Roger Martin du Gard
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Roger Martin du Gard (* 23. März 1881 in Neuilly bei Paris; † 23. August 1958 in Bellême, Dép. Orne) war ein französischer Schriftsteller. 1937 wurde er mit dem Nobelpreis für Literatur ausgezeichnet.
[Bearbeiten] Leben und Schaffen
R. Martin du Gard stammte von beiden Elternteilen her aus katholisch-konservativen Juristenfamilien. Er wuchs auf in dem gutbürgerlichen Pariser Vorort Neuilly und besuchte zunächst eine katholische Schule, dann das renommierte Gymnasium Condorcet (wo er den späteren Verleger Gaston Gallimard als Klassenkameraden hatte). Seine Schulleistungen dort waren schlecht, denn statt zu lernen, las er viel und wahllos im Lehrplan nicht Vorgesehenes. Er wurde deshalb vom Vater in ein Pariser Privatinternat gegeben, wo er durch einen tüchtigen Lehrer eine strenge, aber wirksame Förderung erfuhr, so dass er schließlich auf das katholische Gymnasium Janson de Sailly wechseln und das Baccalaureat ablegen konnte.
Inzwischen hatte er beschlossen, Romancier zu werden nach dem Vorbild vor allem Leo Tolstois, dessen historischer Familienroman Krieg und Frieden ihn tief beeindruckt hatte. Er begann entsprechend 1898 ein Literatur-Studium an der Sorbonne, brach dieses aber ab und bewarb sich 1900 erfolgreich für die École des chartes, die traditionsreiche Pariser Fachhochschule für Archivare und Bibliothekare.
Nachdem er 1902/03 zwischendurch den Militärdienst abgeleistet hatte, schloss er 1906 sein Studium mit Diplom und Doktorat ab, heiratete (trotz latenter homosexueller Neigungen), machte eine längere Hochzeitsreise nach Nordafrika und wurde 1907 Vater einer Tochter. Einem Broterwerb nachgehen musste er dank ausreichendem Vermögen nicht. Vielmehr schriftstellerte er, abwechselnd in Paris oder der Ferienvilla seiner Eltern und vor allem im Landhaus seiner Schwiegereltern in Bellême, das später (1924) zu seinem Lebensmittelpunkt wurde.
Erste Schreibversuche hatte er schon als Schüler unternommen. In seiner Studienzeit hatte er mehrere Werke verfasst, die aber ungedruckt geblieben waren: 1901 den Roman La Chrysalide, 1903 die beiden Novellen in Dialogform Jean Flers und La Méprise sowie anschließend den Dialogroman Une vie de saint, den er 1906 halbfertig aufgab.
Sein erstes publiziertes Werk wurde 1908 der formal konventionellere autobiografische Roman Devenir!, in dem es um die Autorwerdung eines jungen Notars geht. Als Privatdruck publiziert, erzielte es zwar keinen Verkaufserfolg, bekam jedoch einige positive Kritiken. Erstes von einem Verlag angenommenes Werk des Autors war 1910 die Erzählung L’Une de nous.
1910 kehrte M. du G. zurück zu der Form, mit der er schon länger experimentiert hatte und die ihm der Moderne besonders angemessen schien: einer Montage von Dialogen, Briefen, Tagebuchaufzeichnungen, Protokollen u.ä. mit kurzen, sie verbindenden Zwischentexten. In dieser Manier schrieb er den Roman Jean Barois, wo es vor dem historischen Hintergrund der Dreyfus-Affäre um den Konflikt des Protagonisten zwischen szientistischem Agnostizismus und traditioneller Frömmigkeit geht, einen Konflikt, der viele bürgerliche Zeitgenossen und auch den Autor selber plagte. Von einem ersten Verleger (Grasset) abgelehnt, erschien das Werk 1913 dank Schulfreund Gallimard im Verlag der jungen Zeitschrift La Nouvelle Revue française, hatte dann trotz oder auch wegen seiner avantgardistischen Form beachtlichen Erfolg und verschaffte seinem Autor Anschluss an den Kreis um André Gide und Jacques Copeau, die Hauptherausgeber der NRF.
