Gerben
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Gerben bezeichnet die Verarbeitung von rohen Tierhäuten zu Leder. Dabei wird in einer Gerberei (Lederfabrik) durch den Einsatz von Gerbstoffen das Hautgefüge stabilisiert und damit Leder hergestellt. Es ist damit nah verwandt zur Kürschnerei. Wesentliche Merkmale einer Gerbung sind:
- irreversible Bindung der Gerbstoffe an die Haut - das heißt, das Leder kann ohne Zerstörung nicht mehr zurückverwandelt werden; das ist ein wesentlicher Unterschied zu Konservierungen, die weitgehend reversibel sind
- lederartiges Auftrocknen - rohe Haut trocknet hornartig, durchscheinend auf
- beständig gegen natürliche Selbstzersetzung durch Mikroorganismen
- starke Verminderung der Quellung beim Einlegen in Wasser
- Erhöhung der Beständigkeit beim Erhitzen im nassen Zustand (Schrumpfungstemperatur) - eine Haut von Säugetieren beginnt beim Erhitzen in Wasser bei ca. 62 °C zu verleimen, was durch eine deutliche Schrumpfung erkennbar ist; in Abhängigkeit von der Gerbung kann Leder Schrumpfungstemperaturen von über 100 °C erreichen; man spricht dann von kochgarem Leder.
Das Gerben ist eine der ältesten kulturellen Errungenschaften der Menschheit. Leder ist eines der ersten vom Menschen hergestellten Materialien.
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[Bearbeiten] Schritte des Gerbprozesses
Grundsätzlich muss unterschieden werden, ob die Haut zu Leder mit Haaren (Pelzgerbung oder Pelzzurichtung) oder ohne Haare (Ledergerbung) verarbeitet werden soll. Folgende Schritte sind bei der handwerklichen oder industriellen Lederherstellung üblich.
- Weiche
- Enthaaren und Auflockerung des Hautfasergefüges (Hautaufschluss)
- Entfleischen (mechanisches Entfernen des Unterhautbindegewebes)
- Spalten (bei dicken Häuten)
- Entkälkung
- Enzymatische Beize
- Entfettung (nur bei Hautarten mit viel Naturfett z. B. Schwein, Schaf)
- Vorbereitung auf die Gerbung (Pickel oder Vorgerbung)
- Gerbung
- Entwässern (Abwelken)
- Dickenregulierung (Falzen)
- Nasszurichtung (Bleichen, Nachgerben, Färben, Fetten)
- Entwässern und Strecken (Ausrecken)
- Trocknung
- Anfeuchten (Konditionieren)
- Weichmachen durch mechanische Bearbeitung (Stollen, Millen)
- Trocknen
- Oberflächenbehandlung (Trockenzurichtung)
Die Gerbung von Pelzfellen verläuft ähnlich:
- Weiche
- Entfleischen (mechanisches Entfernen des Unterhautbindegewebes)
- Wäsche - Entfettung
- Pickel
- Gerbung
- Fettung, eventuell Nachgerbung und Färbung
- Trocknung
- Konditionieren (Anfeuchten, Behandlung mit feuchten Sägespänen (Feuchtläutern))
- Weichmachen durch mechanische Bearbeitung (Stollen)
- Schleifen der Lederseite
- Trocknen
- Kämmen des Haarkleides
- Trockenläutern (Behandlung mit trockenen Sägespänen)
- Bügeln des Haarkleides
Die urtümliche Lederherstellung bei Naturvölkern war ähnlich - im Rahmen der lokalen beziehungsweise historischen Möglichkeiten - organisiert. Die typischen Arbeitsgefäße für die Nassprozesse sind das Fass bei der Lederherstellung und die Haspel bei der Pelzzurichtung.
