Transistorradio
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Ein Transistorradio ist ein Rundfunkempfangsgerät, bei dem ausschließlich Transistoren als aktive Bauelemente eingesetzt werden. Historisch betrachtet bezeichnet der Begriff im engeren Sinn nur transistorbestückte Radios mit monauraler Tonwiedergabe und einem Empfang auf dem AM-Mittelwellenband von 540 bis 1600 kHz.
Die Geschichte des Transistorradios begann im Frühjahr 1954 in der damals noch sehr kleinen Halbleiterabteilung des heutigen amerikanischen Elektronik-Riesen Texas Instruments TI, die erst 1951 von den Bell-Laboratories, den Inhabern des Transistorpatents, für die lächerliche Summe von 25000$ eine Lizenz zur Herstellung von Germanium-Transistoren erworben hat. Die abwartend-zögerliche Haltung der Radio- und Fernsehindustrie im Hinblick auf die enormen Marktchancen der revolutionären neuen Transistortechnik durchkreuzte aber zunächst die Pläne zu einer Transistor-Massenfertigung. Erst die Idee des damaligen TI-Vizepräsidenten Pat Haggerty, zusammen mit der Regency Division of IDEA (ein Acronym für Industrial Development Engineering Associates in Indianapolis) ein kleines Transistor-Taschenradio für den Massenmarkt zu entwickeln und zu vermarkten, verhalf dem Germaniumtransistor zum Durchbruch: das weltweit erste kommerzielle Transistorradio Regency TR-1 wurde am 18. Oktober 1954 von der Regency Division angekündigt und zum Weihnachtsfest des gleichen Jahres äußerst erfolgreich auf den Markt gebracht - mit seiner für damalige Verhältnisse winzigen Größe und den damit verbundenen äußerst begrenzten klanglichen Möglichkeiten war die High-Tech-Novität Taschenradio dem damals noch mit Röhren bestückten größeren Gerätetyp Kofferradio zwar hoffnungslos unterlegen, entwickelte sich aber rasant zum heiß begehrten 'Marktrenner', verhalf der Elektronikindustrie zu enormen Umsatzsteigerungen und zeigte durch die bahnbrechende Miniaturisierung der Schaltungstechnik beispielhaft den Weg in die Zukunft der Elektronik.
Trotz anfänglich großer Schwierigkeiten, die vorwiegend mit den noch ungünstigen technischen Eigenschaften und den hohen Kosten der Transistoren zu tun hatten, war der allmähliche Siegeszug des Transistors nicht aufzuhalten, parallel dazu deutete sich der stetige Niedergang der bis dahin die Elektronik beherrschenden Röhrentechnik an.
Die Transistorradios lösten allmählich den Röhrenempfänger ab, der mit mechanisch empfindlichen Elektronenröhren arbeitete, für die eine anspruchsvolle Stromversorgung notwendig war. Wegen der niedrigen Grenzfrequenzen der damaligen legierten Germanium-Transistoren in den frühen Entwicklungsstufen der Halbleitertechnologie wurden die Geräte aus technischen Gründen in einer Übergangsphase mit einer Röhre/Transistor-Hybridbestückung ausgerüstet - in den höherfrequenten Schaltungsstufen (HF-Vorstufe, Lokal-Oszillator, UKW-Empfangsstufen) waren Elektronenröhren weiterhin zunächst unersetzlich.
In Analogie zum Stand der Halbleitertechnik kamen anfänglich ausschließlich bipolare Germaniumtransistoren zum Einsatz, die später von den thermisch stabileren Siliziumtransistoren abgelöst wurden. In seltenen Spezialfällen wurden auch Feldeffekttransistoren eingesetzt (FET beziehungsweise MOSFET).
