Casus belli
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Als Casus belli (lat. Kriegsgrund) wird eine Handlung bezeichnet, die einen Krieg auslöst. Der Casus belli beschreibt also nicht die Menge der Umstände, die zu einem Krieg führt, sondern meist nur den letzten, auslösenden Faktor. Ist der Casus belli als Angriffshandlung im Sinne des Völkerrechts zu verstehen, entsteht daraus das Recht, einen Krieg in Selbstverteidigung zu führen. Daraus ergibt sich das Problem, im jeweiligen Fall das Vorliegen einer Angriffssituation prüfen zu müssen, was im allgemeinen Aufgabe des UN-Sicherheitsrats ist.
Da bei bestimmten Casus belli völkerrechtlich ein Angriff auf einen Aggressor heute noch als berechtigt angesehen wird, kam es immer wieder vor, dass Casus belli vom eigentlichen Aggressor bewusst produziert wurden, so z. B. im 19. Jahrhundert beim Arrow-Zwischenfall als Vorwand des Zweiten Opiumkrieges Großbritanniens gegen China oder beim Maine-Zwischenfall im Hafen von Havanna als Vorwand der USA zur Annexion Kubas und der Philippinen im Krieg gegen Spanien. Wie der jüngste Fall der angeblichen Massenvernichtungswaffen im Irak zeigt, ist der Missbrauch eines Casus belli aber auch heute in der Weltpolitik durchaus noch üblich.
Historisch lässt sich die Unterscheidung zwischen eigentlichem Kriegsgrund (z. B. Expansionsbestrebung eines Staates) und dem öffentlich als Kriegsanlass angegeben Casus belli bis auf den griechischen Historiker Thukydides im Peloponnesischen Krieg zurückführen. So war auch der Vernichtungsfeldzug Roms gegenüber Karthago im 3. Punischen Krieg offensichtlich durch den Wunsch Roms nach uneingeschränkter Herrschaft im Mittelmeer begründet und nicht durch die als Kriegsanlass begründeten Aktivitäten Karthagos gegenüber römischen Bundesgenossen.
Eine große Wirkung auf die abendländische Doktrin des casus belli hatte bis ins 19. Jahrhundert auch in evangelischen Staaten allerdings Augustinus und der Scholismus mit seiner Definition von gerechter Krieg. Dies bewirkte zum Beispiel, dass auch die spanische Kolonialmacht sich nachträglich juristisch absichern ließ, einen gerechten Krieg gegen rechtmäßige einheimische Herrscher in Amerika geführt und damit rechtmäßig Gebiete erworben zu haben. Formelle Kriegserklärungen und deren Begründung wurden so unverzichtbarer Bestandteil des Rechtes zum Krieg europäischer Staaten bis ins 20. Jh. außer in Kriegen mit nicht als ebenbürtig angesehenen Staaten in Übersee und gegen aufständische Kolonialvölker.
Fingierte Casus belli dienen demzufolge in der Regel nicht nur der Rechtfertigung einer kriegerischen Aggression (um Sanktionen und Einmischungen anderer Staaten zu verhindern), sondern auch zur anschließenden Legitimierung der sich daraus sich ergebenden Kriegsfolgen d. h. der Annexion oder sonstigen Beherrschung bisher fremden Gebietes. Dies ist insbesondere heute völkerrechtlich von Belang, da nach UN-Charta Angriffskriege verboten sind.
In Zeiten der Massenheere und der Verantwortlichkeit von Regierungen gegenüber ihrer Bevölkerung und der von dieser verlangten Opfer hat das Vorhandensein eines allenfalls fingierten Casus belli aber auch innenpolitisch eine große Bedeutung. So diente der Tongking-Zwischenfall im 2. Vietnamkrieg mit dem angeblichen Beschuss amerikanischer Kriegsschiffe durch Nordvietnam innenpolitisch mehr dazu, die amerikanische Öffentlichkeit auf die Massenrekrutierung und die massiv steigenden Kriegskosten einzustimmen als die territoriale Ausweitung des Kriegsgebietes gegenüber der internationalen Öffentlichkeit zu rechtfertigen.
Häufig wird zudem auch als casus belli ein von unabhängiger Seite gar nicht eindeutig überprüfbarer Grund angeführt (z. B. unter Verweis auf nicht vollständig vorlegbare Geheimdienstergebnisse) und versucht, trotzdem UN-Sicherheitsrat und internationale Öffentlichkeit vom gegebenen Kriegsgrund zu überzeugen. So ist zwar größtenteils unbestritten, dass die Weigerung der Taliban-Regierung Afghanistans zur Auslieferung oder zumindest Strafverfolgung der Urheber der Anschläge vom 11. September 2001 ein legitimer Kriegsgrund der USA gegen Afghanistan war. Anders war dagegen die Invasion der USA im Irak, wo deren Außenminister Colin Powell vor dem Sicherheitsrat angeblich belastendes Material von transportablen Labors für biologische Massenvernichtungswaffen vortrug, das eindeutig manipuliert wurde, wie auch behauptete Urankäufe Iraks im Niger frei erfunden wurden. Entsprechend wurden auch nach der Invasion keine solchen Waffen im Irak gefunden.
Letzterer Fall zeigt auch, dass einem Kriegsbeginn mit fingierten casus belli meist eine innen- und außenpolitisch begründete aggressive Propaganda vorausgeht. Häufig lässt sich sogar klar in Schriften bestimmter Gruppen (vorstehend von einflussreichen neo-konservativen Thinktanks der USA) bereits lange vor den Kriegshandlungen nachlesen, dass ein Krieg unumgänglich und eigentlich gar nicht vom konkreten Verhalten des als Feind- oder Schurkenstaat diffamierten Staates abhängig ist.
[Bearbeiten] Beispiele für Casus belli
- Der zweite Prager Fenstersturz von 1618. Beginn Dreißigjähriger Krieg.
- Beschuss von Fort Sumter durch Konföderierte Staaten von Amerika. Beginn Sezessionskrieg von 1861 bis 1865.
- Der Streit um die Verwaltung Schleswigs und Holsteins nach dem Ende des Deutsch-Dänischen Krieges war der Auslöser für den Deutschen Krieg zwischen Preußen und Österreich.
- Das Attentat von Sarajevo, bei dem am 28. Juni 1914 der Thronfolger Österreich-Ungarns, Erzherzog Franz Ferdinand und seine Gemahlin ermordet wurden, war Anlass für die Julikrise und führte zum Ersten Weltkrieg.
- Um den Angriff auf Polen zu rechtfertigen, fingierte das Deutsche Reich am 31. August 1939 neben einigen „Grenzzwischenfällen“ den Überfall auf den Sender Gleiwitz.
- Der so genannte „Mainila-Zwischenfall“ vom 26. November 1939, als finnische Artillerie nach sowjetischen Angaben eine Grenzpatrouille unter Feuer genommen hatte, diente der Sowjetunion als casus belli für den Winterkrieg.
- Die Sperrung der Meerenge von Tiran 1967 durch Ägypten führte zum Sechstagekrieg mit Israel.