Reiserad
aus Wikipedia, der freien Enzyklopädie
Das Reiserad (auch franz. Randonneur) ist ein speziell für die Bedürfnisse von Radreisenden konzipiertes Fahrrad und kann mit etwas über 50 kg Gepäck noch sicher gefahren und gebremst werden. Das bloße Anschrauben von Gepäckträgern an ein Serienfahrrad macht daraus kein Reiserad; Reiseräder haben eine andere Rahmengeometrie und sind auf die größeren Belastungen durch stabilere Materialien und größere Wanddicken der Rahmenrohre ausgelegt. Typische Belastungsgrenzen der Gepäckträger sind:
- Hinterer Gepäckträger bis zu 40 kg, meist jedoch ca. 25 kg,
- Vorderer Gepäckträger bis zu 10 kg
- Lowrider jeweils bis 12 kg
- Lenkertasche 2,5 kg
Diese Werte sind je nach Hersteller verschieden, sollten aber in etwa eingehalten werden, um die Lenkbarkeit des Fahrrades zu erhalten. Viel höhere Gewichte würden zudem bedeuten, dass das Fahrrad entweder nicht mehr sicher zu bremsen ist oder die Laufräder überlastet.
Steht ein Anhänger zur Verfügung, kann das schwerste Gepäck dort verstaut werden. Dies kann sich günstig auf das Fahrverhalten des Rades auswirken. Das Gesamtgewicht (Systemgewicht) von Fahrer, Fahrrad, Anhänger und Gepäck sollte aber 150-170 kg nicht wesentlich überschreiten.
Inhaltsverzeichnis |
[Bearbeiten] Anforderungen
An ein Reiserad werden besonders hohe Anforderungen gestellt, die weit über die einfache Straßenverkehrstauglichkeit hinausgehen. Der Rahmen muss für die Anbringung mehrerer Gepäckträger geeignet sein und soll auch schwer beladen ruhig geradeaus fahren. Alle Komponenten sollen auf Fahrstrecken von mehreren tausend Kilometern starken Beanspruchungen standhalten. Stabilität ist im Zweifel wichtiger als Eigengewicht:
- Steifer und ausreichend langer Rahmen mit tiefer Tretlagerposition
- Steife Laufräder mit besonders belastbaren Speichen und Felgen (hinten möglichst 4-fach gekreuzte Speichen, eventuell sogar 40 statt 36 Speichen), wasserdichten Lagern und widerstandsfähiger Bereifung. Kevlar-Einlagen können den Durchstich von Fremdkörpern vermindern, sind allerdings anfällig für spontanes Einreißen.
- Ergonomische und auf den Fahrstil des Reisenden abgestimmte Sitzposition, die Erschöpfung und körperlichen Verschleiß vermeiden hilft:
- Ein steiles Sattelrohr (die Rahmenstrebe zwischen Tretlager und Sattel) verbessert die Kraftentfaltung beim Treten.
- Bei unterer Pedalposition soll das Bein, aber nicht der Fuß, gestreckt sein.
- Ein hochwertiger Sattel (meist Kernleder) vermeidet Druckstellen am Gesäß. Er soll schlank genug sein, um nicht an den Oberschenkeln zu reiben.
- Die Sattelposition sollte sich nach dem Fahrstil richten. Wer gerne langsam fährt (bis 16 km/Std.) und entsprechend aufrecht sitzen will, sollte den Sattel waagerecht einstellen. Für höhere Dauergeschwindigkeiten ist es wegen des Windwiderstandes angebracht, mehrere Stunden am Tag in Vorlage sitzen zu können (z. B. mit Renn- oder mit Triathlon-Lenker), ohne Wirbelsäule und Genitalien zu belasten. Dafür dreht man die Sattelnase besser etwas nach unten. [1]
- Der Lenker soll mehrere Griffpositionen ermöglichen und so eingestellt sein, dass sich nicht nur die Haltung der Arme, sondern auch die der Wirbelsäule variieren lässt.
- Rennhaken wie Klickpedale ermöglichen einen runden Tritt. Dabei ermöglichen Rennhaken das Fahren mit verschiedenen Schuhen und helfen, Kniebeschwerden zu vermeiden: Bei Bedarf können die Fußspitzen etwas nach innen oder nach außen gedreht werden und Vibrationen durch rauhen Wegebelag werden nicht so direkt auf die Knie übertragen, wie bei Klickpedalen.
- Berggängige aber auch hohe Geschwindigkeiten ermöglichende Schaltung. Geeignet sind sowohl herkömmliche Kettenschaltungen als auch hochwerte Nabenschaltungen (beispielsweise die Speedhub 500/14). Bei der Kette geht Längenstabilität (darf sich nicht zu schnell dehnen) vor Schaltfreundlichkeit.
- Leistungsfähige Bremsen: Mit jeder einzelnen Bremse alleine muss das Rad bei Regen auf Gefällestrecken zum Halten gebracht werden können. Cantileverbremsen sind heute Mindestanforderung. Rücktritt- und Trommelbremsen können bei Bergabfahrten durch Überhitzung zerstört werden. Scheibenbremsen sind ungeeignet, weil bei hoher Gepäckbelastung Rahmen und Gabel verbiegen würden.
- Stabile Gepäckträger und fahrfreundliche Gepäckverteilung:
- Ein möglichst tiefer Schwerpunkt verbessert das Fahr- und Bremsverhalten.
- Die Anordnung sperriger Gepäckstücke hinter dem Radler und gegebenenfalls in Längsrichtung vermindert den Windwiderstand.
- Die vorderen Packtaschen sollten an einem Lowrider hängen, nicht zu voluminös sein und die schwersten Teile der Ausrüstung enthalten.
- Eine Lenkertasche mit Klarsichthülle für Landkarten.
