Deutschpunk
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Deutschpunk (nicht mit Punk aus Deutschland oder deutschsprachigem Punk gleichzusetzen) bezeichnet einen Stil der Punkmusik, der Anfang der 1980er Jahre entstand. Deutschpunk zeichnet durch einfachste Produktion der Musik, einfache Songstrukturen und radikal gesellschaftskritische Texte aus. Der auf dem Schlagzeug gespielte Grundrhythmus ist meist ein einfacher Zwei-Viertel-Takt, der im Szenejargon als „Uffta-Uffta“ bezeichnet wird. Die Lieder sind meist nach dem Schema Strophe-Refrain-Strophe aufgebaut.
Vor Aufkommen dieses Begriffs wurde dieser Stil als Hardcore bezeichnet und teilweise auch für Punkbands ohne die bei den ursprünglichen Bands üblichen Rock-’n’-Roll-Elemente genutzt, die heutzutage nicht mehr unter diese Bezeichnung fallen würden oder heutzutage meist als Deutschpunk bezeichnet werden. So heißt es auf der Rückseite der Wiederveröffentlichung des „H'Artcore“-Samplers:
„Der etwas seltsame Titel ergibt sich aus dem Namen des damaligen Labels H´Art und dem 1981 noch neuen Begriff Hardcore, welcher in jener Zeit für härteren, schnelleren Punk wie hier auf dem Sampler stand (den Ausdruck Deutschpunk gab es noch nicht). Tja, so war das damals...“
– Rückseite des „H'Artcore“-Samplers von 1981 in der wiederveröffentlichten Version von Teenage Rebel Records
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[Bearbeiten] Geschichte
In England hatte die Punkmusik 1978 ihren populären Höhepunkt. Die Sex Pistols standen in den Charts auf den ersten Plätzen. Dies hinterließ auch in Deutschland seine Spuren. Die ersten deutschen Punkbands veröffentlichten ihre Platten.
Während die Strassenjungs aus Frankfurt zu diesem Zeitpunkt noch eine reine Geburt der Plattenindustrie waren (CBS, 1977), die Hamburger Big Balls and the Great White Idiot (Rüssel Records, 1978) sich noch fast zu 100% an den Sex Pistols orientierten, sangen Male aus Düsseldorf (1976) schon ihre Texte auf Deutsch, klangen aber auch noch stark nach britischen Bands wie The Clash.
Zu diesem Zeitpunkt gab es, zumindest in Deutschland, für Musiker kaum Möglichkeiten, neben dem Musikbusiness Platten zu veröffentlichen. Auch die Auftritte und Musikpresse boten wenig Alternativen. In den Jahren von Wackersdorf, Startbahn West und Anti-AKW-Bewegung, entstanden die ersten Punkbands, die (fast) ausschließlich Deutsch sangen, ihre Wurzeln in politischen Bewegungen hatten oder zumindest mit ihnen sympathisierten. Gleichzeitig boten besetzte Häuser und autonome Zentren, die damals in fast jeder Stadt entstanden, Möglichkeiten, aufzutreten. So entwickelte sich in Städten mit Zentren, deren Ausrichtung weniger politisch als kulturell waren - Düsseldorf (Ratinger Hof), Hamburg (Markthalle), Berlin (KOB, SO 36) - sehr aktive musikalische Bewegungen.
Ab ca. 1980 kristallisierten sich daraus mehrere musikalische Richtungen. Einerseits gab es, gerade in Düsseldorf, eine Bewegung hin in Richtung elektronischer Musik, die anfänglich noch mit Punkbands zusammen auftraten, aber immer mehr als intellektuelle Studentenbands geschmäht wurden (viele von diesen Bands kann man als Vorgänger der Technomusik bezeichnen - z.B. DAF, Der Plan). Andere deutschsprachige Bands wie Fehlfarben oder Ideal, standen in einer Reihe mit Trio, gelten also als Wegbereiter für die Neue Deutsche Welle. Ihre Musik war zwar vom Punk beeinflusst, aber mehr am Mainstream orientiert.
Für die damals junge Punkszene waren diese Bands nicht radikal genug, und es entstanden eine Reihe von Bands, für die sich später der Begriff Deutschpunk entwickelte. Die Musik war noch einfacher als die der damaligen britischen Bands (die zu diesem Zeitpunkt längst schon von den großen Plattenlabels beherrscht wurden) - drei Akkorde, einfache Rhythmen mit parolenhaften Texten. Die Texte waren meistens politisch, oft linksradikal und wurden auch, wie z.B. bei Slime, wegen Verfassungsfeindlichkeit zensiert. Auch thematisierten sie das „No-Future“-Gefühl der frühen Achtziger, entweder durch destruktiven Nihilismus oder die totale Verweigerung der gesellschaftlichen Normen.
Anhänger des Deutschpunks waren in den Jahren 1982 bis 1985 in vielen Fußgängerzonen ein Ärgernis. Die bekannten Chaostage entstanden um diese Zeit in Wuppertal und hatten ihren ersten Höhepunkt 1983 in Hannover.
Während die Musiker überwiegend aus der gesellschaftlichen Mittelschicht stammten, waren im Gegensatz dazu große Teile des Publikums und das Umfeld, in dem es sich bewegte, der soziale gesellschaftliche Rand (auch wenn sich nicht wenige dazu erst selbst machten), der nach außen hin aggressiv und destruktiv auftrat.