Inmitten einer damals noch vorhandenen hochentwickelten 'Hörkultur', die sich vor allen Dingen im akustischen Medium 'Radio' der sechziger Jahre des vergangenen Jahrhunderts eine breite Plattform eroberte, noch vor dem sich allmählich abzeichnenden Siegeszug der optischen Medien, erlebte das Transistorradio sein 'Goldenes Zeitalter': die raumsparende, effiziente, sehr robuste und äußerst langzeitstabile Halbleitertechnik ermöglichte das kommerziell höchst erfolgreiche mobile Kofferradio, das insbesondere von der westdeutschen Elektronikindustrie zu einer äußerst leistungsfähigen Produktlinie in Europa ausgebaut wurde und sich allmählich zu einem klingenden Symbol für Unabhängigkeit, Freiheit und Rebellion der ersten jungen Nachkriegsgeneration etablierte.
Mit einer häufig zweistelligen und somit prestigeträchtigen Anzahl von Transistoren bestückt waren es die teuren, mit stilsicherem Geschmack und unzweifelhaftem Charme glänzenden 'Flaggschiffe' mancher längst vom Markt verschwundenen Hersteller, die größtenteils mit heute kaum noch vorstellbarem Aufwand an Gehäusedesign, Konstruktion und Qualitätsniveau der elektronischen Bauteile (u.a. gehörten damals hochwertige Luft-Drehkondensatoren zur Standardausrüstung) von geschickten weiblichen Arbeitnehmern in Handarbeit produziert wurden - ohne den geringsten elektrischen Neuabgleich funktionieren sorgfältig behandelte Exemplare aus den sechziger Jahren heute genauso wie vor einem halben Jahrhundert.
In dieser bewegten Zeit des boomenden Konsums, des bundesdeutschen Wirtschaftswunders mit seiner gesellschaftlichen Orientierung in Richtung USA, waren die Transistorsuper bei Jugendlichen heiß begehrt und besaßen eindeutig Kultstatus, sie waren die akustischen Zeitzeugen des Siegeszugs der Rock- und Beatmusik und standen obendrein den weit verbreiteten 'Großsupern' für das Heim weder im Klang noch bei den auf allen Rundfunkbändern (auch in den häufig vernachlässigten AM-Bereichen) vorhandenen enormen Empfangsleistungen nach.
Das Ingenieurswissen für die Konstruktion derartig leistungsfähiger Transistorradios scheint mittlerweile in Vergessenheit geraten zu sein - trotz der rasanten Fortschritte der Elektronik sucht man bei aktuell gefertigten Exemplaren fast aller Radiohersteller derartig herausragende Eigenschaften völlig vergeblich.
Transistorradios und insbesondere die reisefähigen Taschen- und Kofferradios haben bauartbedingt erhebliche Vorteile gegenüber den älteren Röhrenempfängern: wenig Raumbedarf, geringe Ansprüche an die Stromversorgung, da sie mit niedrigen Spannungen und geringer Stromaufnahme arbeiten, was einen problemlosen und ungefährlichen Batteriebetrieb ermöglicht - die 1956 von der amerikanischen Firma Energizer speziell für Transistorradios entwickelte kleine 006P 9Volt-Batterie ist ein typisches Beispiel.
Überdies sind Transistoren mechanisch weniger störanfällig als Röhren, die grundsätzlich Verschleißteile sind und insbesondere durch die filigranen und bruchempfindlichen Heizfäden der mit Batterieröhren bestückten Kofferradios nicht selten weit vor ihrer natürlichen Verschleißgrenze ausgetauscht werden mussten.
Wie bei den älteren Röhrenempfängern besteht die einfachste Bauform eines Transistorradios aus zwei Hauptkomponenten, einem Detektor-Empfänger und einem Verstärker. Etwas komplexer, dafür aber auch empfangsstärker und trennschärfer ist der Einsatz eines Audions - beide früher bei Elektronik-Bastlern beliebte Minimalkonzepte (Geradeausempfänger) spielten aber in der industriellen Fertigung wegen ihrer technischen Unzulänglichkeiten keine Rolle, das vorrangig verwendete Empfangsprinzip hatte sich durch den Wechsel von der Elektronenröhre zum Transistor nicht verändert, die Elektronikindustrie setzte auch hier durchgängig das bewährte Konzept des Überlagerungsempfängers (Superheterodyn) ein.
