Numismatische Kommission der Länder in der Bundesrepublik Deutschland
aus Wikipedia, der freien Enzyklopädie
Die Numismatische Kommission der Länder in der Bundesrepublik Deutschland ist eine wissenschaftliche Organisation der Bundesländer, die sich für die Förderung und Aufarbeitung der Münz- und Geldgeschichte und die Medaillenforschung in Deutschland einsetzt. Sie engagiert sich vor allem für Grundlagenforschung, nationale, internationale und interdisziplinäre Zusammenarbeit sowie Nachwuchsförderung.
Inhaltsverzeichnis |
[Bearbeiten] Geschichte
Die deutsche Numismatische Kommission (NK) wurde nach dem Muster der Ständigen Konferenz der Kultusminister der Länder in der Bundesrepublik Deutschland im Jahre 1950 auf Anregung der Hamburger Kulturbehörde gegründet. Weiteres organisatorisches Vorbild waren die seit dem 19. Jahrhundert als frühe Organe einer Selbstverwaltung der Wissenschaft entstandenen Historischen Kommissionen. Es wurde ein länderübergreifendes Gremium geschaffen, das zunächst für den Wiederaufbau der nach Kriegsende noch weitgehend unzugänglichen oder geschlossenen westdeutschen Münzsammlungen und Forschungseinrichtungen Sorge tragen sollte. Langfristig sollte die NK koordinierend in Grundsatzfragen wie der Erfassung von Münzfunden und den damals allmählich wieder aufgenommenen Verbindungen mit dem Ausland tätig sein. Die Anfangsjahre sind geprägt von den wissenschaftsorganisatorischen Vorstellungen des Hamburger Ordinarius und Museumsdirektors Walter Hävernick (1905-1983). Sein Schüler Gert Hatz hat die Kommission in Hävernicks Sinne weiter geführt bis zur Übergabe des Vorsitzes an Bernd Kluge in Berlin. Die Integration der neuen Bundesländer nach der Wiedervereinigung war eines der Anliegen von Niklot Klüßendorf (Marburg) als Zweiter Vorsitzender.
[Bearbeiten] Konzeption
Die NK unterscheidet sich in ganz wesentlichen Punkten von anderen Kommissionen. Aufgrund ihrer Konzeption ist sie nicht nur in der Numismatik singulär. Sie ist keine „freie“, durch Zuwahl ergänzte Gelehrtenvereinigung (wie die Historischen Kommissionen oder die interdisziplinären Akademien der Wissenschaften), sondern „Staatskommission“, neuerdings in der Form eines rechtsfähigen eingetragenen Vereins. Mitglieder und Beitragszahler sind die Länder, deren Stimme ausgewählte Fachvertreter führen. Die Wissenschaftsminister nominieren Fachleute ihres Vertrauens als ihre Interessenvertretung. Die Bestellung der Landesvertreter variiert nach den Möglichkeiten und Schwerpunkten der Länder (z. B. Direktoren von Münzkabinetten, Fachleute der Landesmuseen, Landesarchäologen). Für die numismatischen Landesstellen hat Peter Berghaus in Analogie zu den Landesarchäologen den Begriff des „Landesnumismatikers“ geprägt, der allerdings wegen der völlig unterschiedlich dimensionierten Infrastruktur und Personalausstattung nicht unproblematisch ist, weil er falsche Erwartungshaltungen weckt.
Ein weiteres ganz spezifisches Merkmal ist die ausgeprägte föderale Grundstruktur der NK. Neben den vier großen, personell besser ausgestatteten Münzkabinetten (Münzkabinett der Staatlichen Museen zu Berlin, Münzkabinett der Staatlichen Kunstsammlungen Dresden, Geldmuseum der Deutschen Bundesbank in Frankfurt/Main und Staatliche Münzsammlung München) stehen in vielen Ländern der Bundesrepublik Einrichtungen, in denen eine einzelne Person die gesamte Numismatik vertritt, meist im Hauptamt bisweilen aber auch im Nebenamt. Die traditionelle deutsche Regionalität des Geldes in Mittelalter und Neuzeit begünstigte dabei, wenigstens für die nachantiken Perioden, Akzentsetzungen in der Landesgeschichte. Die NK spiegelt somit den für Deutschland so charakteristischen, historisch gewachsenen Kulturföderalismus bzw. die Kulturhoheit der Länder wider.
Übergreifende Themen und Aufgaben außerhalb der Ländervertretungen werden durch die vom Plenum zugewählten Beisitzer ohne Stimmrecht vertreten. Bei den Schwerpunktsetzungen wird Grundsatzthemen und der Rolle der Numismatik als interdisziplinäres bzw. transdisziplinäres Brückenfach (Niklot Klüßendorf) Rechnung getragen. Das bloße multidisziplinäre Nebeneinander soll damit überwunden und durch Wissenschaftsintegration ersetzt werden. Befruchtend wirkt sich dabei die Einbindung der numismatischen Arbeitsbereiche in größere Mehrspartenmuseen, Universitäten oder Forschungseinrichtungen aus. Die Numismatischen Gesellschaften und der Münzhändlerverband sind als weitere Interessengruppen bewusst mit einem Beisitz in der NK vertreten.