1912 mündete die Vorliebe M. du G.s für die Dialogform in einem genuinen Theaterstück: der im bäuerlichen Milieu spielenden Farce Le Testament du Père Leleu. Das Stück wurde 1914 von dem zum Freund gewordenen Regisseur Copeau im soeben gegründeten Pariser Theater Le Vieux-Colombier inszeniert, kam gut an und wurde bis in die 30er Jahre hinein häufig gespielt. (Eine weitere bäuerliche Farce, das 1922-24 verfasste Le Gonfle, blieb unaufgeführt.)
Die Kriegsjahre 14-18 verbrachte M. du G. zwar bei einer Logistikeinheit in der Etappe, war aber dennoch erschüttert über die Verwüstungen und das menschliche Elend im Frontbereich. Immerhin konnte er zwischendurch zwei Stücke von Anton Tschechow für das franz. Publikum bearbeiten. Im ersten Nachkriegsjahr (1918/19) war er Soldat im von Frankreich besetzten deutschen Rheinland.
Zurück in Paris, half er Copeau das Théâtre du Vieux-Colombier wiederzueröffnen. 1920 – es war die Epoche der langen „romans-fleuve“ – entwarf er den Plan für einen großangelegten Familienroman mit dem Titel Les Thibault. Die Handlung sollte von 1905 bis in die jeweilige Schreib-Gegenwart reichen (letztlich bis ca. 1940!), überspannte schließlich aber nur die Zeit bis 1918. Die Hauptrollen in dem formal eher konventionellen Werk spielen der großbürgerliche und autoritär-konservative Witwer Oscar Th. sowie seine beiden Söhne Antoine, der zu Beginn schon als junger Arzt arbeitet, und Jacques, der zunächst noch 14jähriger Schüler ist. Der die Handlung tragende Generations- und Mentalitäten-Konflikt kontrastiert vor allem Oscar, den hypermoralischen, z.B. die Sexualität tabuisierenden Patriarchen alter Schule, und Jacques, der wegen überschwänglicher Liebesbriefe an einen Freund vom Vater als homosexuell gefährdet betrachtet und in ein Erziehungsheim gesteckt wird, später dank dem stets vermittelnden Antoine aber daraus freikommt und sich zum pazifistischen linken Intellektuellen entwickelt. Die Handlung schließt, nachdem zwei der Protagonisten, Vater Oscar und Sohn Jacques, schon vorher gestorben bzw. umgekommen sind, mit dem tragischen Ende auch des pflichtbewussten Philanthropen Antoine, der im Krieg Opfer eines Giftgasangriffs wird und sich, unheilbar leidend, das Leben nimmt. Die schließlich acht Bände des Romans sind: Le Cahier gris (1922), Le Pénitencier (1922), La Belle Saison (1923), La Consultation (1928), La Sorellina (1928), La Mort du père (1929), L’Été 1914 (1936) und Épilogue (1939). Den 1930 fast fertiggestellten ursprünglichen Band 7, L’Appareillage, vernichtete M. du G., als er, auch durch einen schweren Autounfall zusammen mit seiner Frau (1931), in eine Krise geraten war und die Arbeit an den Thibaults einzustellen gedachte.
Da gleich die ersten Bände des Romans den Zeitgeschmack getroffen hatten und sich gut verkauften, konnte der Autor 1924 von seinem Schwiegervater dessen Schlösschen Le Tertre in Bellême erwerben, in das er sich aus dem ungeliebten Pariser Literaturbetrieb mehr und mehr zurückzog.
