Heisenbergsche Unschärferelation
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Die Heisenbergsche Unschärferelation oder Unbestimmtheitsrelation ist die Aussage der Quantenphysik, dass zwei Messgrößen eines Teilchens nicht immer gleichzeitig beliebig genau bestimmbar sind. Das bekannteste Beispiel für ein Paar solcher Messgrößen sind Ort und Impuls. Die Unschärferelation ist nicht die Folge von Unzulänglichkeiten eines entsprechenden Messvorgangs, sondern prinzipieller Natur. Sie wurde 1927 von Werner Heisenberg im Rahmen der Quantenmechanik formuliert.
Historisch gesehen gibt es im Wesentlichen zwei gängige Bedeutungen bzw. Interpretationen des Begriffes Unschärfe. Nach Heisenberg und Niels Bohr ist der Begriff bzw. die Definition der Unschärfe immer im direkten Zusammenhang mit der jeweiligen Messapparatur zu sehen. Im einen Fall betrachtet man Gesamtheiten von vielen Teilchen, an denen nach gleicher Präparation die selbe Messung durchgeführt wird. Unschärfe bedeutet dann die Streuung (Standardabweichung) der tatsächlich erhaltenen Messwerte.
Die von Heisenberg ursprünglich publizierte Definition der Unschärfe bezieht sich hingegen auf Messungen an individuellen Teilchen. Der Begriff der Unschärfe ist in diesen Messvorgängen mathematisch gesehen kein statistischer Erwartungswert (d.h. keine Standardabweichung), sondern entspricht der Genauigkeit der verwendeten Messapparatur, vgl. beispielsweise die Ortsmessung am Einzelspalt.[1]
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[Bearbeiten] Überblick
Unter dem Begriff des Unschärfeprinzips werden die folgenden drei Aussagen zusammengefasst, die zwar miteinander verwandt sind, jedoch physikalisch unterschiedliche Bedeutung haben.[2] Sie sind hier beispielhaft für das Paar Ortsmessung und Impulsmessung notiert, gelten aber analog auch für andere Paare.
- Es ist nicht möglich, ein Quantenobjekt in einem Zustand zu präparieren, bei dem die Position und der Impuls beliebig genau definiert sind. Diese Unschärfe lässt sich als unmittelbare Konsequenz der Wellennatur der Materie in der Quantenphysik interpretieren.
- Es ist nicht möglich, die Position und den Impuls eines Quantenobjektes gleichzeitig exakt zu messen.
- Die Messung der Position eines Quantenobjektes ist zwangsläufig mit einer Störung seines Impulses verbunden, und umgekehrt.
Jedes dieser drei „no-go“-Theoreme lässt sich quantitativ in Form so genannter Unschärfe-Relationen formulieren, die eine untere Grenze für die minimale erreichbare Unschärfe der Präparation bzw. Messung angeben.
Ähnliche Unschärfebeziehungen gibt es auch zwischen anderen Paaren komplementärer Größen. Zwischen Energie und Zeit besteht ebenfalls eine Unschärfebeziehung, die aber von anderer Natur ist (siehe Energie-Zeit-Unschärferelation).
Folgende Analogie verdeutlicht die Unbestimmtheit: Nehmen wir an, dass wir ein zeitveränderliches Signal, zum Beispiel eine Schallwelle, haben und wir die genaue Frequenz dieses Signals zu einem bestimmten Zeitpunkt messen wollen. Das ist unmöglich, denn um die Frequenz exakt zu ermitteln, müssen wir das Signal über eine gewisse Zeitspanne beobachten, und dadurch verlieren wir Zeitpräzision. Das heißt, ein Ton kann nicht innerhalb nur einer beliebig kurzen Zeitspanne da sein, wie etwa ein kurzer Impuls, und gleichzeitig eine exakte Frequenz besitzen, wie sie etwa ein ununterbrochener reiner Ton hat. Die Zeitdauer und die Frequenz der Welle sind analog zu betrachten zum Ort und Impuls eines Teilchens.
Die Unbestimmtheitsrelation wird oft verwechselt mit einem anderen quantenmechanischen Phänomen, dem Kollaps der Wellenfunktion, nach dem die Wellenfunktion, die ein Teilchen beschreibt, genau dann zerstört wird, wenn der Ort dieses Teilchens zu einem beliebigen Zeitpunkt bestimmt wird. Dieses Phänomen und die Unbestimmtheitsrelation sind verschieden, aber miteinander verwandt.
