Paulinerkirche (Leipzig)
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Die Klosterkirche St. Pauli des Leipziger Dominikanerklosters (volkstümliche Bezeichnung Unikirche, manchmal auch Paulinerkirche nach den "Pauliner" genannten Dominikanermönchen), nach Auflösung des Klosters Universitätskirche St. Pauli, war eine Kirche in der Innenstadt von Leipzig. Obwohl sie den Krieg fast unbeschädigt überstanden hatte wurde sie nach Beschluss der SED-geführten Stadtverwaltung und auf Betreiben der Universität 1968 gesprengt.
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[Bearbeiten] Geschichte
[Bearbeiten] Klosterkirche der Dominikaner
Nach der Ansiedlung von Dominikanermönchen in Leipzig beginnt 1231 der Bau der Paulinerkirche als Klosterkirche des Dominikanerkonventes (Bettelorden) innerhalb der Leipziger Stadtmauern nahe dem Grimmaischen Tor. Die Weihe erfolgt 1240.
Der Ursprungsbau war typisch für die Bettelordensarchitektur im 13. Jahrhundert als einschiffiger Chor und dreischiffiges Langhaus gestaltet. Bis ins 18. Jahrhundert werden mehrere An- und Umbauten im Stil der Gotik, der Renaissance und des Barock vorgenommen. Das dadurch entstandene Ensemble einer Vielfalt von Architekturformen ist seitdem im Bewusstsein der Stadt lebendig.
[Bearbeiten] Universitätskirche
Seit der Gründung der Universität Leipzig im Jahr 1409 ist die Geschichte der Paulinerkirche eng mit der der Universität verbunden. Die Klosterkirche ist jahrhundertelang ein bevorzugter Begräbnisort für Universitätsangehörige, deren Repräsentationsbedürfnis in künstlerisch anspruchsvollen Epitaphien zum Ausdruck kommt.
Nach Ausbreitung der Reformation kommt es 1539 zur Auflösung des Dominikanerkonvents: Das Kloster wird säkularisiert und 1543 der Universität Leipzig übereignet. Dadurch besitzt diese einen großen, zusammenhängenden Gebäudekomplex, der für den Lehrbetrieb sowie für Wohn- und Wirtschaftszwecke genutzt wird. 1545 wird die Paulinerkirche von Martin Luther als evangelische Universitätskirche geweiht. Der Kirchenraum dient seitdem sowohl als Gottesdienstraum als auch als Aula für akademische Festakte. Im Jahr 1717 ist eine Orgelprüfung durch Johann Sebastian Bach belegt.
[Bearbeiten] Neugestaltung im 19. Jahrhundert
Während der Völkerschlacht bei Leipzig 1813 dient die Kirche als Gefangenenlager und Lazarett. Im 19. Jahrhundert wird der größte Teil der angrenzenden, noch vorhandenen Klostergebäude abgerissen, und es kommt zum Neubau des Augusteums (1831-36, Umbau 1897 durch Arwed Roßbach im Neorenaissancestil) sowie gegen Ende des 19. Jahrhunderts der weiteren Gebäude Albertinum, Johanneum, Paulinum, Vorderpaulinum, Beguinenhaus (1891-97). Die Fassade der Kirche am späteren Augustusplatz war ursprünglich der Stadtbefestigung zugekehrt, die nach 1785 geschleift wurde. Die nun freiliegende Ansicht erhielt deshalb 1836 von Albert Geutebrück eine klassizistische Schaufassade und im Zuge der Neugestaltung des Augusteums 1897 eine neogotische Schaufassade durch Arwed Roßbach. Das ungleiche, aber harmonische Gebäudeensemble von Paulinerkirche und Augusteum bestimmte von 1836 bis zu seiner Zerstörung die Westseite des Augustusplatzes.
