Horst-Eberhard Richter
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Horst-Eberhard Richter (* 28. April 1923 in Berlin) ist ein deutscher Psychoanalytiker und Psychosomatiker. Der Autor zahlreicher Bücher gilt vielen als der „große alte Mann“ der bundesdeutschen Friedensbewegung.
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[Bearbeiten] Überblick
Nach Erlangung des Abiturs wurde Richter 1942 zur Wehrmacht eingezogen und diente als Richtkanonier an der Ostfront. Er erfüllte diese Aufgabe nach eigenen Angaben mechanisch, ohne die Menschen zu hassen, die er – wie er wusste und nachträglich auch sah – tötete. Später wurde er in Italien eingesetzt, desertierte aber 1944 und versteckte sich in einer Hütte in den Alpen. Dort spürten ihn französische Besatzungssoldaten auf. Weil er für ein Mitglied der nationalsozialistischen Freischärler- bzw. Untergrundbewegung „Werwolf“ gehalten wurde, saß er vier Monate in Isolationshaft in einem alten Innsbrucker Gefängnis. In dieser Zeit tauchten in ihm die wesentlichen Ideen seines späteren Hauptwerkes Der Gotteskomplex auf.
Nach Kriegsende studierte Richter Medizin, Philosophie und Psychologie und wurde 1949 zum Dr. phil. und 1957 zum Dr. med. promoviert. In den Jahren 1950 bis 1954 machte er eine Ausbildung zum Psychoanalytiker am Berliner Psychoanalytischen Institut. 1962 wurde er nach Gießen auf den neu eingerichteten Lehrstuhl für Psychosomatik berufen und baute das Psychosomatische Universitätszentrum auf, dessen Direktor er wurde. Er wurde 1991 emeritiert. Von 1992 bis Dezember 2002 leitete er das Frankfurter Sigmund-Freud-Institut. 2004 hatte er eine Gastprofessur an der Universität Wien inne.
Seit 1973 gehört Richter, dessen Bücher bisher in zwölf Sprachen übersetzt wurden, dem PEN-Zentrum der Bundesrepublik an.
Richter wurde zunächst insbesondere als einer der Pioniere der psychoanalytischen Familienforschung und Familientherapie bekannt, aber auch durch seine psychosomatischen Forschungen und sozialphilosophischen Beiträge. Sein kulturpsychologisch-psychoanalytisches Hauptwerk ist Der Gotteskomplex (1979), in dem er die These aufstellt, dass der moderne Mensch den spirituellen Glauben durch den Glauben an den naturwissenschaftlich-technischen Fortschritt ersetzt und dadurch Allmachtshoffnungen befriedigt.
1981 wurde Richter mit seiner Satire Alle redeten vom Frieden zu einer der Leitfiguren der Friedensbewegung. Im selben Jahr gehörte er zu den Gründern der westdeutschen Sektion der Ärzte gegen den Atomkrieg. Er verfasste die weithin bekannte Frankfurter Erklärung, deren Unterzeichner sich dazu bekannten, sich jeglicher kriegsmedizinischen Schulung und Fortbildung zu verweigern.[1] Seit 1987 arbeitet er in der International Foundation for the Survival and Development of Humanity mit. Noch 2003 trat er auf vielen Demonstrationen gegen den Irak-Krieg auf. In seinen späten Büchern ruft er dazu auf, sich bei Attac zu engagieren.
Im Sommersemester 2004 hatte Richter die Stiftungsprofessur am Sir Peter Ustinov Institut zur Erforschung und Bekämpfung von Vorurteilen inne. Genau formuliert übte er seine Tätigkeit an der Universität Wien im Rahmen der Sir Peter Ustinov Professur der Stadt Wien aus.[2]
[Bearbeiten] Zitate
„Die gesamte kulturelle Mentalität bei uns, repräsentiert durch Bush oder durch Jung oder durch Schäuble, ist eingestellt auf eine gespaltene Welt. Und wenn man sich den ersten Kreuzzug mal anschaut, dann war das schon damals ganz genauso.“
– Richter im Interview mit der taz
„Das manichäische Weltbild kann man sich so erklären, das ist nun auch ein bisschen meine Forschung, dass uralte, archaische Instinkte oder Anlagen zum Vorschein kommen. Es ist nicht nur die Bereitschaft, sich diese einfache Welterklärung gefallen und auch befehlen zu lassen. Sondern rattenfängerartig wird eine Hörigkeit ausgelöst, die dann massenpsychologisch dazu führt, dass es geradezu als Erlösung empfunden wird, vom eigenen Gewissen befreit zu sein. Ein absolutes Feindbild ist nötig, um mit sich selbst im Reinen zu bleiben.“
– dto.