[Bearbeiten] Ungleichungen
Die Unschärferelation bezüglich Ort und Impuls ist der bekannteste Vertreter einer Gruppe von Unschärfebeziehungen, die ein grundlegendes Prinzip der modernen Physik darstellen. Gemäß dieser Beziehung wird jeweils ausgehend von einer Teilchengesamtheit die Unschärfe des Ortes x und des Impulses p durch deren statistische Streuung σx und σp gemessen. Die Unschärferelation besagt in diesem Fall[1][3]
(1)
wobei , h das Planck'sche Wirkungsquantum und π die Kreiszahl ist. Bei dieser Relation bezieht sich die Messung der Streuungen σx und σp auf eine Gesamtheit von Teilchen die jeweils im gleichen Ausgangszustand (ψ) sind. Im Rahmen des mathematischen Formalismus ergeben sich die Wahrscheinlichkeitsverteilungen für Orts- und Impulsmessungen und damit die Standardabweichungen aus den zugehörigen Wellenfunktionen. Die Relation (1) folgt dann aus dem Umstand, dass die Wellenfunktionen bezüglich Ort und Impuls über eine Fourier-Transformation miteinander verknüpft sind. Die Fourier-Transformierte eines lokal begrenzten Wellenpakets ist nun wiederum ein Wellenpaket, wobei das Produkt der Paketbreiten einer Beziehung gehorcht, die der obigen Ungleichung entspricht. Aufgrund ihrer mathematisch stringenten Herleitbarkeit im Rahmen der Quantenmechanik erlangte diese Ungleichung u.a. ihre Bedeutung in der Lehrbuchliteratur.
- Messungen an Einzelobjekten
Eine andere, von Heisenberg ursprünglich publizierte Relation bezieht sich nicht auf Messungen an Teilchengesamtheiten, sondern auf die Betrachtung von einzelnen Objekten.[1][4] Der Begriff der Unschärfe von Ort und Impuls wird in diesen Fällen nicht durch die statistische Streuung dargestellt. Ein von Heisenberg und Bohr in diesem Zusammenhang häufig diskutiertes Gedankenexperiment ist die sequenzielle Orts- und Impulsmessung eines Teilchens am Einfachspalt: Der Impuls p des betrachteten Objektes wird dabei zunächst als bekannt vorausgesetzt (monochromatische Welle). Dann wird der Strahl möglicher Elektronenbahnen durch einen Schirm mit einem Spalt der Breite Δx ausgeblendet (siehe Abbildung rechts). Geht das Objekt durch den Spalt hindurch, so ist in diesem Moment sein Ort in Richtung parallel zum Schirm mit der Genauigkeit Δx des Spaltes festgelegt, - es findet eine Reduktion der Wellenfunktion statt. Die Ausblendung des Strahls ist mit einer räumlichen Ablenkung des Objektes um den (zufälligen) Öffnungswinkel α verbunden (Beugung) und die Ränder des Spaltes sind nach dem Huygensschen Prinzip jeweils Ausgangspunkte für Elementarwellen.
Nun werden die folgenden Voraussetzungen getroffen:
- 1. Der Ablenkungswinkel α ist eine Zufallsgröße, die bei jedem Teilchen einen anderen Wert annehmen kann.
- 2. Es gilt die Formel von de Broglie:
-
.
- 3. Damit das erste Interferenzminimum auf dem Schirm noch optisch erkennbar ist, muss der Gangunterschied etwa mindestens so groß sein wie die „De Broglie Wellenlänge“ des Teilchens, d. h.
- 4. Es werden nur Teilchen betrachtet, deren Ablenkungswinkel α einem Impuls entsprechen, der innerhalb des vorgegebenen Impulsintervalls Δp (keine Zufallsgröße) des ersten Beugungsminimums auf der Impulsskala liegt. Formal sind das genau diejenigen Winkel α, für welche nach den elementaren Gesetzten der Trigonometrie die Ungleichung
- zutrifft.
