Lagrange-Formalismus
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Der Lagrange-Formalismus ist eine 1788 von Joseph Louis Lagrange eingeführte Formulierung der klassischen Mechanik, in der die Dynamik eines Systems durch eine einzige skalare Funktion, die Lagrangefunktion, beschrieben wird. Die Bewegungsgleichungen folgen als sogenannte Lagrangegleichungen aus dem Hamiltonschen Prinzip der stationären Wirkung.
Diese Betrachtungsweise vereinfacht viele physikalische Probleme, denn im Gegensatz zur Newton’schen Formulierung der Bewegungsgesetze lassen sich im Lagrange-Formalismus Zwangsbedingungen relativ einfach durch das explizite Ausrechnen der Zwangskräfte oder die Wahl geeigneter Koordinaten qi (generalisierte Koordinaten) berücksichtigen.
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[Bearbeiten] Lagrangesche Methode erster Art
Man betrachte N Punktteilchen im mit den Ortsvektoren . Diese seien durch s von einander unabhängige Zwangsbedingungen Fk der Form eingeschränkt. Dadurch werden die Lagen der Teilchen auf eine f = 3N − s-dimensionale Mannigfaltigkeit eingeschränkt.
Da nach dem D’Alembertschen Prinzip Zwangskräfte keine Arbeit verrichten, steht der Gradient senkrecht auf dieser Mannigfaltigkeit. Die Zwangskraft Z selber kann man dann durch eine Linearkombination dieser Vektoren darstellen:
Damit kann man die Bewegungsgleichung schreiben als:
Die mi sind die Massen der N Punktteilchen, V ist die potentielle Energie. Dies sind 3N+s Gleichungen für die 3N Koordinaten der ri sowie für die s Lagrangemultiplikatoren λk. Somit ist das Gleichungssystem lösbar.
[Bearbeiten] Beispiel (Fallmaschine nach Atwood)
Man betrachte zwei Punktmassen im Gravitationsfeld der Erde, die über eine Rolle in der Höhe h aufgehängt und durch ein Seil der Länge l verbunden seien. Die Zwangsbedingung lautet in diesem Fall:
- F: = y1 + y2 + l − 2h = 0
Wird das Seil berücksichtigt, das auf der Rolle (Rollenradius r) liegt, dann ergibt sich:
Die potentielle Energie V berechnet sich zu:
Für die Gradienten erhält man
Dies führt auf das System der Lagrange-Gleichungen 1. Art:
Dies kann man auflösen und erhält z. B. für bekannte Anfangsbedingungen:
[Bearbeiten] Lagrangesche Methode zweiter Art
[Bearbeiten] Herleitung der Lagrange-Gleichungen
Die (Euler-)Lagrange-Gleichungen erhält man durch Variation des mit der Lagrangefunktion gebildeten Wirkungsintegrals im Hamiltonschen Prinzip. Dazu variiert man die generalisierten Koordinaten mit
Das Hamiltonsche Prinzip wird dann zu
- .
Eine Näherung in erster Ordnung lautet für eine gewöhnliche Funktion f(x,y)
also
- .
In erster Ordnung ergibt sich die Variation des Integrals also zu
Nun führt man eine partielle Integration in dem Term aus, der die Ableitung nach der Zeit enthält.
Hierbei wird benutzt, dass
ist, da Anfangs- und Endpunkt festgehalten werden. Daher gilt für die Randterme
Damit resultiert schließlich
Da nun δq als Faktor des gesamten Integrals auftritt und beliebig ist, kann das Integral nur dann nach dem Variationsprinzip verschwinden, wenn der Integrand selbst verschwindet. Es folgen die Lagrange-Gleichungen (manchmal auch Euler-Lagrange-Gleichungen genannt):
Für jede generalisierte Koordinate qi (und die zugehörige generalisierte Geschwindigkeit ) gibt es eine solche Gleichung. Die Lagrange-Gleichungen bilden ein System gewöhnlicher Differentialgleichungen zweiter Ordnung.
In der Mechanik ist die Lagrange-Funktion , wobei T die kinetische Energie und V die potentielle Energie des Systems sind.
[Bearbeiten] Zusammenhang mit Pfadintegralen in der Quantenmechanik
Richard Feynman hat als erster diese Herangehensweise auch für die Herleitung der Gleichungen der Quantenmechanik verwendet. In der klassischen Physik ergeben sich die oben beschriebenen Lagrange-Gleichungen aus der Forderung, dass das Wirkungsintegral (bei dem über die Lagrange-Funktion integriert wird) stationär wird (durch die Variation des Integrals erhält man die Differenzialgleichungen). In Feynmans Pfadintegral-Formalismus ist die quantenmechanische Wahrscheinlichkeitsamplitude, das ein System zwischen Anfangs- und Endbedingungen einen bestimmten Pfad einschlägt proportional mit dem Wirkungsintegral W. Pfade in der Umgebung des klassischen Pfades, für den die Variation von W verschwindet, liefern dabei meist die Hauptbeiträge, da sich in ihrer Umgebung die Beiträge mit fast gleichen Phasenfaktoren addieren. Mehr Details sind im unten angegebenen Lehrbuch online nachzulesen.
[Bearbeiten] Beispiel
Für einen eindimensionalen harmonischen Oszillator gilt
Mit x als generalisierter Koordinate folgt die Bewegungsgleichung direkt aus der Euler-Lagrange-Gleichung. Die Lagrangefunktion ist
und damit
Die allgemeine Lösung dieser Gleichung ist
- ,
wobei die Kreisfrequenz ist und A,B reelle Konstanten sind.
