Benutzer:Turicus
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Ich bin von meiner akademischen Ausbildung her Chemiker. Da der im anorganischen Labor (T.U. München, damals noch T.H.) für mich zuständige Assisten (E.O. Fischer) später den Nobelpreis bekam, merkte ich durch Vergleich seiner und meiner Arbeitsweise rasch, dass das nicht meine Laufbahn sein würde. Deshalb wurde ich Patentanwalt.
Nach 24 Jahren in diesem Beruf wurde ich als Handelsrichter an das Handelsgericht des Kantons Zürich gewählt.
Das weckte mein Interesse für den richtenden Teil des Rechtswesens, und die Frage "Wie wird man wo Richter?" liess mich nicht mehr los. In der Schweiz werden Richter aller Instanzen gewählt. Dazu müssen sie dem jeweiligen Wählergremium von einer politischen Partei vorgeschlagen werden. Und man kann sie auch - wie übrigens auch die Lehrer in allen Schulstufen - abwählen.
Die Handelsgerichtsbarkeit ist bei ziemlich allen, die sie kennen, beliebt. Ein fachkundiges Gericht, das relativ rasch und kostengünstig zur Beilegung von Konflikten im Handelsrecht führt.
Aber warum hat sich diese Gerichtsform nicht stärker durchgesetzt? In der Schweiz haben nur vier Kantone ein Handelsgericht und nur Deutschland, Frankreich, Belgien und Österreich kennen diese Institution. Könnte es sein, dass die Justizbehörden den Handelsrichtern, die keine Berufsrichter sind, misstraut? Weil sie nur etwas von ihrem Fach aber nicht vom Recht verstehen?
"Der Richter untersteht nur dem Recht" heisst es. Aber was - genau - ist "Recht"? Was in den Gesetzen steht wird als "statutarisches Recht" bezeichnet. Die Rechtsfindung durch Bezug auf ähnliche Fälle in der Vergangenheit nennt man kasuistisches Recht. Und dann soll es auch noch ein "Naturrecht" geben, aber über dessen Inhalt und Begründung herrscht Uneinigkeit. Die Suche nach dem "richtigen Recht" (siehe z.B. Naucke, W., Rechtsphilosophische Grundbegriffe, 3. Auflage, 1996) ist jedenfalls Teil der neuzeitlichen politischen Geschichte.
Zur Zeit vertrete ich folgende Hypothese: "Richten" ist ursprünglich ein hoheitliches Amt, das sich der Demokratisierung fast überall entzieht, mit dem Argument, das sei der Unabhängigkeit des Richteramtes abträglich.
Ich glaube nicht, dass dieses Argument zutrifft. Beweis? Keiner. Aber das Amt verleiht dem Träger eine Würde, der er sich nicht entziehen kann. Natürlich gibt es Schurken. Aber die werden - jedenfalls in der Schweiz - nicht in ein Richteramt gewählt oder aber - wenn man sich einmal geirrt haben sollte - sie werden nicht wiedergewählt.
Und wie war es mit der vielgepriesenen Unabhängigkeit der Richter in Deutschland, als die Nazis kamen? Die Wenigen, die gegen den totalen Rechtsbruch der "Rassengesetze" protestierten, mussten emigrieren. Der Rest beugte sich und versuchte, sich mit Kelsens "Reiner Rechtslehre" zu retten. Leider hat Kelsen vergessen, die Legitimität derer zu hinterfragen, die das "positive Recht" statuieren.
Komisch, kein Mensch hinterfragt das Richteramt. Es muss in den Genen liegen: die Fähigkeit zur hierarchischen Ordnung ist vielleicht ähnlich bedingt, wie die zur Sprache.