Substituiert man in der Aussage 3. die Wellenlänge aus Punkt 2. so ergibt sich mit 4. die folgende Ungleichungskette
Beachtet man nun ausschließlich die Terme links und rechts in dieser Kette, so ergibt sich nach Multiplikation mit p·Δx die Ungleichung von Heisenberg:[1][4]
-
(2)
(Man beachte, dass in der historischen Herleitung am Einzelspalt von Heisenberg noch nicht das „>“-Zeichen verwendet wurde sondern „“.) Ein wesentlicher Unterschied der beiden Ungleichungen (1) und (2) liegt insbesondere in dem jeweilig zugrunde gelegten Messprozess. Bei der „Streuungs-Relation“ (1) bezieht sich die Messung der Streuungen σx und σp auf unterschiedliche Experimente, für die jeweils der gleiche Ausgangszustand der Wellenfunktion ψ vorausgesetzt wird. Daher ist es im Allgemeinen nicht möglich, in diesem Fall von einem Einteilchenexperiment zu sprechen; denn der Zustand ψ des Teilchens wird durch die erste am Objekt vorgenommene Messung bereits verändert (Reduktion der Wellenfunktion).
Der physikalische Inhalt der Relation (2) kann nicht vollständig durch die „Streuungs-Relation“ (1) abgedeckt werden.[5] Letzteres liegt einerseits an der Unterschiedlichkeit der jeweils zugrunde liegenden Messprozesse. Andererseits ist aber auch nicht für jeden Messprozess die Endlichkeit der Streuungen in der Relation (1) gewährleistet. In der oben angesprochenen Ortsmessung durch das Spaltexperiment ist beispielsweise die Verwendung der statistischen Streuung σp als Impulsungenauigkeit sinnlos, da deren Berechnung in diesem Fall einen unendlichen Wert ergeben würde.
Neben diesen beiden genannten Relationen existiert auch eine Unschärferelation zwischen Energie und Zeit. Die Zeitunschärfe Δt ist dabei jedoch nicht als statistische Streuung definierbar, da die Zeit in der (Standard-) Quantenmechanik ein Parameter und kein Operator ist. In dem hier betrachteten Zusammenhang versteht man unter Δt beispielsweise die kurze Beobachtungsdauer (Messdauer), die bei einer Energiemessung an einem Quantenobjekt vorgegeben wird. In diesem Fall wird die mögliche Genauigkeit ΔE bei der Messung durch die sogenannte Energie-Zeit-Unschärferelation[1][4]
(3)
begrenzt. Steht also für eine Energiemessung nur die Zeit Δt zur Verfügung, so kann die Energie des Objektes grundsätzlich nicht genauer als ΔE bestimmt werden. Auch für diese Art der Ungleichung gilt, dass ihre spezielle Form von dem jeweils zugrunde gelegten Messapparat abhängig ist.[6]
[Bearbeiten] Der Messprozess und Interpretationen
Die den Ungleichungen (1) und (2) zugrundeliegenden Messprozesse repräsentieren zwei unterschiedliche Interpretationen der Quantenmechanik. Man unterscheidet entsprechend die Ensemble-Interpretation, in welcher der Teilchenzustand ψ als eine Teilchengesamtheit im rein statistischen Sinn interpretiert wird und daher eine Aussage über ein ganzes System macht, und andererseits die Kopenhagener Deutung, bei welcher der Teilchenzustand ψ ein einzelnes Teilchen vollständig beschreibt.
[Bearbeiten] Die Ensemble-Interpretation
Ein „Ensemble“ ist die Gesamtheit aller identisch präparierten Teilchen. Das Präparationsverfahren gewährleistet dabei, dass die Teilchen der Stichprobe vor jeder Beobachtung (Messung) jeweils im gleichen Teilchenzustand ψ vorliegen. Sie dürfen in dem Experiment nicht miteinander wechselwirken, d. h. sie sind als unabhängig voneinander zu betrachten.
Im Rahmen dieser Interpretation ist folgendes Experiment möglich: Es wird eine Stichprobe der Größe N aus der Teilchengesamtheit des Zustandes ψ betrachtet und in zwei gleich große Teile zerlegt. An einem Teil der Stichprobe wird eine Eigenschaft gemessen, etwa den Ort x, und an dem anderen Teil der Stichprobe eine andere Eigenschaft, etwa den Querimpuls px. Mit diesen vielen Messwerten einer Eigenschaft, die man erhält, kann man nun Statistik betreiben. Man kann den Mittelwert und die Standardabweichung auf der Basis der Messwerte schätzen. Die Standardabweichung von Ort- und Impuls wird dann oft als σx und σp bezeichnet. In diesem Zusammenhang kann die Heisenbergsche Unschärferelation folgendermaßen als no-go Theorem formuliert werden:
- Es ist nicht möglich, auch nur ein einziges Ensemble in einem Zustand ψ so zu präparieren, dass bei der eben beschriebenen Ensemblemittelung
- wäre. Das heißt im Umkehrschluss, dass in wirklich allen Fällen das Resultat der Ensemble-Mittelung ≥ ħ/2 ist.
