Stilelemente von Manga und Anime
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Im Laufe der Zeit haben sich bei modernen Manga (japanischen Comics) und Anime (japanischen Zeichentrickfilmen) besondere Stilelemente herausgebildet, die häufig als für diese charakteristisch angesehen werden. Sie müssen jedoch nicht zwingend vorhanden sein oder können auch absichtlich entgegen üblichen Lese- und Sehgewohnheiten eingesetzt werden.
Inhaltsverzeichnis |
[Bearbeiten] Figurdesign
[Bearbeiten] „Westliches“ Aussehen?
Häufig wird Manga- und Anime-Figuren aufgrund der großteils großen Augen, „bunten“ Haare und vereinfachten Gesichtszüge (vgl. den Abschnitt „Kindchenschema“) ein scheinbar „westliches“ bzw. „kaukasisches“ Aussehen unterstellt. Vereinzelt wird diese Darstellungsform sogar als unbewusster Wunsch der Japaner nach einem entsprechenden Aussehen interpretiert.
Tatsächlich ist diese Form der Darstellung nach japanischem Verständnis jedoch neutral und ohne Zuordnung zu einer bestimmten Rasse oder Region.[1] Sie spart einerseits Zeit beim Zeichnen und bietet andererseits mit nur wenigen zusätzlichen Elementen viele Variationsmöglichkeiten.
Als Bezugspunkt für die neutrale Darstellung wird meistens derjenige Ort gewählt, an dem der Hauptteil der Handlung stattfindet: So werden bei einem in Japan spielenden Manga oder Anime Japaner neutral dargestellt, bei Geschichten in Europa bekommen dagegen die Europäer das neutrale Aussehen.
Darüber hinaus kommen in Manga und Anime aber auch häufig Klischees zum Einsatz: Europäer werden eher mit ausgeprägter Nase und breitem Kinn gezeichnet (entsprechend der stereotypen europäischen Selbstdarstellung in frankobelgischen Comics), Schwarze mit übertrieben dicken Lippen und Rastafrisur und Chinesen mit „Schlitzaugen“ und traditionellen chinesischen Gewändern.
[Bearbeiten] Kindchenschema

Eines der häufigsten Manga- und Anime-Elemente, insbesondere bei der Darstellung weiblicher Charaktere, ist das Kindchenschema mit großem Kopf und stark vergrößerten „Kulleraugen“. Dieses Figurendesign ist so charakteristisch, dass es oft als allgemeingültiges Kennzeichen für japanische Produktionen oder davon abgeleitete Erzeugnisse interpretiert wird; so trägt beispielsweise ein US-amerikanisches Rollenspiel mit Manga- und Anime-Elementen den Titel Big Eyes, Small Mouth („große Augen, kleiner Mund“).
Das Kindchenschema kommt vor allem bei Produktionen für Kinder und Jugendliche und im Etchi- und Hentai-Bereich (Geschichten für Erwachsene mit mehr oder weniger deutlich ausgeprägtem sexuellen Inhalt) vor. Bei Manga und Anime mit ernstem oder anspruchsvollem Hintergrund ist dagegen vielfach ein eher realistisches Figurendesign zu finden.
Insbesondere im deutschsprachigen Raum werden vor allem die Entwürfe für die Figuren der Kinderserie Biene Maja oft als Prototypen für das „typische“ Anime-Kindchenschema betrachtet. Sie stammen jedoch nicht aus Japan, sondern vom US-Zeichner Marty Murphy, Mitarbeiter der Hanna-Barbera-Trickstudios und beteiligt an Zeichentrickserien wie Mr. Magoo und Hong Kong Pfui.
[Bearbeiten] Gesichtsaufbau
Vielfach werden Manga- und Anime-Charaktere mit stark vergrößerten Augen gezeichnet, die aber je nach Realismus der Handlung skaliert werden. So nähert sich bei Anime und Manga mit ernsthafter Handlung häufig die Gesichtsform der von realen Menschen an.
Da die Nase für die Darstellung von Gefühlen und Emotionen kaum eine Bedeutung hat, wird sie meist nur angedeutet und in der Regel sehr klein dargestellt.
Auch der Mund wird vergleichsweise klein gezeichnet, kann aber bei Emotionen wie Wut oder Ratlosigkeit auch übertrieben groß dargestellt werden. Diese übernatürliche Deformation des Charakters wird als Super Deformed bezeichnet.
