Ständegesellschaft
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Unter Ständegesellschaft versteht man in den Humanwissenschaften einen hierarchisch geordneten Teil einer Gesellschaft aus abgeschlossenen sozialen Gruppen – den Ständen – mit eigenem rechtlichen, sozialen Normen und kulturellen Normen, deren Zusammenhalt auf Gemeinsamkeit in Abstammung, Beruf, Besitz oder Bildung besteht.
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[Bearbeiten] Grundlagen
[Bearbeiten] Stand, Klasse und Schicht
Zu unterscheiden sind die soziologischen Begriffe Klasse und Schicht vom Stand: Von einer sozialen Klasse und sozialer Schichtung unterscheidet sich der Stand durch seine selbstdefinierten Unterscheidungsmerkmale zu anderen Gruppen, also eine Standesehre oder eine Standesethik, die als Standesverfassung eine verfassungsrechtliche Dimension annehmen kann – dann findet sich auch eine analoge Emblematik (etwa Siegel, Fahnen und Wappen, Insignien der Führungsfunktionen).
Weiters ist der Stand, im Unterschied zu Klasse und Schicht, die eine soziale Rolle darstellen, das persönliche Attribut eines Menschen. Insofern ähnelt die Standesgesellschaft der Kastenordnung. Dadurch ist eine ständische Ordnung wesentlich konservativer, Einzelpersonen können nicht leicht von Stand zu Stand wechseln, während Auf- und Abstieg in Klasse oder Schicht von wechselnden Lebensumständen bestimmt seien können. Häufig sind Stand (und Kaste) sogar erblich (Geburtsstand).
[Bearbeiten] Ständegesellschaft und Feudalismus
Auch von Feudalgesellschaft ist die Ständegesellschaft zu unterscheiden – obschon sie in der historischen Betrachtung meist einhergehen. Feudalismus beschreibt ein hierarchisches Konzept zwischen Herr und Gefolgsmann (Hintersasse), das sich zwar primär in der herrschenden Schicht bildet, und dahingehend ständische Elemente ausbildet (etwa die eines Adels oder eines Klerus), aber eine vertikale Gliederung der Gesellschaft bildet, während der Stand eine Subkultur darstellt. Feudale Ordnung ist ein personalierte Beziehung zwischen zwei Individuen, während ständische Ordnung eine funktionelle Beziehung ist. Weiters umfasst die feudale Ordnung primär die Verteilung von Grund und Boden und deren Wertschöpfung, beruht also auf der Basis einer landwirtschaftlich organisierten Gesellschaft, während Stände ein Phänomen einer arbeitsteiligen Gesellschaftsform darstellen. Psychologisch gesehen spiegelt der Feudalstaat die interne Struktur der Familie bzw. Sippe wieder, die Ständegesellschaft die Position der Familie bzw. Sippe nach aussen.
[Bearbeiten] Stände und Ständegesellschaften
Für sich gesehen, muss ein Stand nicht unbedingt in eine vollständig ständische Gesellschaft eingebunden sein. Wie der Ausdruck Kaste bezieht sich auch Stand auf das Funktionsprinzip der Gruppe. Typische Beispiele dafür sind militärische Stände („Kriegerkasten“) oder religiöse Stände: In der Soziologie der Frühgeschichte – der vorschriftlichen Kulturen – kann aus dem Auftreten eines gewissen Standes ad hoc nicht darauf geschlossen werden, das ein Ständegesellschaft vorliege. Der Stand kann sowohl in sich vertikal oder horizontal organisiert sein kann, als auch nach aussen eine gewisse Position innerhalb einer Hierarchie oder Schichtung einnehmen, und in eine andere Gesamtgesellschaftsform als eine ständische eingebettet sein.
Ein Stand zeichnet sich durch eine eigenständige Standeskultur aus, die sie innerhalb der Gesamtkultur der Ständegesellschaft kennzeichnet und abgrenzt, zu der diese als Subkultur aber beiträgt.
[Bearbeiten] Beispiele
- Die mittelalterlichen Ständeordnung: Adel (erster Stand), Klerus (zweiter Stand), Dritter Stand (Bürgertum), manchmal ergänzt um den Bauernstand oder um das Proletariat als Vierten Stand (Carl Jantke);
- im Heiligen Römischen Reich die Reichsstände, die Personen und Korporationen, die Sitz und Stimme im Reichstag besaßen;
- die Zünfte und Gilden, sowie die Bauhütten ab dem Hochmittelalter
- im mittelalterlichen und frühneuzeitlichen Territorium die Landstände, die Vertretungen der Stände gegenüber dem Landesherrn;
- im politischen System der Schweiz werden die Kantone noch heute als Stände bezeichnet, der Ständerat ist die föderative Kammer der Schweizerischen Bundesversammlung; auch in Volksentscheiden muss neben den Volksmehr das Ständemehr der Kantone vorliegen;
- im parlamentarischen Sinne Stände als Interessenvertretungen in einem Parlament, sowie im vorrevolutionären Frankreich die Generalstände als Vorläufer des Parlaments;
- der Ständestaat als Selbstbezeichnung des Austrofaschismus, der auf die mittelalterlichen Stände Bezug nahm.
[Bearbeiten] Abgeleitete Bedeutung im heutigen Gebrauch
- Im Bürgerlichen Recht spricht man vom Personenstand (Zivilstand) und Familienstand. Auch das Standesamt entwickelt sich aus der mittelalterlichen Ständeordnung.
- Als „Stand“ bezeichnet man in Bezug auf mittelalterliche Züfte allgemein eine Berufsgruppe, den Berufsstand
- das Standesstrafrecht erfasst Berufsgruppen wie Anwälte, Ärzte, Apotheker, Notare oder Wirtschaftsprüfer – Berufsbilder mit besonderer Verantwortung, die auch heute noch einen eigenständigen Berufsethos kennen, analog bezeichnet man auch verantwortungsvolle Funktionen wie Richter und Rechstanwälte, Lehrer oder Beamten vorrangig mit „Stand“
Siehe auch:
- Mittelstand – der Begriff ist im soziologischen Sinne nicht korrekt verwendet, wenn er eine soziale Schicht, die Mittelschicht, beschreibt. Verwandt wird er in der Wirtschaftspolitik für die vom Eigentümer selber geführten „Mittelstandsunternehmen“ mit bis zu (~)200 Beschäftigten – diese Unternehmergruppe bildet aber heute keine eigenständige Gemeinschaft
[Bearbeiten] Literatur
- Peter Feldbauer, Herbert Knittler, Ernst Bruckmüller: Herrschaftsstruktur und Ständebildung. Beiträge zur Typologie der österreichischen Länder aus ihren mittelalterlichen Grundlagen. Verl. für Geschichte u. Politik, Wien 1973
- Gertraude Mikl-Horke: Soziologie. Historischer Kontext und soziologische Theorie-Entwürfe. Oldenbourg, Wien, München 2001, ISBN 3-486-25660-2