Dieses Theorem ist, bezogen auf das hier beschrieben Messverfahren, in der angegebenen Strenge genau dann gültig, wenn bei der statistischen Schätzung der Standardabweichungen σx und σp unendlich viele Messwerte berücksichtigt werden. Basiert die statistische Schätzung dieser Messgrößen nur auf endlichen Stichproben der Größe N, so wäre die Aussage des Theorems in dieser Strenge nicht gültig. Für sehr kleine Stichproben würde man sich sukzessive einem Einteilchenexperiment nähern, für welches die Ungleichung (1) keine Aussage macht.
Das Interessante an der Ensemble-Interpretation ist, dass in dieser Betrachtungsweise die Heisenbergsche Unschärferelation mathematisch klar und eindeutig formuliert werden kann. Außerdem ist diese Interpretation wissenschaftlich anerkannt und gilt derzeit als „Minimaltheorie“, der die meisten Wissenschaftler zustimmen. Zudem gelingt eine Verbindung von Theorie und Experiment. Schließlich sind σx und σp relativ einfach über die Standardabweichung definiert.
[Bearbeiten] Einteilchen-Interpretation (Kopenhagener Deutung)
Für eine empirische Prüfung der Ungleichung (2) im Rahmen von Einteilchenexperimenten, wie sie Bohr und Heisenberg in Kopenhagen diskutierten (vgl. Kopenhagener Deutung), ist beispielsweise die Ortsmessung am Einfachspalt geeignet (so.). Wählt man darin die Spaltbreite Δx bzw. die Impulsgenauigkeit Δp derart aus, dass sie der Ungleichung (2) widersprechen, so würde ein einziges erfolgreiches Messereignis (eine Registrierung) genügen um (2) zu falsifizieren. Dass eine solche Falsifikation möglich ist wurde von K. Popper 1934 in seinen erkenntnistheoretischen Abhandlungen zur Unbestimmtheitsrelation ausführlich erörtert.[7] In dem Einfachspaltexperiment ist beispielsweise die Wahrscheinlichkeit dafür, nach dem Passieren des Spaltes Δx den Impuls mit der Genauigkeit Δp zu registrieren formal durch
gegeben, wobei die Fourier-Transformierte des Teilchenzustandes
nach dem Spaltdurchgang im Ortsraum ist. Diese Wahrscheinlichkeit ist für alle Δp > 0 offensichtlich von Null verschieden. Popper folgert daraus, dass die Relation (2) nicht stringent im Rahmen der Quantentheorie hergeleitet werden kann[8] und fordert, dass (2) nur wahrscheinlichkeitstheoretisch überprüft werden darf, ebd., S. 167. Einen formalen Ausdruck, welcher eine empirisch prüfbare Wahrscheinlichkeitsaussage zu (2) macht, wird von Popper in seiner Abhandlung nicht angegeben. Im Rahmen der Quantentheorie ist es jedoch möglich, eine wahrscheinlichkeitstheoretische Ungleichung mathematisch stringent herzuleiten. Formal ergibt sich dabei die Ungleichung[9]
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-
(4)
-
wobei erf(·) die gewöhnliche Fehlerfunktion ist. Der Ausdruck P(Δp|Δx;ψ) bezeichnet die quantenmechanische Wahrscheinlichkeit für eine erfolgreiche Impulsmessung mit der Genauigkeit Δp, wenn zuvor eine Präparation des Ortes mit der Genauigkeit Δx erfolgte (vgl. Quantenmechanische Messung). Die Wellenfunktion ψ repräsentiert dabei einen beliebigen Teilchenzustand im Hilbertraum. Ist die Wahrscheinlichkeit P(Δp|Δx;ψ) beispielsweise nahezu Null, so lassen sich Messereignisse mit den dabei gewählten Genauigkeiten nur in sehr selten Fällen registrieren. Im umgekehrten Fall, wenn die Genauigkeiten Δx und Δp so vorgegeben werden, dass die Messwahrscheinlichkeit nahezu 1 ist, dann ist eine Registrierung bei der Impulsmessung fast immer möglich. Für ein einzelnes Teilchen besagt (4) also, wie die Wahrscheinlichkeit P(Δp|Δx;ψ) nach oben beschränkt ist. Es sei angemerkt, dass die Ungenauigkeiten Δx und Δp in (4) ausschließlich Eigenschaften des Messgerätes sind („Intervalle“) und mit dem beobachteten Teilchen nicht im Zusammenhang stehen. Betrachtet man beispielsweise diejenigen Messprozesse aus (2) für die ΔxΔp = h gilt, dann können gemäß (4) von den mit Δx präparierten Teilchen grundsätzlich nur höchstens 79% mit einem Impuls innerhalb der Genauigkeit Δp registriert werden, denn (vgl. die blaue Stufe in der Abbildung).
