Welthunger
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Mit dem Ausdruck Welthunger wird die Situation beschrieben, dass Hunderte Millionen Menschen auf dieser Erde hungern, obwohl genug Nahrung für alle vorhanden ist.
Die Zahl der hungernden Menschen ist in den letzten Jahren deutlich gestiegen, steigt jedoch langsamer als die Bevölkerung an: 1990 waren es ca. 822 Millionen, im Jahr 2008 ca. 862 Millionen Menschen. Das ist etwa jeder siebte Mensch auf der Erde. Jedes Jahr sterben etwa 8,8 Millionen Menschen an Hunger, über 24.000 am Tag, also etwa 17 Menschen pro Minute, oder alle 3 Sekunden einer, hauptsächlich Kinder (Stand 2007).[1]
Die meisten Hungernden leben in Asien und der Pazifikregion (524 Millionen), gefolgt von Afrika südlich der Sahara (206 Millionen). Auch in Lateinamerika (52 Millionen), dem Nahen Osten (38 Millionen) und vielen osteuropäischen Ländern ist Hunger ein Problem. Die meisten Hungernden leben in Entwicklungsländern (820 Millionen). Aber auch in den Schwellenländern (hauptsächlich der Gemeinschaft unabhängiger Staaten) (25 Millionen) und den Industrieländern (9 Millionen) gibt es Hungernde.
Zu unterscheiden ist hierbei zwischen akuten Hungersnöten und dem chronischen Hunger, welcher von Armut betroffene Bevölkerungsgruppen dauerhaft betrifft. Letzterer macht den überwiegenden Teil des heutigen Hungers aus.
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[Bearbeiten] Ursachen des Welthungers
Einig ist man sich darüber, dass Hunger verschiedene Ursachen hat. Welchen davon jedoch wie viel Bedeutung beizumessen ist, ist je nach politischem Standpunkt und Interessenzugehörigkeit umstritten.
[Bearbeiten] Soziale, politische und ökonomische Faktoren
Hunger entsteht selten dadurch, dass es einfach zu wenig Nahrung gibt. Verschiedene soziale, politische und ökonomische Faktoren sind dafür verantwortlich, dass die Nahrung zuweilen nicht zu denjenigen gelangt, die sie brauchen.
50 % der Hungernden sind Kleinbauern, die hauptsächlich von dem leben, was sie selbst anbauen. Da sie arm sind, können sie bei Bedarf keine ausreichenden Nahrungsmittel dazukaufen und sind von Hunger bedroht, wenn ihre Ernte schlecht ausfällt oder – wenn sie Produkte zum Verkauf anbauen, um vom Erlös Nahrungsmittel zu kaufen – sie keine existenzsichernden Preise für ihre Waren lösen können. 20 % der Hungernden sind landlose Landarbeiter, weitere 20 % leben in städtischen Elendsvierteln, die restlichen 10 % sind Fischer und Viehzüchter. Auch sie sind aufgrund ihrer Armut für Hunger anfällig. In vielen Ländern wird die Situation durch Naturkatastrophen (Klimaschwankungen, Dürre, Überschwemmungen etc.), durch bewaffnete Konflikte, Korruption und schlechte Regierungsführung verschärft.
Die Staatsverschuldung der Entwicklungsländer führt dazu, dass die betreffenden Länder einen großen Teil ihrer Wirtschaftsleistung für Zinszahlungen an das Ausland aufbringen müssen. Dadurch stehen ihnen weniger Mittel für Entwicklung und Armutsbekämpfung zur Verfügung.
Ferner sind viele der betroffenen Länder, welche Mitglieder der WTO sind, durch deren Auflagen gebunden, die es ihnen verbieten einheimische Landwirtschaft zu subventionieren. Nicht zuletzt durch massive Agrarsubventionen in den Industrieländern selbst, exportieren diese jedoch Produktionsüberschüsse zu Dumpingpreisen auf die Märkte der 3. Welt. Dort angebotene Waren unterbieten die einheimisch erzeugten preislich so sehr, dass es für die dortigen Produzenten, kleine Bauern, keine Absatzmöglichkeiten für eigene Erzeugnisse mehr gibt. In Folge dessen geht ihnen die einzig verfügbare Einkommensquelle verloren, so dass ihnen letztlich das Geld fehlt um ihr Produktionsdefizit mit zugekauften Nahrungsmitteln zu decken.