[Bearbeiten] Auszeichnungen
- 1970: Forschungspreis der Schweizer Gesellschaft für Psychosomatische Medizin
- 1980: Theodor-Heuss-Preis für seine maßgebliche Beteiligung an der Reform der deutschen Psychiatrie und Sozialpsychiatrie
- 1985: wurde Ärzte gegen den Atomkrieg, derer Ehrenvorsitzender er ist, mit dem Friedensnobelpreis ausgezeichnet.
- 1990: „Bornheimer“ als pädagogischer Ehrenpreis der Stadt Bornheim (Rheinland)
- 1993: Urania-Medaille für „herausragende Wissenschaftler“
- 2000: hat ihm der Jüdische Nationalfonds für sein Lebenswerk zehn Bäume in Israel gepflanzt.
- 2001: Fairness Preis[3], die Laudatio hielt Dorothee Sölle[4]
- 2002 Goetheplakette der Stadt Frankfurt am Main für seine „konsequent pazifistische Grundhaltung“, mit der er sich als „mahnende und weithin anerkannte Instanz“ etabliert habe
- 2003 Gandhi-Luther King-Ikeda Award des Morehouse College, Atlanta, USA
- 2007 Ehrenmedaille des Fachbereichs Medizin der Justus-Liebig-Universität Gießen in Würdigung seines Lebenswerkes
- 2007 Ehrenbürgerschaft der Universitätsstadt Gießen. Nachdem die bürgerliche Mehrheit im Gießener Stadtparlament im Jahr 2003 eine Ehrenbürgerschaft Richters, unter anderem mit Verweis auf seine pazifistischen Einstellungen und seine Kritik am Irak-Krieg ablehnte, hat das Stadtparlament am 20. September 2007 dem Antrag des Magistrats auf Verleihung der Ehrenbürgerwürde mehrheitlich zugestimmt.
- abgelehnte Auszeichnung: Das Bundesverdienstkreuz hat Richter schon dreimal abgelehnt mit der Begründung „Zu viele Ex-Nazis“ hätten es bereits erhalten.
[Bearbeiten] Werke
- Eltern, Kind und Neurose. Die Rolle des Kindes in der Familie/Psychoanalyse der kindlichen Rolle. 1962. Neuauflage Rowohlt, ISBN 3-499-16082-X.
- mit Dieter Beckmann: Herzneurose. Thieme, 1969.Neuauflage Psychosozial-Verlag 1998, ISBN 3-89806-226-0.
- Patient Familie. Entstehung, Struktur und Therapie von Konflikten in Ehe und Familie.1970. Neuauflage Rowohlt 2001, ISBN 3-499-16772-7.
- Die Gruppe. 1972. Neuauflage Psychosozial-Verlag 1995, ISBN 3-930096-37-4.
- Flüchten oder Standhalten. 1976. 3. Auflage. Psychosozial-Verlag 2001, ISBN 3-89806-128-0.
- mit Hans Strotzka und Jürg Willi: Familie und seelische Krankheit. Rowohlt, 1976, ISBN 3-498-05681-6.
- Der Gotteskomplex. 1979. Neuauflage Psychosozial-Verlag 2005, ISBN 3-89806-389-5.
- Lernziel Solidarität. 1974. Neuauflage Psychosozial-Verlag 1998, ISBN 3-932133-34-X.
- Alle redeten vom Frieden. Versuch einer paradoxen Intervention. Rowohlt, Reinbek 1984, ISBN 3-499-17846-X.
- Die Chance des Gewissens. Erinnerungen und Assoziationen. 1986. Neuauflage Psychosozial-Verlag 2002, ISBN 3-89806-177-9.