Eine empirische Prüfung von (4) ergibt sich wie folgt: Man betrachte eine Stichprobe von N Teilchen, die jeweils im gleichen Quantenzustand ψ sind. Für jedes der N Teilchen wird nach jeder Präparation des Ortes (z. B. durch einen Spalt) eine Impulsmessung vorgenommen. Die entsprechenden Genauigkeiten seien dabei Δx und Δp. Unter der Voraussetzung, dass N Teilchen den Spalt durchlaufen haben, wird die Anzahl n der erfolgreichen Impulsmessung ermittelt. Für große Stichproben N darf der Schätzer n/N für die Wahrscheinlichkeit P(Δp|Δx;ψ), nach dem Gesetz der großen Zahlen, die Schranke in Ungleichung (4) nie überschreiten.
Der Vorteil der Ungleichung (4) ist einerseits, dass sie eine Aussage über Wahrscheinlichkeiten macht und damit im Rahmen der Kopenhagener Deutung zu einer Klärung der heuristischen Ungleichung (2) beitragen kann. Andererseits läßt sich diese probabilistische Verallgemeinerung auch im Rahmen der Ensemble-Interpretation deuten und durch entsprechende Teilchenstrahlexperimente überprüfen.
[Bearbeiten] Verallgemeinerung und Herleitung
Die zuerst von Kennard mathematisch formulierte Ungleichung (1) wurde 1929 von Robertson formal verallgemeinert.[10] Mit dieser Verallgemeinerung lassen sich auch Unschärfebeziehungen zwischen weiteren physikalischen Größen angeben. Dazu gehören beispielsweise Ungleichungen bezüglich unterschiedlicher Drehimpulskomponenten, zwischen Energie und Impuls oder auch Ort und Energie. Im formalen Rahmen der Quantenmechanik kann man für zwei Observablen A und B allgemein die folgende Ungleichung formulieren[10]
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Hierbei sind A und B die den Observablen zugehörigen linearen, hermiteschen Operatoren. Der Ausdruck [A,B]=AB-BA bezeichnet den Kommutator von A und B und < C > ψ ist der Erwartungswert des Operators C im Teilchenzustand . Die Standardabweichungen σA und σB sind ebenfalls von der Wellenfunktion abhängig und werden weiter unten definiert.
Im Allgemeinen ist also die Mindestgröße des Unschärfeproduktes vom Kommutator und vom quantenmechanischen Zustand ψ abhängig. Das Produkt der Unschärfen kann daher durchaus den Wert Null annehmen, und zwar nicht nur dann, wenn die Observablen A und B miteinander vertauschen, sondern bei geeignetem ψ selbst dann, wenn dies nicht der Fall ist. Ort und Impuls, und andere sog. „komplementäre“ Observablenpaare, sind allerdings für alle ψ nicht-vertauschbar; andere in diesem Zusammenhang oft genannte Variable, die nicht miteinander vertauschen (z. B. zwei verschiedene Drehimpulskomponenten), sind aber nicht zueinander komplementär, weil ihr Vertauschungsprodukt keine Zahl, sondern ein Operator ist.
Vertauschbare Observable sind aber in jedem Fall, für alle ψ, gleichzeitig scharf messbar, da der Kommutator Null ist. Es handelt sich also um so genannte kompatible oder verträgliche Observablen.
Der formale Beweis der Ungleichung soll hier exemplarisch durchgeführt werden:
Die quadratische Standardabweichung einer Observablen A wird mithilfe einer Zustandsfunktion f definiert (analog wird für
und B vorgegangen, allerdings wird hier die Zustandsfunktion g definiert):
.
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Unter Verwendung der schwarzschen Ungleichung ergibt sich damit:
Dies ist bereits die Unschärferelation, welche aber noch in die gebräuchliche Form umgeformt werden muss. Eine komplexe Zahl z hat die Eigenschaft
,
wobei Re der Realteil und Im der Imaginärteil von z ist. Mit ergibt sich
Für die Größe gilt
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Auf die selbe Weise erhält man
.