Um 1983 veröffentlichten die Labels AGR (Aggressive Rockproduktionen, Berlin) und Weird System (Hamburg) Platten, die zu den Meilensteinen des Deutschpunks zählen. Bands wie Slime, Razzia, Neurotic Arseholes, Canal Terror, Toxoplasma und Daily Terror, die auch heute noch teilweise aktiv sind, prägten damals mit ihren eingängigen und wütenden Texten diesen Musikstil.
Gewalt, aber auch Alkohol- und andere Drogenexzesse, waren (und sind teilweise noch immer) ein ständiger Begleiter dieser Bewegung. Die damit einhergehende Destruktivität führte dazu, dass immer mehr, gerade der aus bürgerlichen Kreisen kommenden Anhänger, sich vom Deutschpunk distanzierten und anfeindeten. Begriffe wie Pennerpunks oder Siffpunks wurden zu Synonymen für die Anhänger von Deutschpunk.
Um 1985/1986 wendete sich daher der aktive Teil der Punkbewegung - also der Teil, der Konzerte organisierte, Fanzines herausbrachte oder Musiklabels gründete - dem gerade in Deutschland populär werdenden amerikanischen Hardcore zu, so dass ab 1985 die Bedeutung von Deutschpunk und auch von allgemein deutschsprachigen Punkbands stark nachließ. Um 1987 gab es nochmals eine Welle des so genannten Fun-Punk, der schnell von großen Labels, aber auch der Bravo, vereinnahmt wurde, aber nicht lange dauerte.
Die wenigen Punkbands, die in dieser Zeit deutsch sangen, wurden immer unpolitischer und orientierten sich eher an den britischen Oi!-Bands (eine Bewegung, die in der Skinheadszene entstand). Um das Fanzine Scumfuck - das sich regelrechte (Schreib-)Kriege mit dem Trust oder Zap, die von Anhängern der Hardcore-Bewegung herausgegeben wurden, führte - entwickelte sich so eine neue Welle, die sich aber sowohl textlich als auch in ihrer gesellschaftlichen Einstellung eher unpolitisch gab.
Nach der Wiedervereinigung gab es gerade für ostdeutsche Punks, die ja nie die Möglichkeit hatten, an die Platten zu gelangen, einen großen Nachholbedarf. Bands wie Slime, Toxoplasma und Ausbruch formierten sich neu und veröffentlichten, teilweise sehr erfolgreich, neue Tonträger. Labels wie Nasty Vinyl, Impact, Suppenkazper oder Höhnie Records konnten von dieser Welle profitieren und warfen unzählige Bands auf den Markt.
Vorbild war die Reihe Sicher gibt es bessere Zeiten, doch diese war die unsere (ab 1990, Höhnie Records), die Bands aus Ostdeutschland vereinigte und so einerseits den ostdeutschen Punks die Möglichkeit gab, ihre Bands endlich auf Tonträgern zu erwerben (in der DDR war es als Punkband nahezu unmöglich, Tonträger zu produzieren, selbst Audiokassetten waren sehr teuer) und anderseits westdeutschen Punks die Entwicklung der anderen Seite der Mauer zu entdecken. Bis zu diesem Zeitpunkt gab es lediglich Veröffentlichungen von L’Attentat (Leipzig) und Schleimkeim (als Saukerle) in Westdeutschland, die unter sehr konspirativen Umständen entstanden waren. Lediglich ab 1989 wurden im Zuge der Deeskalationspolitik der SED einige wenige Punkbands auf Amiga produziert, z.B. Die Skeptiker und Feeling B, die in der Szene dann auch dementsprechend umstritten waren. Aber auch westdeutsche Punkbands wie Die Toten Hosen wurden über Amiga in der DDR veröffentlicht.
Im Zuge dieser Entwicklung entstand eine Renaissance des Deutschpunks, und Bands wie Slime spielten wieder in großen Hallen (wie schon Anfang der Achtziger) vor mehreren tausend Zuschauern.
[Bearbeiten] Literatur
(Nach Erscheinungsdatum aufgelistet)
- Paul Ott und Hollow Skai (Hgg.): Wir waren Helden für einen Tag. Aus deutschsprachigen Punk-Fanzines 1977-1981, Reinbek bei Hamburg, 1983, ISBN 3-499-17682-3
- Martin Büsser: If the kids are united. Von Punk zu Hardcore und zurück, (5., überarb. u. erw. Aufl.), 1995, ISBN 3930559196
- Moses Arndt: Chaostage, Ventil Verlag, 1998, ISBN 3930559544
- Gilbert Furian, Nikolaus Becker: Auch im Osten trägt man Westen. Punks in der DDR - und was aus ihnen geworden ist, Thomas Tilsner Verlag, 2000, ISBN 3933773512
- Jürgen Teipel: Verschwende Deine Jugend. Ein Doku-Roman über den deutschen Punk und New Wave, (= Suhrkamp Taschenbuch 3271), Frankfurt am Main, 2001, ISBN 3-518-39771-0
- Dirk Buck: Teenage Wasteland, Thomas Tilsner Verlag, 2002, ISBN 3933773601
- Jan Off: Vorkriegsjugend, Ventil Verlag, 2003, ISBN 3930559889
- Angela Kowalczyk: Negativ und Dekadent - Ost Berliner Punk Erinnerungen, BoD GmbH, Norderstedt, 2003, ISBN 3831129398
- Rocko Schamoni: Dorfpunks, Rowohlt Tb., 2004, ISBN 3499236184
- Eva Bude: Verpisst euch!, Europa Verlag, 2005, ISBN 3203755262
- Ronald Galenza und Heinz Havemeister: Wir wollen immer artig sein, Schwarzkopf und Schwarzkopf, 2005, ISBN 3896026372