Bedarfsgemeinschaft
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Bedarfsgemeinschaft ist ein Begriff aus dem deutschen Recht der Grundsicherung für Arbeitssuchende im Sozialgesetzbuch II sowie dem Sozialhilferecht (Sozialgesetzbuch XII). Dem Konstrukt der Bedarfsgemeinschaft liegt die Prämisse zu Grunde, dass Personen, die besondere persönliche oder verwandtschaftliche Beziehungen zueinander haben und die in einem gemeinsamen Haushalt leben, sich in Notlagen gegenseitig materiell unterstützen und ihren Lebensunterhaltsbedarf gemeinsam decken. Daraus wird gefolgert, dass Angehörige einer solchen Bedarfsgemeinschaft weniger sozialstaatliche Hilfe benötigen als Personen, die nicht in einer solchen Gemeinschaft leben.
Die gewährte Grundsicherung ist gegenüber anderen Hilfen nachrangig und soll Bedarfe nur insoweit decken, wie es zur Führung eines menschenwürdigen und existenzgesicherten Lebens erforderlich sei. Transferleistungen innerhalb von Familien und eheähnlichen Partnerschaften werden als faktisch gegeben angenommen und deshalb bei der Berechnung der Grundsicherung berücksichtigt, um eine Benachteiligung von Personen zu vermeiden, die sich gegenseitig zur Hilfeleistung verpflichtet sind.
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[Bearbeiten] Angehörige der Bedarfsgemeinschaft nach dem Sozialgesetzbuch II
Zu einer Bedarfsgemeinschaft gehören nach § 7 Abs. 3 SGB II
- erwerbsfähige Hilfebedürftige
- die im Haushalt lebenden Eltern oder ein im Haushalt lebender Elternteil eines unverheirateten, erwerbsfähigen Kindes, welches das 25. Lebensjahr noch nicht vollendet hat und der im Haushalt lebende Partner dieses Elternteils
- als Partner der hilfebedürftigen Person
- der nicht dauernd getrennt lebende Ehegatte,
- der nicht dauernd getrennt lebende Lebenspartner
- eine Person, die mit dem erwerbsfähigen Hilfebedürftigen in einem gemeinsamen Haushalt so zusammenlebt, dass nach verständiger Würdigung der wechselseitige Wille anzunehmen ist, Verantwortung füreinander zu tragen und füreinander einzustehen,
- die dem Haushalt angehörenden unverheirateten Kinder von den in den Nummern 1. bis 3. genannten Personen, wenn die Kinder das 25. Lebensjahr noch nicht vollendet haben und ihren Lebensunterhalt nicht aus eigenem Einkommen oder Vermögen sichern können.
Nach § 7 Abs. 3a SGB II wird ein wechselseitiger Wille Verantwortung füreinander zu tragen und füreinander einzustehen vermutet, wenn Menschen
- länger als ein Jahr zusammenleben,
- mit einem gemeinsamen Kind zusammenleben,
- Kinder oder Angehörige im Haushalt versorgen oder
- befugt sind, über Einkommen oder Vermögen des anderen zu verfügen.
Diese Vermutung kann widerlegt werden.
[Bearbeiten] Abgrenzung Bedarfsgemeinschaften von Wohngemeinschaften (= Haushaltsgemeinschaften)
Ein erklärtes Ziel des Gesetzes zur Fortentwicklung der Grundsicherung für Arbeitssuchende war es, den Nachweis eheähnlicher Gemeinschaften zu vereinfachen und deren Definition auf gleichgeschlechtliche Partnerschaften auszuweiten. Die Bundesregierung wollte es erschweren, dass sich zusammenwohnende Menschen als Wohngemeinschaft ausgeben, anstatt als anspruchsmindernde Bedarfsgemeinschaft. Aus diesem Grund sah man mit §7 Abs 3a SGB II eine Beweislastumkehr vor, deren einzelnen Tatbestände mit einem logischen "oder" verknüpft sind. Dadurch kann schon ein einziger dieser Tatbestände genügen, um die Vermutung einer Bedarfsgemeinschaft zu begründen. Die Verfassungsmäßigkeit dieser Regelung ist umstritten und ungeklärt.
