Joscha Schmierer

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Joscha Schmierer (* 1. April 1942 in Stuttgart als Hans-Gerhart Schmierer) war von 1999 bis 2007 Mitarbeiter im Planungsstab des Auswärtigen Amts unter Bundesaußenminister Joschka Fischer sowie dessen Nachfolger Frank-Walter Steinmeier, dort u.a. zuständig für Grundsatzfragen der Europapolitik.

Inhaltsverzeichnis

[Bearbeiten] Leben und Wirken

Schmierer[1] plante ursprünglich eine Promotion bei dem konservativen Historiker Werner Conze, bewarf seinen Doktorvater jedoch 1969 bei einer Diskussionsveranstaltung in der Aula der Universität mit Eiern [2], weil dieser sich apologetisch zum Vorgehen der Wehrmacht in Osteuropa geäußert hatte, womit Schmierers akademische Laufbahn endete.

Schmierer war 1968 Mitglied im Bundesvorstand des SDS und 1973 Mitbegründer der bedeutendsten und größten deutschen K-Gruppe, des maoistischen Kommunistischen Bundes Westdeutschland (KBW) und bis zu dessen Selbstauflösung 1985 seine unangefochtene Führungsfigur. Im Dezember 1978 reiste er mit einer KBW-Delegation zu einem Solidaritätsbesuch zum Diktator Pol Pot nach Kambodscha und sandte diesem auch nach Bekanntwerden des dortigen Terrors 1980 noch eine Grußbotschaft [3].

In der zweiten Jahreshälfte 1975 saß Schmierer wegen schweren Landfriedensbruchs während einer Demonstration 1970 zwei Drittel einer achtmonatigen Haftstrafe in der Justizvollzugsanstalt Waldshut ab. In dieser Zeit nahm Martin Fochler die Funktion des Sekretärs des ZKs des KBW wahr.

Innerhalb der linksradikalen Szene der 70er Jahre standen die straff organisierten und dogmatischen K-Gruppen einschließlich Schmierers KBW in scharfer Opposition zu den eher anarchistischen sog. Sponti-Gruppen, zu denen auch Joschka Fischers und Daniel Cohn-Bendits Gruppe Revolutionärer Kampf gehörte. Schmierers KBW betrachtete diese als "arbeitsscheue Bonvivants" und drohte Cohn-Bendit mit Zwangsarbeit oder Todesstrafe: "Entweder er wird von der Arbeiterklasse eine nützliche Arbeit zugewiesen bekommen, etwa in einer Fischmehlfabrik in Cuxhaven, oder er wird während der Revolution durch die Massen an den nächsten Baum befördert". Dieses häufig Schmierer zugeschriebene Zitat stammt allerdings von Jürgen Klocke [4].

Trotz seines heutigen Pragmatismus und seiner etablierten Position hat Schmierer dennoch nie radikal mit seinen früheren Positionen gebrochen, sondern vielmehr versucht, diese aus heutiger Perspektive umzudeuten und so in eine gewisse Kontinuität einzuordnen. So erklärte er, es sei ihm im Grunde immer um Demokratie gegangen, und Demokratie - so Schmierer am 17. Februar 2001 im Tagesspiegel im Zusammenhang mit der damaligen Diskussion um die Rolle Joschka Fischers bei gewalttätigen Demonstrationen – sei nun einmal kein "Deckchensticken". Der Polizei wies er eine Mitschuld für die Eskalation der Gewalt bei Demonstrationen zu.[5]

[Bearbeiten] Publizistische Tätigkeit und politische Positionierung

Von 1983 bis 1999 wirkte er als Chefredakteur der dem Realo-Flügel der Grünen nahestehenden Zeitschrift Kommune. Forum für Politik, Ökonomie und Kultur, bei der er heute als Herausgeber fungiert.[6]