- Voluminöse Teile gehören an oder auf den hinteren Gepäckträger.
- Im Rahmendreieck kann außer den Trinkflaschen noch eine kleine Tasche angebracht werden.
- Ein sorgfältiges Austarieren der Gepäcklast zwischen der rechten und der linken Seite wurde früher dringend empfohlen, ist aber nicht einmal bei den Vorderradgepäcktaschen erforderlich. Eine logische Packordnung (beispielsweise eine Tasche für Kleidung, eine für Werkzeug und Verbandszeug usw.) beschleunigt das Ein- und Auspacken.
- Drei Trinkflaschenhalter: Eventuell Spezialhalter für größere Flaschen (z. B. Campa Aero).
- Betriebssichere Beleuchtung, eventuell ein Nabendynamo
- Eventuell ein Rückspiegel erleichtert souveränes Verhalten im Straßenverkehr und das Fahren in einer Gruppe.
- Selten Federungselemente (Federelemente sind mögliche Defektquellen). Handelsübliche Federungen sind nicht auf die hohen Gewichte ausgelegt. Die Fertigung spezieller Reiseradfederungen wurde wegen mangelnder Nachfrage aufgegeben. Reiseräder mit Federung wären ein Widerspruch in sich, da die Stabilität in jedem Fall leidet.
Bei den Komponenten erfordern die Ansprüche besonders hoher Belastbarkeit und universeller Reparaturfähigkeit hin und wieder einen Kompromiss (vergleiche Nabendynamo und Hydraulikbremsen).
Selbst hochwertigste Komponenten halten an Reiserädern nur einige zehntausend Kilometer. Dies liegt an der überdurchschnittlichen Belastung durch die hohe Zuladung. Deshalb findet man an Reiserädern oft die hochwertigsten Gruppen von Rennrad oder Mountainbike-Komponenten. Der Anschaffungspreis von Reiserädern liegt daher meist im vierstelligen Bereich.
Nicht selten werden Reiseräder speziell für den Kunden angefertigt, hierbei wird die Körperbeschaffenheit des Kunden bei der Fertigung des Rahmens berücksichtigt. Spezielle Körpervermessungsprogramme ermöglichen es auch, dass sich Reiserad-Interessierte selbst vermessen und so aus der Reihe der Serien-Reiseräder das passende heraus suchen. Bein- und Oberkörperlängen bestimmen hier maßgeblich die Geometrie des Rahmens. Persönliche Vorlieben wie Nachlaufeigenschaften können ebenso berücksichtigt werden wie Radstand und spezielle Schaltungen und Bremsen, welche besondere Anlötsockel benötigen (Scheibenbremsen, Rohloff-Nabe etc.). Leider verkennt die Geometrie vieler Rahmen den Unterschied zwischen Komfort für aktive Bewegung und dem Komfort für schlaffes Sitzen. Diesem Mangel kann durch variablen Umgang mit Sattelstützen teilweise abgeholfen werden.
[Bearbeiten] Maße am Rad
Zur Maßbestimmung des Reiserades können die Methoden der Vermessung eines Rennrades in etwas abgewandelter Form angewandt werden: Der Sattel wird waagerecht eingestellt, ist so hoch wie der Lenkerbügel in der Mitte. Die Sattelspitze befindet sich lotrecht etwa 5 cm hinter der Tretlagerachse. Hockt man sich neben das Rad und hat den Sattel in der Achselhöhle, soll man mit ausgestrecktem Arm mit dem Mittelfinger die Tretlagerachse erreichen. Der Lenkervorbau wird so gewählt, dass man, wenn der Ellenbogen an der Sattelspitze ist, der Mittelfinger bis zum Lenkerbügel reicht. Beim Sitzen auf dem Rad sollte man mit ausgestrecktem Bein mit dem Hacken das Pedal erreichen. Diese Regeln gelten für normal gebaute Menschen, wenn man abweichend lange oder kurze Arme oder Beine hat, kann dies nur eine grobe Orientierung darstellen. Frauen haben tendenziell relativ längere Beine und fahren deshalb lieber kürzer gebaute Rahmen.
[Bearbeiten] Alternativen
Aus Kostengründen dienen nicht selten andere Fahrradtypen (zum Beispiel Rennrad, Tourenrad oder Trekkingrad) als Grundlage für Reiseräder und werden auf die Bedürfnisse des Reisenden angepasst. Derartige Räder können nicht so stark belastet werden wie echte Reiseräder, sind aber leichter. Die Ausführung mit einem langgestreckten Rennradrahmen und Rennradlenker wurde ursprünglich als Randonneuse (franz., weibliche Form von Wanderer) bezeichnet, inzwischen setzt sich aber auch die männliche Form des Begriffs, Randonneur, durch. Im Französischen steht Randonneur hingegen für das Reiserad.
Mountainbikes sind nur geeignet, wenn sie sehr groß sind, weil der Fahrer beim Treten sonst mit den Fersen an die Packtaschen stößt. Es können nur ungefederte Mountainbikes sinnvoll zu Reiserädern umgebaut werden.
Liegeräder sind wegen des niedrigen Schwerpunkts auch im beladenem Zustand sehr stabil. Je nach Modell ist die Gepäckmitnahme allerdings begrenzt. Es gibt spezielle Reiseliegeräder, die für schwere Lasten zugelassen sind. Bei Fahrten in entlegene Gebiete kann zudem die Ersatzteilbeschaffung mancher Komponenten (kleine Laufräder, Speziallenker) ein Problem darstellen.
[Bearbeiten] Siehe auch
[Bearbeiten] Einzelnachweise
- ↑ Michael Gressmann: Fahrradphyik und Biomechanik, Moby Dick Verlag Kiel, 10. Auflage 2008, in Vorbereitung