Während der Pause der Thibaults war M. du G. nicht völlig inaktiv. 1930 schrieb er die um das Inzest-Motiv kreisende Erzählung Confidence africaine. 1931 verfasste er das „drame moderne“ Un Taciturne, dessen Protagonist Selbstmord begeht, als er sich seiner Homosexualität bewusst wird. Das Stück wurde zwar aufgeführt, kam aber beim Publikum nicht an und blieb der letzte Versuch seines Autors als Dramatiker. Gut aufgenommen dagegen wurde 1932 der satirische Roman La Vieille France, der einen Dorfbriefträger auf seiner Tagestour begleitet.
1933 machte er sich wieder an sein großes Werk, allerdings nach einem neuen, stark verkürzten Konzept. 1936 kam in drei Teilen der Band L’Éte 1914 heraus. Er beeindruckte als eine hellsichtige Analyse der Situation vor dem Kriegsausbruch und war ein großer Erfolg. Zweifellos waren es dieser Erfolg und die pazifistische Grundtendenz des Buches in einem Moment erneuter Kriegsgefahr in Europa, die G. du M. 1937 als nobelpreiswürdig erscheinen ließen.
Der Kriegsausbruch überraschte ihn auf einer längeren Karibik-Reise. Über die USA gelang ihm schließlich die Heimkehr. Bei Beginn des deutschen „Blitzkriegs“ 1940 flüchtete er aus Bellême und ließ sich in Nizza nieder (das wenig später jedoch von Italien annektiert und 1943 von deutschen Truppen besetzt wurde).
In Nizza begann er einen neuen Roman, der wiederum bis in die unmittelbare Gegenwart führen sollte: Les Mémoires du lieutenant-colonel Maumart. Er kam jedoch über die weit vor 1900 liegende Jugendzeit des einmal mehr latent homosexuellen fiktiven Protagonisten nicht hinaus. Das Fragment wurde erst postum samt zusätzlichen Entwürfen gedruckt.
In der Nachkriegszeit blieb es still um M. du G. Schon im Krieg hatte er es unterlassen, sich politisch zu engagieren und auch später widerstrebte ihm dies. So geriet er völlig ins Abseits des damals stark politisierten Literaturbetriebes, zumal er auch wie früher fern von Paris in Bellême lebte. Hier beschäftigte er sich, denn seine bisherigen Themen hatten sich aufgrund des tiefen historischen Einschnittes nach 1940 überlebt, mit kleineren Projekten, z.B. einer Romanübertragung aus dem Amerikanischen, dem Drehbuch für einen Film nach den Anfangsbänden der Thibaults oder einem Buch über seinen 1951 verstorbenen Freund André Gide.
Immerhin erlebte er noch das Erscheinen einer Gesamtausgabe seiner Werke mit einem höchst anerkennenden Vorwort von Albert Camus in der renommierten Bibliothèque de la Pléiade (1955).
2003 bewirkte eine nach den Thibaults gedrehte Fernsehserie eine kleine Martin du Gard-Renaissance in Frankreich.
[Bearbeiten] Literatur
- Centre international de recherche sur Roger Martin du Gard: L'écrivain et son journal. Gallimard, Paris 1996
- Petra Gekeler: Die kritische Distanz des Intellektuellen. Roger Martin du Gard im Umfeld der Nouvelle Revue Française (NRF). Lang, Frankfurt am Main 2001
- Hanno Werry: Körperlichkeit und Sexualität. Gretscher, Grossrosseln 1990
[Bearbeiten] Weblinks
- Literatur von und über Roger Martin du Gard im Katalog der Deutschen Nationalbibliothek
- Roger Martin du Gard. In: Biographisch-Bibliographisches Kirchenlexikon (BBKL).
- Informationen der Nobelstiftung zur Preisverleihung 1937 an Roger Martin du Gard (englisch)
Personendaten | |
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NAME | Gard, Roger Martin du |
KURZBESCHREIBUNG | französischer Schriftsteller |
GEBURTSDATUM | 23. März 1881 |
GEBURTSORT | Neuilly-sur-Seine bei Paris |
STERBEDATUM | 23. August 1958 |
STERBEORT | Bellême, Département Orne |