Dekadenzdichtung
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Dekadenzdichtung (frz. décadence=Verfall) ist die vage und umstrittene Bezeichnung für eine Vielzahl an literarischen Strömungen und Einzelwerken um die Jahrhundertwende (1900), deren Gemeinsamkeit in ihrer entschiedenen Ablehnung des Naturalismus liegt. Allgemeines Kennzeichen ist eine Überfeinerung im Sinne einer subjektivistisch-ästhetizistischen Kunst- und Weltanschauung, die zu einer bewusst anti-bürgerlichen, anti-moralischen, anti-realistischen und anti-vitalen Selbstbestimmung führt.
Diese Überfeinerung wurde als Symptom einer Zeit kulturellen Verfalls bzw. Übergangs gedeutet und spätestens seit Nietzsche Gegenstand einer polemischen Zeitkritik. Während vor allem in der französischen Literaturszene die Sensibilität von Dichtern wie Baudelaire gegenüber dem Sublimen, Rauschhaften, Stimmungsvollen und Morbiden zeitweise gefeiert wurde, veranschaulicht Nietzsche in Der Fall Wagner (1888) sein Negativurteil über eine moderne 'Nervenkunst' als Erschöpfung und Auflösung. Spengler führte dieses alarmistische Geschichtsbild in Der Untergang des Abendlandes (1918) fort.
Da eine eigentliche Dekadenzliteratur schwer etwa vom Symbolismus eines Arthur Rimbaud und Paul Verlaine oder vom Impressionismus eines Hugo von Hofmannsthal oder Rilke unterschieden werden kann, dürfen ihm so unterschiedliche Autoren wie Anton Tschechow (Russland), Gabriele d'Annunzio (Italien), Maurice Maeterlinck (Belgien), Jens Peter Jacobsen (Dänemark), Oscar Wilde (England), Peter Altenberg (Österreich) oder Thomas und Heinrich Mann (Deutschland) zugeordnet werden. In Frankreich werden der Dekadenzdichtung Dichter wie Jules Laforgue, Tristan Corbière, Lautréamont und Schriftsteller wie Marcel Schwob, Edouard Dujardin, Joris-Karl Huysmans und Maurice Barrès zugeordnet.
Abgesehen von der thematischen Klammer des Wechselspiels von Lebenslust und -überdruss arbeitet Dekadenzdichtung häufig mit der Zerstörung traditioneller narrativer Strukturen und ersetzt deren Kohärenz durch eine bewusst künstliche Totalität, die sich durch Verrätselung von Handlung und Figuren, häufige (Motiv-) Wiederholungen sowie Selbstreferenzialität und einer Dominanz isolierter (oft optischer) Textdetails auszeichnet.
[Bearbeiten] Siehe auch
[Bearbeiten] Literatur
- Bauer, Roger: Décadence bei Nietzsche. Versuch einer Bestandsaufnahme, in: Joseph P. Strelka (Hg.): Literary theory and criticism. Festschrift. Presented to René Wellek in honor of his eightienth birthday, Bd. 1, Zürich 1984, S. 35-68.
- Dahlem, Ina-Gabriele: Auflösen und Herstellen. Zur dialektischen Verfahrensweise der literarischen Décadence in Heinrich Manns „Göttinnen-Trilogie“, Frankfurt a.M. 2001 (Studien zur deutschen und europäischen Literatur des 19. und 20. Jahrhunderts; 44).
- Heistein, Jósef: Décadentisme, symbolisme, avant-garde dans les littératures européennes, Wroclaw/Paris 1987.
- Kafitz, Dieter: Decadence in Deutschland. Studien zu einem versunkenen Diskurs der 90er Jahre des 19. Jahrhunderts, Heidelberg: Universitätsverlag C. Winter 2004
- Salinari, C.: Miti e coscienza del decadentismo italiano, Milano 1960.
- Wille, Werner: Studien zur Dekadenz in Romanen um die Jahrhundertwende, Greifswald, 1930.