[Bearbeiten] Die Tierhaut
Sie besteht aus den drei Lagen Ober-, Leder- und Unterhaut. Ober- und Unterhaut werden mechanisch entfernt und die mittlere Lederhaut weiterverarbeitet. Diese besteht zu 1/3 aus Eiweiß (Kollagen) und Wasser. Die Gerbung soll verhindern, dass beim Trocknen die Strukturelemente des Kollagens (Fibrillen) durch die Oberflächenspannung des Wassers verkleben und die Lederhaut hornartig auftrocknet. Bei der Gerbung werden die Fibrillen von den Gerbstoffen durch Querverbindungen vernetzt.
[Bearbeiten] Die Vorbereitung
Nach dem Häuten werden die Rohhäute zunächst getrimmt (beschnitten, zugeschnitten). Dadurch werden Teile entfernt, die zur Lederherstellung nicht geeignet sind (wie z. B. Geschlechtsteile). Danach muss die Haut schnellstmöglich konserviert werden, um den organischen Verfall aufzuhalten und qualitative Schäden zu vermeiden. Dies geschieht meistens durch Salzen. In Regionen, wo die Entfernungen und die Lieferketten es zulassen, werden die Häute auch durch Kühlung kurzzeitkonserviert und damit auf Salz verzichtet. In manchen Regionen, in denen Salz knapp ist und es das Klima zulässt, werden Häute und Felle auch noch getrocknet.

Nach dem Transport durchläuft die Haut die Wasserwerkstatt, in deren Verlauf die nicht ledergebenden Bestandteile (Haare, Unterhautbindegewebe, Fett und unstrukturierte Eiweiße) entfernt werden.
* 1. Weiche, Äscher Ziel: Hautaufschluss, Enthaarung - Entfernung der Oberhaut Beim ersten Arbeitsgang, der Weiche wird die Haut in Wasser eingelegt, damit sie gereinigt und auf den ursprünglichen, natürlichen Wassergehalt gebracht wird. Anschließend wird die Haut einige Stunden bis Tage in den Äscher eingelegt. Im traditionellen Verfahren verwendete man dafür meist nur Kalkmilch. Heute geschieht der Prozess meist im hochalkalischen Bereich mit Kalk und Sulfiden und / oder Enzymen, wodurch die Enthaarung wesentlich beschleunigt wird. Je intensiver der Hautaufschluss, desto weicher wird das fertige Leder.
* 2. Entfleischen, Spalten, Streichen. Beim Entfleischen wird die Unterhaut mechanisch entfernt, so dass schließlich nur noch die Lederhaut übrig bleibt. Früher wurde das händisch am Gerberbaum durchgeführt - siehe Bild. Heute wird der Arbeitsgang maschinell ausgeführt. Beim Spalten wird die Lederhaut horizontal über die ganze Fläche durchgeschnitten. Man erhält den Narbenspalt mit der Papilarschicht und der Retikularschicht, und den Fleischspalt, der nur aus Retikularschicht besteht.
* 3. Entkälken, enzymatische Beize, Entfettung Durch die starke alkalische Behandlung des Äschers quillt die Haut stark auf. Beim Entkälken werden die Äscherchemikalien aus der Haut entfernt, der pH-Wert wird weitgehend neutralisiert, und die Haut erhält ihren natürlichen Quellungszustand. Dadurch können die nachfolgenden Chemikalien und Gerbstoffe in die Haut eindringen. Wenn man ein weiches Leder herstellen möchte, wird die so genannte Blöße mit Enzymen einer Beize unterzogen. Rohware mit viel Naturfett erhält noch eine besondere Entfettung mit Tensiden.
[Bearbeiten] Das eigentliche Gerben
Vor dem Gerben erfolgt meist der sogenannte Pickel. Das ist ein Bad, das aus Wasser, Salz und Säure besteht. Es soll die Haut sauerstellen, was später für den gleichmäßigen Gerbstofftransport durch die Haut sorgt. Danach kann mit der eigentlichen Gerbung begonnen werden. Dabei werden die Häute mit tierischen, mineralischen oder pflanzlichen Gerbstoffen behandelt und dadurch haltbar gemacht und in ihre chemischen und physikalischen Eigenschaften verändert.
Der Gerbungsprozess besteht aus drei Phasen: dem Quellen des Kollagen, dem Eindringen und Durchdringen des Gerbextrakts und dessen Fixierung.