Insbesondere der erste Tatbestand, dass alle Menschen, die länger als ein Jahr zusammenleben, als Bedarfsgemeinschaft angesehen werden, betrifft auch viele Wohngemeinschaften. Dabei ist jedoch auf die exakte Formulierung zu achten: Im Gesetzestext heißt es "zusammenleben", nicht "zusammenwohnen"[1]. Um die Vermutung einer Bedarfsgemeinschaft zu rechtfertigen, genügt es also nicht, nur in derselben Wohnung zu wohnen, sondern es kommt auf das gemeinsame "zusammenleben" an[2]. Die zuständige Behörde muss also nach wie vor nachweisen, dass es sich um eine Beziehung handelt, die über gemeinsames Wohnen hinausgeht, erst dann darf sie eine Bedarfsgemeinschaft vermuten.
Die Mitglieder einer Wohngemeinschaft können die Vermutung des Vorliegens einer Bedarfsgemeinschaft widerlegen. Bisher gibt es noch keine gefestigte Rechtsprechung, welche Indizien diese Vermutung widerlegen können. Es gibt jedoch einige Urteile, die nahelegen, dass folgende Indizien die Vermutung einer Bedarfsgemeinschaft einzeln oder in Summe widerlegen können:
- Existenz eines Untermietvertrages für die gesamte Wohndauer und tatsächlich erbrachte Mietzahlungen [3]
- Schriftliche eidesstattliche Versicherung der Mitglieder der Wohngemeinschaft, nicht füreinander aufkommen zu wollen[4] (die Arbeitsagentur hat hier eine abweichende Meinung[5])
Auch bei Mitgliedern einer Haushaltsgemeinschaft geht der Gesetzgeber davon aus, dass deren Mitglieder für den Lebensunterhalt eines im gemeinsamen Haushalt lebenden ALG-II-Empfängers aufkommen und berechnet den Arbeitslosengeldanspruch dementsprechend geringer. Einkommen des Mitglieds der Haushaltsgemeinschaft, welches seinen eigenen Lebensunterhalt übersteigt, wird - ebenfalls aufgrund einer gesetzlichen Vermutung (§ 9 Abs. 5 SGB II) - auf den Leistungsanspruch des AlgII-Empfängers angerechnet, wenn das Haushaltsmitglied und der AlgII-Empfänger miteinander verwandt oder verschwägert sind! Da hier bereits weitläufige Verwandtschaft zählt, bekommt unter Umständen ein AlgII-Empfänger erheblich weniger Leistung, weil ein fiktives Einkommen aus der Unterstützung durch den "verdienenden" Verwandten angenommen wird. Auch hier gilt es, diese Unterhaltsvermutung zu widerlegen!
[Bearbeiten] Unterhaltspflichten
Durch die Einstufung als Bedarfsgemeinschaft entstehen für die Mitglieder einer solchen keine neuen Unterhaltspflichten. Natürlich bleiben die vorhandenen Unterhaltspflichten z.B. gegenüber einem Ehepartner, den eigenen Kindern oder den Eltern bestehen. Es entsteht jedoch keine Unterhaltspflicht z.B. gegenüber einem Partner, mit dem keine Ehe eingegangen wurde. Entsprechender Unterhalt ist insbesondere auch nicht vor Gericht einklagbar.
Vielmehr ist es so, dass der Staat einfach nur annimmt, dass Zahlungen geleistet werden und diese fiktiven Zahlungen ganz real auf den Anspruch auf Arbeitslosengeld II angerechnet werden - egal ob tatsächlich Unterstützung geleistet wird oder nicht. Dies kann Betroffene, die tatsächlich nicht unterstützt werden in erhebliche Probleme bringen, da der Nachweis nichtgeleisteter Unterstützung vor Gericht sehr schwierig ist.
[Bearbeiten] Auswirkungen auf den Leistungsanspruch
Das Vorliegen einer Bedarfsgemeinschaft führt dazu, dass bei der Prüfung, ob der Hilfesuchende bedürftig und damit anspruchsberechtigt ist, nicht nur dessen eigenes Einkommen und Vermögen, sondern auch das Einkommen und Vermögen der mit ihm in der Bedarfsgemeinschaft lebenden Personen berücksichtigt wird.
Ausnahmen: Kinderzuschlag und Kindergeld werden nur den Kindern, nicht den Eltern zugerechnet (§11 Abs. 1 S. 2+3 SGB II). Außerdem bleibt Einkommen und Vermögen der Eltern bei einem Kind unberücksichtigt, das schwanger ist oder selber Elternteil eines Kind ist, welches das 6. Lebensjahr noch nicht vollendet hat.