In den Industrieländern wird erst in jüngster Zeit Hunger als gesellschaftliches Problem diskutiert. Es ist allerdings gesamthaft weniger gravierend als in den Entwicklungsländern. Die Ursachen sind indes ähnlich: zunehmend ungleiche Einkommensentwicklung sowie in einigen Industrieländern eine relativ hohe Arbeitslosigkeit.
[Bearbeiten] Beispiel: USA
In den USA hungerten im Jahr 2005 10,8 Millionen US-Bürger. Insgesamt waren es gar 35 Millionen, also jeder achte US-Amerikaner, die „Schwierigkeiten hatten, sich zu ernähren“. Offiziell gibt es jedoch keine „Hungernden“, da die US-Regierung seit dem November 2006 stattdessen von Menschen mit „sehr geringer Nahrungssicherheit“ spricht.[2] Die Hilfsorganisation New York Food Bank gab im Juni 2008 bekannt, dass 3 Millionen New Yorker, also mehr als jeder dritte, nicht genug Geld für Lebensmittel haben. 2007 nahmen 1,3 Millionen New Yorker die Hilfe von Suppenküchen in Anspruch.[3]
[Bearbeiten] Bevölkerungswachstum
Die Weltbevölkerung hat sich im letzten Jahrhundert nahezu vervierfacht; sie ist von 1900 bis 2003 von 1,6 auf 6,3 Milliarden gestiegen. Im Januar 2006 umfasste die Weltbevölkerung 6,519 Milliarden Menschen. Besonders in den Entwicklungsländern wächst die Bevölkerung. Hohes Bevölkerungswachstum muss nicht zwangsläufig zu Hunger führen, in vielen Entwicklungsländern halten jedoch die natürlichen Ressourcen und das Angebot an Arbeitsplätzen nicht damit Schritt, so dass Bevölkerungswachstum („Überbevölkerung“) zu einem Hungerrisiko wird. Siehe auch: Bevölkerungsentwicklung
Gesamthaft schrumpft durch das Weltbevölkerungswachstum die verfügbare landwirtschaftlich nutzbare Fläche pro Kopf.
Das starke Bevölkerungswachstum in den Entwicklungsländern hat verschiedene Ursachen. In Ländern ohne staatliches Rentensystem sind Kinder die einzige Altersversorgung. Fehlende Bildung und sexuelle Aufklärung stehen der Familienplanung im Wege. Eine Rolle spielen auch religiöse Gründe, die zur Ablehnung von Verhütungsmitteln führen.
[Bearbeiten] Welthandelsstrukturen
Die Strukturen des Welthandels sind eine weitere Ursache für den Hunger in den Entwicklungsländern. Der Welthandel wird durch die Industrieländer dominiert. Der Anteil von Westeuropa am weltweiten Export betrug 2000 39,5 %, der Anteil von Nordamerika 17,1 %. Der Anteil Afrikas dagegen lag 2000 bei 2,3 %.
Die Industrie ist in den meisten Entwicklungsländern schwach entwickelt. Viele Entwicklungsländer sind vom Export eines einzigen Rohstoffes abhängig. Diese wirtschaftlichen Strukturen stammen aus der Kolonialzeit, in der die Industrieländer ihre Kolonien zum Export von Rohstoffen und gleichzeitig zur Abnahme ihrer Industriegüter gezwungen hatten. 2001 waren 95 % aller Exporte von Guinea-Bissau Cashewnüsse. 76 % des Exports von Burundi war 2001 Kaffee. 72 % aller jamaikanischen Exporte war Aluminium. Entsprechend schwer werden diese Länder von Preisschwankungen dieser Produkte getroffen, wie der Verfall des Kaffeepreises und die Folgen für Kaffeebauern auf der ganzen Welt („Kaffeekrise“) deutlich machten.
[Bearbeiten] Konkurrenz um landwirtschaftliche Nutzflächen
Seit dem Zweiten Weltkrieg zeichnet sich eine Veränderung der Ernährungsgewohnheiten auf der Welt ab. Der Fleischkonsum ist stark gestiegen, besonders in den Industrieländern, seit einiger Zeit auch in Schwellenländern.
Heute werden viele der Tiere, die zur Fleischproduktion gemästet werden, mit Getreide gefüttert. Etwa ein Drittel der weltweiten Getreideernte wird für die Fütterung von Nutztieren verbraucht. Nur etwa 10 % des verfütterten Getreides wird dabei in Fleischmasse umgewandelt, die restlichen 90 % sind für die menschliche Ernährung verloren. In Brasilien dient bereits ein Fünftel der landwirtschaftlichen Nutzflächen zur Futtermittelproduktion für die Viehmast, und es wird weiterhin Regenwald abgeholzt, um weitere Anbauflächen dafür zu schaffen.
