Novelle
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Eine Novelle (lat.: „novus“ [„neu“]; ital.: „novella“ [„Neuigkeit“]) ist eine kürzere Erzählung (siehe auch Kurzepik) in Prosaform. Als Gattung lässt sie sich nur schwer definieren und oft nur in Bezug auf andere Literaturarten abgrenzen. Hinsichtlich des Umfangs bemerkte Hugo Aust, das Argument einer „mittleren“ Länge finde sich oft, die sich dadurch feststellen lasse, die Erzählung in einem Zug zu lesen. Der Begriff „Novelle“ (diminuisierte (verkleinerte) Form) weist auf eine Neuheit hin. Häufig wird auch der Bezug zur italienischen Renaissance-Kirche Santa Maria Novella angeführt, der auf die Zeit der Entstehung schließen lässt.
Als Begründer der Novellentradition wird der Italiener Giovanni Boccaccio mit seinem „Decamerone“ („Zehntagewerk“) gehandelt. Theodor Storm schrieb, die Novelle sei aufgrund ihres Aufbaus „die Schwester des Dramas“. Ein weiteres typisches Merkmal ist „eine sich ereignete unerhörte Begebenheit“, wie Goethe es 1827 in einem Gespräch mit Johann Peter Eckermann formulierte (in Goethes Novelle mit dem Titel Novelle selbst ist von einem „seltsamen, unerhörten Ereignis“ die Rede). Diese Begebenheit stellt zumeist den Wendepunkt der Handlung dar. Aufgrund der Kürze von Novellen liegt zumeist nur eine knappe Exposition vor, die den Leser direkt ins Geschehen leitet.
Weitere Kennzeichen sind: eine straffe, überwiegend einlinige Handlungsführung (Nähe zum Drama), ein stark raffender Handlungsbericht, gezielter Einsatz szenischer Partien an den Höhepunkten (geraffte Exposition, konzentriert herausgebildete Peripetie, Ausklingen der Handlung, Zukunft der Figuren nur angedeutet), Vorausdeutungs- und Integrationstechniken (Leitmotive, Dingsymbole), Dominanz des Ereignishaften, oft Rahmenhandlung.
Im Unterschied zur Kurzgeschichte ist für die Novelle typisch eine konsequente Ausformulierung des zentralen Konflikts, eine Tendenz zur geschlossenen Form, ein dialogischer Charakter sowie eine hohe Dichte. Des Weiteren hat die Novellenforschung darauf aufmerksam gemacht, dass die Novelle eine große Nähe zum Symbol besitzt, da beide die Eigenschaften haben, Sachverhalte zu verdichten und so einen - nach Aust - "unauslotbaren Sinn-Raum" zu schaffen.
Populär geworden ist die Falkentheorie Paul Heyses, die die beiden Kategorien Silhouette (Konzentration auf das Grundmotiv im Handlungsverlauf) und Falke (Dingsymbol/ Symbol für das jeweilige Problem der Novelle) als novellentypisch benennt. Die "Falkentheorie" erklärt Heyse am Beispiel von Boccaccios Falkennovelle aus dem Dekamerone (9. Novelle des 5. Tages). Heyses Theorie erklärt den Charakter novellistischer Literatur jedoch nur bruchstückhaft und missverständlich, er selbst befolgte sie nicht.
Bekannte Verfasser von Novellen in der deutschen Literatur sind zum Beispiel Heinrich von Kleist, Conrad Ferdinand Meyer, Eduard Mörike, Theodor Storm, Paul Heyse, Gottfried Keller, Theodor Fontane, Gerhart Hauptmann, Stefan Zweig, Georg Büchner, Annette von Droste-Hülshoff, Thomas Mann, Wilhelm Raabe sowie in der Gegenwart Hartmut Lange und Uwe Timm.
Inhaltsverzeichnis |
[Bearbeiten] Charakteristika der Novelle (Genre)
- Erzählung mittlerer Länge
- Unerhörte Begebenheit
Oft ein Konflikt zwischen Ordnung und Chaos → Einmaligkeit, Normenbruch
- Ein einziges Ereignis (Der Singularität verpflichtet)
- Unterliegt der geschlossenen Form und einer inneren Struktur
Oft: Rahmenhandlung
- Leitmotiv und Symbol
Speziell: Dingsymbol / Vielschichtigkeit des Symbols
- Zufall hat eine zentrale Bedeutung
Zufall ist oft das konstituierende Element
- Personenbesonderheiten: Oft Isolation, Ausgrenzung, Mangel an Kommunikation
[Bearbeiten] Beispiele für Novellen
- 1810 - Michael Kohlhaas, Heinrich von Kleist
- 1818 - Das Marmorbild, Joseph von Eichendorff
- 1821 - Das Fräulein von Scuderi, E.T.A. Hoffmann
- 1828 - Novelle, Johann Wolfgang von Goethe
- 1842 - Die Judenbuche, Annette von Droste-Hülshoff
- 1842 - Die schwarze Spinne, Jeremias Gotthelf
- 1856 - Mozart auf der Reise nach Prag, Eduard Mörike
- 1866 - Romeo und Julia auf dem Dorfe, Gottfried Keller
- 1878 - Der Schuss von der Kanzel, Conrad Ferdinand Meyer
- 1885 - Unterm Birnbaum, Theodor Fontane
- 1887 - Bahnwärter Thiel, Gerhart Hauptmann
- 1888 - Der Schimmelreiter, Theodor Storm
- 1925 - Traumnovelle, Arthur Schnitzler
- 1930 - Mario und der Zauberer, Thomas Mann
- 1941 - Die Schachnovelle, Stefan Zweig
- 1952 - Der alte Mann und das Meer, Ernest Hemingway
- 1961 - Katz und Maus, Günther Grass
- 1978 - Ein fliehendes Pferd, Martin Walser
- 1987 - Die Taube, Patrick Süskind
- 1993 - Die Entdeckung der Currywurst, Uwe Timm
[Bearbeiten] Siehe auch
Rahmennovelle, chinesische Novelle hsiau-schuo
[Bearbeiten] Literatur
- Hugo Aust: Novelle. Metzler, Stuttgart 1990.
- Thomas Degering: Kurze Geschichte der Novelle. UTB, Stuttgart 1994.
- Winfried Freund: Novelle. Reclam, Stuttgart 2003.
- Josef Kunz (Hrsg.): Novelle. Wissenschaftliche Buchgesellschaft, Darmstadt 1973.
- Branka Schaller-Fornoff: Novelle und Erregung. Olms, Hildesheim/New York 2008.
- Hannelore Schlaffer: Poetik der Novelle. Metzler, Stuttgart/Weimar 1993.
- Winfried Wehle: Novellenerzählen. Französische (und italienische) Renaissancenovellistik als Diskurs. 2., korrigierte Auflage. München 1984.
- Benno von Wiese: Die deutsche Novelle von Goethe bis Kafka. Ab 1967.
- Benno von Wiese: Novelle. 8. durchgesehene Auflage. Metzler, Stuttgart 1982.