[Bearbeiten] DDR-Stadtplanung und Sprengung der Kirche
Beim Bombenangriff am 4. Dezember 1943 wurde die Paulinerkirche nur leicht beschädigt. Der Augustusplatz wurde unmittelbar nach dem Krieg in „Karl-Marx-Platz“, die Universität 1953 in „Karl-Marx-Universität“ umbenannt. Planungen der Stadtverwaltung zur Neugestaltung des Universitätskomplexes sahen die Errichtung eines politisch-kulturellen Zentrums vor, das Leipzig als sozialistische Großstadt präsentieren sollte. Mit Beginn der 60er Jahre war der Beschluss zu einer Aufgabe, sprich Abbruch, des alten Universitätskomplexes gefaßt. Der Neubau verzögerte sich Jahr um Jahr. Erst im Januar 1968 gab es den entscheidenden Architektenwettbewerb. Der Neubaukomplex war ein Kompromißentwurf aus den Arbeiten eines Dresdner Büros und des Berliner Büros unter dem Bauhaus-Schüler und Star-Architekten der DDR, Hermann Henselmann.
Im Mai 1968 bestätigte das Politbüro des ZK der SED unter Vorsitz von Walter Ulbricht den Bebauungsplan des Leipziger Karl-Marx-Platzes einschließlich des Abrisses der Paulinerkirche. Der Senat der Universität stimmte am 16. Mai, die Leipziger Stadtverordnetenversammlung am 23. Mai der Umgestaltung zu. Allerdings regte sich Widerstand, vor allem in der Theologischen Fakultät. Der damalige Theologiestudent Nikolaus Krause wurde in Folge sogar wegen "inneren Protestes" gegen den Abriss zu 22 Monaten Haft verurteilt. Die Sprengung der Paulinerkirche erfolgt am 30. Mai 1968 um 9:58 Uhr. Vereinzelte Protestbekundungen führen zu mehreren Festnahmen und teils mehrjährigen Ermittlungen der Staatssicherheit.
Am 20. Juni 1968 entrollte sich als Protest gegen die Sprengung der Uni-Kirche in der Leipziger Kongreßhalle vor dem Publikum des III. Internationalen Bachwettbewerbs automatisch ein großes gelbes Plakat mit einer Umrisszeichnung der Kirche, der Jahreszahl 1968 mit einem Kreuz dahinter und der Aufschrift „Wir fordern Wiederaufbau“. Daran beteiligt waren die jungen Physiker Stefan Welzk, Harald Fritzsch, Dietrich Koch und Eckhard Koch. Der Potsdamer Rudolf Treumann malte das Transparent. Dieser Plakatprotest erreichte als einziger internationale Aufmerksamkeit. Die Ermittlungen der Staatssicherheit dauerten bis in die 70er Jahre, wovon die Bevölkerung nichts mehr mitbekam. Erst nach der Wende wurde das Schicksal von Dietrich Koch bekannt, der aufgrund einer Denunziation verhaftet wurde. Er war der einzige am Plakatprotest Beteiligte, der deswegen verurteilt worden war.[1]
Dort, wo sich die Giebelwand der Paulinerkirche befand, erhielt der bis 1974 realisierte Neubau der Universität ein Bronzerelief mit Titel Aufbruch, das der Kopf von Karl Marx, des neuen Namenspatrons der Universität, dominierte.
[Bearbeiten] Diskussion um den Wiederaufbau
Zur Erinnerung an die Zerstörung der Paulinerkirche brachte der Künstler Axel Guhlmann 1998 an der Wand des Universitäts-Hauptgebäudes die Installation Paulinerkirche an, eine 34 Meter hohe Stahlkonstruktion, angebracht, welche den Kirchengiebel in Originalgröße nachzeichnet.