Bei der dominierenden Chromgerbung vernetzen basische Chrom-(III)-Komplexe benachbarte Fibrillen. Weiter Mineralgerbstoffe sind Aluminiumsalze (Alaun) und Zirkonsalze. Bei der pflanzlichen Gerbung werden die Fibrillen von Polyphenolen aus Blättern, Wurzeln und Früchten vernetzt. Der vegetabilen Gerbung ähnlich ist die Gerbung mit synthetischen Gerbstoffen (Syntane). Bei der Fett- und Aldehydgerbung reagieren Aldehyde mit dem Kollagen. Es gibt verschiedene Arten der Gerbstoffverbindung mit der Haut. Die Ionenbindung (bei Gerbsalzen), die Wasserstoffbrückenbindung (bei pflanzlichen Gerbstoffen), die Komplexbindung (z. B. bei Chromgerbstoffen), aber auch die sehr stabile Atombindung. Neben der Bindung werden Gerbstoffe im Überschuss zwischen den Kollagenfasern eingelagert.
Im klassischen Verfahren der Alt-Grubengerbung mit rein pflanzlichen Gerbstoffen und einer Gerbzeit von mehr als 12 Monaten im Farbengang, das die natürlichste Art der Ledergerbung darstellt, entstehen hochwertige Bodenleder mit extrem langer Haltbarkeit.
Nach Abschluss der Gerbung werden die Leder dann je nach Verwendungszweck nachgegerbt, gewaschen, gefärbt und gefettet. Nach der Trocknung kann zur Steigerung der Gebrauchsfähigkeit noch eine Oberflächenbehandlung mit Zurichtmitteln erfolgen.
[Bearbeiten] Gerbverfahren
Bei der pflanzlichen Gerberei (vegetabile Gerbung, Lohgerberei) werden Eichen- oder Fichtenrinden, Auszüge aus Quebracho-, Kastanien- oder Eichenholz, Mimosa-, Sumach- und andere Holz- bzw. Rindengerbstoffe zur Gewinnung der Gerberlohe eingesetzt. Aus dieser Nutzung entstanden die Lohwälder. Die pflanzlichen Gerbmittel werden in einer Lohmühle gemahlen. Der verwendete Sud wird auch Brühe oder Extrakt genannt.
Man unterscheidet folgende Arten der Gerberei:
- Lohgerberei oder Rotgerberei (mit pflanzlichen Stoffen)
- Sämischgerberei (mit tierischen Fetten - Trane)
- Mineralgerberei (mit mineralischen Stoffen, Aluminium, Chrom, Zirkon, Eisen):
- die Weißgerberei
- die eigentliche Weißgerberei (Alaun und Kochsalz)
- die ungarische Weißgerberei (Alaun und Kochsalz, Fett)
- die französische, Erlanger oder Glacégerberei (Alaun, Kochsalz, Mehl, Eidotter)
- die Pelzgerberei
- die Chromgerberei
- die Eisengerberei (konnte sich in der Praxis nicht durchsetzen)
- die Weißgerberei
Die meisten Bekleidungsleder werden heute mittels Chromgerbung verarbeitet. Dadurch entstehen reißfeste, schweiß- und hitzebeständige Leder.
[Bearbeiten] Geschichte
Aufgrund der schnellen Verrottung von organischen Materialien im Boden ist die Fundlage bei Ledergegenständen äußerst gering. Da Leder jedoch aufgrund der Verwendung tierischer Produkte zu den ältesten verwendeten Werkstoffen gehört, kann man die Anfänge der Gerberei sicherlich in die Steinzeit datieren. Mit der Entdeckung des Feuers wurde sehr schnell die gerbende Wirkung des Rauches bekannt. Zu den ältesten atkiven Gerbmethoden gehört vermutlich die Sämischgerbung, da die Möglichkeit einer zufälligen Entdeckung des Prozesses wahrscheinlich ist. Bei den Römern waren als Gerbmaterialien Kiefer-, Erlen- und Granatbaumrinde, Galläpfel, Sumach, Eicheln und bei den Ägyptern die Schoten einer Akazie gebräuchlich; doch benutzte man auch Alaun mit Salz. Bis in die neueste Zeit hinein hat sich die Gerberei ganz empirisch entwickelt, die Fortschritte der Naturwissenschaft gingen spurlos an ihr vorüber; sie stützt sich ganz auf praktische Erfahrung. Aus dem Frühmittelalter gibt es einige wenige Funde sämisch- und lohgegerbten Leders.