Damit wird die Differenz aus der Ungleichung zu
,
also gerade zum Erwartungwert(!) des Kommutators. Damit erhält die Unschärferelation ihre bekannte Form
[Bearbeiten] Beispiele
1. Setzt man im vorhergehenden Kapitel A = x sowie B = p und verwendet, dass für den Kommutator von Ort und Impuls [x,p]=iħ gilt, so ergibt die Ungleichung von Robertson die Relation von Kennard. Die rechte Seite der Relation ist dabei unabhängig von der Wellenfunktion des Teilchens, da der Kommutator in diesem Fall eine Konstante ist.
2. Im Fall der Energie-Zeit-Unschärferelation lässt sich die Verallgemeinerung von Robertson nicht unmittelbar anwenden, da die Zeit in der Standard-Quantentheorie nicht als Operator definiert ist.
3. Die minimale Breite einer Tunnelbarriere kann über die Unschärferelation abgeschätzt werden. Betrachtet man ein Elektron mit der Masse me, welches eine Potentialdifferenz U durchtunnelt, so ergibt sich für die Ortsunschärfe und somit die minimale Breite der Tunnelbarriere
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Bei einer Potentialdifferenz von 100 mV, wie sie etwa bei der Rastertunnelmikroskopie vorkommt, ergibt sich aufgrund dieser Beziehung eine kleinste Tunnelbarriere von etwa 0,3 nm, was sich gut mit experimentellen Beobachtungen deckt.
[Bearbeiten] Siehe auch
- Quantenmechanische Messung
- Kopenhagener Deutung
- Casimir-Effekt
- EPR-Effekt
- Nullpunktsenergie
- Photonenwaage
- Vakuumfluktuation
[Bearbeiten] Literatur
- Werner Heisenberg, Gesammelte Werke. Herausgegeben von Walter Blum, Hans-Peter Dürr und Helmut Rechenberg. Piper Verlag, München 1984–1992. Springer Verlag, Heidelberg, Berlin, New York 1994.
- Werner Heisenberg, Der Teil und das Ganze. Piper Verlag, München 1969.
- Werner Heisenberg, Quantentheorie und Philosophie. Reclam, Stuttgart 1979.
[Bearbeiten] Originalarbeiten und Belege
- ↑ a b c d e Werner Heisenberg: Physikalische Prinzipien der Quantentheorie. S. Hirzel Verlag, Leipzig 1930.
- ↑ P. Busch, T. Heinonen, P. J. Lahti: Heisenberg's Uncertainty Principle. Phys. Rep. 452 (2007) 155–176. Online: [1]
- ↑ E. H. Kennard: Zeitschrift für Physik 44. (1927) 326
- ↑ a b c W. Heisenberg: Über den anschaulichen Inhalt der quantentheoretischen Kinematik und Mechanik. In: Zeitschrift für Physik. 43 1927, S. 172–198.
- ↑ J. B. M. Uffink, J. Hilgevoord: Uncertainty Principle and Uncertainty Relations. In: Foundations of Physics. Vol. 15, No. 9 (1985) 925–944.
- ↑ P. Busch: The Time-Energy Uncertainty Relation. In: J. G. Muga, R. Sala Mayato, I. L. Egusquiza: Time in Quantum Mechanics. Springer-Verlag, Berlin 2002, S. 69–98. 2nd rev. ed. 2007. [2]
- ↑ K. Popper: Logik der Forschung. Auflage 10. Tübingen 1994/1934.
- ↑ Bem.: Wäre eine mathematisch stringente Herleitung von (2) möglich, so gäbe es demnach eine experimentelle Falsifizierung der Quantentheorie.
- ↑ T. Schürmann: A Single Particle Uncertainty Relation. In: Acta Physica Polonica B. Vol 39 (2008) 587-597, Online.
- ↑ a b H. P. Robertson: The uncertainty principle. In: Physical Review 34. (1929) 573–574.
[Bearbeiten] Weblinks
- Alpha Centauri (Fernsehsendung): Was ist die Unschärferelation
- Alpha Centauri (Fernsehsendung): Welche Bedeutung hat die Unschärferelation
- Heisenbergsche Unschärferelation (Universität Ulm)
- Verständliche Herleitung für Leute mit Vorkenntnissen von Hendrik van Hees
- Jan Hilgevoord und Jos Uffink: Eintrag in der Stanford Encyclopedia of Philosophy (englisch, inkl. Literaturangaben)