Kiemenbogen
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Die Kiemenbogen, auch Branchialbogen (Arcus branchiales), Schlundbogen oder Viszeralbogen genannt (süddeutsch wird als Plural meist 'Bögen' verwendet), sind Bildungen des Kopfdarms bei Wirbeltieren. Beim Säugetierembryo bilden sich vier solcher Bogen (I-IV), ein fünfter wird rudimentär angelegt. Durch Wucherungen des Mesenchyms entstehen
- äußerlich die Schlund- oder Kiemenfurchen (Sulci branchiales oder Ducti branchiales, 1-4) und
- innen die Schlundtaschen oder Kiemenspalten (Sacci pharyngeales, 1-4).
Bei den Fischen reißen die Membranen zwischen Furche und Tasche ein und es entstehen die definitiven Kiemen. Die Existenz solcher Kiemenbogen und -furchen auch bei Embryonen höherer Wirbeltiere wurde erstmals von Martin Rathke beschrieben.
Jeder dieser Kiemenbogen besitzt neben dem Mesenchym eine Kiemenbogenarterie (rot) und -vene (blau), einen Kiemenbogennerv (gelb) und eine Knorpelanlage (zyan). Aus den Kiemenbogen entwickeln sich bei höheren Wirbeltieren viele Organe, die deshalb als branchiogene Organe bezeichnet werden.
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[Bearbeiten] Erster Kiemenbogen
Aus dem ersten Kiemenbogen (Mandibularbogen) entstehen große Teile des Gesichts, wie Oberkiefer (Maxilla), Unterkiefer (Mandibula) und Gaumen. Die Höcker (Tubercula lateralia und impar) am Boden des Vorderdarms verschmelzen zu den vorderen 2/3 der Zunge. Vom Foramen cecum wächst der Ductus thyreoglossus aus, der sich zur Schilddrüse entwickelt.
Der erste Kiemenbogennerv ist der Nervus mandibularis (Ast des V. Hirnnervs, Nervus trigeminus). Die 1. Kiemenfurche entwickelt sich zum äußeren Gehörgang (Meatus acusticus externus) und zum äußeren Teil des Trommelfells. Aus der 1. Schlundtasche entsteht der Recessus tubotympanicus aus dem sich die Paukenhöhle, die Ohrtrompete (Tuba auditiva), der innere Teil des Trommelfells sowie das Antrum mastoideum bilden. Aus Teilen des ersten Kiemenbogenknorpels entstehen auch die Gehörknöchelchen Hammer und Amboss.
[Bearbeiten] Zweiter Kiemenbogen
Der 2. Kiemenbogen wird auch als Zungenbeinbogen (oder Hyoidbogen) bezeichnet. Aus ihm entsteht der obere Teil des Zungenbeins und aus dem oberen Knorpelteil auch das Gehörknöchelchen Steigbügel.
Der zweite Kiemenbogennerv ist der VII. Hirnnerv (N. facialis). Da die mimische Muskulatur ebenfalls dem Hyoidbogen entstammt, versorgt der N. facialis diese auch beim Erwachsenen. Die zweite Schlundtasche bildet sich entweder ganz zurück oder die Anlage der Gaumenmandel (Tonsilla palatina) und die Fossa tonsillaris. Die Kiemenfurche verschwindet, wie auch die der folgenden Kiemenbogen vollständig.
[Bearbeiten] Dritter Kiemenbogen
Der 3. Kiemenbogenknorpel entwickelt sich zum unteren Teil des Zungenbeins, das Mesenchym zur Pharynxmuskulatur, die entsprechend auch beim Erwachsenen vom dritten Kiemenbogennerv, dem IX. Hirnnerv (N. glossopharyngeus) innerviert wird.
Aus dem Wandmaterial der 3. Schlundtasche entwickelt sich das untere Epithelkörperchen (Glandula parathyroidea inferior) und der Thymus. Die Kiemenfurche bildet sich normalerweise zurück, der gemeinsame Raum der hinteren Kiemenfurchen (Sinus cervicalis) kann aber zur Entstehung von Halszysten und -fisteln führen.
[Bearbeiten] Vierter Kiemenbogen
Der 4. Kiemenbogen und sein Knorpel bildet sich zum oberen Teil des Kehlkopfes um, an dessen Bildung auch der rudimentäre 5. Kiemenbogen beteiligt ist. Der 4. Kiemenbogennerv ist der Nervus vagus (X. Hirnnerv), der über den Nervus laryngeus superior auch für die Innervation eines äußeren Kehlkopfmuskels (Musculus cricothyreoideus) zuständig ist.
Aus dem Wandbereich der 4. Schlundtasche entsteht das obere Epithelkörperchen. Zudem wandern von hier bei Säugetieren Zellen in die Anlage der Schilddrüse und entwickeln sich dort zu den C-Zellen. Bei Vögeln bilden diese Zellen noch ein separates Organ (Ultimobranchialer Körper). Es gibt auch Theorien die besagen, dass die C-Zellen beim Menschen sich aus der 5. Schlundtasche, genauer dem Ultimobranchialen Körper entwickeln.
[Bearbeiten] Fünfter Kiemenbogen
Der 5. Kiemenbogen bildet sich nur rudimentär oder gar nicht aus. Es entstehen keine definitiven Strukturen.
[Bearbeiten] Sechster Kiemenbogen
Der 6. Kiemenbogen und sein Knorpel bildet sich zum unteren Teil des Kehlkopfes um. Der 6. Kiemenbogennerv ist der Nervus laryngeus recurrens (Ast des X. Hirnnervens, Nervus vagus), der für die Innervation der inneren Muskeln des Kehlkopfs zuständig ist.
[Bearbeiten] Kiemenbogenarterien
Während der Embryonalentwicklung bilden sich sechs Kiemenbogenarterien, die bogenförmig zwischen den noch paarigen dorsalen und ventralen Aorten verlaufen. Die 1., 2. und 5. Kiemenbogenarterie bilden sich vollständig zurück.
Die 3. Kiemenbogenarterie wird zusammen mit der dorsalen Aorta zur inneren Halsschlagader Arteria carotis interna. Die 4. Kiemenbogenarterie wird links zum Aortenbogen (Arcus aortae) und rechts zum Anfangsabschnitt der Arteria subclavia. Die 6. Kiemenbogenarterie wird beiderseits zum Anfangsabschnitt der Lungenarterie (Arteria pulmonalis), links auch zum Ductus arteriosus (Botallischer Gang).
[Bearbeiten] Literatur
Thomas W. Sadler: Medizinische Embryologie. 10. Auflage. Thieme (übersetzt von Ulrich Drews), ISBN 3134466104, S. 322-335.