Alle Angehörigen der Bedarfsgemeinschaft sind verpflichtet, der Behörde Auskunft über Ihre Einkommens- und Vermögensverhältnisse zu geben. Sind die Kosten der Unterkunft unangemessen hoch, kann die Bedarfsgemeinschaft aufgefordert werden, in eine kostengünstigere Wohnung umzuziehen.
Der Regelsatz zur Sicherung des Lebensunterhalts beim Arbeitslosengeld II für volljährige erwerbsfähige Angehörige der Bedarfsgemeinschaft, die in einer Partnerschaft miteinander leben, beträgt mit je 312,00 € nur 90 % dessen eines Alleinstehenden, der einen Regelsatz von 347,00 € beanspruchen kann (Stand 1. Juli 2007).
[Bearbeiten] Kritik
Kritik an dem Konstrukt der Bedarfsgemeinschaft wird vor allem in Hinblick auf die Berücksichtigung des Partners einer eheähnlichen Gemeinschaft bzw. noch stärker auf die Berücksichtigung des Partners einer gleichgeschlechtlichen Lebensgemeinschaft geübt. Solche Beziehungen (sowohl homo- wie heterosexuell) fänden nur Beachtung, wenn sie sich nachteilig auf Sozialleistungsansprüche auswirken. Dagegen blieben den Partnern Ansprüche verwehrt, bei denen es auf das Verheiratetsein ankomme, wie etwa dem steuerrechtlichen Ehegattensplitting, dem Anspruch auf eine Hinterbliebenenrente im Falle des Todes des Partners oder der kostenlosen Krankenversicherung des Partners in der Familienversicherung. Es entsteht so beispielsweise die absurde Situation, dass ein Partner wegen der Ähnlichkeit zur Ehe seinen Partner versorgen und krankenversichern muss, dass die Sache der Ehe aber nicht ähnlich genug ist, die beitragsfreie Familienversicherung zu ermöglichen.
Kritisiert (unter anderem vom SozG Düsseldorf [6]) wird ebenfalls, dass durch das Konzept der Bedarfsgemeinschaft Partner auf Unterhaltsleistungen verwiesen werden sollen, auf die sie gar keinen Rechtsanspruch haben und die sie infolgedessen auch nicht vor Gericht einklagen können.
Hinzu kommt, dass gleichgeschlechtliche Paaren, die ihre Beziehung durch das Eingehen einer Lebenspartnerschaft auch rechtlich gefestigt haben, beim Arbeitslosengeld II in den Nachteilen zwar als Bedarfsgemeinschaft Ehepartnern gleichgestellt sind, aber umgekehrt nicht die entsprechenden Vorteile der Ehe genießen. Während einer eheähnlichen Gemeinschaft zumindest in der Theorie eine Ehe und damit unter anderem der steuerliche Vorteil des Ehegattensplittings und die kostenlosen Krankenversicherung offensteht, besteht diese Möglichkeit für gleichgeschlechtliche Paare nicht.
Ein weiterer Grund für Kritik am Konzept der Einkommensanrechnung von Partnern ist, dass die angeblich drohende Benachteiligung von Eheleuten durch die Nichtanrechnung auch dadurch korrigiert werden könnte, dass das Ehegattensplitting abgeschafft wird und stattdessen auch Ehepartner Anspruch auf Sozialleistungen erhalten können.
Kritisiert wird auch, dass die Schlechterstellung von Bedarfsgemeinschaften gegenüber Einzelpersonen die Solidarität in gelebten Sozialbeziehungen untergrabe[7]. Insgesamt stelle der durch die Bedarfsgemeinschaft entstehende faktische Zwang zu gegenseitiger Hilfe einen nicht gerechtfertigten Eingriff in die freie Entfaltung der Persönlichkeit dar.