Als Publizist - z.B. in der taz, aber auch in bürgerlich-konservativ orientierten Zeitungen wie der Welt und der FAZ - wie auch als Referent der Denkfabrik des Außenministeriums hat er sich in den letzten Jahren mit einer dezidiert realpolitischen Position profiliert. So befürwortete er u.a. die westlichen Militäreinsätze im Irak 1991, Serbien/Kosovo (seit 1999) und Afghanistan (seit 2001), plädierte für eine pragmatische Zusammenarbeit der EU mit den USA aber auch mit Russland und äußerte während des Irakkriegs 2003 Verständnis für George W. Bushs Außenpolitik als "konsequente Weltinnenpolitik" und bezeichnete dessen "extensive Auslegung des Selbstverteidigungsrechts" als Konsequenz aus einem Versagen der Vereinten Nationen.[7]

[Bearbeiten] Werke

Bücher
  • Die Verfassung der BRD und das demokratische Programm der Kommunisten. Mannheim: Verlagsgesellschaft Kommunismus und Klassenkampf 1974
  • Sozialfaschismusthese und politische Programmatik der KPD 1928-33. Mannheim: Kühl 1975 (Nachdruck aus Kommunismus und Klassenkampf, 3. Jahrg. 1975, Nr. 1, S. 2-14)
  • Die neue Alte Welt oder wo Europas Mitte liegt : Essay. Klagenfurt: Wieser 1993. ISBN 3851290895
  • Mein Name sei Europa. Einigung ohne Mythos und Utopie. Frankfurt am Main: Fischer 1996. ISBN 3596132126
Artikel/Beiträge
  • "Der Zauber des großen Augenblicks. 1968 und der internationale Traum". In: Lothar Baier u.a. (Hrsg.), Die Früchte der Revolte. Über die Veränderung der politischen Kultur durch die Studentenbewegung, Berlin: Wagenbach 1988. ISBN 3803121620
Sekundärliteratur

[Bearbeiten] Weblinks

[Bearbeiten] Quellen

  1. Vgl. zur Biografie Jürgen Schreiber: Fischers Django. Er war ein glühender Kommunist, einst verehrte er Mao und besuchte Pol Pot. Nun berät Joscha Schmierer den grünen Außenminister. Eine bizarre Karriere, in: Tagesspiegel Nr. 17367 vom 1. April 2001, S. W 3
  2. -os: Eier- und Tomatenhagel gegen den Rektor. Diskussion in der Aula der Neuen Universität von Radikalen gesprengt - Unterschiedliches Echo, in: Rhein-Neckar-Zeitung Nr. 264 vom 15./16. November 1969, S. 3
  3. Grußbotschaft an Pol Pot: „Durch seinen langanhaltenden Befreiungskampf gegen den US-Imperialismus, der durch den Sieg vom 17. April gekrönt wurde, durch die Erfolge beim Wiederaufbau des Landes und beim Aufbau des Sozialismus in Kampuchea hat das kampucheanische Volk bereits große Beiträge zur Sache der internationalen Arbeiterklasse und der Völker der Welt geleistet. Durch seinen jetzigen Widerstandskrieg leistet das Volk von Kampuchea erneut einen entscheidenden Beitrag für die Sache der internationalen Arbeiterklasse und der Völker der Welt. Durch diesen Kampf verteidigt es seine nationale Existenz, sein Land und seine Unabhängigkeit. Dieser Kampf durchkreuzt das weitere Vordringen der Sowjetunion in Südostasien und verteidigt damit auch die Unabhängigkeit der Völker Südostasiens und der Welt“, Joscha Schmierer in: Kommunistische Volkszeitung Nr. 17 vom 21. April 1980, S. 3
  4. Jürgen Klocke (* 11. August 1948 in Bremen, Fräser, kam vom Kommunistischen Bund Bremen 1973 zum KBW) war damals zusammen mit Hans-Jörg Hager, Dieter Bock (* 28. Februar 1948 in Hannover, Elektromechaniker, verschwand 1978 plötzlich aus dem KBW) und Martin Fochler Mitglied des Ständigen Ausschusses des ZK des KBW)
  5. Demokratie ist kein Deckchensticken, in: Tagesspiegel vom 15. Januar 2001.
  6. Herausgeberübersicht.
  7. George W. Bush, der Obergrüne, in: die tageszeitung vom 12. Mai 2003.