- Die hohe Kunst der Korruption. Erkenntnisse eines Politik-Beraters. 1989, ISBN 3-453-05104-1.
- mit Dieter Beckmann: Der Gießen-Test (GT). 1972. 4. Auflage 1991, ISBN 3-456-82041-0.
- Umgang mit Angst. 1992. Neuauflage Econ 2000, ISBN 3-612-26683-7.
- Wer nicht leiden will, muss hassen. Zur Epidemie der Gewalt. 1993. Neuauflage Psychosozial-Verlag 2004, ISBN 3-89806-277-5.
- Bedenken gegen Anpassung. Psychoanalyse und Politik. 1995. 2003 neu erschienen unter dem Titel Psychoanalyse und Politik. Psychosozial-Verlag, ISBN 3-89806-243-0.
- Versuche, die Geschichte der RAF zu verstehen. Das Beispiel Birgit Hogefeld. Psychosozial-Verlag, 1996, ISBN 3-930096-87-0.
- Als Einstein nicht mehr weiterwußte. 1997. Neuauflage Econ 2000, ISBN 3-548-75015-X.
- Wanderer zwischen den Fronten. Gedanken und Erinnerungen. 2000, ISBN 3-548-36287-7. (Autobiografie)
- Kultur des Friedens. Psychosozial-Verlag, 2001, ISBN 3-89806-068-3.
- Das Ende der Egomanie. Die Krise des westlichen Bewusstseins. 2002, ISBN 3-426-77655-3.[5]
- mit Bernard Cassen und Susan George: Eine andere Welt ist möglich! VSA, 2002, ISBN 3-87975-845-X.
- mit Frank Uhe: Aufstehen für die Menschlichkeit. Psychosozial-Verlag, 2003, ISBN 3-89806-283-X.
- Ist eine andere Welt möglich? Für eine solidarische Globalisierung. 2003, Neuauflage Psychosozial-Verlag 2005, ISBN 3-89806-346-1.
- Niederlage des Intellekts. In: Freitag. Die Ost-West-Wochenzeitung. Nr. 31 vom 23. Juli 2004 (online)
- Die Krise der Männlichkeit in der unerwachsenen Gesellschaft. Psychosozial-Verlag, 2006, ISBN 978-3-89806-570-2.
[Bearbeiten] Quellen
- ↑ Frankfurter Erklärung (online)
- ↑ Gastprofessur Horst-Eberhard Richter 2004
- ↑ Dankesrede vom 1. Dezember 2001 anlässlich der Preisverleihung
- ↑ Laudatio von Dorothee Sölle
- ↑ Klappentext des Buches
[Bearbeiten] Weblinks
- Literatur von und über Horst-Eberhard Richter im Katalog der Deutschen Nationalbibliothek
- Kurzbiografien bei IPPNW und bei der Fairness Stiftung
- Laudatio zur Wahl ins Ehrenpräsidium der DGPT (Deutsche Gesellschaft für Psychoanalyse, Psychotherapie, Psychosomatik und Tiefenpsychologie e.V.)
- Horst-Eberhard Richter im Psychosozial-Verlag. Alle Infos rund um Horst-Eberhard Richter
- Anthropologie der Erziehung bei Horst-Eberhard Richter. Dissertation von Erika Kohls über Horst-Eberhard Richter
- Horst-Eberhard Richter im Interview mit Die Zeit (21. September 2006) zum Voyeurismus seiner Kollegen im Fall Natascha Kampusch und über seine eigenen Erfahrungen in Isolationshaft
- Erinnerungsarbeit und das Menschenbild in der Psychotherapie, Vortrag im Rahmen der 45. Lindauer Psychotherapiewochen 1995, erschienen in den Lindauer Texten 1996, Springer Verlag, S. 121–136
- Die Krankheit Friedlosigkeit. Aufsatz in der Frankfurter Rundschau, 13. Juni 2007
- Plötzlich wird das Morden zur sozialen Tat. Interview in der TAZ, 26. Oktober 2007
Personendaten | |
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NAME | Richter, Horst-Eberhard |
KURZBESCHREIBUNG | deutscher Psychoanalytiker und Psychosomatiker |
GEBURTSDATUM | 28. April 1923 |
GEBURTSORT | Berlin |