Aufgrund ihrer konzeptionellen Ausrichtung ist die Numismatische Kommission der Länder in der Bundesrepublik Deutschland als Wissenschaftseinrichtung aber nicht zu verwechseln mit der Deutschen Numismatischen Gesellschaft (DNG, Verband der Deutschen Münzvereine) oder der Gesellschaft für internationale Geldgeschichte (GIG), die sich vorwiegend auf die Interessen der Sammlerschaft konzentrieren. Gleiches gilt für die Association Internationale des Numismates Professionelles, den internationalen Münzhändlerverband.
Verwandte wissenschaftliche Organisationen bzw. Einrichtungen sind vielmehr die International Numismatic Commission (INC), das International Committee of Money and Banking Museums (ICOMON) als internationaler Dachverband der Geld- und Bankmuseen im Rahmen des Internationalen Museumsrats ICOM oder die allerdings anders strukturierte Numismatische Kommission der Österreichischen Akademie der Wissenschaften.
[Bearbeiten] Arbeitsschwerpunkte
Die NK arbeitet unter den skizzierten Voraussetzungen nicht mit eigenem hauptamtlichen Personal. In ihrem koordinierenden und beratenden Wirken wird sie durch das wissenschaftliche wie organisatorische Engagement ihrer Deputierten und Beisitzer getragen. Forschungsvorhaben werden in genau definierten Fällen durch die Kommission übernommen, in der Regel in enger Kooperation mit geeigneten Einrichtungen der Länder, zum Teil auch solchen von Kommunen, in Universitäten und Akademien durchgeführt, die auch die Publikation der Arbeitsergebnisse in eigener Regie vornehmen. Neben der koordinierenden Funktion, die der Kommission die Rolle einer Interessenvertretung der wissenschaftlichen Numismatik eingetragen hat, stehen als zentrale satzungsgemäße Aufgaben die Nachwuchsförderung (z. B. Unterstützung bei der Drucklegung von akademischen Abschlussarbeiten, wie Magisterarbeiten und Dissertationen, Förderung von Reisen zur Materialerfassung und Reisestipendien zum Besuch internationaler Kongresse, Förderung der universitären Lehre), die Druckförderung wissenschaftlicher Publikationen sowie die Organisation von Fachtagungen, zuletzt die Neukonzeption des Deutschen Numismatikertags. Sie unterstützt die nationale und internationale Zusammenarbeit mit allen Interessengruppen, vor allem aus der Wissenschaft und die interdisziplinäre Zusammenarbeit mit geistes- aber auch mit naturwissenschaftlichen Fächern. Die NK agiert dabei als runder Tisch, Diskussionsplattform und Kompetenznetzwerk. Ihre inhaltlichen Arbeitsschwerpunkte sind historische Grundlagenforschung und innovative interdisziplinäre Themen aus allen Bereichen der Münz- und Geldgeschichte. Die NK geht damit deutlich über das im 19. Jahrhundert entstandene Profil der Numismatik als einer der in Deutschland primär außeruniversitär angesiedelten, sogenannten „kleinen“ Historischen Hilfswissenschaften oder als angewandte Museumswissenschaft hinaus.
[Bearbeiten] Langzeitprojekte
[Bearbeiten] Münzfunde und Geldgeschichte
Münzfundkatalog Mittelalter/Neuzeit
Die Erfassung und Auswertung von absichtlich verborgenen oder zufällig verlorenen Fundmünzen ist eines der inzwischen traditionellen Arbeitsgebiete der Numismatik. Die Fundnumismatik bietet u.a. Datierungshilfen für Archäologie oder Bau- und Kunstgeschichte und erlaubt Aussagen zu verschiedensten historischen Wissensgebieten wie z. B. Alltagsgeschichte oder Wirtschaftsgeschichte. Der bereits 1950, im Gründungsjahr der NK begonnene Zentralkatalog der deutschen Münzfunde des Mittelalters und der Neuzeit, anfangs aus maschinenschriftlichen Karteien und Akten bestehend, wurde seit den fünfziger Jahren von Hamburg aus mit eingeworbenen Drittmitteln und mit Hilfe der Länder, denen die Erfassung ihrer Neufunde obliegt, erstellt. Er hat bisher rund fünfzig Mitarbeiter gehabt - projektgebunden, nebenamtlich und ehrenamtlich.