Im Mittelalter erreichten die Gerbereien oft eindrucksvolle Größen. Allerdings mussten sich ihre Betreiber in den Städten in eigene Viertel zurückziehen: Die Herstellung von Leder war ein schmutziges und buchstäblich anrüchiges Gewerbe, daher war die Gerberei eine gesellschaftlich nicht sehr anerkannte und gefährliche Arbeit. Der Umgang mit der faulenden Haut und den (giftigen) Chemikalien setzte extremen Gestank frei, außerdem konnte man sich leicht mit Milzbrand und anderen Krankheiten infizieren. Ein Arbeiter, der Milzbrand überlebt hatte, war sehr wertvoll und genoss eine bessere Behandlung durch seinen Arbeitgeber. Die Gerber (auch Lohgerber, Löher, Loher) gehörten zu den unreinen Handwerken. In manchen Städten erinnert die Löhergasse an ihr Handwerk.
Das Gerben mit Galläpfeln bildete sich als die Methode des Orients, das Gerben mit Eichenlohe als die des Occidents, das Gerben mit Alaun als die der Sarazenen heran. Die Gerbtechniken des Altertums und des Mittelalters haben sich kaum unterschieden.
Eine große, sprunghafte Steigerung von Gerbhandwerk mit langen Gerbzeiten in eine rationell arbeitende Gerbindustrie setzte im 19.Jahrhundert ein. Mitte des 19. Jahrhunderts war das Lederhandwerk noch drittgrößter Gewerbezweig im Deutschen Reich. Die Berliner Lohgerberei gewann seit 1734 durch französische Einwanderer bedeutende Ausdehnung und Vervollkommnung. Die zuerst in Frankreich mit Erfolg betriebene Lacklederfabrikation pflanzte sich bald nach Deutschland fort, ebenso das Weißgerben von Ziegen-, Lamm- und Schaffellen, welches anfänglich ein besonderer Industriezweig der Stadt Annonay und ihrer Umgegend war. Später wetteiferten Engländer und Amerikaner in der Ausbildung der Schnellgerberei. 1861 wurde das erste mineralische Gerbverfahren patentiert. Größere praktische Bedeutung gewann die Mineralgerberei aber erst in neuester Zeit, namentlich auch durch die Bemühungen von Heinzerling, welcher zuerst chromgares Leder darstellte.
[Bearbeiten] Museen
- Lohgerbermuseum Dippoldiswalde
- Gerberei-Museum Enger
- Museum für Gerberei- und Stadtgeschichte Hirschberg
- Gerbereimuseum Malmö
- Gerberei Bremer aus Moers im Niederrheinischen Freilichtmuseum
- Gerbereimuseum in Calw
- Weißgerbermuseum in Doberlug-Kirchhain
- Leder- und Gerbermuseum in Mülheim an der Ruhr
- Gerbereimuseum in Weida
[Bearbeiten] Literatur
- Moog, Gerhard E.: Der Gerber. Handbuch für die Lederherstellung, Ulmer (Eugen), Stuttgart, 2005, ISBN 3800112280.
- Helmut Ottiger, Ursula Reeb: Gerben : Leder und Felle, Ulmer (Eugen), 2004, ISBN 3800146517.
- Süskind, Patrick: Das Parfüm, Diogenes Verlag, 46. Auflage, 2000, ISBN 3257228007.
[Bearbeiten] Weblinks Museen
- Museum in Enger
- Lohgerbermuseum Dippoldiswalde
- Weißgerbermuseum Doberlug-Kirchhain
- Leder- und Gerbermuseum Mülheim an der Ruhr