Durch eine Senkung des Fleischkonsums könnten große Anbauflächen und Getreidemengen zugunsten der menschlichen Ernährung genutzt werden statt für die Viehmast.[5][6]
Eine vergleichbare Problematik sehen Umweltschutzorganisationen und Wissenschaftler in der zunehmenden Verwendung von landwirtschaftlichen Flächen für die Produktion von Biokraftstoffen.[7] Anfang 2007 stiegen in Mexiko die Preise für Tortillas – ein verbreitetes Grundnahrungsmittel – weil in den USA immer mehr Mais zu Bioethanol verarbeitet statt wie bisher in Schwellenländer wie Mexiko exportiert wird.[8] Anfang 2008 warnte das Welternährungsprogramm, dass die Biotreibstoffproduktion, die steigende Nachfrage nach Futtermitteln für die Fleischproduktion und Ernteausfälle infolge des Klimawandels zu steigenden Nahrungsmittelpreisen und mehr Hunger führten.[9]
Die Preise für Reis und andere Grundnahrungsmittel sind in den Jahren 2007 und 2008 weltweit stark angestiegen, was in vielen Ländern, wie z.B. den Philippinen, die Versorgung gering verdienender Bevölkerungsschichten bedroht. Dies wird einerseits mit zunehmenden Wohlstand in asiatischen Ländern erklärt, der zu erhöhter Nachfrage führe. Andererseits wird diskutiert, ob eine mögliche Verknappung der globalen Erdölproduktion (als Folge eines globalen Erdölfördermaximums) bereits durch steigende Preise für Treibstoffe zu einer Verteuerung von Lebensmitteln führt.
[Bearbeiten] Lösungsansätze
Die Lösung des Problems Welthunger ist komplex. Ein Patentrezept gibt es nicht. Je nach Region müssen die dortigen sozialen, politischen, wirtschaftlichen, ökologischen und geographischen Bedingungen berücksichtigt werden.
Der Bekämpfung der Armut kommt eine zentrale Bedeutung zu. Ein Schritt dazu könnte eine Reform der Welthandelsstrukturen sein, etwa der Abbau der milliardenschweren Exportsubventionen, mit denen die Industrieländer ihre landwirtschaftlichen Überschüsse verbilligt in Entwicklungsländer exportieren und so die einheimische Kleinlandwirtschaft stark konkurrenzieren. Weitere Maßnahmen könnten Schuldenerlasse, höhere und effizientere Entwicklungshilfen und die Sicherstellung gerechter Rohstoffpreise sein.
Als weitere Maßnahme wird oft ein verbesserter Zugang für landwirtschaftliche Produkte aus Entwicklungsländern zu den Märkten der Industrieländer gefordert. Ob höhere landwirtschaftliche Exporte den Hungernden helfen, ist jedoch fraglich. Meist kommen die Exporterlöse lediglich einer kleinen Schicht von Großgrundbesitzern zugute. In vielen Ländern ist der Landbesitz sehr ungleich verteilt, die Mehrheit der Hungernden sind landlose Landarbeiter und Kleinbauern. Landreformen wären vielerorts ein Ansatz, um die Ursachen von Hunger und Armut anzugehen.
Methoden zur Eindämmung des Bevölkerungswachstums sind bessere sexuelle Aufklärung und Familienplanung. Bildungsprogramme und Aufklärung für Frauen sind eine weitere Methode, um das Bevölkerungswachstum einzudämmen; laut Studien der Weltbank ist die Geburtenrate bei Frauen ohne Schulbildung dreimal höher als bei Schulabsolventinnen. Kontrovers beurteilt werden staatlich verordnete Maßnahmen wie die Ein-Kind-Politik Chinas; im dicht bevölkerten afrikanischen Ruanda, wo die Geburtenrate bei etwa sechs Kindern pro Paar liegt, bestehen Pläne für eine „Drei-Kinder-Politik“[11].
Ein weiterer Ansatzpunkt ist die Verbesserung der landwirtschaftlichen Produktionsmethoden, insbesondere die Förderung produktiverer und umweltschonender Anbautechniken. Dies könnte beispielsweise durch verbesserte Anbaumethoden und Bewässerungstechniken und entsprechende Bildungsprogramme für Bauern geschehen. Auch die Erschließung von Neulandreserven und die Bekämpfung der Desertifikation werden propagiert.
