als solche bereits im Frühjahr 1958 bei einem Vortrag von Tamms, in dem dieser seine Überlegungen zur Hochstraße, zum Jan-Wellem-Platz und den damit verbundenen Umbauten darlegte.[5] Nachdem die Planungen bezüglich des Hofgartens bekannt wurden, verstärkten sich die Einwände weiter. Die Diskussion gipfelte schließlich am 15. Januar 1961 in einer Demonstration von 10.000 Menschen vor dem Rathaus, mit einem anschließenden Marsch zum Hofgarten. Organisiert wurde dieser Protest von der Vaterstädtischen Arbeitsgemeinschaft. Diese und andere Aktionen verfehlten ihre Wirkung nicht, und die Planungen wurden verändert. Es wurde zwar ein Teil des Hofgartens in die Baumaßnahme einbezogen, jedoch nicht in dem ursprünglich geplanten Ausmaß.[6]
So entstanden zwischen 1954 und 1962 weite Teile der heutigen Berliner Allee und die daran angrenzenden Gebäude, sowie das Thyssen-Haus. Der Verlauf der Berliner Allee war, wie bereits beschrieben, im bisherigen Stadtgrundriss nicht ablesbar. Einige vom Krieg unversehrte Häuser mussten der Straße weichen. Die Johanneskirche war ebenfalls als Abrissobjekt im Gespräch. Interventionen der evangelischen Kirche sorgten jedoch für deren Erhalt. Der Tausendfüßler wurde während der Schlussphase in den Jahren 1961 und 1962 gebaut. Dabei begann man von allen drei Enden her gleichzeitig mit dem Bau und erreichte so eine relativ kurze Bauzeit.
[Bearbeiten] Zukunft
Der Wunsch nach einer Neugestaltung des Jan-Wellem-Platzes und des Gustaf-Gründgens-Platzes führte zu einer Neuplanung des Umfeldes mit dem sogenannten Projekt Kö-Bogen des Düsseldorfer Architekturbüros Ingenhoven.
Ein zentrales Anliegen der neuen Planungen ist es, den Autoverkehr in eine andere Ebene zu verlegen, um attraktivere Räume und Plätze zu erhalten. Die heute (2006) bestehenden Straßenverbindungen zwischen Schadowstraße und Elberfelder Straße sowie Berliner Allee und Hofgartenstraße sollen nunmehr durch Tunnel geführt werden. Die bisherige Hochstraße soll in der letzten Projektphase ebenfalls unter die Erde verlegt werden. Im Jahr 2006 wurde diese Maßnahme in den Medien der Stadt mehrfach kontrovers diskutiert.[7]
Die bisherigen Äußerungen der Kommunalpolitik in der Öffentlichkeit lassen den Schluss zu, dass es auf einen Abriss der Hochstraße hinauslaufen soll.[8] Ein ähnliches Schicksal ereilte die Bundesstraße 1 in Düsseldorf, die heute durch den Rheinufertunnel verläuft. Teile von ihr wurden früher auf einer Hochstraße mit identischer Architektur geführt.
Der bestehende Denkmalschutz für den Tausendfüßler kann durch einen Mehrheitsbeschluss im Düsseldorfer Stadtrat aufgehoben werden. Der Landeskonservator kann in diesem Fall beim Ministerium für Bauen und Verkehr einen Ministerentscheid erzwingen. Der Bauminister könnte der Stadt eine Erhaltung des Bauwerks auflegen.
[Bearbeiten] Zitate
Die folgenden Zitate dokumentieren die Denkweise zur Zeit der Entstehung des Tausendfüßlers und die Gründe für den damit verbundenen Eingriff in die alte Struktur der Innenstadt[6]:
„Darum gilt es, beim Wiederaufbau unserer im letzten Krieg zerstörten Städte, die (hoffentlich nicht wiederkehrende) Chance wahrzunehmen, um einer neuen Entwicklung Rechnung zu tragen, die aufzuhalten in keines Menschen Hand liegt.“
– Prof. Friedrich Tamms
„Es wäre daher unverzeihlich, vor allem mit Rücksicht auf die kommenden Geschlechter, die wenigen Vorteile, die die Zerstörungen den Städten bieten, nicht zu einer allgemeinen Gesundung zu nutzen. Ordnung hat noch nie Nachteile gebracht. Sie ist die Voraussetzung zu wirtschaftlichem Erfolg und Aufstieg. Im ganzen gesehen erhöht sie den Wert von Grund und Boden, indem sie das Geschäftsleben fördert und zu größerer Entfaltung bringt.“
– Prof. Friedrich Tamms
[Bearbeiten] Weiterführende Informationen
[Bearbeiten] Siehe auch
[Bearbeiten] Literatur
- Roland Kanz und Jürgen Wiener: Architekturführer Düsseldorf. Dietrich Reimer Verlag, Berlin 2001, ISBN 3-496-01232-3.
[Bearbeiten] Weblinks
- Webseite über Tausendfüßler (Düsseldorf) bei Structurae
- Seite bei brueckenweb.de
- Planung des Kö-Bogens bei duesseldorf.de
- Planung des Kö-Bogens ohne Tausendfüßler vom Investor Corpus
[Bearbeiten] Quellenangaben
- ↑ Landeshauptstadt Düsseldorf Abfrage nach der Hochstraße Tausendfüßler in der Denkmalliste, Stand: 15. November 2006
- ↑ Niederschrift „Etatberatung 2002“ – Protokoll der 24. öffentlichen Ratssitzung der 13. Wahlperiode der Stadt Düsseldorf, 13. Dezember 2001
- ↑ Kemper’s City-Makler GmbH Untersuchung der Passantenfrequenz auf Deutschlands Einkaufsmeilen, 24. Juli 2006
- ↑ Grassl Beratende Ingenieure Bauwesen Das Projekt Hochstraße Tausendfüßler im Archiv der Firma Grassl, Stand: 18. November 2006
- ↑ Diplom-Arbeit zum Thema „Politische Aktionen gegen Wohnungsnot und Umstrukturierung und die HausbesetzerInnenbewegung in Düsseldorf von 1972 bis heute Kapitel 2.2 Die „Tammsche Stadtplanung“, 17. November 1995
- ↑ a b Düsseldorfer Archivportal | Düsseldorfer Stadtgeschichte Der Neubau der Stadt nach dem Zweiten Weltkrieg, Stand: 17. November 2006
- ↑ NRZ-Online: Tausendfüßler bei Politikern chancenlos, 20. September 2006
- ↑ RP-Online: Kö-Bogen nimmt Formen an, 23. August 2006
Koordinaten: 51° 13′ 33″ N, 6° 46′ 58″ O
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