Göbekli Tepe
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Göbekli Tepe (dt. „Berg mit Nabel“) ist ein Bergheiligtum, das mit ca. 11.500 Jahren die älteste derzeit bekannte Tempelanlage der Welt ist und wahrscheinlich noch vor der Sesshaftigkeit des Menschen von Wildbeutern errichtet wurde. Sie befindet sich auf dem höchsten Punkt eines langgestreckten Bergzugs etwa 15 km nordöstlich der Stadt Şanlıurfa im Südosten der heutigen Türkei und wird derzeit von deutschen und türkischen Archäologen gemeinsam freigelegt.
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[Bearbeiten] Die Entdeckung
Göbekli Tepe war bereits seit Anfang der 1960er Jahre als archäologische Stätte verzeichnet, aber in seiner Bedeutung noch nicht erkannt worden. Der amerikanische Archäologe Peter Benedict hatte sie als möglichen steinzeitlichen Platz erwähnt. Seit 1994 führt das Deutsche Archäologische Institut (DAI) in Zusammenarbeit mit dem Museum Şanlıurfa unter der Leitung des Archäologen Klaus Schmidt Ausgrabungen und Forschungen durch. Vor Beginn der Grabungen wurde der Hügel landwirtschaftlich genutzt: Generationen von Bauern hatten immer wieder störende ‚Steinbrocken‘ beseitigt und zu großen Haufen aufgeschichtet. Manches wurde dabei aus Unkenntnis zerstört. Die Archäologen erkannten, dass es sich bei dem prominent herausragenden Hügel nicht um eine natürliche Erhebung handeln konnte, später entdeckte man T-Pfeiler. Bauern hatten offenbar versucht, diese großen Steine zu zerschlagen.
[Bearbeiten] Die Anlage
Die mächtige Schichtenfolge lässt auf eine mehrtausendjährige Geschichte des Platzes schließen, die vielleicht bis in die Mittelsteinzeit zurückreicht. In der ältesten Siedlungsschicht (Schicht III) kamen monolithische Pfeiler zum Vorschein, die mit grob geschichteten Mauern zu kreisförmigen oder ovalen Anlagen verbunden waren. In der Mitte der Anlagen stehen jeweils zwei noch größere Pfeiler.
Bisher wurden vier solcher Gebäude mit Durchmessern zwischen 10 und 30 m entdeckt. Geophysikalische Untersuchungen lassen 16 weitere Anlagen vermuten. Mehrere aneinander grenzende rechtwinklige Räume mit Estrich aus geschliffenem Kalk, der an Terrazzoböden der römischen Antike erinnert, gehören zur jüngeren Schicht II (Präkeramisches Neolithikum B). Die jüngste Schicht besteht aus Sedimenten, die durch Erosion und durch die landwirtschaftliche Nutzung entstanden sind.
Die Monolithe sind mit Tierreliefs oder abstrakten Piktogrammen verziert. Diese Zeichen stellen zwar kaum eine Schrift dar, aber vielleicht allgemein verständliche heilige Symbole, wie man sie auch in jungsteinzeitlichen Höhlenmalereien gefunden hat. Einige Pfeiler, die sogenannten T-Pfeiler, haben auch Arme, was darauf schließen lässt, dass es sich um stilisierte Menschen handelt. Die sehr sorgfältig bearbeiteten Reliefs zeigen Löwen, Stiere, Keiler, Füchse, Gazellen, Schlangen, andere Reptilien und Vögel. Ob die Schöpfer dieser Werke damit nur die Tierwelt ihrer Umgebung abbilden wollten oder mythische Wesen (worauf vielleicht die Arme hindeuten), bleibt offen. Ebenso unklar ist die Bedeutung der Piktogramme.
[Bearbeiten] Bisherige Ergebnisse
Gerade einmal 1,5 % des gesamten Areals wurden freigelegt, und nur bei der zweiten Anlage (Anlage B) von Schicht III wurde das Fußbodenniveau erreicht. Auch dabei kam ein Terrazzoboden zum Vorschein.
Die bisherigen Grabungen erbrachten kaum Hinweise auf Wohnnutzung. Mit der Radiokarbonmethode konnte das Ende von Schicht III auf etwa 9000 v. Chr. datiert werden, die Anfänge werden derzeit auf mindestens 11000 v. Chr geschätzt. Schicht II datiert in die Zeit um 8000 v. Chr.