Aus Anlass des bevorstehenden 600-jährigen Bestehens der Universität Leipzig im Jahr 2009 wurden Ende der 90er Jahre Vorschläge zur Neugestaltung des Geländes erarbeitet. Die Universitätsleitung regte dabei den Neubau einer Aula an Stelle der früheren Kirche an. Befürworter eines originalgetreuen Wiederaufbaus schlossen sich daraufhin in einer Bürgerinitiative zusammen, fälschlicherweise oft Paulinerverein genannt. Ein nach mehrjähriger Diskussion von der sächsischen Landesregierung vorgeschlagener Kompromiss, nach dem der Bauplatz vorerst freigelassen und die Universität durch ein Ersatzgelände entschädigt werden soll, führt 2003 zum Rücktritt des Rektors der Universität, Volker Bigl, und aller Prorektoren. 2004 wird ein Bauentwurf des Rotterdamer Architekten Erick van Egeraat genehmigt, der eine architektonisch moderne, äußerlich an die Paulinerkirche erinnernde Aula vorsieht. Die Fertigstellung soll Ende 2009 erfolgen.
[Bearbeiten] Einzelnachweise
- ↑ Vgl. Dietrich Koch: Das Verhör. Zerstörung und Widerstand. 3 Bde. Dresden 2001. ISBN 3-932858-48-4
[Bearbeiten] Literatur
- Elisabeth Hütter: Die Pauliner-Universitätskirche zu Leipzig. Geschichte und Bedeutung. Hrsg. vom Landesamt für Denkmalpflege Sachsen und der Universität Leipzig. Weimar 1993. ISBN 3-7400-0916-0 (als Dissertation bereits 1961 in Leipzig angenommen).
- Landesamt für Denkmalpflege Sachsen (Hrsg.): Stadt Leipzig - Die Sakralbauten. Bd. 1. Bearbeitet von Heinrich Magirius. (= Die Bau- und Kunstdenkmäler von Sachsen. 1). München u.a. 1995 ISBN 3-422-00568-4
- Katrin Löffler: Die Zerstörung. Dokumente und Erinnerungen zum Fall der Universitätskirche Leipzig. Leipzig 1993. ISBN 3-7462-1068-2.
- Christian Winter: Gewalt gegen Geschichte. Der Weg zur Sprengung der Universitätskirche Leipzig. (= Arbeiten zur Kirchen- und Theologiegeschichte. 2). Leipzig 1998. ISBN 3-374-01692-8
- Dietrich Koch: Das Verhör. Zerstörung und Widerstand. 3 Bde. Dresden 2001. ISBN 3-932858-48-4
- Rudolf Scholz: Leipzigs letzter Held oder die Leben des Pfarrers Hans-Georg Rausch (mit einem Lebensbild des Theologiestudenten Nikolaus Krause). Dingsda-Verlag, Querfurt 2002, ISBN 3-928498-85-1
- Frank Zöllner (Hrsg.): Speicher der Erinnerung. Die mittelalterlichen Ausstattungsstücke der Leipziger Universitätskirche St. Pauli. (= Beiträge zur Leipziger Universitäts- und Wissenschaftsgeschichte, Reihe B, Bd. 8). Leipzig 2005. ISBN 3-931801-20-9
- Dietrich Koch / Eckhard Koch: Kulturkampf in Leipzig. Denkschrift zur Wiederaufbaudebatte Universitätskirche St. Pauli. Broschur, 172 Seiten, 71 sw-Abb. 1. Auflage 2006, ISBN 3-931801-20-9
- Birk Engmann: Der große Wurf. Vom schwierigen Weg zur neuen Leipziger Universität. Beucha. 2008. ISBN 978-3-86729-022-7
[Bearbeiten] Weblinks
- http://www.paulinerkirche.org mit historischem Bildmaterial
- Paulinerkirche im Leipzig-Lexikon
- Spezial des MDR zum Streit um die Paulinerkirche
- http://www.paulinerkirche.de
- http://www.paulinerverein.de
- http://www.zeit.de/2008/23/Leipziger-Bilderstreit Artikel in der ZEIT über die Paulinerkirche (29.05.2008)
Koordinaten: 51° 20' 20" N, 12° 22' 48" O