Seit dem Jahr 2000 erfuhr er eine grundlegende konzeptionelle Modernisierung und ist als Gemeinschaftsleistung der Länder Mecklenburg-Vorpommern, Niedersachsen, Sachsen-Anhalt und Thüringen in eine Datenbank umgewandelt worden. Er steht nunmehr mit Informationen für mehr als 20.000 Funde der Zeit von ca. 750 bis zum 19. Jahrhundert am Sitz des Ersten Vorsitzenden zur Verfügung. Der Fundkatalog schließt aus arbeitstechnischen Gründen in Auswahl Funde aus angrenzenden europäischen Nachbarlandschaften ein, was eine großräumige Vernetzung sinnvoll macht. Aktuelle Fragestellungen sind die numismatische Datenbank als Anwendungsbeispiel der Archäoinformatik, die Öffnung als Onlinedatenbank, die Erweiterung um Fotodokumentationen und die Vernetzung mit anderen europäischen Münzfundunternehmen. Derzeit wird mit Forschungsmitteln des zuständigen Landes als Printversion ein Münzfundinventar für den Raum Hannover erstellt. Die zu den Wissenschaftsakademien zählende Braunschweigische Wissenschaftliche Gesellschaft ist der jüngste Kooperationspartner zur Förderung des Fundkataloges.
Der gleichzeitig entstandene Antike Münzfundkatalog konnte nach einer mehrjährigen Startphase zunächst in die Obhut der Universität Frankfurt gegeben werden. Als Forschungsunternehmen Fundmünzen der Antike ist er kurz vor einer Zäsur stehend, gegenwärtig noch eines der langfristig angelegten Projekte der Akademie der Wissenschaften und der Literatur in Mainz.
[Bearbeiten] Edelmetall- und Geldströme
Deutsche Münzen des 10./11. Jahrhunderts in Funden des Ostseeraumes - Kooperationen mit Schweden, Estland und Polen
Die ebenfalls 1950 einsetzende Gemeinschaftsarbeit der NK mit Schweden gehört zu den großen internationalen Projekten, die jahrzehntelang deutsche Numismatiker nach Schweden führte. Nach weitgehendem Abschluss dieses Unternehmens und Übergabe an die Universität Stockholm stehen entsprechende Vorhaben mit den östlichen Nachbarländern an, vor allem mit Estland (abgeschlossen) und Polen. Gegenwärtiger Kooperationspartner eines bilateralen Projekts zu hochmittelalterlichen polnischen Funden (800-1150) ist die Polnische Akademie der Wissenschaften (Institut für Archäologie und Ethnologie, Abt. Mittelalterarchäologie) in Warschau.
Die schrittweise Bearbeitung deutscher Münzen in den ausländischen Massenfunden des 10./11. Jahrhunderts in den Siedlungsgebieten der Wikinger und Slawen rund um die Ostsee dient der Erforschung einer für die deutsche Münz- und Geldgeschichte ganz charakteristischen wirtschaftsgeschichtlichen Epoche. Für die sogenannte „Periode des Fernhandelspfennigs“ (Walter Hävernick) in der ottonisch-salischen Zeit ist eine starke Verdichtung der Münzstätten in Deutschland typisch. Es ging dabei jedoch weniger um die Versorgung der heimischen Wirtschaft mit Zahlungsmitteln oder gar den Durchbruch einer Geldwirtschaft in Deutschland, sondern um eine überwiegend exportorientierte Münzproduktion für den Handel mit den Wikingern und Slawen. Der gewaltige Silberabfluss nach Norden und Osten ist Teil kontinentaler europäischer Edelmetall- bzw. Geldströme in Mittelalter und Neuzeit. Das enorme Fundmaterial des Ostseeraumes ist folglich keine periphere Erscheinung. Vielmehr muss es als Mittelpunkt jeglicher Forschung zur Münz-, Geld- sowie Wirtschaftsgeschichte des Hochmittelalters in Nordosteuropa angesehen werden.
[Bearbeiten] Medaillenkunde
Leben und Werk neuerer deutscher Medailleure - Bibliografie zur Medaillenkunde - Dokumentation moderner Medaillenkunst
Schließlich ist die NK Träger der 1987 gegründeten Gitta-Kastner-Forschungsstiftung (GKS), die die neuere deutsche Kunstmedaille (seit der Reichsgründung von 1871) mit Einschluss der Künstlerbiografien als Arbeitsschwerpunkte hat. Sie geht zurück auf ein Vermächtnis des Münchner Juristen Werner Kanein (1904-1986) zum Angedenken an seine Gattin, die Münzhändlerin Gitta Kanein-Kastner (1927-1977). Der Münchner Münzhändler und Medailleur Egon Beckenbauer (1913-1999) bedachte als Testamentsvollstrecker von Werner Kanein die GKS mit einer namhaften Zustiftung. Die GKS ist bisher die einzige numismatische Forschungsstiftung in Deutschland. Ihre Arbeit wird durch ein Stiftungskuratorium begleitet. Synergien werden durch eine enge Zusammenarbeit mit der Deutschen Gesellschaft für Medaillenkunst (Halle/Saale) erzielt, in deren Schriftenreihe (Die Kunstmedaille in Deutschland) die Arbeitsergebnisse der GKS regelmäßig publiziert werden. Durch das Wirken von Wolfgang Steguweit (Berlin) hat die GKS in den zurückliegenden Jahren großen Aufschwung genommen. Im Mittelpunkt einer Neukonzeption der GKS stehen u.a. befristete Forschungsstipendien für Nachwuchskräfte.