Um 9000 v. Chr. stand die neolithische Revolution, also der Beginn von Ackerbau und Viehzucht, noch bevor. Der Bau der Anlage erforderte aber bereits komplexere Organisation. Die Archäologen schätzen, dass bis zu 500 Menschen nötig waren, um die 10–20 t (im Einzelfall auch 50 t) schweren Pfeiler in den Steinbrüchen der Umgebung zu brechen und 100–500 m weit zu transportieren. Für die Ernährung wurde vermutlich Wildgetreide intensiver genutzt als bisher, vielleicht auch schon gezielt angebaut. Wohngebäude wurden bislang keine gefunden, wohl aber „Sondergebäude“, die wahrscheinlich für rituelle Zusammenkünfte genutzt wurden. Zu Anfang des 8. Jahrtausends v. Chr. verlor der Nabelberg seine Bedeutung. Ackerbau und Viehzucht stellten das Leben auf eine neue Grundlage. Die Anlage ist aber nicht einfach in Vergessenheit geraten und im Laufe der Zeit durch die Kräfte der Natur verschüttet worden. Sie wurde vielmehr planmäßig mit 300–500 m3 Erde zugeschüttet. Warum dies geschah, ist unklar, aber es hat die Monumente der Nachwelt erhalten.
Die gesamte Anlage wirft noch mehr Fragen auf, als sie den Archäologen und Frühgeschichtlern beantwortet. So ist auch unklar, warum innerhalb der Heiligtümer nachträglich immer wieder Mauern eingezogen wurden.
[Bearbeiten] Deutung und Bedeutung
Göbekli Tepe gilt als Jahrtausendfund. Offensichtlich waren nicht nur sesshafte Bauern, sondern bereits Jäger und Sammler in der Lage, monumentale Kultanlagen zu errichten – oder wie es Klaus Schmidt in seinem Grabungsbericht formulierte: „Zuerst kam der Tempel, dann die Stadt“. Diese revolutionäre These muss durch zukünftige Grabungen bestätigt oder modifiziert werden. Klaus Schmidt hält die Anlage für einen zentralen Ort für den Totenkult. Die Bestien auf den Tierskulpturen sollten die Toten beschützen. Gräber sind allerdings noch nicht gefunden worden. Er geht davon aus, dass die Tempel bereits mit dem aufkeimenden Neolithikum verbunden waren. Göbekli Tepe befindet sich mit einigen anderen neolithischen Fundorten im Umkreis des Gebietes, in dem Genetiker den Ursprung unseres Kulturgetreides (siehe auch Einkorn) zu finden glauben, dem Berg Karacadağ. Diese Wissenschaftler vermuten dort den Ursprung der neolithischen Revolution, bzw. die ersten Ackerbauern. Klaus Schmidt und andere glauben, dass die dort umherstreifenden Gruppen kooperieren mussten, um die frühen Wildgetreidevorkommen vor den Wildtieren (Herden von Gazellen und Wildeseln) zu schützen. So entstand eine frühe gesellschaftliche Organisation diverser Gruppen rund um die Heiligtümer. Nach Klaus Schmidt begann die neolithische Revolution nicht im kleinen Hausgarten, sondern sogleich im großen Stil gemeinschaftlicher Organisation.[1]
Nicht nur die riesige Dimension, auch das Nebeneinander von „Pfeilerheiligtum an Pfeilerheiligtum“ macht die Anlage einzigartig. Es gibt keine vergleichbaren Großbauten aus dieser Zeit: Nevalı Çori, eine steinzeitliche Siedlung, die seit 1992 am Grund des Atatürk-Stausees begraben liegt, und ebenfalls durch das DAI untersucht wurde, ist um 500 Jahre jünger, die dort gleichfalls gefundenen T-Pfeiler sind bedeutend kleiner, und das Heiligtum befand sich inmitten eines Dorfes; die etwa zeitgleiche Bebauung von Jericho ist ohne künstlerischen Schmuck und großformatige Skulpturen; Çatalhöyük ist 2000 Jahre jünger.