[Bearbeiten] Zyklische Variable
Wenn die Lagrangefunktion L nicht von einer Koordinate q abhängt, sondern nur von der zugehörigen Geschwindigkeit dann nennt man q zyklisch oder zyklische Koordinate oder zyklische Variable. Der zur zyklischen Variablen q konjugierte Impuls
ist eine Erhaltungsgröße: ihr Wert ändert sich nicht während der Bewegung.
Denn weil die Lagrangefunktion nicht von q abhängt, gilt
Dann besagt die Euler-Lagrangegleichung
dass die Zeitableitung des zugehörigen konjugierten Impulses verschwindet.
Allgemeiner gehört nach dem Noether-Theorem zu jeder kontinuierlichen Symmetrie der Wirkung eine Erhaltungsgröße und umgekehrt zu jeder Erhaltungsgröße eine kontinuierliche Symmetrie der Wirkung. Bei einer zyklischen Variablen ist die Wirkung invariant unter der Verschiebung von q um eine beliebige Konstante,
[Bearbeiten] Erweiterung auf nicht-konservative Systeme
Für nicht-konservative Systeme (Systeme, bei denen nicht alle Kräfte Potentialkräfte sind) lassen sich die Lagrangeschen Bewegungsgleichungen wie folgt formulieren:
bzw.
- T: kinetische Energie
- : generalisierte Kräfte als Summe der nicht-konservativen Kräfte und der Potentialkräfte
- : generalisierte Kräfte ausschließlich nicht-konservativer Natur
Die generalisierten Kräfte bestimmt man aus der virtuellen Arbeit der eingeprägten Kräfte
durch Vergleich der Koeffizienten von δqi.
[Bearbeiten] Beispiel
Die Achse einer Aufzugtrommel wird durch ein Moment M angetrieben. Die Masse der Last beträgt m, das Massenträgheitsmoment der Trommel ist J. Der Radius der Trommel ist r.
Zwischen den Koordinaten x und φ besteht folgende Beziehung:
Die kinetische Energie ist:
Die virtuelle Arbeit der eingeprägten Kräfte ist
Daraus folgt schließlich die Bewegungsgleichung
Die Auflösung dieser Gleichung nach der Winkelbeschleunigung ergibt
[Bearbeiten] Erweiterung auf Systeme mit Nebenbedingungen
Zwischen den generalisierten Koordinaten mögen noch n Nebenbedingungen folgender Form existieren:
(Nur bei holonomen Systemen lassen sich mit Hilfe der Nebenbedingungen überzählige Koordinaten eliminieren.)
Für Systeme mit Nebenbedingungen lassen sich die Lagrangeschen Bewegungsgleichungen wie folgt formulieren:
- λk: beim Integrationsprozess zu bestimmende Lagrangesche Multiplikatoren
Siehe auch: Hamilton-Formalismus
[Bearbeiten] Erweiterung auf Felder
In der Feldtheorie ergibt sich die Bewegungsgleichung aus dem Hamiltonschen Prinzip für Felder zu
wobei Φ = Φ(x,y,z,t) das betrachtete Feld und die Lagrange-Dichte sind.
Man kann dies in Kurzform auch schreiben als
mit der so definierten Variationsableitung .
Der Lagrangeformalismus ist auch der Ausgangspunkt vieler Formulierungen der Quantenfeldtheorie.
[Bearbeiten] Frei fallende Teilchen in der allgemeinen Relativitätstheorie
In der allgemeinen Relativitätstheorie durchlaufen frei fallende Teilchen Weltlinien längster Zeit: zwischen zwei (genügend nah beieinander liegenden) Ereignissen A und B vergeht auf einer mitgeführten Uhr mehr Zeit, als auf allen anderen Weltlinien durch diese Ereignisse. Sei s ein entlang des Pfades monoton wachsender Laufparameter, so ergibt sich die verstrichene Zeit zu
mit der Lagrangefunktion
Dabei sind gmn(x) die Komponentenfunktionen der Metrik. Wir rechnen einfachheitshalber in Maßsystemen, in denen die Lichtgeschwindigkeit dimensionslos ist und den Wert c = 1 hat, und verwenden die Einsteinsche Summenkonvention.
Der zu xk konjugierte Impuls ist
und die Euler-Lagrange-Gleichungen lauten
Verwenden wir hier als Abkürzung das Christoffel-Symbol
so erweist sich die Weltlinie längster Dauer als Gerade: die Richtung der Tangente an die Weltlinie
ändert sich nicht bei Parallelverschiebung längs der Weltlinie
Die Parametrisierung wird nicht festgelegt. Verfügen wir so über sie, daß der Tangentialvektor überall gleich lang ist, dann ist konstant und der Tangentialvektor geht beim Durchlaufen der Weltlinie in sich über. Sie erfüllt die Geodätengleichung
[Bearbeiten] Literatur
- Lehrbücher der klassischen Mechanik wie Herbert Goldstein Klassische Mechanik, Akademische Verlagsanstalt 1985
- Cornelius Lanczos The Variational Principles of Mechanics, Dover
- Kuypers Klassische Mechanik, VCH
zu Wegintegralen:
- Hagen Kleinert, Pfadintegrale in Quantenmechanik, Statistik und Polymerphysik. Mannheim 1993
- Hagen Kleinert, Path Integrals in Quantum Mechanics, Statistics, Polymer Physics, and Financial Markets, 4. Auflage, World Scientific (Singapore, 2006) (auch online lesbar hier)