Wie alle klassischen Radiogeräte ist das Transistorradio genauso wie das Röhrenradio für den Empfang des terrestrisch ausgestrahlten Analogrundfunks konzipiert - die komplette Radioelektronik arbeitet nach analogen Prinzipien. Lediglich im Bereich der Senderabstimmung konnte sich im Zusammenhang mit der zunehmenden Digitalisierung der Elektronik seit den achtziger Jahren des letzten Jahrhunderts eine gerasterte Abstimmung des lokalen Abstimm-Oszillators durchsetzen (PLL-Synthesizer), die mit den modernen digitalen Anzeige- und Speichermöglichkeiten die recht umständliche und äußerst unpräzise Einstellprozedur der Sendersuche mit Drehkondensator, Frequenzskala, Skalenzeiger und Skalenseil ganz wesentlich vereinfachte und eine frequenzgenaue Sendereinstellung ermöglicht. Das 1988 offiziell eingeführte digitale Radio Data System erweiterte die Anzeigemöglichkeiten im Bereich der UKW-Rundfunkbänder erneut beträchtlich.
Mit der zunehmenden Etablierung einer flächendeckenden Infrastruktur der Sendeanlagen und einer Erhöhung der Sendeleistungen wird sich wohl auch allmählich im Bereich des UKW Hör-Rundfunks die wesentlich kostengünstigere digitale Übertragung (DAB) durchsetzen und den altehrwürdigen analogen Rundfunk in nicht allzuferner Zukunft ablösen.
Auch die heute üblichen Radios sind eigentlich Transistorradios, allerdings sind die meisten Transistoren zusammen mit anderen Bauteilen in integrierten Schaltungen zusammengefasst. Mit dem weitgehenden Wegfall der Röhrenradios verschwand die Notwendigkeit einer speziellen Unterscheidung und so wird heute das Wort "Transistorradio" nur noch selten verwendet.
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[Bearbeiten] Gesellschaftliche Auswirkungen
Die Erfindung des Transistorradios brachte einen großen Fortschritt für die weltweite Kommunikation: in vielen armen Ländern der Erde waren und sind sie immer noch wegen ihrer preisgünstigen Herstellung für fast jedermann erschwinglich und für viele oft die einzige Chance, ohne jemals lesen gelernt zu haben, immer und überall Kontakt mit dem Rest der Welt zu halten.
Viele Familien konnten es sich leisten, ein zweites oder drittes Radio anzuschaffen. Das Radiohören, das zuvor in vielen Haushalten auf das Wohnzimmer begrenzt war, wurde nun auch in anderen Zimmern möglich und begleitete etwa die Hausarbeit in der Küche. Autoradios gab es schon vor Verfügbarkeit der Transistortechnik - erst durch sie erfuhren sie aber eine hohe Verbreitung, die wiederum neue Dienstleistungen wie den Verkehrsfunk anstieß. Auch viele Jugendliche erhielten Zugang zu einem eigenen Radio, mit dem sie auch eigene Sender hören konnten. Bedingt durch den geringeren Energieverbrauch waren Radios jetzt auch in Gegenden möglich, in denen es keinen Stromanschluss gab. Durch den niedrigeren Preis konnten sich auch viele Menschen in ärmeren Ländern Radios leisten. Das Kofferradio (von den Eltern oft "Kofferheule" genannt) wurde zum Statussymbol vieler Jugendlicher. In den 1960er und 1970er Jahren trugen viele, vor allem Jugendliche, Radios auf der Straße herum.