Wesentlich für die Arbeit der GKS ist die Einbindung der Medaille als besonderer Form des Kleinreliefs (vorwiegende Merkmale: rund, doppelseitig, gegossen oder geprägt, aus Metall) oder noch weiter gefasst als handlicher Kleinplastik, in die Betrachtungen der Kunstgeschichte. Den Ausgangspunkt dafür bilden die biografischen und bibliografischen Arbeiten der GKS.
Aufgrund der relativ einfachen bzw. kostengünstigen Reproduzierbarkeit kommt der Kunstmedaille ähnlich wie der Druckgrafik und der künstlerischen Fotografie eine besondere didaktische bzw. museumspädagogische Bedeutung zu. Die Idee einer erschwinglichen und in großer Zahl vorliegenden „Kunst zum Anfassen“ wurde bereits vor rund einem Jahrhundert vor allem von dem Hamburger Museumsdirektor und Kunstpädagogen Alfred Lichtwark (1852-1914) propagiert. Der Begriff „Bildende Kunst“ kann hier im doppelten Wortsinne durchaus auch als Bildungsmedium verstanden werden. Umgekehrt gibt die GKS mit ihrer regelmäßigen Zusammenschau zur Kunstmedaille der Gegenwart Impulse für das zeitgenössische Medaillenschaffen.
[Bearbeiten] Nachwuchsförderung
Zu den zentralen Satzungszielen der NK gehört die Förderung des wissenschaftlichen Nachwuchses. In Anbetracht des stattfindenden Generationswechsels einerseits und der immer wieder neu geführten Diskussion um die Wiederbesetzung von Wissenschaftlerstellen andererseits, kommt dieser Frage besondere Bedeutung zu. Im Zuge der kulturpolitischen Diskussion um die Finanzierung und um neue Organisationsformen für Universitäten und Museen fällt die Förderung kleiner Fächer in der letzten Zeit regelmäßig Sparmaßnahmen zum Opfer. Dies führt zu gravierenden Einschnitten bei den für die Struktur der Numismatik typischen „Einmannarbeitsstellen“. Am härtesten sind Nachwuchswissenschaftler betroffen. Ohne qualifizierten Nachwuchs ist die Zukunft und grundsätzlich die Existenz eines Faches massiv gefährdet. Dabei ist nicht nur auf die Numismatik selbst zu achten, sondern auch auf die Förderung numismatischer Themen in Nachbardisziplinen. Nachwuchsförderung ist gegenwärtig mehr denn je eine Aufgabe für alle an der Münz- und Geldgeschichte Interessierten. Die NK hat deshalb einen Nachwuchsfonds für die Druckförderung von akademischen Abschlussarbeiten (Diplomarbeiten, Magisterarbeiten, Dissertationen) und Forschungsprojekten eingerichtet. Geeignete Projekte können beim Vorstand der NK formlos mit den entsprechenden Unterlagen (Manuskript, Lebenslauf, Schriftenverzeichnis, Kalkulation) eingereicht werden. Details regelt die Satzung des Nachwuchsfonds.
[Bearbeiten] Leitung
- 1. Vorsitzender: Dr. Reiner Cunz (Hannover)
- 2. Vorsitzender: Dr. Hermann Maué (Nürnberg)
- Sekretär: Dr. Volker Hilberg (Schleswig)
- Schatzmeister: Dieter Raab (Frankfurt/Main)
- Projektleitung Fundkatalog: Dr. Reiner Cunz
- Projektleitung Polen: Dr. Peter Ilisch (Münster/Westfalen) und Prof. Dr. Stanislaw Suchodolski (Warschau)
- Vorsitzender GKS-Kuratorium: Ulf Dräger (Halle/Saale)
[Bearbeiten] Literatur
- Jahresberichte im Numismatischen Nachrichtenblatt.
- Reiner Cunz (Hg.): CONCORDIA DITAT, 50 Jahre Numismatische Kommission der Länder in der Bundesrepublik Deutschland, 1950−2000. Hamburg 2000 (= Numismatische Studien 13). ISBN 3-924861-37-4, ISSN 0469-2144.