Undemokratische Strukturen und schlechte Regierungsführung stehen in vielen Entwicklungsländern der Bekämpfung des Hungers im Weg. Gezielte Förderungen für demokratische Reformen und Programme zur Bekämpfung von Korruption durch internationale Organisationen könnten in diesem Bereich eingesetzt werden.
Das International Food Policy Research Institute vergleicht in einem Welthungerindex die Lage von 119 Entwicklungsländern und osteuropäischen Transformationsstaaten in den letzten 25 Jahren, um den politischen Willen gegen Hunger zu stärken. In zwei Dritteln der Länder hätten sich magere Erfolge gezeigt. Zehn afrikanische Staaten stehen am Schluss der Liste, Burundi zu allerletzt: Sie alle leiden (indirekt) an Krieg(sfolgen). Stabile Länder wie Ghana und Nachkriegsländer wie Mosambik, Äthiopien und Angola hätten in den letzten zehn Jahren „beeindruckende Fortschritte“ erzielt. Besonders in Asien zeigt sich, dass positive wirtschaftliche Entwicklung eine bessere Stellung im Welthungerindex bewirkt, wo in Landwirtschaft, Bildung und Gesundheitsvorsorge investiert wird. Indien sei Beispiel für schlechte Regierungsarbeit – mit trotz Wirtschaftsboom vielen unterernährten Kindern.
[Bearbeiten] Siehe auch
Food First, Hungertod, Welthungerhilfe, Brot für die Welt, Millennium-Gipfel, We Feed the World (Dokumentation über Nahrungsverteilung in der Welt), Unterernährung
[Bearbeiten] Literatur
- Joseph Collins, Frances Moore-Lappé, Vom Mythos des Hungers. Die Entlarvung einer Legende: Niemand muss hungern, Fischer Taschenbuch Vlg., Frankfurt/M. 1980
- T. Hoffman, W. Korby: Terra Global - Welternährung zwischen Mangel und Überfluss. Klett-Perthes Verlag, Stuttgart 2001
- Claus Leitzmann: Welternährung zu Beginn des 21. Jahrhunderts: Die globale Ernährungssituation. in: Biologie in unserer Zeit 31(6), S. 408-416 (2001), ISSN 0045-205X
- J. Nussbaumer, G. Rüthemann: Gewalt.Macht.Hunger. Schwere Hungerkatastrophen seit 1845, Studien Verlag, Innsbruck 2003, ISBN 370651558X
- Jean Ziegler: Wie kommt der Hunger in die Welt? Ein Gespräch mit meinem Sohn. Bertelsmann, München 2002, ISBN 3-570-30059-5
- U. Hausmann, A. Paasch: Wirtschaft global - Hunger egal? Für das Menschenrecht auf Nahrung, VSA, 2005, ISBN 978-3899651119
[Bearbeiten] Weblinks
- Welternährungsorganisation FAO (Food and Agriculture Organisation) (engl.)
- FIAN – Organisation für das Recht auf Nahrung
- Deutsche Welthungerhilfe e.V.
- Die Hungerbrennpunkte der Welt im Überblick bei N24
- Interview mit UN-Sonderberichterstatter Jean Ziegler
- Hintergrundbericht in Telepolis: „Nicht nur Biosprit macht Hunger“
- junge Welt: "Wer die Nahrungs kontrolliert..." These des Artikels: Handelsschranken, Subventionen, »grüne Gentechnik«, Spekulation: Die Ursachen für die weltweite Ernährungskrise sind menschengemacht – und damit behebbar
[Bearbeiten] Quellen
- ↑ Welternährungsprogramm der Vereinten Nationen: Ein Kind, das an Hunger stirbt, wird ermordet
- ↑ Der Tagesspiegel, Nr. 19379, Mittwoch 22. November 2006, S.32, Weltspiegel, "US-Regierung benennt hungernde Bürger um"
- ↑ Sueddeutsche Zeitung: „Armut - Hungrig in New York“ - dpa/mmk - 14.06.2008
- ↑ nach IVA 2002
- ↑ Die Erde – Unser Lebensraum, ISBN 3906720500 (S.289)
- ↑ Deutsche Welthungerhilfe: Die weltweite Getreideproduktion
- ↑ Rettet den Regenwald e. V.
- ↑ spiegel.de: Volle Tanks, leere Teller
- ↑ Guardian Online: Feed the world? We are fighting a losing battle, UN admits
- ↑ nach Die grüne Gentechnik, Bonn 1997
- ↑ n-tv.de: Regierung plant Gesetz: Nur drei Kinder pro Paar