Märe
aus Wikipedia, der freien Enzyklopädie
Ein Märe (siehe auch die volkstümliche Mär) ist eine deutschsprachige schwankhafte oder belehrende kurze Verserzählung. Die Gattung entstand im 13. Jahrhundert und hatte ihre Blütezeit im Spätmittelalter. Wie einer Fabel geht dem Märe häufig ein Promythion voraus, oder es folgt ein Epimythion, also eine kurze moralisierende Auslegung der Geschichte. Diese hat nicht immer etwas mit dem vorher behandelten Inhalt zu tun: Manchmal enthält sie baren Unsinn.
Das Märe wurde von dem bedeutenden Tübinger Mediävisten Hanns Fischer folgendermaßen definiert:
- Das Märe ist eine in paarweise gereimten Viertaktern versifizierte, selbständige und eigenzweckliche Erzählung mittleren (d.h. durch die Verszahlen 150 und 2000 ungefähr umgrenzten) Umfangs, deren Gegenstand fiktive, diesseitig-profane und unter weltlichem Aspekt betrachtete, mit ausschließlich (oder vorwiegend) menschlichem Personal vorgestellte Vorgänge sind. (Fischer 1968; 62-63)
Fischer unterscheidet aufgrund ihrer Inhalte drei Grundtypen: schwankhafte Mären, höfisch-galante Mären und moralisch-exemplarische Mären. Mischformen können vorkommen.
In der Forschung ist diese genaue Definition des Märes jedoch umstritten. (Vgl. Ziegeler bzw. Heinzle). Kritisiert wird unter anderem, dass die Definition aus einer Negativ-Abgrenzung abgeleitet ist, dass die Mären in Fischers Katalog nicht seiner Definition entsprechen (z.B. im Umfang) und dass die Abgrenzung gegenüber Bispel und Roman ungenau ist. Außerdem zeigte die Praxis, dass die Definition nicht ausreicht, um eine Gattung Märe zu konstituieren. Haug geht sogar davon aus, dass es die Gattung Märe nicht gibt (Haug 1993; 5). Er spricht von mittelalterlichen Kurzerzählungen.
Als Themen sind erotische Abenteuer und unerhörte Begebenheiten vorherrschend, in denen eine kritische Situation durch originelles und mutiges Agieren der handelnden Personen gelöst wird. Insofern steht das Märe der Novelle nahe. Bei manchen Mären ist ein direkter Bezug zu Boccaccios Decamerone erkennbar.
Hans Rosenplüt, Der Stricker, Heinrich Kaufringer und Hans Folz gelten als die vier großen Märendichter des Mittelalters. Ein bekannter Märenautor ist auch Konrad von Würzburg („Herzmaere“, „Heinrich von Kempten“). In der Regel sind die Texte jedoch anonym überliefert. Nicht selten gibt es mehrere Varianten derselben Verserzählung („Schneekind A“, „Schneekind B“). Viele Mären erhielten ihren Titel erst durch Hanns Fischer.
[Bearbeiten] Literatur
- Fischer, Hanns: Studien zur deutschen Märendichtung. Tübingen 1968. Zweite durchgesehene und erweiterte Auflage besorgt von Johannes Janota. Tübingen 1983.
- Novellistik des Mittelalters. Märendichtung. Herausgegeben, übersetzt und kommentiert von Klaus Grubmüller. Frankfurt a.M. 1996 (Bibliothek des Mittelalters 23).
- Grubmüller, Klaus: Die Ordnung, der Witz und das Chaos. Eine Geschichte der europäischen Novellistik im Mittelalter: Fabliau - Märe - Novelle. Tübingen 2006.
- Haug, Walter: Entwurf zu einer Theorie der mittelalterlichen Kurzerzählung. In: Haug, Walter und Burghart Wachinger (Hrsg.): Kleinere Erzählformen des 15. und 16. Jahrhunderts. Tübingen 1993. (Fortuna Vitrea Band 8). S. 1-36.
- Heinzle, Joachim: Altes und neues zum Märenbegriff. In: Zeitschrift für deutsches Altertum 99 (1988). S. 277-296.
- Schirmer, Karl-Heinz (Hrsg.): Das Märe. Die mittelhochdeutsche Versnovelle des späteren Mittelalters. Darmstadt 1983. (Wege der Forschung Band 558).
- Schirmer, Karl-Heinz: Liebe und Ehe. Die Dreieckssituation. In: Schirmer, Karl-Heinz: Stil- und Motivuntersuchungen zur mittelhochdeutschen Versnovelle. Tübingen 1969. S. 144-236.
- Strasser, Ingrid: Vornovellistisches Erzählen. Mittelhochdeutsche mären bis zur Mitte des 14. Jahrhunderts und altfranzösische Fabliaux. Fassbaender Wien 1989. (Philologica Germanica Band 10).
- Ziegeler, Hans-Joachim: Erzählen im Spätmittelalter. Mären im Kontext von Minnereden, Bispeln und Romanen. München 1985. (Münchener Texte und Untersuchungen zur deutschen Literatur des Mittelalters 87).