Wenn Fehlverhalten eines Mitglieds der Bedarfsgemeinschaft der gesamten Bedarfsgemeinschaft zugerechnet wird, steigt die Wahrscheinlichkeit einer "Sanktion" bzw. einer "Nichtfortzahlung" mit der Anzahl der Mitglieder der Bedarfsgemeinschaft - ob dies ein Verstoß gegen Art. 3 GG (Gleichheitsgrundsatz) sowie ggf. auch gegen Art. 6 GG (Schutz von Ehe und Familie) ist, bedarf noch der gerichtlichen Klärung. Jegliche "Sanktion" wegen fehlender oder mangelhafter Befolgung von "Mitwirkungspflichten"(z.B. in Bezug auf Angaben zu Einkommen, Vermögen, ggf. aber auch mangelhafte Terminswahrnehmung oder Nichteinhalten von Eingliederungsvereinbarungen etc.) dürfte - wenn ein Absenken der Leistung unter das Existenzminimum überhaupt im Hinblick auf das Sozialstaatsgebot (Art. 20,28GG) gerechtfertigt wäre, nur den treffen, dem ein Versäumnis vorzuwerfen ist. Je größer und komplexer die Bedarfsgemeinschaft zusammengesetzt ist, desto höher ist die Wahrscheinlichkeit, dass Angaben eines Mitglieds der Bedarfsgemeinschaft als unvollständig oder fehlerhaft angesehen werden mit der Folge, dass alle Mitglieder von Sanktionierung oder einer existenzgefährdenden Verlängerung der Bearbeitungszeit von (Fortzahlungs-)anträgen betroffen sind. Besonders problematisch ist in diesem Zusammenhang das ohne eigene Rechtsgrundlage verwaltungspraktisch eingeführte Aussetzen des gesamten Leistungsbezuges(einschl. Krankenversicherungsschutz, Unterkunft) aller Mitglieder einer Bedarfsgemeinschaft bei "noch nicht entscheidungsreifem Fortzahlungsantrag" (Folge einer Kombination von Antragsbedürftigkeit der Leistung mit Befristung durch Einführung von "Bewilligungszeiträumen").
[Bearbeiten] Quellen
- ↑ Die Formulierung "zusammenleben" nimmt Bezug auf das Urteil BVerfGE 87,234, das im Jahr 1992 die Praxis für verfassungswidrig erklärte, schon bei einem Zusammenwohnen eine eheähnliche Gemeinschaft zu vermuten
- ↑ LSozG Niedersachsen-Bremen, Az: L 9 AS 349/06 ER: Das "Zusammenleben" muss geeignet sein, den Schluss auf das Bestehen einer Einstandsgemeinschaft zu begründen, was wenigstens das Vorliegen einer Haushalts- und Wirtschaftsgemeinschaft voraussetzt.
- ↑ LSozG Baden-Württemberg Az: L 8 AS 3441/05 ER-B, B.v. 05.12.2005: Das Bestehen eines (wirksamen) Mietvertrages zwischen zwei Personen schließt jedoch die Annahme einer Haushaltsgemeinschaft aus, weil ein „Wirtschaften aus einem Topf“, wie dies für eine Haushaltgemeinschaft kennzeichnend ist, nicht angenommen werden kann, wenn einer dem anderen Mietzins zahlen muss.
- ↑ SG Düsseldorf, Az: S 35 AS 107/05 ER (SGB II, EA): ...Dieser Konflikt (siehe auch "Eheähnliche Gemeinschaft") lässt sich sachgerecht nur lösen, wenn den Stellungnahmen der Partner zur Frage der 'eheähnlichen Lebensgemeinschaft' entscheidende Bedeutung zukommt.
- ↑ Die Arbeitsagentur äußert sich in der Frage nach der Bedeutung der Erklärungen der Mitglieder einer Wohngemeinschaft folgendermaßen: Eine bloße Behauptung, dass die Partnerschaft nicht auf Dauer angelegt ist und beide in Notfällen nicht füreinander einstehen, reicht nicht aus.
- ↑ Das Sozialgericht Düsseldorf stellte fest, dass es nicht angehen könne, dass ein Hilfebedürftiger auf Leistungen eines Dritten verwiesen werde, die dieser tatsächlich nicht erbringe und auch rechtlich nicht erbringen müsse. Die Antragstellerin habe keinen Rechtsanspruch auf Unterhaltsleistungen ihres Partners und könne solche schon gar nicht einklagen. Vor diesem Hintergrund stellte das Gericht fest, dass zur Beurteilung der Frage, ob eine „eheähnliche Gemeinschaft“ bestehe, den Stellungnahmen der Partner entscheidende Bedeutung zukomme.
- ↑ Diakonisches Werk der Evangelischen Kirche in Deutschland, Zehn Thesen zur Fortentwickling der Grundsicherung für Arbeitssuchende (SGB II) vom 18. Mai 2006 http://www.dw-bonn.de/Downloads/ThesenSGBII.pdf
[Bearbeiten] Siehe auch
- Familie (Recht)
- eheähnliche Gemeinschaft
- Arbeitslosengeld II
- Jobcenter
- Privathaushalt
- Lebensgemeinschaft
- Sittliche Pflicht
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