[Bearbeiten] Mythologische Betrachtungen
Der Entdecker Klaus Schmidt stellt Überlegungen zu der Glaubenswelt dieser frühen Gruppen anhand von Vergleichen mit anderen Kult- und Fundplätzen an. Er geht von schamanischen Praktiken aus und hält die T-Pfeiler für die Verkörperung mythischer Wesen, vielleicht von Ahnen; während sich ein ausgeprägter Götterglaube vermutlich erst in Mesopotamien, verbunden mit großen Tempelanlagen und Palästen, herausbildete. Dazu passt gut die Überlieferung der Sumerer an den alten Glauben, der Ackerbau, sowie Viehzucht und Webkunst seien von dem heiligen Berg Du-Ku zu den Menschen gebracht worden. Dort lebten die Anunna-Götter. Sie waren Götter aus einer sehr alten Zeit ohne individuelle Namen. Für Klaus Schmidt ist es eine schöne Vorstellung, dass dieser Ur-Mythos im alten Orient die Erinnerung an das Neolithikum auf diese Weise bewahrt hat.
Koordinaten: 37° 13' 22.81" N, 38° 55' 20.51" O
[Bearbeiten] Literatur
- Badisches Landesmuseum Karlsruhe (Hrsg.): Vor 12.000 Jahren in Anatolien. Die ältesten Monumente der Menschheit. Begleitbuch zur Ausstellung im Badischen Landesmuseum vom 20. Januar bis zum 17. Juni 2007. Theiss, Stuttgart 2007, ISBN 978-3-8062-2072-8
- DVD-ROM: MediaCultura (Hrsg.): Vor 12.000 Jahren in Anatolien. Die ältesten Monumente der Menschheit. Theiss, Stuttgart 2007, ISBN 978-3-8062-2090-2
- Klaus Schmidt: Sie bauten die ersten Tempel. Das rätselhafte Heiligtum der Steinzeitjäger. München 2006, ISBN 3-406-53500-3
- Klaus-Dieter Linsmeier & Klaus Schmidt: Ein anatolisches Stonehenge. In: Moderne Archäologie. Spektrum-der-Wissenschaft-Verlag, Heidelberg 2003, S. 10-15, ISBN 3936278350
- Klaus Schmidt: Göbekli Tepe, Southeastern Turkey. A preliminary Report on the 1995–1999 Excavations. In: Palèorient CNRS Ed., Paris 26.2001,1, 45–54, ISSN 0513-9345
- Klaus Schmidt: Frühneolithische Tempel. Ein Forschungsbericht zum präkeramischen Neolithikum Obermesopotamiens. In: Mitteilungen der deutschen Orient-Gesellschaft 130, Berlin 1998, 17–49, ISSN 0342-118X
- K. Pustovoytov: Weathering rinds at exposed surfaces of limestone at Göbekli Tepe. In: Neo-lithics. Ex Oriente, Berlin 2000, 24–26 (14C-Dates)
- J. E. Walkowitz: Quantensprünge der Archäologie. In: Varia neolithica IV. Beier und Beran, Langenweissbach 2006, ISBN 3-937517-43-X
[Bearbeiten] Weblinks
- Sonderausstellung des Badischen Landesmuseums Karlsruhe bis Juni 2007, u.a. mit Originalstücken und rekonstruierten Stelen
- Ein frühneolithisches Bergheiligtum im südosttürkischen Taurusvorland (DAI)
- GÖBEKLI-TEPE Südanatolien/Türkei
- Der Steinzeit-Tempel vom Göbekli-Tepe
- ZDF-Terra X- Der Jahrtausendfund Kultstätte in Ostanatolien
- ArchaeNova e.V. Verein zur Förderung Prähistorischer Archäologie
- „Die ältesten Tempel der Welt. Die Schamanen von Göbekli Tepe“, SZ, 10. März 2006
- Suche nach dem Garten Eden: Archäologie und Theologie
- Berliner Morgenpost: Nachrichten aus der Steinzeit [1]
- Geo: Die ersten Tempel [2], 01/08
[Bearbeiten] Fußnoten
- ↑ Klaus-Dieter Linsmeier: Eine Revolution im großen Stil. Interview mit Klaus Schmidt. In: Abenteuer Archäologie. Kulturen, Menschen, Monumente. Spektrum der Wissenschaft, Heidelberg 2006, 2, ISSN 1612-9954