[Bearbeiten] Super Deformed und Chibi
Zur Hervorhebung von Emotionen oder Gesichtsausdrücken, aber auch zur Verniedlichung oder parodistischen Verstärkung können Figuren in einer Extremform, dem so genannten Super Deformed, dargestellt werden. Die Charaktere werden hier bewusst nicht anatomisch korrekt gezeichnet, wobei diejenigen Körperteile, die für die Aktion relevant sind, besonders betont werden. Diese Form wird häufig in humorvollen Zwischensequenzen verwendet.
Der Begriff Chibi bezeichnet die Darstellung eines Charakters in kindlicher, meist gedrungener Form. Dabei wird bewusst das Kindchenschema auf die Spitze getrieben, und in den Darstellungen lassen sich teilweise auch Super-Deformed-Stilelemente wiederfinden.
[Bearbeiten] Kemonomimi
Als Kemonomimi werden menschlich gestaltete Figuren mit Merkmalen von Tieren bezeichnet. Im Gegensatz zu Kemono, die in der klassischen japanischen Kunst Tiere mit menschlichen Eigenschaften und Lebensweisen darstellen, besitzen Kemonomimi nur einzelne Elemente von Tieren (beispielsweise Tierohren oder Schwänze). Ihre Vorbilder finden sich in der japanischen Mythologie.
Die bekannteste und beliebteste Form von Kemonomimi sind so genannte „Catgirls“, Mädchen mit mehr oder weniger ausgeprägten Katzenmerkmalen.
Auch normale Menschen können in Manga und Anime kurzzeitig als Kemonomimi dargestellt werden, z. B. wenn Charaktere bei schelmischen Gedanken oder Äußerungen einen „Katzenmund“ bekommen. Ähnlich dem Super-Deformed-Stil dient dies der übersteigerten Darstellung von Reizbarkeit oder Niedlichkeit.
[Bearbeiten] Bildelemente
[Bearbeiten] Speed Lines
Unter „Speed Lines“ versteht man parallele oder kranzförmig verlaufende Linien, die hohe Geschwindigkeit andeuten. Sie werden in Manga häufiger als in Anime verwendet.
Während z. B. in westlichen Comics die Speed Lines häufig von einem sich bewegenden Objekt ausgehen (wie bei einer still stehenden Kamera, an der etwas schnell vorbeizieht), bleibt in Manga der Fokus oft auf dem Objekt, und die Speed Lines gehen von der Umgebung aus (wie bei einer sich mitbewegenden Kamera). Auf diese Weise wird eine größere Dynamik vermittelt.
[Bearbeiten] Darstellung von Gefühlen
Diese grafischen Elemente kommen sowohl in Manga als auch in Anime häufig vor, überwiegend in Geschichten bzw. Szene mit lustigem oder satirischem Inhalt.
- Verlegenheit
- Verlegenheit kann zum Beispiel durch einen hochroten Kopf oder einen überdimensional großen Schweißtropfen an der Schläfe dargestellt werden.
- Ratlosigkeit
- Bei Ratlosigkeit können sich auf dem Gesicht viele kleine Schweißtropfen zeigen. Bei gleichzeitiger Scham werden im Anime die Charaktere häufig komplett weiß und mit punktgroßen Augen dargestellt.
- Wut oder Ärger
- Wut oder Ärger zeigen sich durch Kreuze auf Stirn oder Hinterkopf, die anschwellende Blutgefäße symbolisieren. Die betreffende Figur kann auch für einige Augenblicke deutlich größer als ihre Umgebung sein, während sie sich zu jemandem hinunterbeugt und ihn anschreit.
- Schlaf
- Schlaf kann durch eine große, aus der Nase kommende Blase gekennzeichnet sein.
- Sexuelle Erregung
- Sexuelle Erregung bei männlichen Charakteren kann durch Nasenbluten dargestellt werden (dieser Effekt hat seinen Ursprung in alten japanischen Volksgeschichten), manchmal bis zu regelrechten Blutfontänen.
- Schmerz
- Schmerzen in einem Körperteil werden angedeutet, indem dieser anschwillt und pulsiert.
[Bearbeiten] Quellen
- ↑ Matt Thorn: The Face of the Other, 2004 (englisch)