In der DDR ermöglichte das Transistorradio vielen Jugendlichen den Empfang von "unerwünschten" Sendern, ohne dass es durch die Eltern oder andere so leicht kontrollierbar war. Das Hören von Westsendern auf der Straße konnte zu Kontrollen durch die Polizei oder freiwillige Helfer der Volkspolizei führen, gegebenenfalls zur Sperrung der Geräte. Bei der NVA und den Grenztruppen der DDR mussten auf der Skala die DDR-Sender als erlaubte Sender markiert werden, wenn andere gehört wurden, gab es Strafen und das Gerät konnte eingezogen werden.
Das Transistorradio brachte auch eine weitere Entwicklung in Gang: Stereofone Radioempfänger wurden handlicher und bezahlbarer, so dass die durch Stereofonie bedingte Qualitätssteigerung im Rundfunk weitere Verbreitung fand.
Der Einbau von Anschlussbuchsen für Plattenspieler und Magnetbandgeräte machte das Transistorradio zu einem preisgünstigen Verstärker. Durch die Entwicklung von kleinen Magnetbandkassetten (Compact Cassetten) anstelle der bisherigen Spulentonbänder konnten kleine Tonbandgeräte (Kassettenrecorder) gebaut werden. Dies führte seit Ende der 1960er Jahre zu Kombinationen mit Compaktkassettengeräten, die als Radiorecorder angeboten wurden. Dadurch wurde das Aufzeichnen und Wiedergeben von Rundfunksendungen und der Austausch von Musik mit nur einem Gerät ermöglicht. Später entwickelten sich aus Radiorecordern große tragbare Stereogeräte mit zwei Kassettenrecordern, die das Überspielen von Musik auch mit höherer Bandgeschwindigkeit von einer Cassette zur anderen zuließen. Hinzu kamen schließlich sogar Geräte mit zusätzlichem CD-Spieler. Der Entwicklung von tragbaren Großgeräten steht die Miniaturisierung gegenüber: zuerst baute die Firma Sony kleine Stereo-Cassettengeräte, Walkman genannt, denen bald ein eingebautes Radio hinzugefügt wurde. Dann wurden auch Miniradios ohne Cassettenteil entwickelt. Heute befinden sich kleine Radio-Empfänger in Mobilfunkgeräten (Handy).
In der Bundesrepublik gab es große Diskussionen zur Privatkopie, aber sie wurde erlaubt. Auch in der DDR war die Privatkopie erlaubt und es gab spezielle Rundfunksendungen, die extra als Mitschnittservice eingerichtet waren.
Der niedrige Energiebedarf der Transistorempfänger ermöglicht alternative Energieversorgung, zum Beispiel mit Fotozellen oder mit einem Handdynamo. Das ist wichtig besonders in Gebieten, die nicht ans Energienetz angeschlossen sind.
[Bearbeiten] Quellen
- Helmut Bergold, Peter Drehmann, Adolf. Kraemer: Dorn-Bader Physik, Oberstufe, 12./13. Jahrgangsstufe, Grundkurse und Leistungskurse. Schroedel, ISBN 3-507-86205-0
- Burkhard Kainka: Bastelecke – Das Lowpower-Radiomodul. (Stand: 2007-09-11).
- The Regency TR-1 Family, Sony Transistor Radios, Vintage Micro Transistor Radios, American Shirt-Pocket Transistor Radios und mehr auf EricWrobbel.com (engl., kostenpflichtig)
[Bearbeiten] Literatur
- Michael F. Wolff: "The secret six-month project. Why Texas Instruments decided to put the first transistor radio on the market by Christmas 1954 and how it was accomplished." IEEE Spectrum, December 1985, pages 64-69
[Bearbeiten] Weblinks
- Fotos und Informationen rund um alte Transistorradios (Englisch)
- Englischer Artikel über das Radio Regency TR-1
- TI Information Bulletin: First Commercial Transistor Radio 18.10.1954
- Gehäusedesign von Taschenradios von 1950 bis 1960 (Englisch)